Das große Bauhaus-Jubiläum war 2019. Für die Weimarer Verlagsgesellschaft war das ein Anlass, einen ganzen Strauß von Biografien aufzulegen, in denen die Männer und Frauen porträtiert werden, die das Bauhaus schufen und prägten. Und zwar möglichst persönlich. So nähert sich der Leipziger Architekt, Grafiker und Autor Bernd Sikora nun auch dem eigentlichen Gründer des Bauhauses.
Ein Spaziergang in dem Sinn ist es nur als Rahmung. Man kann all die Orte ablaufen, die Gropius durch sein Engagement in Weimar und Dessau geprägt hat. Dazu gibt es im Umschlag entsprechende Kartenausschnitte mit allen Wirkungsstätten, die auch in Sikoras Geschichte benannt und auch näher beschrieben werden.
Denn natürlich zeigt Sikora hier auch seine Sicht als Architekt auf das, was Gropius und seine Mitstreiter geschaffen haben. Etwas, was auch Sikoras eigene Karriere betrifft, denn all das, was das Bauhaus in Bewegung setzte, prägte die Architekturdiskussionen des 20. Jahrhunderts und wirkt bis heute nach.
Parallele Geschichte
Aber gerade weil Sikora die Bauhaus-Zeit in Weimar besonders stark ins Zentrum rückt, erzählt er auch noch eine zweite Geschichte. Eine Geschichte, wie sie auch Jörg Sobiella andeutet in seinem farbenreichen Buch „Weimar 1919“. Denn beides geschah praktisch parallel: die Gründung der Weimarer Republik mit der vom rumorenden Berlin ins stillere Weimar ausgewichenen Nationalversammlung und die Gründung des Bauhauses eben dort.
Was kein Zufall war. Denn die Novemberrevolution, die Ausrufung der Republik und die auf einmal mögliche politische Verantwortung linker Politiker waren eine riesige Chance für das Land, in dem ein preußisches Kaisertum und eine stockkonservative Elite bis dahin verhindert hatten, dass sich Deutschland auch gesellschaftlich modernisiert.
Und im gerade entstandenen Freistaat Sachsen-Weimar-Eisenach (der dann ab 1920 zum neu gegründeten Freistaat Thüringen gehörte) war es der Sozialdemokrat August Baudert, der die Chance ergriff, aus der Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar mit ihrem noch provinziellen Kunstverständnis eine wirklich moderne Hochschule zu machen, die über die kleine Stadt an der Ilm hinaus Ausstrahlung bekäme.
Und mit dem aus einer berühmten Berliner Architektenfamilie stammenden Walter Gropius fand er auch den Mann, der die Ideen zu so einer neuen Hochschule mitbrachte. Ideen, die das, was man bis dahin unter einer Kunstakademie verstand, genauso sprengten wie den Horizont des in Teilen erzkonservativen Bürgertums in Weimar.
Zeit für eine neue Architektur
Dass Gropius zwar ein paar Ideen hatte, wie so eine Hochschule aussehen könnte, die ganz praktisch ins Leben und Gestalten der jungen Republik hineinwirken könnte, aber noch kein fertiges Konzept, ist eigentlich sogar der Kern dieser Geschichte. Denn was wir heute unter der Marke Bauhaus verstehen, reifte erst in diesen ersten sechs Jahren in Weimar – in Konflikten, heftigen Anfeindungen, fruchtbaren Begegnungen und Reibereien auf vielen Ebenen.
Die Zeit war reif. In den Niederlanden und im neuen Sowjetrussland reiften mit „De Stijl“ und dem Konstruktivismus völlig neue Ansätze heran, das Bauen und Wohnen zu verändern und den modernen (industriellen) Baumethoden und Werkstoffen anzupassen und damit auch den sich verändernden Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen.
