Sie sorgen immer wieder für heftige Debatten, kräftige Shitstorms, faule Ausreden und auch für Verwirrung, wenn sie jemand an der falschen Stelle benutzt: kaputte Wörter. Wörter, die andere Menschen diskriminieren, beleidigen, abwerten. Manche dieser Wörter waren schon von Anfang an kaputt. Kaputt im doppelten Sinne, weil sie auch von der kaputten Weltsicht erzählen, die ihre Erstverwender an den Tag legten. Aber was nun?

Wie soll man mit diesen Wörtern heute umgehen? Da sind viele natürlich ratlos, auch weil etliche dieser Wörter noch bei unseren Großeltern und Eltern kein Problem darstellten. Sie haben sich über Mohrenköpfe, Zigeunerschnitzel oder Negerküsse keine Gedanken gemacht. Und das nicht unbedingt, weil sie alle verkappte Rassisten waren, sondern weil sie mit den Wörtern keine Abwertung von Menschen verbanden.

Das Bewusstsein für die Belastung vieler unserer Wörter ist ja erst in den letzten Jahrzehnten zunehmend gewachsen. Oft waren es Gruppen der Betroffenen, die sich zu Wort meldeten und die Mehrheitsgesellschaft darauf aufmerksam machten, dass einige Begriffe als Beleidigung, Diskriminierung und Herabsetzung funktionieren.

Dass auch uralte Haltungen einer Gesellschaft dahintersteckten, die der einstigen Gettoisierungen, der kolonialen Vergangenheit und des am Ende dennoch rassistischen Denkens, die diese Worte prägten, war vielen Sprechern oft gar nicht mehr bewusst.

Schon gar nicht das Frustrationspotenzial, das in den Wörtern steckt.

Alle Wörter haben Geschichte

Und trotzdem muss man sie nicht alle wegschmeißen, wie Matthias Heine, Kulturredakteur der „Welt“, in diesem Buch feststellt, das eben einmal keine philosophische oder soziologische Abhandlung über den richtigen Wortgebrauch ist, sondern ein richtiges nützliches Wörterbuch – von „Abtreibung“ bis „Zwerg“.

Zu jedem einzelnen der 78 von ihm gesammelten „kaputten Wörter“ hat er eine richtige kleine Wortgeschichte geschrieben. Allein das schon dürfte viele Leser/-innen begeistern, denn woher eigentlich alle diese Worte kommen, weiß in der Regel nur eine kleine philologische Forschergemeinschaft.

Aber das ist erst der Ursprung der Wörter, der natürlich auch beleuchtet, wie diese überhaupt in unseren Wortschatz gelangten. Noch spannender ist dann, was Heine zum Gebrauch dieser Wörter erzählen kann.

Da wird es dann erst recht historisch, denn die ganze Vorgeschichte dieser Wörter, die heute oft so böse klingen, ist ihren Sprechern oft gar nicht bewusst. Mit diesen Wörtern werden das Denken, der Kenntnisstand und die Vorurteile unserer Vorfahren sichtbar.

Beziehungsweise die Denkweise der Leute, die die Wörter gebrauchten, denn nicht alles, was heute wie eine landläufige Beleidigung klingt, war als solche gemeint, war schon gar nicht volkstümlich. Manches stammt direkt aus der Werkstatt von Professoren, Doktoren und anderen (ein)gebildeten Leuten.

Die tragische Geschichte der Rassenlehre, die in gewisser Weise ein Produkt der Aufklärung war, muss Heine ja nur kurz anreißen. Die haben andere Autoren schon sehr ausführlich erzählt, auch weil sie ein Lehrbeispiel dafür ist, wie kluge Autoren (Immanuel Kant z. B.) sich noch zeitlebens wieder korrigierten, und dumme Autoren die falsche Lehre dann erst recht zu einer Ideologie ausbauten.

Die Erläuterungen zum Gebrauch zeigen dann auch, wie sich die Benutzung der Wörter im Lauf der Jahrhunderte änderte.

