Ethel Scheffler gehört zu den emsigsten Krimiautorinnen der Stadt Leipzig und am besten liegt ihr die kleine Form, die Krimi-Kurzgeschichte. Oder sollte man besser sagen: die Moritat. Genau in dieser Zusammenziehung, die Wikipedia zweifeln lässt, ob nun Mordtat als Ursprungsbedeutung drinsteckt oder Moral. Dabei weiß jeder: Es geht immer um beides.
Auch dann, wenn Ganoven davonkommen, Detektive über die Stränge schlagen und Kommissare verzweifeln. Dabei geht es Ethel Scheffler gar nicht um die vom Verbrechen geplagten Ermittler.
Ihr geht es um die Täterinnen und Täter, also Leute, wie sie gleich nebenan wohnen. Denn Mord und Totschlag kommen, wie wir aus den täglichen Nachrichten wissen, in den besten Familien vor. Und dann – wenn man der Boulevardpresse glauben dürfte – aus heiterem Himmel, völlig unerwartet, brutal sowieso.
Denn auf einmal entdecken dann gnadenlos recherchierende Reporter Monster und Bestien. Obwohl die Nachbarn nie etwas gemerkt haben und immer nur eine nette und glückliche Familie sahen.
Na so etwas.
Dabei muss jeder ach so brave Bürger nur in den kleinen Katalog seiner schlechteren Eigenschaften schauen, um zu bemerken, dass es in der Regel keine Monster sind, die da morden, sondern größtenteils Leute, wie man sie eben auf der Straße trifft.
Leute wie unsereins, da und dort ein bisschen neidisch, jähzornig, feige, verlogen, (geld-)gierig, auf ihren wie auch immer gearteten Ruf bedacht, machtlüstern, selbstherrlich, eitel, stolz …
Lauter kleine Sünderlein
Man landet nicht ganz zufällig in den biblischen Todsünden. Sie gehören zu uns. Und mancher pflegt sie mit Inbrunst, andere hegen sie ein und tun alles, um ein guter Mensch zu bleiben.
Wieder andere eben nicht.
Und das durchaus in der Überzeugung, dass das so üblich ist. Ist es ja bei einigen Todsünden auch. Man denke nur an die Gier. Das ganze Raffen und Horten, das quasi die Triebkraft unserer völlig ausgetickten Zeit ist, wie Hans Magnus Enzensberger in seinem schönen Notate-Buch „Fallobst“ anmerkt. Denn das Ansichraffen und Anhäufen des Mehrwerts, das Anhäufen von Milliarden ist, wie er feststellt, auch nichts anderes als eine Form des Messietums.
Es ist eine Denkweise, die das solidarische Miteinander geradezu ausschließt. Die anderen Menschen sowieso. Denn so, wie sich die Messies in ihren angehäuften Besitztümern immer mehr abschotten von der Welt, so schotten sich auch die Superreichen ab.
Mit allem, was sie tun, zeigen sie, dass sie mit dem Rest der Menschheit – also anderen Menschen prinzipiell – nichts zu tun haben wollen. Und wer nicht glaubt, dass diese menschliche Macke nicht längst schon Kern unserer Gesellschaft ist, der muss nur Krimis lesen. Oder eben solche Kurzkrimis, wie sie Ethel Scheffler seit Jahren schreibt.
Eine Gesellschaft in ihrer Blase
Die in diesem Band versammelten Kurzgeschichten sind seit 2006 in diversen Sammlungen von Krimi-Kurzgeschichten erschienen. Und auch wenn sie auf den ersten Blick so aussehen, als exerzierte hier eine Autorin nur die Möglichkeiten durch, wie man andere Mitmenschen auf die feine bürgerliche Art ins Jenseits befördern kann, funktionieren die Geschichten in Wirklichkeit nur, weil sie die Motive hinter solchen Gelüsten ausloten, die Menschen dazu bringen, oft ihre nächsten Angehörigen listig aus der Welt zu schaffen.