Das Bauhaus war aber der erste Ansatz, diese neuen Entwicklungen in das Konzept eines Hochschulstudiums zu packen und darin auch gleich noch alle unterschiedlichen Gewerke zu vereinen, es also ganz praktisch zu machen und die Absolventen letztlich auch zu befähigen, das Erlernte in der Berufspraxis selbst umzusetzen.
Dass das auf erbitterten Widerstand all jener traf, die gern weiter die alte Staffelmalerei gehabt hätten und ein Kunstverständnis hatten, wie es das deutsche Bürgertum in der Kaiserzeit ausgeprägt hatte, war eigentlich zu erwarten.
Aber man ist jedes Mal aufs Neue verblüfft, mit welcher Hartnäckigkeit und Überheblichkeit es sich zu Wort meldet und all seine Energie daransetzt, das Neue zu verhindern oder, wenn es schon mal da ist, schleunigst zu eliminieren.
Es kommt einem sehr viel vertraut vor an dem, was Gropius da in Weimar erlebte, erst recht, nachdem die linken Regierungen gestürzt waren und das erzkonservative Bürgertum im Verbund mit dem neuen Nationalismus darangegangen war, all das wieder zu beseitigen, was die junge Republik an ermutigenden Ansätzen möglich gemacht hatte.
Die Widerstandskraft des Alten und Gewohnten
Einen Großteil seiner Zeit und Energie musste Gropius darauf verwenden, das Bauhaus-Projekt gegen immer neue Attacken zu verteidigen. Denn die Verfechter des Alten haben immer die Zeit auf ihrer Seite. Sie lassen nicht nach und warten nur auf die nächste Gelegenheit, das noch instabile Neue anzugreifen, zu diffamieren und zum Einsturz zu bringen.
Sie profitieren davon, dass das Neue Fehler macht, aus Provisorien besteht und sich erst beweisen muss, während man beim Gewohnten weiß, was man hat. Auch wenn es piefig, spießig und ganz offensichtlich aus der Zeit gefallen ist, nicht mehr dem Stand von Wissenschaft, Technik und Industrie entspricht.
So gesehen war Weimar tiefste Provinz. Auch wenn es hier mit Henry van de Velde, dem Gründer der Grossherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar, einen Mann gab, der schon vor Gropius begonnen hatte, Weimar in der Kunst ins 20. Jahrhundert zu hieven. Es ist das „Silberne Zeitalter“ Weimars, das mit ihm einen Gipfelpunkt und sein Ende fand, als van de Velde nach Belgien zurückkehrte.
Und eigentlich wäre das Wirken von Gropius die logische Fortsetzung dieses Zeitalters gewesen. Aber das Neue passiert eben nicht einfach. Es setzt sich auch nicht selbstverständlich durch, wenn „die Zeit reif ist“. Denn nichts erzählt ja deutlicher von den retardierenden Momenten der Geschichte als die Weimarer Republik, die mit einer Revolution und einem Modernisierungsschub in vielen gesellschaftlichen Bereichen startete und am Ende zum Opfer einer erzkonservativen Elite wurde, die all das, was wir an Positivem mit der Weimarer Republik verbinden, hasste.
Und hasst. Diese Leute gibt es ja noch immer. Sie wollen keine Kompromisse. Und sie wollen das Neue auch nicht aushalten müssen. Sie bekämpfen es mit allen Mitteln, die sie in die Hände bekommen. Und sie schaffen es oft auch, weil ihre entfesselte Wut Angst macht und einschüchtert.
Glücksfall Dessau
Sodass am Ende Leute wie Gropius nur ihre Koffer packen können und weiterziehen müssen. In diesem Fall ja mit dem glücklichen Umstand, dass es im kleinen anhaltinischen Dessau zwei Männer gab, die aufgeschlossen waren für das, was das Bauhaus zu bieten hatte. Sodass die markanten Gebäude des Bauhauses heute fast alle in Dessau stehen und nicht in Weimar, obwohl die dortige Bauhausmannschaft am Ende ganz ähnliche Vorgänge erlebte, wie sie zur Vertreibung des Bauhauses aus Weimar geführt hatten.
