Es war einer der Buchtitel, die man zum Lese-Festival „weiter:lesen22“ erleben konnte. Und natürlich die mögliche Bekanntschaft mit einem echten Satiriker aus Sachsen. Und natürlich einem Buch, das wie kaum ein zweites in letzter Zeit die Tragik einer völlig entgleisten Weltanschauung thematisiert. Dabei war es einst so ein schöner Traum, mit der Weltrevolution überall Gerechtigkeit auf Erden herzustellen. Wären da nicht die Genossen Franks und Olgas gewesen.
Vielleicht wäre das die allerwichtigste Diskussion gewesen nach 1990 – ausgetragen allein in ostdeutschen Medien mit ostdeutschen Intellektuellen: heftig, deftig und ans Eingemachte gehend. Eine Diskussion, die so nicht stattgefunden hat. Erstens fehlten auf einmal die Medien. Und die Diskussionsthemen bestimmten zweitens andere. Was ganz sicher zum heutigen Gemaule und Gejammer in ostdeutschen Provinzen beiträgt.
Denn wer sich nicht einmal streitbar darüber verständigt, warum das Experiment „Sozialismus“ in der DDR gescheitert ist (und nicht nur dort), der weiß auch nicht, welche Narben, Wunden und tiefen Verletzungen es hinterlassen hat. Der träumt wahrscheinlich sogar noch den Traum von einer heilen Welt und von einem sich kümmernden Staat, von sicheren Arbeitsplätzen und ansonsten Unbehelligtsein mit den Zumutungen der Freiheit.
Aber der merkt nicht, dass dieses Land auch all jene verbogen und verletzt hat, die bis heute glauben, nie Probleme gehabt zu haben. Den Ärger hatten doch nur die Dissidenten und andere Querköpfe. Wer sich brav einfügte, kam auch nicht nach Bautzen.
Oder?
Es ist eine ähnliche Diskussion, wie sie nach 1945 über die Folgen des Nationalsozialismus fällig gewesen wäre. Auch die unterblieb ja weitgehend. Da mussten dann erst die jüngeren Generationen rebellieren, bis der „Muff aus tausend Jahren“ endlich thematisiert wurde.
Bomben für die Weltrevolution?
In Lothar Beckers Buch geht es um die Vorgeschichte dessen, was in der DDR am Ende so kläglich in die Hosen ging, um jene Zeit, als die Kommunistische Partei in der Weimarer Republik noch eine Massenpartei war und die Weltrevolution schmetternd auf die Straßen trug.
Aber nur Geschichtsbewanderte wissen, wie kaputt diese Partei auch schon im Jahr 1927 war, gleichgeschaltet auf die Moskauer Art. Weshalb Lothar Becker recht problemlos auch eine Genossin Olga auftreten lassen kann, die eigentlich nichts anderes zum Ziel hat, als einmal die Chefin der sowjetischen Tscheka zu werden.
Und die in diesem Buch zum gewaltigen Problem für den gutgläubigen Großvater wird, den Lothar Becker hier auftreten lässt und aus lauter gutem Glauben an die baldigen Freuden der Weltrevolution dem durchreisenden Genossen Frank die Aufnahme in die KP unterschreibt.
Das tut auch sein guter Freund Herbert, der aber ein bisschen länger nachdenkt und die Sache auch später noch mit einer gehörigen Portion Skepsis betrachtet, auch wenn er anfangs derjenige ist, der dem Großvater hilft, eine Bombe zu bauen, mit der er dann wirklich eines Tages in den Dorfbach springt, um in der nahen Stadt eine Machtzentrale in die Luft zu sprengen.
Man kann es als Fiktion nehmen, denn dadurch, dass er stets von Großvater spricht, wird diese Satire auf Großvaters Versuch, ein Weltverbesserer zu werden, auch eine Art Familiengeschichte.
Auch in Ostdeutschland wird so mancher einen Großvater gehabt haben, der in den 1920er Jahren noch begeistert und voller Enthusiasmus die rote Fahne schwenkte und sich mit jeder Menge Idealismus in einer Partei wie der KPD engagierte, deren führende Funktionäre ja später die SED erschufen und den Osten Deutschlands für zwei Generationen zum Experimentierfeld für eine Art Sozialismus machten.