Zupfkuchen unter Russlandverdacht

Und unter dem wiederkehrenden Stichwort „Kritik“ erklärt Matthias Heine dann ausführlich, wann die inkriminierten Wörter öffentlich thematisiert wurden, aus welchen Gründen, und welche Betroffenengruppe sich dabei zu Recht zu Wort meldete.

Und welche nicht. Auch das lässt Heine nicht weg. Denn nicht alle der von ihm analysierten Worte gehören auf den Index. Manchmal melden sich auch Diskussionsteilnehmer zu Wort, die überhaupt nicht betroffen sind und sich quasi stellvertretend getriggert fühlen.

Manchmal entstehen auch geradezu irrwitzige Diskussionen, weil recherchefaule Politiker und Kommentatoren Dinge behaupten, die in den Ursprungsnachrichten überhaupt nicht angesprochen worden sind. Man denke nur an die grunzdämliche Debatte darüber, in Deutschland sollten die Weihnachtsmärkte abgeschafft werden.

Natürlich widmet dem Heine auch ein Kapitel, genauso wie der irren Debatte um Vater und Mutter, Pizza Hawaii und Russischen Zupfkuchen.

Oft entspringt die Empörungswelle reiner Unkenntnis und der reinen Lust an der Aufregung. Und mündet dann oft, wenn besonnenere Geister darauf hinweisen, dass es gar keine Ursache für die Aufregung gibt, in den beleidigten Ausruf „Sprachpolizei!“ Was Heine natürlich dazu bringt, auch die Sprachpolizei näher zu beleuchten, genauso wie den Judaslohn, das Fräulein und die Clankriminalität.

Gerade das letzte Wort macht deutlich, dass es oft auch den Sorgfältigsten schwerfällt, wirklich alternative Begriffe zu finden, die das Phänomen tatsächlich treffend beschreiben und es nicht verwässern. Was auch den „Ehrenmord“ betrifft, der eben in den meisten Fällen nicht nur ein Femizid ist.

Sprache lebt in Veränderung

Natürlich kommt bei vielen der gründlich untersuchten Wörter Heine zu dem Schluss, dass kluge und rücksichtsvolle Menschen diese Wörter nicht mehr benutzen sollten. Es ist einfach ein Zeichen des achtsamen und bewussten Sprechens. Und die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt ja, dass das die Mehrheit der Menschen auch will und nachvollziehen kann.

Manchmal muss es gar nicht erst erklärt werden. Aber das Wort Zigeuner z. B. zeigt, dass es doch erst erklärt werden muss, bevor auch die Medien in der Breite beginnen, auf das diskriminierende Wort zu verzichten und hier eben besser Sinti und Roma zu schreiben.

Und etliche Wortbeispiele zeigen eben auch, dass die Mehrheit der Leserinnen und Leser das auch nachvollziehen. Das heißt: Das Buch steht gar nicht am Anfang einer großen Sprachveränderung, sondern vollzieht schon viele Veränderungen nach, die in den vergangenen Jahrzehnten stattgefunden haben.

Bei manchen Wörtern ist längst schon die nächste Stufe der Veränderung eingetreten, werden auch einst als Ersatz für diskriminierende Wörter in Gebrauch gekommene Bezeichnungen hinterfragt – invalid gehört dazu, mongoloid oder taubstumm.

Bei anderen Wörtern treten ganz und gar neue Wandlungen ein – wie bei Naturvolk, das einst als romantisierende Bezeichnung für die Menschen in Umlauf kam, die noch ohne die technischen Segnungen der scheinbar überlegenden europäischen Kultur lebten.

Im Zeitalter des Klimawandels und des Artensterbens könnte es nun passieren, dass just die Naturvölker zum Vorbild für die sogenannten Kulturvölker werden, die für die Demolierung der Erde die Hauptschuld tragen.

