Jetzt noch nach Bautzen fahren? Jetzt, wo mal wieder ein paar Radikale Schlagzeilen machen, weil sie eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Brand gesteckt haben? Ja, das wollen sie nur. Reihenweise leiden sächsische Städte unter diesen Leuten, die mit Brandbeschleunigern die Stimmung aufkochen. Doch das ist auch in Bautzen nicht die Mehrheitsgesellschaft. Die meisten Bautzener lieben ihre Stadt nämlich. Ein echtes Kleinod in der Lausitz.
Sie leben auch eine andere Geschichte, als sie in „social media“ und vielen Medien erzählt wird. Es sind Geschichten, die die Sicht auf eine Region prägen. Es sind Geschichten, die das Selbstbild der dort Lebenden prägen. Geschichten, die sie sich über sich selbst erzählen. Wer sich selbst achten kann, der schaut auch selbstbewusster auf andere und auf Fremde. Der zündet keine Asylunterkünfte an.
Ein böhmischer Leu
Schon vor einigen Jahren hat der Lehmstedt Verlag Bautzen mit aufgenommen in seine Reihe „An einem Tag“, die sich längst zur umfangreichen Städtereiseführer-Reihe entwickelt hat. Damals war das Heft noch etwas schmaler. Inzwischen mausern sich die Titel zu einem neuen Standard, zu dem der aufklappbare Stadtplan mit der empfohlenen Erkundungstour genauso gehört wie die kurz gefasste Geschichte der Stadt gleich als Einstimmung, sodass jeder, der sich zum empfohlenen Startpunkt begibt, schon ungefähr weiß, was für ein historisches Pflaster er hier betritt.
Manchmal ist es der Bahnhof, an dem der Lehmstedt Verlag so eine Tour beginnen lässt. Manchmal aber wählen die Autorinnen und Autoren der Reihe auch einen markanten Punkt im Stadtgebiet, an dem sich dann die Tour abspult wie ein Wollknäul.
Wer freilich die Bautzen-Tour erlaufen will und mit dem Zug kommt, hat erst einmal ein ganzes Stück Weg vom Bahnhof über Bahnhofstraße und Karl-Marx-Straße zu laufen, um dann über den Lauengraben zur Nummer 1 zu kommen: dem Lauenturm, „dem ältesten Turm der Bautzener Stadtbefestigung“. Erbaut 1400.
Benannt nach dem – nicht mehr existenten – Lauentor, das wiederum seinen Namen vom Wappentier der böhmischen Könige hat, dem Leuen. Also mal nicht den Wettiner Löwen, den Leipzig, Chemnitz und Dresden im Wappen tragen.
In der Einleitung zur Geschichte haben die Leser ja schon erfahren, dass Bautzen mit der Oberlausitz 600 Jahre lang den böhmischen Königen gehörte und erst 1635 – als Begleichung einer Kriegsschuld – zu Sachsen kam. Ein paar Jahre gehörte die Stadt auch mal den Ungarn.
Aber prägender war Bautzens Rolle im Sechs-Städte-Bund, mit dem sich die darin versammelten Städte eine gewisse Souveränität organisiert haben. Was man dem Stadtbild von Bautzen bis heute ansieht. So wehrhaft waren Städte ausgebaut, die sich zu verteidigen wussten und auch das Geld dazu hatten, weil sie über den nötigen Reichtum verfügten.
Eidos vergebliche Mission
Unter Nr. 21 erinnert die Ortenburg an diese alte Wehrhaftigkeit, die bis zur Gründung von „civitas Budusin“ zurückgeht, das von Thietmar von Merseburg als Hauptort der Milzener schon für das Jahr 1002 erwähnt wird.
Also 13 Jahre früher als Leipzig. Was mit dem Krieg des Kaisers Heinrich II. mit dem polnischen Fürsten Boleslaw I. Chobry zu tun hat, der versuchte, die beiden Lausitzen unter seine Herrschaft zu bekommen. Da war dann die Aufmerksamkeit des Chronikschreibers aus Merseburg natürlich auf die kriegerischen Handlungen gerichtet.
Orte, an denen es friedlich blieb, waren da nicht der Erwähnung wert. Weshalb Leipzig erst Erwähnung fand, als 1015 der Merseburger Bischof Eido auf der Rückreise in „libzi“ starb, nachdem er im Auftrag Heinrichs II. „erfolglos zwischen Deutschen und Polen zu vermitteln“ versucht hatte.
Der Krieg dauerte deshalb noch bis 1018. Ein Friedensdenkmal auf der Ortenburg erinnert an den Friedensschluss. Manchmal braucht es solche Denkmäler, damit Geschichte greifbar wird und auch dem Reisenden spürbar wird, dass diese Stadt tatsächlich ein historischer Ort ist.
Auf vielerlei Weise. Am Matthiasturm (Nr. 20) am Zugang zum Burggelände wird ja direkt an die kurze ungarische Herrschaft erinnert. Und die Ruine der Nikolaikirche (Nr. 18) erinnert an die Belagerung Bautzens durch den sächsischen Kurfürsten Georg I. von 1620, als das Dach abgetragen wurde, um Artillerie aufzustellen.
Die Kirche wurde nie wieder hergestellt.
