Seine Fotobรคnde mit Aufnahmen aus einem Land โam Rande der Zeitโ haben lรคngst ein begeistertes Publikum gefunden. Seine Fotos gehรถren zum Eindrucksvollsten, was die Dokumentarfotografie aus dem โstillen Landโ im Osten aufzuweisen hat. Dabei wurde er dem Publikum in der DDR durch ein ganz anderes Fotogenre bekannt: die Modefotografie, die vor allem in der legendรคren โSibylleโ verรถffentlicht wurde.
Mathias Bertram nennt sie in seinem Vorwort tatsรคchlich legendรคr. Aber es stimmt. Es gibt Dinge an diesem untergegangenen Land, die tatsรคchlich zur Legende geworden sind und die davon erzรคhlen, was ein paar ambitionierte Menschen auch in diesem auf Schmalhans gesetzten Land zustande bringen konnten, wenn man sie nur machen lieร.
Denn das Traurigste an der DDR sind ihre vielen vergeigten Chancen. Und zwar Chancen auf den Feldern, auf denen sie eigentlich fortschrittlich sein wollte. Bei der Emanzipation der Frauen zum Beispiel.
Man muss nicht erst Maxi Wanders โGuten Morgen, du Schรถneโ lesen, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie sehr die Frauen im Osten den Gedanken der Gleichberechtigung und der emanzipierten Gesellschaft ernst nahmen โ und gleichzeitig mit alten Rollenbildern, Erwartungen und Unverstรคndnis haderten. Manchmal vergisst man ja, dass sich das Bild der Frau auch in der DDR radikal wandelte.
Und die โSibylleโ steht exemplarisch dafรผr. Und fast symptomatisch steht dafรผr das Jahr 1967, als Roger Melis dort seine erste Mode-Fotostrecke verรถffentlichte. Vielleicht auch schon das Jahr 1962, als Margot Pfannstiel die 1956 gegrรผndete Modezeitschrift als Chefredakteurin รผbernahm und entstaubte.
Denn vorher, so Bertram, war auch dieses Blatt durch ein โkonservatives, patriarchalisch geprรคgtes Frauenbildโ konturiert, โdas nur wenige Berรผhrungspunkte mit der damaligen Lebensrealitรคt hatteโ.
Zeit fรผr ein modernes Frauenbild
Also ganz รคhnlich, wie das im Westdeutschland der Adenauer-Zeit war. Beide Teile Deutschlands waren zutiefst konservativ und patriarchalisch. Und tief steckte in beiden Gesellschaften die alte, konservative Verachtung fรผr Individualitรคt.
Doch wรคhrend die Alten grantelten gegen โRowdiesโ und โHotentottenmusikโ, ging die letztlich recht kleine Redaktionsmannschaft der โSibylleโ daran, ein vรถllig neues Frauenbild zu formen: selbstbewusst, elegant, lรคssig, natรผrlich โ mit individueller Mode, die auch im Bรผro, auf der Straรe, am Strand und in der Freizeit getragen werden konnte. Und Fotografen wie Roger Melis setzten diese Vorstellungen der selbstbewusst gekleideten Frau in Bildern um, die teilweise zu Ikonen wurden.
Denn gerade Melis gelang es, die Mannequins, wie sie damals hieรen, nicht wie Puppen oder Sexhรคschen darzustellen, sondern in ihrer eigenen Wรผrde und Schรถnheit. Auch selbstbewusst, obwohl sich so manche junge Frau, die hier in Leipzig, Berlin, Weimar, an der Kรผste oder in wilder Bergbaulandschaft dargestellt wurde, ganz und gar nicht so fรผhlte, wie sie dann im Bild zu sehen war.
Das stand damals natรผrlich so nicht in der Zeitschrift. Die Namen der Models wurden sowieso nicht genannt. Aber wenn man sich die Bilder jetzt in dieser ansprechenden Auswahl anschaut, wirken die Frauen ja trotzdem selbstbewusst, als hรคtten sie alles im Griff, sogar viel selbstsicherer als die mรคnnlichen Models, die in einigen Fotoserien auch auftauchen.
