2020, im ersten Corona-Jahr, da entdeckten eine Menge Leute die Lust am Wandern wieder und die Neugier auf die Faszination der heimischen Landschaft. Mancher atmete regelrecht auf, weil endlich mal Zeit dafür war. So auch der Thüringer Koch Herbert Frauenberger, der sich mit seiner Frau Christine auf den Weg machte, den ganzen Rennsteig zu erlaufen.
Und das natürlich nicht nur mit dem Blick desjenigen, der hier aufgewachsen ist, geboren in Tabarz, also quasi direkt am Weg, auch wenn der Rennsteig in seiner Kindheit eingekürzt war, abgeschnitten vom Grenzgebiet. Was ja bekanntlich die Liebhaber dieses alten Handelsweges auf der Höhe nicht davon abhielt, den bis heute populären Rennsteiglauf zu erfinden und auf den fröhlichen Spuren von Herbert Roth singend durch den Wald zu ziehen.
Aber Frauenberger hat ja auch noch den lukullischen Blick, so als gestandener Fernsehkoch und mittlerweile mehrfacher Buchautor, der in seinen Büchern immer wieder für die Bewahrung der so besonderen regionalen Küchen wirbt.
Küchenvielfalt am Wegesrand
Und das tut er auch in diesem Buch, augenscheinlich doch etwas verwirrt von dem, was er unterwegs auf der achttägigen Wanderung in Gasthöfen auf der Speisekarte fand. Vieles stammt aus der sogenannten Systemgastronomie, wird also von großen Lieferanten mehr oder weniger fertig in die Restaurants geliefert, was einerseits den schönen Effekt hat, dass man überall, wohin man auch mit der ganzen Rasselbande kommt, immer ein Sortiment vertrauter Namen auf der Speisekarte findet.
Aber damit wird auch das Esserlebnis unterwegs uniform. Zur Freude vielleicht der Kinder, die ja oft sowieso nicht gewohnt sind, dass es mehr als ein Dutzend Standardgerichte auf dem familiären Mittagstisch gibt.
Aber für Frauenberger ist so etwas eine Enttäuschung. Denn wer sich schon mal auf so eine Wandertour über den wohl berühmtesten deutschen Wandersteig macht, der möchte nicht nur Landschaft genießen, sondern bei der Einkehr im Gasthaus auch landschaftstypische Küche. Die es ja gibt.
Gerade weil das Leben im Thüringer Wald jahrhundertelang hart und arm war und die Menschen für ein kärgliches Einkommen richtig hart schuften mussten, ist die Thüringer Küche regelrecht aufgeblüht, als mit der Industrialisierung auch ein gewisser Wohlstand Einzug hielt.
Aus den meist aus der Not geborenen Arme-Leute-Gerichten wurden durch den Einfallsreichtum der Köchinnen und Köche Gerichte, die heute weit über Thüringen hinaus einen Ruf haben – man muss nur die Thüringer Klöße nennen, die nicht nur in jeder Ecke des Landes anders heißen, sondern auch in einer Vielfalt auf den Teller kommen, die es so eigentlich nur noch im nahen Böhmen gibt.
Gehen unsere regionalen Küchen verloren?
Und so nutzt Frauenberger diese Wanderung, um den Leser/-innen nicht nur die Etappen des Höhenwanderweges mit seinen vielen Attraktionen nahezubringen., sondern jedes einzelne Kapitel auch mit besonderen Rezepten zu füllen, die Lust machen sollen auf die Thüringer Küche. Von der er natürlich hofft, dass sie nicht verloren geht und die Gastwirte am Rennsteig sie doch wieder auf die Karte setzen und damit auch mit regionaler Küche werben für diesen Landstrich.
Denn selbstredend erfährt man über die Gerichte auch, wie sich die Einheimischen ernährten – auch wenn ein guter Teil dieser Gerichte echte Sonntagsessen waren. Denn Frauenberger ist durchaus noch bewusst, dass Fleisch auch in Thüringen noch im letzten Jahrhundert meist nur am Sonntag auf den Teller kam. Von Wildfleisch, das es in der Thüringer Küche in vielfältigen Variationen gibt, ganz zu schweigen.