Das Diskriminierende erst einmal bemerken

In seinen Einschätzungen empfiehlt Heine deswegen nicht immer, auf die beschriebenen Wörter einfach zu verzichten. Bei manchen schon. Bei anderen verweist er auf eine völlig offene Debatte – wenn etwa der Ersatz des Wortes Eskimo durch Inuit wieder neue Komplikationen mit sich bringt.

Während das Wort Indianer ganz und gar nicht so diskriminierend ist, wie es nach jüngeren deutschen Debatten klingt. Auch wenn es eine Fremdzuschreibung durch die europäischen „Entdecker“ ist. Und oft unterscheidet sich das Gefühl für die Kaputtheit der Wörter von Sprache zu Sprache, bedingt auch durch die jeweilige eigene Kolonialgeschichte.

Und oft merkt man auch, dass bei allem Bemühen um eine Nicht-Diskriminierung trotzdem keine endgültige Lösung zu finden ist – wie etwa beim Wort obdachlos, das ja nun einmal wirklich diskriminierende Bezeichnungen der Vergangenheit ersetzt hat.

Manche Worte, die im Sprachgebrauch da und dort noch auftauchen, haben die Wurzeln zu ihrer ursprünglichen Anwendung verloren, ihre Anwender denken etwa bei Hottentotten gar nicht mehr an die blutige deutsche Kolonialgeschichte in Südafrika, sondern eher an völlig außer Rand und Band geratene Partygäste. So ähnlich ist das mit „Dritte Welt“, der ja bekanntlich die Zweite Welt abhandengekommen ist.

Und dass krachlederne Nationalisten den Begriff „Heimat“ instrumentalisieren, obwohl er für die meisten Menschen nicht mit nationalem Dünkel zu tun hat, gehört genauso in die Zerstörungsgeschichte von Wörtern wie die Debatten über „beste Freunde“ oder „anschwärzen“.

Denn oft wird im Überschwang der Diskussion auch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, werden treffende Bezeichnungen, die tatsächlich plastisch beschreiben, was da passiert, mit Mutmaßungen eines zugrunde liegenden Rassismus aufgeladen, die gar nicht in den Wörtern stecken. Was eben auch den Blick darauf lenkt, wie geschichtslos manche dieser Aufregungen sind.

Aufmerksames Sprechen lernen

Andere Wörter entpuppen sich als ein kleiner Lernprozess, mit dem man auch ein wenig über die Geschichte anderer Länder erfährt – wie etwa bei Belorus und Kyjiw. Gerade weil sich Heine kenntnisreich mit Geschichte und Herkunft der hier versammelten Wörter beschäftigt, gibt er seinen Leserinnen und Lesern das nötige Wissen in die Hand, selbst einzuschätzen, wie kaputt bzw. diskriminierend das jeweilige Wort tatsächlich ist.

Mit seinen Einschätzungen gibt er im Grunde sehr freundliche Hinweise, wie man selbst mit den Wörtern verfahren sollte, ob man sie am besten gleich entsorgt oder einfach lernt, sie rücksichtsvoller zu gebrauchen.

Am Ende geht es eben doch wieder um genaues Sprechen, um die Sensibilität gegenüber jenen, mit denen man sich unterhält. Aber auch um ein bisschen Wissen um die historische Dimension von Wörtern. Ein Buch zum Aufmerksamsein, das die teils endlosen Debatten natürlich nicht beendet.

Sondern eher zeigt, dass unsere Sprache immer noch im Fluss ist, weil sie nun einmal auch gesellschaftliche Veränderungen spiegelt. Nicht jede künstlich verordnete Veränderung wird Bestand haben. Manche Worte verschwinden auch so, landen irgendwann im Lexikon ausgestorbener Wörter.

Vorher bekommen sie im Duden die Anmerkung „veraltend“ oder „veraltet“. Sodass dann jemand, der sie trotzdem noch wie Holzkeulen benutzt, schnell in den Ruf kommt, in einem vergangenen Jahrhundert festzuklemmen. Oder es ist, wie Heine so schön schreibt, „ein Zeichen entweder von Altersstarrsinn oder rechter Gesinnung“.