Ein vorbelastetes Ländchen
Dass sie dabei eher nicht im Geiste Liebknechts und Luxemburgs agierten, sondern eher in dem von Lenin und Stalin, gehörte zu den Vorbelastungen des Ländchens namens DDR, in dem auch Lothar Becker 1959 geboren wurde – in einer Stadt namens Karl-Marx-Stadt. Heute lebt der Sozialpädagoge, Autor, Musiker und Dichter in Limbach-Oberfrohna bei Chemnitz und hat schon eine ganze Latte von Veröffentlichungen vorzuweisen.
Und natürlich ist dieser Roman auch eine geradezu burleske Abrechnung mit einer Weltverbesserungs-Ideologie, die glaubt, nicht ohne Bomben und Gewalt zum Ziel zu kommen. Erstaunlicherweise im Frühjahr 2022 wieder ein hochaktuelles Thema, denn genau diese Denkweise steckt auch hinter dem Machtdenken der Putinschen Regierung in Moskau. Wenn Geheimdienste regieren, wird es blutig, grausam und dumm.
Das Wort steht hier schon richtig, denn bevor der Großvater aus lauter Gutmütigkeit in die KP gerät, träumt er von einer viel besseren Methode, die Welt gerechter zu machen: Er würde nur zu gern die Dummheit verbieten.
Doch dummerweise gerät er schon mit der ersten Aktion, die er auf Anstiften von Herbert unternimmt, in eine ganz dumme Spirale der Zumutungen. Angefangen mit dem Bombenanschlag auf das Rathaus in der Stadt und seiner gemeinsamen Flucht mit Else, die er bei der Gelegenheit ganz zufällig kennenlernte, nach Wien, wo er dann auch noch ein paar andere Genossen des so eifrigen Genossen Frank kennenlernt und sich unverhofft vor die übliche Gewissensentscheidung gestellt sieht, mit der die „Partei neuen Typus“ seit Lenins Zeiten funktioniert hat.
Oder eben nicht funktioniert hat. Denn wer nicht funktionierte, musste ziemlich bald mit Misstrauen und Parteiverfahren rechnen. Stalins Motto galt auch in den Ablegerparteien der Komintern: „Erst schießen, dann fragen.“ Und wer einen Parteiauftrag nicht erfüllte – in diesem Fall die Sprengung des Stephansdoms in Wien bzw. die Ermordung eines abtrünnigen Genossen – der landete vor dem Tribunal. Genauso, wie es dem Großvater in dieser Geschichte ergeht.
Die Partei hat immer recht
Lothar Becker knüpft dabei an eine der größten und schönsten Traditionen östlicher Erzählkunst an – an die Satire im Stil der Sostschenko, Ilf und Petrow, die auf ihre Weise ja schon die erschütternden Fehlentwicklungen des sozialistischen Traums in der frühen Sowjetunion unter die Lupe nahmen.
Natürlich spitzt Becker zu. Aber er weiß nur zu gut, wie die Kläglichkeit des Endes mit den letztlich diktatorischen Anfängen direkt zusammenhängt, mit dem, was so gern „Parteidisziplin“ genannt wurde, was aber letztlich darin mündete, dass es die so gern beschworene „innerparteiliche Demokratie“ gar nicht gab und selbst die braven Genossen in stetiger Angst lebten davor, dass sie bei höheren Genossen in Ungnade fallen könnten, sich ihren Missmut und letztlich die Bestrafung zuziehen würden.
„Die Partei musste ohnehin für alles herhalten, die Partei legitimierte noch die unsinnigste Behauptung, die Partei war als Begründung völlig ausreichend, wenn es darum ging, andere zu diskriminieren, kleinzumachen, zu bevormunden“, schreibt Becker an der Stelle, als die Lage für seinen Großvater in der Zelle im Karl-Liebknecht-Haus schier ausweglos erscheint.
Dort aber war er durch lauter Gutgläubigkeit hineingeraten, hatte sich durch seinen naiven Glauben an die Weltverbesserung erst dazu bringen lassen, eine Bombe zu platzieren. Und das, obwohl er eigentlich keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, auch Hühnern nicht. Und anderen Menschen schon gar nicht.