Und augenscheinlich trรผgt der Eindruck, ist Melis etwas gelungen, was auch seine Fotomodelle รผberraschte: Er lieร sie als etwas erscheinen, was sie tatsรคchlich gern sein wollten.
Emanzipation ist ein langer Weg. Selbst dann, wenn Frauen wie Mรคnner schon ein Bild davon haben, wie sie sich gern mit ihrer ganzen Individualitรคt zeigen wรผrden.
Wie tief die alten Mahnungen, ja nicht aufzufallen oder โja nicht aus der Reihe zu tanzenโ sitzen, merkt man ja selbst in heutigen Diskussionen, wen sich Populisten aller Art zu Wort melden und ihre Verfluchungen gegen alle Erscheinungen zunehmender Diversifizierungen in die Welt schreien.
Ein nie erfรผllter Anspruch
Dabei kann man selbstbewusste Gesellschaften nur mit selbstbewussten Menschen aufbauen. Das ist herausfordernd. So herausfordernd, wie die jungen Frauen eben wirken, die Roger Melis fรผr die โSibylleโ in Szene gesetzt hat. Natรผrlich hat selbst so ein Frauenbild Wirkung. Auch in einer Mangelwirtschaft, in der es die fesche Kleidung dann doch nicht im Modefachgeschรคft zu kaufen gab.
Weshalb auch die โSibylleโ ihren Leserinnen Tipps mitgab, wie sie sich die dargestellten Modelle auch selbst schneidern konnten. Die DDR war auch ein Land der Nรคhmaschinen und der Frauen, die sich all das selbst zuschnitten, was die von drรถgen Planverpflichtungen geknebelten VEBs nicht liefern konnten.
Das รคnderte sich erst mit dem Aufkommen der โExquisitโ-Lรคden, ein Kapitel, das Bertram im Vorwort auch anspricht.
Die in diesem Band versammelten Fotos stammen sรคmtlich aus dem Archiv von Roger Melis, auch wenn der 2009 verstorbene Fotograf die Filmrollen nicht mustergรผltig archiviert hat. Entsprechend aufwรคndig war die Recherche und dann die zeitliche Einordnung der Bilder, die zwischen 1967 und 1990 verรถffentlicht wurden und damit auch eine Entwicklung sichtbar machen, wie sich Stil und Lebensgefรผhl selbst in dieser Zeitspanne verรคnderten.
Dabei konnten auch zum groรen Teil die Designer/-innen namhaft gemacht werden, die die dargestellten Kleidungsstรผcke entworfen haben, in den meisten Fรคllen auch die Namen der Models, deren Namen ja damals nicht mitverรถffentlicht wurde. Es gab schlicht den Starkult, wie er im Westen gepflegt wurde, nicht. Und auch die schรถpferische Arbeit der Designer/-innen wurde nicht namhaft gemacht, sondern als Kollektivleistung inszeniert.
Individualismus in einer Kollektivgesellschaft
Sodass dieser Band auch eine spรคte Wรผrdigung fรผr all die Menschen ist, die damals durch ihr Schaffen oder auch ihre Rolle im Bild dazu beitrugen, dass sich vor allem das Frauenbild in der DDR deutlich verรคnderte. Deutlicher, als von der allmรคchtigen Partei gewรผnscht.
Denn hier wurde selbst in der Modestrecke der โSibylleโ sichtbar, dass sich der Individualismus selbstbewusster Frauen รผberhaupt nicht vereinbaren lieร mit dem staatlich verordnetem Kollektivdenken, das eher Ein- und Unterordnung verlangte und Extravaganz in der Regel nicht goutierte. Mit psychischen Folgen bis heute.
Das wรคre ein anderes Thema, aber es steckt im Keim auch in diesen Bildern, die von dem erzรคhlen, was eine am Ende so eilig abservierte Gesellschaft eigentlich auch hรคtte werden kรถnnen.
