Kommen wir also zu den Russen. Sie bilden hier den Abschluss der Reihe, die Reinhard Mรผnch zu den Kontrahenten Napoleons zusammengetragen hat. Ein Bรผchlein, das sich natรผrlich ganz anders liest mit dem Wissen um den aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine im Hintergrund. Von Austerlitz 1805 bis Paris 1814 waren die Russen dabei. Oder genauer: die aus den Vรถlkerschaften des russischen Imperiums zusammengewรผrfelten Truppen.
Natรผrlich auch Ukrainer. Die teilnehmenden Kosaken sind bis heute legendรคr. Und der Blutzoll ist es ebenso, denn die russischen Truppen zahlten mit ihrem Blut โ vor Leipzig, bei Austerlitz, auf den Schanzen von Borodino, bei Eylau, der vorletzten Schlacht vor der bei Friedland, nach der es dem russischen Zaren nur noch mรถglich war, den Frieden von Tilsit einzugehen.
Zu Eylau schrieb der russische Offizier Dawydow: โIch war Augenzeuge dieses Schlachtens und muss bestรคtigen, dass ich solch ein Aufeinandergehen in keinem der von mir mitgemachten 16 Gefechte ansatzweise erlebt habe. Fรผr etwa eine halbe Stunde konnte niemand einen Gewehr- oder Kanonenschuss hรถren, man hรถrte nur dieses unsagbare Gebrรผll tausender tapferer Soldaten, die sich Mann gegen Mann im Kampf wรคlzten, sich gegenseitig schlagend und abstechend. Schlieรlich behielt unsere Seite die Oberhand.โ
Es nutze nur nichts. Nach Friedland war die russische Armee ausgeblutet. Der Zar hatte nur diese eine. Er musste mit Napoleon einen Waffenstillstand finden.
Die soldatische Tapferkeit
Und das โtapfereโ stรถรt einem auf. Denn die meisten Schlachtenschilderungen erzรคhlen davon, dass es gar nicht um Tapferkeit ging. Wer drinsteckte in den Schlachten, der konnte nur noch kรคmpfen in der Hoffnung, vielleicht am Ende noch am Leben zu sein.
Wer freilich verwundet wurde, hatte meist ein noch schlimmeres Schicksal als die, die gleich getรถtet wurden. Davon erzรคhlen zum Beispiel die Schilderungen von der Schlacht bei Borodino fรผnf Jahre spรคter. Die einen sehr wohl an das erinnern dรผrften, was derzeit in der Ukraine passiert.
Denn dass Napoleon so tief nach Russland hineinmarschieren konnte, hatte auch mit der Strategie des russischen Feldmarschalls Barclay de Tolly zu tun, der genau wusste, dass auch die neu zusammengestellte russische Armee der 500.000 Soldaten zรคhlenden Grande Armee Napoleons zahlenmรครig deutlich unterlegen war.
So gab er Smolensk auf und wurde postwendend den Oberbefehl los. Jetzt erst kam Kutusow in den Oberbefehl und jeder kann in Wolfgang Davids Buch โIm Aufwind der Machtโ nachlesen, mit welchen Verlusten die russische Armee hier versuchte standzuhalten, bevor Kutusow dann doch Moskau preisgeben musste.
Nur hatte Kutusow dabei auch die Schonung der ihm verbliebenen Soldaten im Sinn, anders als das der heutige Zar in Moskau in der Ukraine praktiziert.
Den โEmporkรถmmlingโ schlagen
Es sind vor allem Erinnerungen von Offizieren, die Reinhard Mรผnch zitieren kann โ und darunter vor allem adlige Offiziere aus Deutschland, die sich in der russischen Armee verdingten und das nรถtige militรคrische Knowhow mitbrachten โ General Gregor von Berg aus dem Baltikum etwa, Kutusows Generalquartiermeister von Toll, oder Eugen Friedrich Karl Paul Ludwig Herzog von Wรผrttemberg, der als Sohn eines preuรischen Generals und Neffe der Zarin schon als Kind in Russland lebte und in der russischen Armee Karriere machte.