Am Reichenturm (Nr. 10) erinnert das „einzige monumentale Bildnis“ des böhmischen Königs und Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Rudolf II. an dessen Huldigungszug, der ihn 1577 auch nach Bautzen brachte.
Und die Friedensbrücke (Nr. 30) erinnert daran, dass die Nazis Bautzen 1945 zur Festung erklärten, alle 17 Brücken sprengten und die Stadt noch einmal in fünftägige Kampfhandlungen mit hunderten Toten verwickelten. 1949 wurde die Friedensbrücke über die Spree mit ihrem neuen Namen wieder dem Verkehr übergeben.
Bautzener Gefängnisgeschichte
An dieser Stelle beginnt im Grunde ein langer Spaziergang auf dem Gelände der einstigen Wallanlagen, die die Bautzener ganz ähnlich wie die Leipziger in eine große Parkanlage verwandelt haben.
An den Schilleranlagen macht Steffi Böttger, die diesen Stadtführer geschrieben hat, extra Station, um das Friedrich-Schiller-Gymnasium mit der ältesten Schulsternwarte Deutschlands zu bewundern. Während ein besonders dunkles Kapitel aus der Bautzner Geschichte mit Nr. 37 und Nr. 38 den Abschluss bildet.
Das erste ist die Gedenkstätte Bautzen im ehemaligen Zuchthaus Bautzen II, in dem einst die Nazis politische Gefangene in „Schutzhaft“ nahmen, später agierten hier der sowjetische Geheimdienst NKWD und das MfS, unter dessen Ägide hier zahlreiche Berühmtheiten wie Walter Janka, Wolfgang Harich, Erich Loest oder Rudolf Bahro inhaftiert waren.
Die Nr. 38 liegt dann schon außerhalb des eigentlichen Rundgangs: das Gefängnis Bautzen I, genannt „Gelbes Elend“ wegen der gelben Klinkerfassade. Hier war unter den Nationalsozialisten Ernst Thälmann eingesperrt, später war es Speziallager der Sowjetischen Militäradministration und Teil des Strafvollzugs der DDR.
Hier wieder waren es Häftlinge wie der Vorsitzende des Leipziger Studentenrats Wolfgang Natonek und der Schriftsteller Walter Kempowski, an die Steffi Böttger erinnert.
Kempowski hat über seine Haftzeit in Bautzen I in seinem Buch „Im Block“ berichtet. Loest schrieb über seine Haft in Bautzen II in „Durch die Erde ein Riss“. Beides Bücher, die beklemmen und gleichzeitig davon erzählen, wie sich zwei willensstarke Männer nicht brechen ließen.
Auch das ist Bautzen. Aber eben auch das gnadenlose 20. Jahrhundert mit seinen Ideologien und Diktaturen. Eigentlich Mahnung genug, sich von Radikalen nicht schon wieder einschüchtern zu lassen. Auch nicht in Bautzen.
Zum Schluss in den Senfladen
Das hat die Stadt nicht verdient, die ja auch in besondere Weise daran erinnert, dass sich hier bis heute sorbische Sprache und sorbisches Brauchtum erhalten hat und gepflegt wird. Auf der Tour besonders zu erleben im Sorbischen Museum (Nr. 22) und im Deutsch-Sorbischen Volkstheater (Nr. 32).
Und da wir schon bei berühmten Gefangenen waren: Einen trifft man auch auf der Ortenburg: Johannes Nepomuk Karasek, den berühmten Räuberhauptmann, der 1800 gefangen wurde und erst zum Tode verurteilt wurde und dann – begnadigt – den Rest seines Lebens in der Festung Dresden verbrachte.
Da passt es schon, dass auf der Ortenburg heute das Sächsische Oberverwaltungsgericht sitzt, das zwar keine Räuber verurteilt, aber Recht spricht, wenn die Bürger Ärger mit diversen Behörden im Freistaat Sachsen haben. Hier ist auch das 2003 eröffnete Burgtheater zu finden. Und im Sommer finden hier Freilichtheatervorführungen statt.
Da werden sich die Richter im OVG schon das ihre denken über diese schön irritierende Nachbarschaft.
Aber es gilt wie für praktisch alle „An einem Tag“-Stadtführer: Wer wirklich auch die am Weg liegenden Museen, Kirchen und Turmbesteigungen mitnimmt, wird das an einem Tag bestimmt nicht schaffen.
Da nimmt man sich lieber ein paar Tage Zeit. Und den zünftigen Abschied nimmt man sowieso im Bautzner Senfladen und dem Senfmuseum am Fleischmarkt, Nr. 6 auf der Route.
„Auf dem davor gelegenen Fleischmarkt lässt es sich trefflich unter den Bäumen im Schatten ausruhen und den 1865 gestalteten Brunnen mit dem Standbild des sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. (1585–1656) betrachten.“
Das ist der Georg, der die Lausitz als Kriegspfand bekommen hat. Aber der böhmische König hat sie nicht wieder ausgelöst, sodass dieser Teil der Lausitz und Bautzen heute zu Sachsen gehören.
Steffi Böttger; Mark Lehmstedt Bautzen an einem Tag Lehmstedt Verlag, Leipzig 2022, 6 Euro.
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