Das Besondere an diesem Buch ist nicht der Tyrannosaurus Rex, obwohl er natรผrlich drin vorkommt nebst vielen anderen Stars des Dinosaurierzeitalters. Das Besondere ist die zwinkernde Verschiebung der Wahrnehmung auf die handelnden Personen. Denn auch fรผr die Entdeckung der Giganten der Urzeit gilt: Die Hรคlfte der Entdeckungen haben Frauen gemacht. Und Birk Grรผling und Lucia Zamolo erzรคhlen einmal konsequent nur รผber sie.

Genauso konsequent, wie Berge von bisher erschienenen Dinosaurierbรผchern immer nur รผber die Mรคnner berichtet haben, die sich in der Dino-Forschung hervorgetan haben. Mit Betonung auf โ€žhervorgetanโ€œ. Denn indem Grรผling und Zamolo einfach nur รผber die Entdeckerinnen und Forscherinnen erzรคhlen, wird ganz beilรคufig ein Mechanismus deutlich, der bis heute funktioniert: Wie Mรคnner nรคmlich ins Rampenlicht gerรผckt (und sich hineindrรคngeln) und Frauen regelrecht aus dem Bild retuschiert werden.

Falsche Mรคnnerdominanz in der Wissenschaftsgeschichte

Aber auch, wie die Berichtenden โ€“ Buchschreiber, Journalisten, Biografen usw. โ€“ durch die lange Vorgeschichte der mรคnnerdominierten Wissenschaftsgeschichte geprรคgt sind und einfach davon ausgehen, dass sich nur mรคnnliche Wissenschaftler mit Dinos beschรคftigt haben und das, was die alten Standardwerke zur Forschung zeigen, die ganze Wahrheit ist. Und eben nicht nur die halbe, weil der weibliche Teil an der Arbeit fehlt.

Und so lernen die Leserinnen und ganz bestimmt auch Leser dieses Buches die englische Entdeckerin des Iguanodons Mary Mantell und die Amerikanerin Mignon Talbot kennen, die ein ganzes Dino-Museum mit ihren Funden ausstattete, oder Daniela Schwarz und Veronica Diez Diaz, zwei heutige Palรคontologinnen, die Einblick geben, wie heute an Dinosaurierfunden geforscht wird.

Ein ganzes Dino-Zeitalter

Und nicht ganz nebenbei lernt man dabei das gewaltige Zeitalter der Dinosaurier kennen, die von vor 252 Millionen bis vor 66 Millionen Jahren die Fauna auf der Erde dominierten. Man erfรคhrt, wie viele verschiedene Dinosaurier inzwischen identifiziert wurden und wie das Bild der Zeit, in der sie auf der Erde lebten, immer differenzierter gezeichnet wurde. Und auch weiter werden wird, denn es kommen immer neue Funde dazu und immer noch werden neue Arten entdeckt โ€“ riesige Exemplare, Pflanzenfresser und Rรคuber, aber auch ganz kleine Dinos.

Und wer es noch nicht wusste, erfรคhrt von der Farbenpracht einiger Exemplare und von den Federn, die an einigen Exemplaren nachgewiesen wurden. Da braucht es kaum noch die leise Erinnerung daran, dass unsere heutigen Vรถgel in gewisser Weise die Nachfahren der Saurier sind. Aber es ist ja auch ein Buch fรผr Kinder, die erst einmal gewaltig neugierig sind auf Saurier. Saurier faszinieren jedes Kind. Jedes.

Und Eltern tun gut daran, den Mรคdchen nicht einzureden, dass ihre Welt die Puppenwagen, Bรคrchen und Einhรถrner sind. Erst recht nicht, wenn die Mรคdchen sich fรผr โ€žJungsdingeโ€œ interessieren, die nur in den Kรถpfen einfรคltiger Erwachsener reine Jungsdinge sind.

Brachiosaurus zum Beispiel, Bambiraptor oder Gigantosauros. Und sich fรผr den Familienausflug eben nicht Disneyland wรผnschen, sondern das Urweltmuseum Hauff, das Museum fรผr Naturkunde in Berlin, den Saurierpark Bautzen oder den Fossilienacker Nettesheim.