Matthias Heine Kaputte Wörter? Dudenverlag, Berlin 2022, 22 Euro.

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Es gibt 7 Kommentare

> “[…] im Fall gendersensibler Sprache das Phänomen, dass sprachliche Gepflogenheiten einer bestimmten Gruppe auf die sprachlichen Gepflogenheiten anderer Gruppen Einfluss nehmen. Nur ist das keine Frage des Gegensatzes von Elite und Volk.”
Nehmen Sie den Effekt denn tatsächlich so wahr, daß zuerst und auch zumeist vom “Volk” mit der Konzeptsprache der Sonderzeichen begonnen wurde?

Es gibt auch einen großen Gegensatz in der Häufigkeit der Verwendung zwischen der geschriebenen und der gesprochenen (Glottisschlag) Genderei – was ich ebenfalls als Hinweis auf die Unterscheidung zwischen “Elite und Volk” sehen würde. In der allgemeinen Kommunikation zwischen den Leuten taucht das alles seltenst auf, sehr wohl aber in offiziösen Texten, bei denen man eher Beobachtung ausgesetzt ist, die also eher aus dem akademischen Umfeld stammen.

Der Gegensatz Volk – Elite, der in dieser Debatte immer wieder aufgemacht wird, ist eine irreführende Vereinfachung, zumindest in Bezug zum einen auf sprachgeschichtliche Entwicklungen und zum anderen auf das heutige Standarddeutsch, wie es in Wörterbüchern und Grammatiken dokumentiert wird. Diese Dokumentation speist sich aus ausgewählten Belegen vor allem des schriftlichen Sprachgebrauchs und kann immer nur Ausschnitte lebendiger Sprache temporär abbilden. Wie “das Volk” gesprochen hat und spricht, war über lange Zeiträume gar nicht bis wenig dokumentiert und auch heute müsste man sich mit dialektologischer und sprachsoziologischer Forschungsliteratur beschäftigen, um darüber mehr zu wissen als das, was man aus dem persönlichen Umfeld und der eigenen, notwendigerweise eingeschränkten Sprachwahrnehmung etwa aus den sozialen Medien, Presse, Literatur, Film, Fernsehen, Radio usw. kennt. Was über weite Zeiträume relativ gut dokumentiert ist, sind tatsächlich die Sprachen der Eliten, wenn man so will, eben die Sprachen der Gelehrten, die des Lesens und Schreibens mächtig waren. Auch Luther, dessen Sprache dank Verbreitung seiner Bibelübersetzung im Buchdruck einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Herausbildung des Standarddeutschen hatte, gehörte zu einer solchen Elite. Seine Behauptung, dem Volk aufs Maul geschaut zu haben, ist zwar sehr populär, Analysen zeigen jedoch, dass Luthers Schriftsprache stark von der Meißnischen Kanzleisprache beeinflusst war, also wiederum der Sprache einer relativ kleinen, “elitären” Gruppe von Sprechern/Schreibern. Um nicht missverstanden zu werden: Selbstverständlich gibt es immer und sicher auch heutzutage im Fall gendersensibler Sprache das Phänomen, dass sprachliche Gepflogenheiten einer bestimmten Gruppe auf die sprachlichen Gepflogenheiten anderer Gruppen Einfluss nehmen. Nur ist das keine Frage des Gegensatzes von Elite und Volk. Diese Begriffe führen m.E. auch nur zu einer wenig hilfreichen Ideologisierung der Diskussion. Die Sprache “des” Volkes und “der” Elite gibt es nun einmal nicht – es gibt Familiensprachen, Jugendsprache(n), regionale Sprachen etc. ebenso wie Fachsprachen, “Beamtendeutsch”, politische Sprachgepflogenheiten usw. usf.