Oft genug geht es auch in diesen Geschichten ums schnöde Besitztum – Geld, Haus, Unternehmen. Aber nicht nur, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als würde hier ein aus Film und Fernsehen nur zu bekanntes Lebensmodell in seiner Verfehltheit gezeigt.
Ein Lebensmodell, in dem das teure Haus, das dicke Auto, der hochbezahlte Job wichtiger sind als Nähe und Vertrauen. Ein Lebensmodell, in dem diese auch gar keinen Platz haben. Ein beklopptes Lebensmodell, das Autorinnen wie Ethel Scheffler geradezu reizt, hier ordentliche Beseitigungsstrategien für Personen zu entwickeln, mit denen man im richtigen Leben weder am selben Kneipentisch sitzen noch ein längeres Gespräch als zwei Sekunden führen mag.
Techtelmechteln schon mal gar nicht, obwohl es augenscheinlich eine ganze Reihe von Frauen gibt, die ihre Partner vor allem nach Einkommen, Status und Luxusimmobilie aussuchen und dabei ihre Kontrahentinnen mit allerlei fiesen Methoden aus dem Weg schaffen.
Aber Ethel Scheffler ist ja Leipzigerin. Da tauchen eben auch die ganz gewöhnlichen kleinen Leute auf, die in dieser vom Besitzen besessenen Welt zumeist eher die Nebenrolle spielen, mit dem Rotzlöffel-Geist dieser Ich-bin-Wers hadern und versuchen, auf eigene Faust, die Dinge hinzubiegen.
Was in einigen Geschichten beinah und kräftig schiefgeht, etwa wenn eine Putzkraft ahnungslos in die Welt einer Diebesbande gerät oder ein verzweifelter Lehrer die aufmüpfigen Kinder seiner neuen Klasse mit Hypnose bändigt.
Einer Geschichte übrigens, die auch davon erzählt, wie Vertrauen in unserer Gesellschaft regelrecht demoliert wird – auch schon bei den Kindern.
Du musst kein Schwein sein
Doch nicht grundlos hat Ethel Scheffler ihren Geschichtenband mit „Schwein sein lohnt sich nicht“ untertitelt, denn in kaum einer Geschichte kommen die Übeltäter, Fremdgeher und Lügenbolde ungestraft davon. Auch wenn es meist nicht die Polizei ist, die die Sache klärt, sondern eher der Zufall in Form von schweren Eiszapfen, Blitzen oder störrischen Straßenbäumen.
Und Schweine spielen auf jeden Fall in zwei Geschichten eine Rolle, auch wenn sie in der einen am Ende ihre allesfressende Rolle nicht ausfüllen müssen. Die Metapher aber hat Ethel Scheffler sichtlich fasziniert, auch wenn die Schweine dafür ja nichts können. Sie benehmen sich jedenfalls nicht wie Menschen und fressen halt nur, was ihnen in den Trog gekippt wird.
Es steckt auch ein inniger Wunsch in diesen Geschichten, dass Täter/-innen ihre Strafe bekommen. Dass es sich wirklich nicht lohnen möge, so böse und niederträchtig zu sein.
Ein Wunsch direkt aus dem Leben. Denn auch wenn die meisten Menschen in solchen Fällen keine konkreten Mordpläne schmieden, sind sie dennoch vom rücksichtslosen Verhalten so einiger Mitmenschen zutiefst frustriert, fühlen sich hilflos, hintergangen und schäbig behandelt. Was richtig weh tut. Das weiß jeder, der mit solchen untreuen, lügenden, betrügenden Zeitgenossen je zu tun hatte.
Das Recht in einer Messiegesellschaft
Was erst richtig schmerzhaft wird, wenn sie auch noch alles Recht auf ihrer Seite haben. Denn Recht definiert sich im Leben eben nicht nach Vertrauen und Respekt, sondern nach Urkunden und Besitztiteln.