Dass diese Idee des emanzipierten Menschen (letztlich gehรถren auch die Mรคnner dazu, sonst klappt es nicht) dann auch nicht zum westdeutschen Gesellschaftsmodell passte, wurde dann 1995 endgรผltig klar, als die โSibylleโ vom Markt verschwand.
Von einer โzeitlosen Modernitรคtโ spricht Mathias Bertram im Vorwort, die diese Bilder ausstrahlen. Eine Modernitรคt, die sehr viel damit zu tun hat, wie Melis seine Modelle inszenierte und in ihrer Persรถnlichkeit im Bild wirken lieร, sodass die Bilder oft genug gar nicht wie Einladungen wirken, die abgebildeten Kleidungsstรผcke zu erwerben, sondern wie ernsthafte, einfรผhlsame Portrรคts meist sehr gelassener und aufmerksamer Frauen.
Und das ist tatsรคchlich zeitlos. Und ein zeitloser Anspruch sowieso in einer Gesellschaft, die Frauen immer noch wie Hรคschen behandeln mรถchte โ wahlweise auch als Stรถrfaktor, Rabenmutter, Ziergegenstand und Sexobjekt.
Der respektvolle Blick
So gesehen hat Roger Melis mit seinen oft als Bilderstrecken angelegten Modefotografien seine Arbeit als dokumentarischer Fotograf eines letztlich tatsรคchlich โstillen Landesโ weitergefรผhrt. Die Fotos kann man ohne Zรถgern neben seine Fotografien west- und ostdeutscher Kรผnstler/-innen legen, in denen er die Abgebildeten genauso ernsthaft und respektvoll behandelt hat.
Hier gibt es nicht die radikalen Grenzen, die heutige Modefotografie von dokumentarischen Fotografiearbeiten trennt. Bei Melis geht es immer um den mit Respekt betrachteten Menschen. Oder manchmal โ wie in seinem Paris-Band โ auch um eine ernsthaft betrachtete Stadt, deren Seele sichtbar wird, wenn einfach mal einer unterwegs ist, der die Stadt selbst sehen will, wie sie flaniert, handelt, arbeitet, schwatzt und auch mal innehรคlt.
So wie er auch die Orte nicht nur als Kulisse gewรคhlt hat, an denen er seine Models fotografierte, auch wenn die etwas ruinรถsen Seiten der ausgewรคhlten Stรคdte dann meisten in der Unschรคrfe verschwinden. Aber auch diese Botschaft steckt ja in den Bildern: Man hรคtte ein wirklich modernes Land draus machen kรถnnen. Wenn man die eigenen Ansprรผche auch nur ansatzweise ernst genommen hรคtte.
Zeitschriften wie die โSibylleโ waren dann ein kleines Zugestรคndnis an die Idee, die die Machthabenden sich dann doch nicht trauten umzusetzen. Und da die Bilder so zeitlos sind, wirken sie heute noch und zeigen einen Anspruch, den auch der heutige Umgang mit Frauen oft nicht erfรผllt.
150 von seinerzeit รผber 1.000 verรถffentlichten Modefotografien von Roger Melis wurden fรผr diesen Band ausgewรคhlt, einige wenige davon auch in Farbe, die hier so nebenbei auch beweisen, dass die DDR nicht nur ein graues Land war.
Jedenfalls nicht in der Kleidung, die selbstbewusste Frauen trugen. Ein Phรคnomen รผbrigens, das das kleine Dreibuchstaben-Land mit Polen, der Sowjetunion, Ungarn und der Tschechoslowakei teilte, wo ebenfalls einige der Bilderstrecken entstanden, oft auch mit heimischen Models.
Und es gilt, was Mathias Bertram schreibt: โManche diese Fotografien luden nicht nur zur Identifikation ein, sondern beschworen darรผber hinaus auch einen Anspruch und ein Lebensgefรผhl, die als Herausforderung verstanden und angenommen wurden.โ
Roger Melis Modefotografie Lehmstedt Verlag, Leipzig 2022, 48 Euro.
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