Aber da hatte sich Gropius schon verabschiedet und versucht, eine eigene Karriere als Architekt in Berlin aufzubauen. Denn nun schien die Zeit ja wirklich reif. Gerade private Investoren und Unternehmer fragten moderne architektonische Lösungen nach. Deutschland schien auf dem besten Weg, jetzt tatsächlich den Weg in die Moderne zu finden.
Aber wie wir wissen, siegten am Ende die erzkonservativen Kräfte und stürzten das Land in eine Diktatur, die aus ihrem Dünkel heraus glaubte, die Welt beherrschen zu können. Ein Dünkel, wie ihn Diktatoren immer wieder an den Tag legen, die nur zu gern in einer abgeschotteten Weltvorstellung leben, in der alle Macht von ihnen ausgeht und alles „einem Geist“ zu gehorchen hat.
Das fasziniert Kleingeister bis heute. Und führt genauso zwangsläufig immer wieder zu sinnlosen Kriegen. Und dazu, dass die Leute mit den besten Ideen, der Lust auf Neues und Mutiges, das Land verlassen müssen. So, wie auch Gropius Deutschland verließ, um letztlich in den USA eine Professur zu bekommen und zu einem der bekanntesten Vertreter des modernen Bauens zu werden. Unbekannt freilich eher im Osten, wo man die Bauhaus-Tradition regelrecht negierte, obwohl einige Grundgedanken auch im industriellen Wohnungsbau ihre Anwendung fanden.
Emanzipation auch im Persönlichen
Welchen Konflikt das für junge Architekten mit sich brachte, darüber hat Sikora ja in seinem Erinnerungsbuch geschrieben. Es klingt aber auch in seinem Buch über den Schocken-Architekten Bernhard Sturtzkopf an, einen der vielen Mitstreiter, die im Umfeld Walter Gropius’ auftauchen. Denn verschwunden sind die Ideen des Bauhauses ja nie. Im Gegenteil: Sie wurden weltweit fruchtbar.
Aber indem Sikora auch das Privatleben von Gropius nicht außen vor lässt, wird auch eine Persönlichkeit sichtbar, wie sie diese Zeit am Beginn des 20. Jahrhunderts prägte – jedenfalls da, wo das Neue und Moderne sich zu Wort meldete, das auch mit einem anderen Verhältnis zu Familie, Autorität und Hierarchien einherging.
Denn das Wort Bauhausdirektor suggeriert ja eine straffe Hierarchie, die es so im Bauhaus nie gab, wo vieles nur deshalb funktionierte, weil man größtenteils kollegial miteinander umging und auch die Studierenden in Verantwortung nahm. Etwas, was die Hardliner in Weimar geradezu als Chaos empfanden, als Geldverschwendung und Herausforderung ihres Verlangens nach strenger Ordnung sowieso.
Noch so ein Aspekt, der einem sehr vertraut vorkommt. Fast immer, wenn polternde Bürger Ordnung und Sicherheit einfordern, geht es meistens darum, dass sie das Neue genauso fürchten wie die Unabhängigkeit von Menschen, die sich nicht gehorsam in namenlose Hierarchien einfügen.
Wobei in Weimar hinzukam, dass das Bauhaus zeitweise geradezu ein Sammelbecken jener namhaften Künstler wurde, die damals lustvoll mit der alten großbürgerlichen Schinkenkunst aufräumten und über deren Werke sich heute jedes Museum der bildenden Künste freut. Streit und Parteikämpfe nicht ausgeschlossen. Denn auch die sich in immer schnelleren Etappen ablösenden neuen Kunststile fochten ihre Positionen zumeist laut und heftig aus.