Oder Rechtsansprüchen an einen Staat, der zumeist gerade die, die am bedürftigsten sind, mit Klauseln und Bedingungen knapp hält oder leer ausgehen lässt. Was die Heldin der Geschichte „Kaltes Lager“ erst auf den Gedanken bringt, ihren Lebensgefährten tatsächlich sehr kalt zu lagern, damit er sich hält.
Was die schöne Frage aufwirft: Ist der Staat in so einem Fall eigentlich der Anstifter zur Tat?
Oder das piefige Besitzstandsdenken von Politikern, die Besitz über alles stellen und selbst staatliche Fürsorgesysteme so benutzen, als wäre es ihr eigenes Kleingeld, das sie da mit schwitzender Stirn den ganzen Bettlern da draußen zustecken müssen?
Mute ich den Kurzgeschichten hier zu viel zu? Ich glaube nicht. Das falsche Denken der schwerreichen Messies hat sich längst auch in Gesetzen manifestiert. Wie die wirken, das wissen die kleinen Leute ganz unten, die ganz genau wissen, wie schnell sie alle Ansprüche verlieren, wenn auch nur ein einziger Paragraph gegen sie ausgelegt werden kann.
Das fröhliche Morden in gutbetuchten Familien
Und das hat sehr viel mit dem fröhlichen Morden in gutbetuchten Familien zu tun, all diesen Vorzeigefamilien, deren Leben sich hinter geschlossenen Gartentoren und Jalousien abspielt, die ihren Rasen kurztrimmen und allen Wert darauf legen, dass nur ja die Fassade stimmt.
Was dahinter vorgeht, erfahren vielleicht die Erben und Nachlassverwalter. Seltener bekommt es eine eifrige Hobbyfotografin mit, die die günstige Gelegenheit für eine nette, kleine Erpressung nutzt.
Denn dass man auch ungeliebte Lebenspartner nicht einfach eiskalt abserviert, das wissen eigentlich alle. Aber manche halten das eher für ein Kavaliersdelikt, erst recht, wenn sie alle Mittel in der Hand haben, die Tat zu vertuschen.
Aber da die meisten sehr abgeschottet in ihrer kleinen Welt der unauflöslichen Abhängigkeiten leben, ist die Eliminierung der Allernächsten oft scheinbar das einzige Mittel, in der kleinen Lebensblase eine Lösung zu finden.
Denn das ist sämtlichen Held/-innen in diesen Geschichten gemein: Dass ihre Welt, in der sie wirksam sind, sehr übersichtlich ist, sehr klein und voller Abhängigkeiten. Wirklich frei sind sie alle nicht, auch nicht die drei schwatzhaften alte Damen aus Großzschocher, die ein so unverhofftes gemeinsames Ende finden.
Falsche Ideale
So gesehen erzählen alle Geschichten von den völlig verpeilten Idealen einer Gesellschaft, die sich großenteils tatsächlich so dämlich benimmt wie in einer alten Sparkassen-Werbung. Und die dabei nicht mal merkt, dass das alles mit Freiheit nicht viel zu tun hat.
Denn das, was man meint zu besitzen, besitzt einen am Ende, besetzt alle Gedanken und wird zur Besessenheit. Da fragt man sich schon, was nicht nur ältere Damen meinen, wenn sie von ihrer „großen Liebe“ reden.
Obwohl natürlich auch diese Assoziation stimmt, die mit den oben erwähnten Schweinen zu tun hat: Es würden noch viel mehr Menschen einsam in ihren Mühlen hocken, wenn sie sich dessen bewusst wären, dass ihr ganzes Besitzenwollen, das sich so gern Eifersucht nennt, eigentlich nichts mit Liebe zu tun hat.
Nicht mal mit kleiner Liebe. Aber vielleicht suchen deshalb so viele verzweifelt danach, mit der Ahnung im Bauch, dass es leichter ist, ein paar Leichen verschwinden zu lassen, als einen Menschen zu finden, der noch ohne Bedingungen und Vertragsklauseln zu lieben versteht.
Ethel Scheffler Kaltes Lager BoD, Norderstedt 2022, 11,90 Euro.
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