Die hat gerade noch gefehlt. Hat sie auch. Denn meistens übersieht man sie. Sie ist die bescheidenste unter den Beeren, macht nicht so viel Tamtam und wird sogar lächerlich gemacht, wenn ein westdeutsches Satire-Magazin sich über ostdeutsche Bananen-Sehnsüchte lustig macht. Dafür finden westdeutsche Touristen eine Exkursion in die Heimat der Spreewald-Gurke geradezu exotisch.

Womit sie ja bekanntlich auch gleich im schönen Sorbenland landen und erfahren, dass die Gurke eben mal nicht von Genuesern oder Spaniern in die Alte Welt gebracht wurde, sondern von den Slawen. Denn im Wort Gurke steckt das altpolnische ogurek. Die Slawen waren es, die die Gurke für Europa kultivierten und damit die Vorarbeit, die die Inder vor 5.000 Jahren begonnen hatten, fortsetzten.

Denn alle unsere Garten- und Feldfrüchte sind das Ergebnis von vielen Generationen aufmerksamer Auslese, die Bauern in aller Welt betrieben haben. Auch wenn wir gar nicht mehr sehen, welche Vielfalt an Gurken dabei entstanden ist. Denn was in unseren Supermärkten als Salat- und Gewürzgurke ankommt, ist nur noch die normierte Ware nach EU-Standard.

Da darf die Salatgurke eben nicht mehr krumm sein. Von der Gurkenvielfalt, die Heike Mohr im Kapitel „Herkunft & Verwandtschaft“ andeutet, ganz zu schweigen. Wobei der gärtnerisch völlig Unerfahrene dabei auch erfährt, dass Melone und Kürbis die nächsten Verwandten der Gurke sind.

Säen & Ernten

Aber in diesen kleinen Büchern geht es ja nicht nur um die teilweise faszinierende Herkunft unserer Küchenlieblinge. Sie sollen auch kleine Ratgeber sein, die allen Interessierten auch den Weg zeigen, zu ihrer eigenen Gurkenernte zu kommen.

Was sogar auf Balkonen möglich ist, wenn man die Ratschläge von Heike Mohr beachtet. Aber natürlich ist die Verfügbarkeit eines Gartens oder gar eines eigenen Gewächshauses von Vorteil. Da kann man dann sogar ein bisschen ausprobieren und sich auch an selten gewordene Gurkenvariationen wagen, die man zwar im Supermarkt nicht findet, aber dafür als Samen bei manchen Anbietern, die sich um die Bewahrung alter Sorten und biologischer Anbaumethoden sorgen.

Wann und wo man die Gurken am besten sät oder als Setzling ausbringt, erfährt man genauso wie ihre Gefährdung durch Pilzbefall, wenn sie am falschen Ort stehen oder in falscher Nachbarschaft. Es ist wieder so ein kleines Aufmerksammachen, dass die Welt des Gärtners tatsächlich viel komplexer ist, als man sich das als Laie so denkt.

Und natürlich erfährt man auch, wann man ernten sollte und und wie man mit den geernteten Früchten dann umgeht, auch wenn sich Heike Mohr beim Hinweis auf das letztlich doch aufwendige Einwecken sehr zurückhält. Denn natürlich macht das Arbeit.

Spreewald-Tour & Rezepte

Im letzten Kapitel, wo es auf Sightseeing-Tour in den Spreewald geht, sieht man ja den Erntehelfer/-innen regelrecht zu, wie sie die Gurkenfelder abernten und dann in der Fabrik all jene Gläser füllen, die die würzigen grünen Dinger dann in alle Welt bringen. Natürlich mit geschütztem Herkunftslabel, nachdem etliche Trittbrettfahrer schon versucht haben, ihre namenlosen Gurken unter dem Spreewälder-Namen zu verkaufen.

Und natürlich gibt es auch den Rezeptteil, der viele – teils ausgefallene – Tipps gibt, was man mit der Gurke alles anstellen kann – die Gesichtsmaske nicht außen vor gelassen, denn die wohltuende Wirkung für die Haut haben Gurken tatsächlich. Und auch noch einige andere wertvolle Zutaten neben dem hohen Wassergehalt, weshalb man sie auch in der Küche nicht verschämt anschauen muss.

Die Gurke hat ihre Rolle auf dem Küchenzettel genauso verdient wie Zwiebel, Knoblauch und Melone. Und wer im Büchlein blättert, findet so manche Idee, mit der dann mögliche Essensgäste überrascht werden können: Gurken in der Rolle etwa, Zitronengurken-Carpaccio oder Gegrillte Gurkenschiffchen. Längst einen Ruf haben ja das andalusische Gazpacho und die bulgarische Gurkensuppe Tarator.

Dass Gurken sich auch auf Pizza oder in Salaten gut machen, ist dann keine Überraschung mehr. Die Überraschung lauert dann eher in der Küche, wenn alle Gläser mit Senf- und Gewürzgurken geplündert sind und am Sonntag einfach kein Nachschub zu bekommen ist, weil man nun doch schwarz auf weiß gelesen hat, wie gesund diese Beere ist, die manchmal sogar das Klettern liebt und sogar mit Blüten überrascht, gegen die so manche hochgelobte Blume verblasst.

Eine richtige Einladung also an alle, die ihr Leben nicht mehr ohne Gurken verbringen möchten. Und denen die abschätzigen Wortfügungen vom Herumgegurke bis zum Vergurken letztlich egal sind. Denn wenn man leckere Gurken haben möchte, muss man auch Gurken können.

Auch mit Liebe zur krummen Gurke, die man sogar ganz gezielt anbauen kann. Auch als Widerspruch zu einer standardmäßig langweilig gemachten Welt, in der alles stramm aussehen muss und Wildwuchs verachtet wird.

Eine Verachtung, die unsere Welt artenarm und stumm macht. Das musste jetzt noch mal gesagt sein. Es lebe das Krumme und Wilde. Und die krumme Gurke sowieso.

Heike Mohr Gurken, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2022, 5 Euro.

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