Aber wenn man wandert, hat man Urlaub. Dann ist jeder Tag ein Sonntag. Und wenn man sich wirklich ein langes Wegstück vorgenommen hat und auch noch etliche der von Frauenberger erwähnten Abstecher und Aufstiege mitgenommen hat, dann ist man auch richtig hungrig, wenn man ans Gasthaus kommt. Wanderer wissen das: Beim Laufen verbrennt man tatsächlich Kalorien. Auch dann, wenn man nicht rennt oder gar mit Skiern oder Mountainbike über den Rennsteig jagt.
Da darf man sich tatsächlich etwas gönnen. Und Zeit, es zu genießen, hat man sowieso.
Der Reichtum, den wir vergessen haben
Das erfuhr ja nicht nur Frauenberger in dieser stillgelegten Zeit 2020, wie sehr einen gerade dieses Gebremst-Werden daran erinnerte, was wir uns in unserem von Unverbindlichkeit, Hast und Termindruck geprägten Leben alles nicht mehr gönnen. Eigentlich die ganze Freude am Leben, wenn man es recht bedenkt – die Lust am unbeschwerten Laufen, am völlig zwecklosen Schweifen und Ausruhen, an einer nicht von der Uhr getriebenen Essenspause und dem Gefühl, dass man überhaupt keinen Marathon schaffen muss, sondern richtig Zeit hat.
Das ist wahrer Reichtum.
Und so bestaunt man mit Frauenberger alte Grenzsteine, klettert auf Aussichtstürme, genießt berühmte Fernblicke und erinnert sich an die Leute, die den Rennsteig zu einer Legende gemacht haben. Man beschaut sich berühmte Quellen und Wasserscheiden und freut sich wie ein Schneekönig, wenn man am Ende aller Nase lang eine unsichtbare Grenze überschreitet, was gerade im südlichen Teil des Rennsteigs bis 1989 schier unmöglich war.
Man schaut in Kirchen, darf sich mit Frauenberger an die Zeit erinnern, als die Schulkinder noch mit Schiefertafel und Griffel in die Schule gingen, und macht sich Gedanken über urgesundes Quellwasser. Es war also tatsächlich höchste Zeit auch für Frauenberger, den ganzen Steig noch mal von Hörschel bis Blankenstein komplett abzulaufen, Altbekanntes wiederzuentdecken und unterwegs trotzdem immer wieder Neues zu finden. Von den abschweifenden Gedanken ganz zu schweigen, die den wandernden Koch eben auf allerlei Rezepte brachten, die er ganz persönlich mit dem Rennsteig und einzelnen sehr markanten Stationen verbindet.
Einfach mal weg …
Das Buch macht also doppelt Appetit – einerseits auf einen Wanderweg, der tatsächlich dazu einlädt, einfach mal den Rucksack zu packen (wetterfeste Kleidung nicht vergessen) und sich für sechs oder acht Tage völlig auszuklinken. Und andererseits auf durchaus herzhafte Gerichte, die eigentlich davon erzählen, dass sie wirklich zum Sonntag gehören – was bei Wildschweinsauerbraten beginnt, mit venezianischer Kalbsleber und Schmalkaldener Hirschbraten munter weitergeht und natürlich zwischendurch immer wieder in süßer Gaumenfreude seinen Gipfelpunkt erreicht.
Und es gibt natürlich auch Rustikales zwischendurch, manches Gericht, in dem der Fernsehkoch seine Erinnerungen aufbereitet – wie mit der Oberhofer Bauernmarktsuppe, dem Erbseneintopf oder der Thüringer Kartoffelsuppe. Man kann die ganze Wanderung also auch gemütlich zu Hause nachkochen.
Aber spätestens beim Blättern durch die Kapitel wird einen das kribbelnde Gefühl packen, dass es sich vielleicht doch lohnt, den nächsten Zug zu nehmen und Wald und Weite zu genießen – die Nase im Wind. Muss ja nicht im Winter sein, wie die Frauenbergers. Die Fotos im Buch jedenfalls erzählen vom Sommer und davon, wie wohltuend grüne Wälder und weite Aussichten in ein von der Sonne erhelltes Land sind.
Herbert Frauenberger „Kulinarische Wanderung am Rennsteig“, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2022, 19,95 Euro.
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