Leider wird heutzutage von interessierter Seite nur beachtet, wie der Empfänger / Hörer sich fühlt (bzw. sogar wie sich ein fiktiver Empfänger fühlen könnte). Also ob er sich durch etwas Gesagtes diskriminiert, verletzt etc. fühlt / fühlen könnte. To be offended ist auch ein Lebensgefühlt, so scheint mir. Kann man sogar auf andere projizieren.
Es kommt immer(!) auch darauf an, wie etwas gemeint war, insbesondere auch in welchem Kontext (politisch, historisch, hitzige Diskussion etc.) Worte geäußert wurden.
Da machen es sich einige Menschen zu leicht, die Verantwortung für ihre eigenen (negativen) Gefühle auf den Absender zu schieben.

Die Säuberung der Sprache geht inzwischen soweit, dass in historischen Werken Worte aus Quellen mit * versehen und nicht mehrt ausgeschrieben werden. Aus der General-Akte der Berliner Kongokonferenz aus dem Jahr 1885 zitiert die Historikerin Hedwig Richter, man habe sich damals verpflichtet “die Erhaltung der eingeborenen Bevölkerung und die Verbesserung ihrer sittlichen und materiellen Lebenslage zu überwachen und an der Unterdrückung der Sklaverei und insbesondere des N*handels mitzuwirken”. (Aufbruch in die Moderne: Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich, Suhrkamp 2021)
Im Original, das jeder auf Dutzenden Dokumentenservern nachlesen kann, steht – heute wie damals: “Alle Mächte, welche in den gedachten Gebieten Souveränitätsrechte oder einen Einfluß ausüben, verpflichten sich, die Erhaltung der eingeborenen Bevölkerung und die Verbesserung ihrer sittlichen und materiellen Lebenslage zu überwachen und an der Unterdrückung der Sklaverei und insbesondere des Negerhandels mitzuwirken.”
(https://de.wikisource.org/wiki/General-Akte_der_Berliner_Konferenz_(Kongokonferenz))

Folgt man Hedwig Richters Logik, müsste es in der Wikipedia und anderswo bald heißen:
“Beim Hitlergruß wurde der rechte Arm mit flacher Hand auf Augenhöhe schräg nach oben gestreckt. Dazu wurden meist die Worte ‘H* H*’ oder ‘Sieg H*’ gesprochen.”
Ob man damit dem Rechtsextremismus-Problem in unserem Land auch nur das kleinste bisschen zu Leibe rückt, wage ich mehr als zu bezweifeln. Im Gegenteil, man macht sich lächerlich und zeigt einmal mehr, was Teile der Linken seit Jahrzehnten – meist unbewusst – machen, nämlich den Menschen das Recht auf eine eigenständige Meinungsbildung abzusprechen, sie im Grunde von oben herab zu behandeln und gar keinen aktiven Rezipienten zu kennen. Vor diesem Hintergrund braucht es natürlich “Führung” von links. Aber gewonnen ist damit nichts. Nur Hohn und Spott und Wahlniederlagen.

Die Mehrheit der Leute passt sich eher an und hält sich nicht lange auf mit konfliktbehafteten Nachfragen im Umfeld, was genau die jeweilige Veränderung soll. Darauf zielen die Engagierten ab, und irgendwann setzt es sich durch. Weil dann selbst die ursprünglich kritischen Leute irgendwann lieber mitmachen und sich wieder den Gelüsten des Alltags widmen, als wach zu sein. Es ist eben nicht jeder wach und Enthusiast.
Ich musste in den letzten Wochen zwei mal nachfragen / nachschlagen, was mir der jeweilige Gesprächspartner mit seinem englischen Versatzstückchen sagen wollte. Ich dachte, mein B2 Niveau reicht für normale Gespräche auf Englisch, aber es reicht nicht für die aktuelle Coolness der Gruppe der 30jährigen, die “bring your own booze” auf eine ansonsten deutsch verfasste Einladung schreiben. Aber gut, man lernt halt dann in der Muttersprache neue Vokabeln.