Das Verführerische der „guten Sache“
Sodass der Roman letztlich eine sehr anschauliche Erzählung davon wird, wie leicht gerade Menschen verführbar sind, die nur zu gern einer guten Sache dienen möchten. Und die nicht wirklich darüber nachdenken, welche Folgen das hat, was in den Kampfparolen und Parteimanifesten so logisch klingt.
Und zur Wahrheit gehört eben auch, dass zu dem, was über 100 Jahre als kommunistische Ideologie galt, immer auch die Behauptung gehörte, dass die Wahl der radikalsten Mittel akzeptabel ist, um erstens die Macht zu erlangen und zweitens alle „Verräter und Konterrevolutionäre“ zu vernichten. Da ist kein Platz für Meinungs- und Gewissensfreiheit.
Und dass es dem Genossen Schmidt und seinen Mitgenossen tatsächlich nur um sich selbst und die Macht ging, das wird diesem Großvater schon früh klar. Und zwar genau in den Momenten, in denen er moralisch völlig in der Zwickmühle steckt, denn einerseits will er ja nur zu gern ein guter Parteisoldat sein, andererseits widerstrebt ihm aber gerade dies: von der angehimmelten Partei zum Bombenleger und Mörder gemacht zu werden.
Denn das ist die Frage, die sich durch das ganze Buch zieht und die gerade in Bezug auf Else, die diesen naiven Welterretter tatsächlich mag, virulent wird: An welcher Stelle verrät man das eigene Gewissen? Wo verliert man sich selbst und wird zum Spielball von Parteien und Ideologien?
Am Ende wird die Geschichte natürlich – genauso wie bei Ilf und Petrow – richtig turbulent, müssen Großvater und Else gerettet werden, geht tatsächlich noch eine Bombe hoch und braucht es dringend eine Wahrsagerin, um den um seine Parteikarriere bangenden Genossen Schmidt davon abzubringen, weiterhin die Meute auf den Großvater zu hetzen.
In machtbesessenen Hierarchien gibt es keine Gerechtigkeit. Solche Hierarchien sind unduldsam und rücksichtslos und verzeihen keine Fehler. Und moralische Skrupel schon gar nicht.
„Ohne mich!“
Fast mutet es an, als wäre die Frage nach der Gerechtigkeit eine theologische Frage. Das ist sie aber nicht, auch wenn sich moderne Ideologien nur zu gern auch als moderne Religionen verkaufen.
Becker bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Wenn die kleinen Vergehen geahndet wurden, musste so etwas wie Auflehnung und Ungehorsam umso härter bestraft werden. Aus Sicht der Partei war ein solches Vorgehen nur gerecht, aus Großvaters Sicht aber unmenschlich.“
Daran muss sich jede Partei, jede Ideologie messen lassen. Wenn sie Ungehorsam oder – um mit Enzensberger zu sprechen – ein „Ohne mich“ nicht zulässt, ist sie unmenschlich und unbarmherzig. Und sie schafft weder Vertrauen noch Gerechtigkeit. Letztlich funktioniert sie nur durch Drohung und Gewalt, im Buch durch die gnadenlose Olga personifiziert.
Es ist ein Lesevergnügen für alle, die selbst von sich wissen, wie unperfekt der Mensch ist und wie ratlos zuweilen, wenn die Hardliner mal wieder mit Unerbittlichkeit drohen. Womit wir wieder in der Gegenwart sind mit all ihren moralischen Zwickmühlen, die es auch den Enkeln nicht leichter machen, ihr Mitgefühl und ihren menschlichen Anstand zu bewahren. Eine der letzten Einsichten des Großvaters: „Mit etwas Schlechtem erreicht man nichts Gutes.“ Das darf man sich ganz bestimmt ins Stammbuch schreiben.
Lothar Becker Als Großvater im Jahr 1927 mit einer Bombe in den Dorfbach sprang, um die Weltrevolution in Gang zu setzen, Carpathia Verlag, Berlin 2020, 20 Euro.
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