Revolution auch im Alltag
Und mittendrin dieser Gropius, der selbstbewusst eine geradlinige Laufbahn zum Architekten verlassen hatte, weil ihn die akademische Ausbildung zutiefst frustrierte, der mit Alma Mahler zeitweise eine der bekanntesten Frauen dieser Zeit heiratete, bis diese Ehe in der Weimarer Zeit in die Brüche ging.
Was eigentlich auch sichtbar macht, wie sehr die Moderne dieser Zeit auch mit der Emanzipation der Frauen zu tun hat – starke Frauen, die sich mit der bürgerlichen Heim-und-Herd-Rolle nicht abfanden und die auch zu würdigen wussten, wie sehr sich die Bauhaus-Menschen beim Entwerfen von Häusern und Wohnungen nach alltagspraktischen Erfordernissen orientierten. Ein Ergebnis waren eben auch Küchen, die wirklich dem Alltag derjenigen gerecht wurden, die darin tätig wurden.
Wer sich mit dem Buch also auf die Spuren von Walter Gropius in Weimar und Dessau begibt, der taucht eben auch gleichzeitig ein in eine Zeit, in der sich etwas Neues versuchte zu emanzipieren von einer Weltvorstellung, die 1918 eigentlich abserviert war – und trotzdem nicht sterben wollte.
So gesehen sind beide Bauhaus-Orte glückliche Fügungen, Momente, die nur möglich wurden, weil liberale Politiker tatsächlich den Geist einer Revolution leben wollten, die Deutschland in die Moderne des 20. Jahrhunderts bringen sollte. Und die Gropius und seinen Mitstreitern für einen erstaunlich kurzen Zeitraum Freiräume ermöglichten, die es anderswo zu dieser Zeit nicht gab. Jedenfalls nicht in Deutschland.
Und dass die Diskussionen von damals nicht ausgestanden sind, zeigt jede Wohnungsbaudiskussion von heute, wo es wieder um bezahlbares Wohnen geht, um serielles Bauen und um Wohnformen, die den Bedürfnissen der Zeit genügen.
Und vor allem den Ansprüchen der Bewohner, die ja heute noch viel mehr als zu Gropius’ Zeiten Nomaden sind, Zwängen der Mobilität unterworfen, die es vor 100 Jahren so noch nicht gab. Was auch den Ideen der Bauhäusler zur Stadtgestaltung eine neue Aktualität gibt.
Zu Fuß auf Gropius’ Spuren
Da lohnt sich der Weg zu den Bauhaus-Stätten und deren Erkunden zu Fuß, weil damit die Fragen und die Lösungsansätze konkret werden. Und weil man dabei erfährt, dass es solche „unfertigen“ Beginner wie Walter Gropius braucht, damit das Neue überhaupt eine Chance hat, zur Welt zu kommen. Denn bevor man es nicht praktisch versucht, weiß niemand, wie es tatsächlich aussieht und funktioniert.
Und man muss stets damit rechnen, dass in diesem Prozess die Widerstände immer hartnäckiger werden. Denn die Verfechter des Alten werden stets aggressiver, je mehr sie sehen, dass das Neue tatsächlich einen Platz in der Welt bekommt.
Ein Buch, das erstaunlich nachdenklich macht, wenn man so von einem Wohnort und Schaffensort zum nächsten geht und dabei das Gefühl immer stärker wird, dass diese Geschichte nicht zu Ende ist. Und dass man um das wirklich Neue immer wieder so beharrlich, ausdauernd und tapfer ringen muss, wie es Gropius getan hat.
Nach boshaften Angriffen war er oft genug zutiefst demotiviert und hat sich – auch mit Unterstützung der Frauen – immer wieder aufgerappelt. Denn nur wenn man wirklich zeigt, was man kann, findet man neue Mitstreiter und Menschen, die die Ideen faszinierend finden und mitmachen.
Bernd Sikora Walter Gropius, Weimarer Verlagsgesellschaft, Wiesbaden 2022, 19,90 Euro.
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