Eine groรŸe Karte zeigt am Ende der kleinen Reise in die Dinowelt, wo man in Deutschland, der Schweiz und ร–sterreich nรคmlich richtig viele Dinosaurier sehen kann und richtig groรŸe Skelette von Sauriern, die erleben lassen, was fรผr eine gigantische Welt da existierte, bis vor 66 Millionen Jahren ein riesiger Asteroid im Golf von Mexiko einschlug und das Ende des sehr langen Dino-Zeitalters einlรคutete.

Selber zur Entdeckerin werden

Mit der Geschichte der Dinos begegnen Kinder und ihre Erwachsenen der ganzen Faszination des Lebens auf der Erde, das immer wieder von neuem startete, wenn wieder ein riesiges Massenaussterben eine Entwicklung beendet hat. Dann besetzten andere Arten die Nischen, besiedelten die Meere, Seen und das Land. So wie die damals noch winzigen Sรคugetiere ihre einmalige Chance bekamen, als die Dinos verschwanden.

Auf einmal wird all das lebendig, was im Schulunterricht meist nur trocken behandelt wird. Und die Leser erfahren, dass man nicht nur in reich ausgestatteten Museen die Welt der Dinosaurier finden kann, sondern dass es in Deutschland auch Fundstellen gibt, wo man selbst mit Hรคmmerchen und Eimer losziehen und auf Fossilien stoรŸen kann. Echte. Denn an manchen Orten sind auch heute noch reiche Fundstellen beheimatet, entdecken kleine und groรŸe Forscherinnen, wie die stummen Zeugnisse einer untergegangenen Welt in den verschiedenen Erd- und Gesteinsschichten stecken.

Man kann es also genauso machen wie die zwรถlfjรคhrige Mary Annings, die nach dem frรผhen Tod ihres Vaters 1811 allein loszog, um an der sรผdenglischen Kรผste nach Fossilien zu suchen. Sie wurde damit zur Entdeckerin des Plesiosaurus. Und man ahnt schon, wie sich Kinderzimmer nach dem Lesen dieses Buches verwandeln werden, wie die ganzen Bรคrchenposter verschwinden und groรŸe Dino-Bilder auftauchen.

Und natรผrlich GroรŸeltern alle ihre Weihnachtswunschzettel vergessen und neu schreiben kรถnnen. Und dabei Sauriernamen lernen dรผrften, die sie noch nie gehรถrt haben. Vielleicht wird Oma aber auch nur kichern und sich freuen, weil beim Enkelchen die ganze Mรคdchenmasche aus der Werbung fehlgeschlagen ist und das Kind die reine menschliche Neugier fรผr sich entdeckt hat, mit der die Welt erst zum Faszinosum wird und eine Berufswelt denkbar, in der es nicht um Lockenwickler und sรผรŸe Kleidchen geht.

Das Buch ist ein Anfang.

Da dรผrften noch mehr kommen, die zeigen, dass die bislang so sรคuberlich ignorierte Hรคlfte der Forschung weiblich ist. Und dass Frauen sich von den groรŸen Rรคtseln der Wissenschaft genauso in Bann schlagen lassen wie Mรคnner. Auch wenn sie dann, wenn es Orden und Ehrentitel gibt, meist nur als โ€žschmรผckendes Beiwerkโ€œ im Publikum sitzen, weil der Fokus der Berichterstattung von Mรคnnern geprรคgt ist und Mรคnner mit Heiligenscheinen verziert werden, ganz so, als hรคtten sie alles allein geschafft. Was eben ein Trugschluss ist. Und zwar ein gewaltiger.

Und den T-Rex namens Sue gibt es wirklich, benannt nach Sue Hendrickson, die ihn entdeckte und mit ihrem Team ausgrub. Nur eines weiรŸ man nicht: Ob T-Rex Sue nun ein Mรคdchen oder ein Junge war. Das verraten die ausgegrabenen Knochen leider nicht.

Birk Grรผling, Lucia Zamolo โ€žEin T-Rex namens Sueโ€œ, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2022, 18 Euro.

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