Ich hab ansonsten kein Problem diese Worte wie Mohrenkopf oder Zigeunerschnitzel nicht zu benutzen. Zufälligerweise hab ich die nie benutzt. Aber wenn ich jetzt Leute höre, die vom Z-Wort reden, vom M-Wort, oder vom N-Wort, da sind wir wieder bei der Kindersprache der Umweltdinosaurier und Blechlawinen. Was bringen diese sinnlosen Metaphern bloß? Wem ist geholfen, wenn man Schimpfwörter nicht mehr zitieren und sagen kann, das dieses und jenes falsch ist zu sagen? Hören wir damit auf, auf Wörter hinzuweisen, die man nicht sagen sollte, wenn nach allen möglichen M- und Z- Wörtern irgendwann alle Buchstaben des Alphabets belegt sind? Können wir diesen vermeidenden Unsinn bitte gleich lassen?
Warum schreibt Herr Freitag hier in der Zeitung unter ein Video, was eine verpixelte, kaum erkennbare verletzte Person zeigt, eine “Triggerwarnung”? Weil sonst Mails von Erschrockenen in die Redaktion trudeln? Was könnte denn durch das Video getriggert, also ausgelöst werden? Betroffenheit? Mitgefühl? Ein Weinanfall? Hätte es nicht auch einfach das Wort “Achtung:” getan, statt einer “Triggerwarnung” vor einem epileptischen Anfall im Kino?

“Altersstarrsinn” – Das wäre doch auch ein guter Kandidat. Oder hat er es am Ende sogar in das Buch geschafft?

Sie schreiben: “Natürlich kommt bei vielen der gründlich untersuchten Wörter Heine zu dem Schluss, dass kluge und rücksichtsvolle Menschen diese Wörter nicht mehr benutzen sollten. Es ist einfach ein Zeichen des achtsamen und bewussten Sprechens. Und die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt ja, dass das die Mehrheit der Menschen auch will und nachvollziehen kann.”

Die entsprechenden Statistiken würde ich gern mal sehen. Das Gegenteit ist laut den mir bekannten Daten der Fall. Jäckle kommt in seiner Untersuchung zu dem Schluss: “Mehr als 10.000 Befragte eines Online-Surveys konnten, bevor die eigentliche Umfrage startete, auswählen, ob sie den Fragebogen mit Genderstern oder mit generischem Maskulinum präsentiert bekommen wollen. Diese Form der vergleichsweise unbewussten Abfrage der interessierenden Eigenschaft minimiert die Gefahr von Priming-Effekten und sozialer Erwünschtheit. Insgesamt wählten etwa 21 % der Befragten die geschlechtergerechte Version, 75 % die mit generischem Maskulinum (4 % trafen keine Auswahl).”
Quelle: Per aspera ad astra – Eine politikwissenschaftliche Analyse der Akzeptanz des Gendersterns in der deutschen Bevölkerung auf Basis einer Online-Umfrage (Politische Vierteljahresschrift Vol. 63, S. 469–497 (2022)
Es wäre schön, wenn die LZ nicht die eigenen politischen Wünsche als Fakten verpackt, sondern ausgewogene und vorurteilsfrei recherchiert. Und Aussagen wie: “Sprache lebt in Veränderung” sagen an sich nicht viel aus, wenn man nicht erklärt, wie diese Veränderung stattfindet. Über Jahrhunderte hinweg kam sie aus dem und durch das Maul des Volkes, jetzt durch eine (angeblich) besonders aufgeklärte Elite, die sich zu Sprachaposteln aufschwingt. Es ist genau diese moralisch-überhebliche Attitüde, die viele Menschen kopfschüttelnd zurücklässt und dazu beiträgt, dass nicht wenige (unbewusst) politisch nach rechst getrieben bzw. dort abgestellt werden. Ein kleiner Baustein im wachsenden Haus der Politikverdrossenheit, der Elitenablehnung und dem Zweifel an der Demokratie. Nicht offensichtlich, aber in seiner Wirkung nicht zu unterschätzten.

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