Was berührt uns an Weihnachten wirklich? Der Weihnachtsmann? Das Christkind? Die Geschenke? Die Dudelmusik? Oder ist es doch eher das, was David Wagner in seiner Weihnachtsgeschichte „Alle Jahre wieder“ thematisiert, die eigentlich nur ein Telefongespräch zwischen einem Vater und seiner Tochter ist, in dem es darum geht, ob sie ihn zu Weihnachten wieder besucht.
Ein kluger Kunstgriff, den Wagner da anwendet für das nächste Buch in der wachsenden Weihnachtsreihe aus der edition chrismon, in der begabte Prosaautorinnen und -autoren so nach und nach ihre Weihnachtsgeschichten erzählen. Und zwar nicht im alten, süßlichen Stil der üblichen Weihnachtsbücher, in denen es schneit und jubiliert und wundert, bis der Kitsch aus den Seiten quillt.
Diese Serie ist anders angelegt. Und die angefragten Autor/-innen haben die Idee nur zu gern aufgegriffen, von den heutigen Weihnachtsfesten zu erzählen, dem, was wirklich geschieht und wie Menschen mit diesen stillen und manchmal auch sehr einsamen Tagen wirklich umgehen.
Das haben in dieser Reihe schon Alina Bronsky getan, Rainer Moritz, Jana Hensel und Zsuzsa Bank. Jedes Jahr ein neues Buch mit einer 100-seitigen Erzählung, die jede für sich ein Blick ins Herz unseres Miteinander sind.
Auch die von David Wagner, in der ein scheinbar simpler Anruf des Vaters bei seiner Tochter sich zu einem liebevollen, humorvollen, neugierigen Gespräch der beiden über jede Menge vergangener Weihnachten, Weihnachtsfrust und Weihnachtsflucht entwickelt, Zwischenmenschliches und auch über das, was zwischen Vätern und Töchtern existiert und meistens gar nicht richtig zu benennen ist.
Nur dass wir hier zwei am Apparat haben, die das Sprechen nicht verlernt haben, nicht in die Fallen so vieler anderer Familien gelaufen sind, in denen das Gespräch zwischen den Eltern und den Kindern völlig abbrach. Oder auch nie zustande kam, weil die Eltern den Punkt verpasst haben, an dem aus ihren „Babys“ selber denkende, neugierige und selbstbewusste Menschen geworden sind. Die ernst genommen werden wollen und mitreden wollen. Und die auch wissen wollen, warum ihre Eltern sich verhalten, wie sie es tun.
Mal so dazwischen erwähnt: Kinder haben ein verdammtes Recht darauf.
Ausrufezeichen.
Erzähl noch mehr von Weihnachten
Es schwingt die ganze Zeit mit, wenn man diesen beiden beim Telefonieren zuschauen kann, wie sie sich immer wieder vortasten und nachfragen und gerade die Tochter immer noch etwas mehr wissen will von Papas vorigen Weihnachten, seiner Abscheu vor Familienfesten und seinen Fluchten in die Welt, wenn in Deutschland wieder das Festgebimmel ansetzt und alle einen auf heimelig machen.
Obwohl das bei vielen nur noch Theater ist, das Aufrechterhalten eines schönen Scheins, während die alten Misshelligkeiten, Vorurteile und Granteleien auch bei Gänsebraten und beim Weihnachtsbesäufnis munter weitergehen.
Was natürlich immer sehr konkrete Ursachen hat. Hier zum Beispiel den frühen Tod der Mutter und das Auftauchen einer Stiefmutter, die es gar nicht darauf anlegte, sich das Vertrauen der Kinder zu erwerben, sondern wohl eher alles dafür tat, dass diese schnellstmöglich aus dem Haus kamen.
Vielleicht war das sogar der Anfang all der mehr oder weniger langen Partnerschaften, die der so weihnachtsflüchtige Vater hinter sich hat, mit Frauen, denen der eigensinnige Bursche irgendwann nicht mehr genügte.