Er war dabei, als die russischen Truppen am 16. Oktober 1813 โunter furchtbaren Verlustenโ bei der Erรถffnung der Vรถlkerschlacht kรคmpften. Die Prinz-Eugen-Straรe in Connewitz ist nach ihm benannt. Und auch wenn man die ganzen Schlachten immer nur aus der Perspektive der Offiziere sieht, hat man mit Mรผnchs Buch Teil an der politischen Entwicklung, die Russland damals in die mitteleuropรคischen Kriege hineinzog.
Obwohl die Motive des Zaren wohl immer die gleichen blieben: diesem โEmporkรถmmlingโ aus Frankreich die Macht wieder zu entreiรen und die Entwicklungen seit der Franzรถsischen Revolution zurรผckzudrehen. Die Koalitionskriege waren anfangs vรถllig konservative Kriege, mit denen die europรคischen Feudalherren versuchten, die Idee der Republik von Anfang an zu unterdrรผcken und ein รbergreifen der revolutionรคren Ideen auf ihre Lรคnder zu verhindern.
Seit den Niederlagen bei Austerlitz und Jena/Auerstedt aber ging es direkt um ihre Throne und ihre Macht und aus den labilen und immer wieder zerfallenden Koalitionen wurde dann die Allianz, die man bei Leipzig erleben konnte. Mittendrin die Truppen des Zaren, die โ wenn man den Augenzeugenberichten glauben kann โ รคhnlich rรผcksichtslos kรคmpften wie die preuรischen Truppen.
Und das ging so weiter bis zu den Kรคmpfen auf franzรถsischem Gebiet, die in der hiesigen Geschichtsschreibung fast nie erwรคhnt werden โ etwa die Schlacht bei Fรจre Champenoise am 25. Mรคrz 1814, wo die โrussischen Reiter unter Graf Pahlen ein schreckliches Blutbad unter den Franzosen anrichtetenโ.
Eine Wรผrdigung fรผr Kommandant Prendel
Die russischen Truppen wurden dann ziemlich schnell wieder nach Russland zurรผckgefรผhrt. Dafรผr waren dann auch die eingesetzten russischen Gouverneure zustรคndig โ so wie der in Leipzig eingesetzte Kommandant Victor von Prendel, der mit seiner Leutseligkeit auch die Herzen der Leipziger fรผr sich gewann.
Auch er ist ja mit einer Straรenbenennung in Leipzig gewรผrdigt worden. Am Markt erinnert eine Tafel an seinen Amtssitz. Mรผnch wรผrdigt ihn mit einem eigenen Kapitel, in dem er die verfรผgbaren biografischen Verรถffentlichungen zu dem in Tirol geboren Adligen nutzt, der seine Militรคrlaufbahn im รถsterreichischen Heer begonnen hatte und in den Schlachten von 1813 vor allem ukrainische Kosakenregimenter befehligte und nach dem Krieg auch nach Kiew zurรผckging, wo er 1852 starb.
Was schon eine Menge darรผber erzรคhlt, was ganz normale Zivilisten eigentlich an Offizieren schรคtzen: so scheinbar gรคnzlich unmilitรคrische Tugenden wie Umsicht, Rรผcksicht, Freundlichkeit und Respekt.
In Waterloo waren die russischen Truppen aus ganz geografischen Grรผnden nicht mit dabei: Sie konnten gar nicht so schnell auf dem Kriegsschauplatz auftauchen wie Englรคnder und Preuรen.
Aber dennoch gehรถrten sie zu den Siegern in dieser Geschichte und diktierten die Nachkriegsordnung in Europa mit. Obwohl โ die Russen selbst waren es ja nicht. Es waren der Zar und seine Unterhรคndler, die in Wien mitbastelten am neuen alten Gleichgewicht der europรคischen Feudalmรคchte, auf dass alles beim Alten bliebe. Was es nicht blieb, wie wir wissen.
So gesehen sind die damaligen Kriege wie ein Widerschein der heutigen Konflikte, die ja ebenso radikal zwischen Autokratie und Demokratie ausgetragen werden. Zwischen einem modernen Zarismus und dem Willen eines Landes, sich von Okkupanten nicht unterjochen zu lassen.
Dr. Reinhard Mรผnch Von Austerlitz bis Paris Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2022, 11,40 Euro.
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