Wen sucht und findet man eigentlich als Lebensbegleiterin, wenn man aus seiner Jugend so widerspenstige Erfahrungen mitbringt, die auch durch die Erzählungen der Großeltern nicht robuster werden. Im Gegenteil. Am Telefon machen sich die beiden sehr intensiv Gedanken darüber, warum die Großeltern über ihre Erfahrungen im Krieg nie etwas erzählt haben, dafür viel über die harte Nachkriegszeit.
Patchwork-Weihnachten
Wagners Protagonisten leben in einer durchaus realen Bundesrepublik mit all ihren erworbenen Belastungen, Sprechschwierigkeiten und Banalitäten, die sich jedes Jahr zu Weihnachten wieder ballen und aufschaukeln. Und vor allem in Rituale münden, die den beiden sehr suspekt sind.
Auch wenn sie natürlich ihre eigenen kleinen Rituale haben, die sich im Lauf der Jahre eingespielt haben. Notwendigerweise, wenn die Kinder schon früh erfahren, dass es auf einmal zwei, gar drei Weihnachten mit den Eltern gibt.
Auf einmal entstehen für alle Tabuzonen, selbst gewählt, wie man merkt. Man spricht nicht unbedingt übereinander. Denn so richtig im Krach ist der telefonierende Vater augenscheinlich nicht mit seiner Ex auseinander gegangen.
Er akzeptiert ihre Entscheidungen und ihr anderes Leben. Ihm geht es um den Tag mit seiner Tochter, die ihn eigentlich schon fest eingeplant hat. Wie alle Jahre. Aber dieses Selbstverständliche ist beiden nicht selbstverständlich, das merkt man schnell.
Keiner von beiden will schnell wieder auflegen. Auch ein paar alte Schnappschüsse wandern hin und her. Erinnerungen an längst vergessene Weihnachtsgeschenke, an Weihnachtsbäume und die Rituale, mit denen die Eltern einst die Bescherung für die Kinder organisierten.
Aber auch Erinnerungen an all die Orte, an denen der Vater den Heiligabend meist mit Wanderungen durch fremde Städte verbrachte. Mal bewusst weit weg von Zuhause, mal beim Warten auf verlassenen Flughäfen.
„Du bist ein weihnachtssentimentaler Weihnachtsverweigerer“, sagt die Tochter fast am Ende des Gesprächs. Aber im Grunde sieht sie genauso auf dieses Fest und all den Konsumklimbim drumherum, der das Fest in lauter Dingen zu ersticken droht, die kein Mensch mehr braucht, die am Ende sogar nur noch verraten, wie wenig einen mit den Beschenkten verbindet.
Denn das geht verloren irgendwann, wenn man verlernt, einander auch im Gespräch von einem Ende des Landes bis zum anderen nah zu sein. Und sich dann einig ist, dass das Beste am lärmenden Weihnachtsmarkt tatsächlich die Geisterbahn ist.
Und dass es gar nicht so wichtig ist, was diesmal auf dem Wunschzettel steht. Denn man wünscht sich eigentlich gar nicht so viel. Was viele im erste Corona-Lockdown ja auch erlebt haben, auch wenn sie es nicht wirklich verstanden haben, dass Weihnachten eigentlich etwas anderes ist als das Gedudel schrecklicher Ohrwürmer und Berge von teuren Geschenken.
Fast beiläufig kommen die beiden im Gespräch darauf. Auch wenn der Vater seine nur zu berechtigte Angst äußert, dass seine „Große“ diesmal nicht kommt.
Da kann man sich schon ein bisschen frotzeln. Aber David Wagner gelingt es zu zeigen, wie ernst gemeint das ist.
David Wagner Alle Jahre wieder edition chrismon in der Evangelischen Verlagsanstalt, Leipzig 2022, 14 Euro.
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