Seit Mittwoch, 16. März, ist im Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig die Ausstellung „Verbriefte Freundschaft. Axel Schefflers fantastische Briefbilder“ zu sehen. Eine Ausstellung, die zeigt, wie faszinierend Briefeschreiben sein kann. Insbesondere wenn ein berühmter Grafiker seiner Phantasie freien Lauf lässt. Und ein Buch gibt’s auch noch dazu.

Ein Buch, das erst recht das Bedauern wachruft, wie sehr das Briefeschreiben in unserer von eiligen Nachrichten gefluteten Welt verkommen ist. Woran nicht nur die digitalen Medien schuld sind. Denn das begann schon lange vor den vielen flotten Messenger-Diensten. Das begann vor 30 Jahren, als von Schwindel befallene Regierungen begannen, die Post in ihren Ländern zu privatisieren und auf „Effizienz“ zu trimmen.

Seitdem hat sich der Postservice nicht nur bei der deutschen Bundespost immer mehr verschlechtert, wurden Filialen geschlossen, Telefonzellen und Briefkästen demontiert. Und die Portogebühren stiegen – nicht nur in erfrechende Höhen, sondern auch in wilde Cent-Kategorien, die sich kein Mensch mehr merken kann. Da hat auch Postmann Pat nichts mehr zu lachen, dessen Touren immer mehr gestrafft wurden.

Wer noch Briefe schreiben will, hat auf einmal lauter blödsinnige Barrieren vor sich. Ganz so, als wollten die rundgelutschten Konzerne dem Anhänger einer uralten Schreibkunst mit allen Mitteln zeigen, dass Briefeschreiben unerwünscht ist.

Briefeschreiben als Raum der Freiheit

Aber einer wie Axel Scheffler, den praktisch alle Jüngeren durch seinen mit Julia Donaldson geschaffenen „Grüffelo“ kennen, lässt sich das Briefeschreiben durch all diese Narreteien nicht verdrießen. Er schreibt weiter Briefe an Bekannte, Verwandte und Freunde vor allem aus der zeichnenden Zunft.

Und das seit 40 Jahren, seit er des Studiums wegen seinen Wohnsitz nach England verlegte und mit den Bekannten auf dem Kontinent mit Briefen in Kontakt blieb. Der damals noch selbstverständlichsten Art, einander über alles Wichtige auf dem Laufenden zu halten. Telefonieren war deutlich umständlicher.

Und auch damals schon begann er, die Briefumschläge künstlerisch zu verwandeln, tatsächlich in kleine Kunstwerke zu verwandeln, in denen die Briefmarken und die Adresse regelrechter Teil des Kunstwerkes wurden. Wahrscheinlich zur Verwirrung vieler Postboten.

Aber auf jeden Fall zur Freude aller Briefempfänger. Insofern der Brief dann auch ankam. Denn wenn sich unterwegs Liebhaber finden, erfährt man das ja nicht. Schon gar nicht, wenn einer so fleißig und unverdrossen schreibt und zeichnet und das Beantworten von Briefen als geschenkten Moment betrachtet wie Axel Scheffler.

Denn für ihn ist es ein Moment der Muße, wenn er sich hinsetzt und sich ein schönes neues Motiv ausdenkt, mit dem er den nächsten Briefumschlag gestalten kann. Das Handwerkszeug dazu hat er sowieso schon immer auf dem Tisch stehen, denn er gestaltet die Briefe nicht anders als die vielen Kinderbücher, die er inzwischen illustriert hat.

Nur ist das noch viel freier als das Zeichnen von Kinderbüchern, betont im Gespräch mit Herausgeber Jakob Hoffman, der natürlich genau wissen wollte, wie diese vielen märchenhaften Briefumschlagbilder zustande kamen, wo Scheffler seine Briefe einwirft und wo er die bunten Briefmarken kauft, die er auf die Briefe klebt. Da werden dann die Zumutungen deutlich, die nicht nur deutsche Briefeschreiber kennen.

Wem gehört unsere Zeit?

Aber sind es Zumutungen? Läuft man für das, was einem Spaß und Freude macht, nicht doch ein paar Meter mehr nur zu gern, auch wenn man dann erst mal am Schalter anstehen muss?

Es ist auch ein Zeitdilemma, das im Interview anklingt. Und zwar eines in unserem Kopf. Denn natürlich lassen wir uns vom Beschleunigungsdenken der entfesselten Konzerne anstecken, ihrer Übergriffigkeit, die uns selbst dazu zwingt, uns als Rädchen zu begreifen, die sich immer schneller drehen müssen, um noch mitzuhalten. Immerzu lauern irgendwelche Dinge, die unbedingt getan, gesehen, gehört werden müssen.

Man bekommt so ein kleines Gefühl dabei, dass Axel Scheffler einfach recht haben könnte. Dass wir uns die Freuden des Lebens einfach wegnehmen lassen, weil wir glauben, den Affenzahn wild gewordener Märkte mittanzen zu müssen, statt uns einfach in vollem Bewusstsein, dass das unser Recht ist, herauszunehmen und die Stunden zu genießen, wenn wir den Menschen, die uns vertraut sind, lange Briefe schreiben.

Und dann gar noch so Persönliches und Unverwechselbares hinzutun, wie es Schefflers Bilder auf den Briefumschlägen sind. Es sind Stunden der Erfüllung, obwohl sie im Sinn des modernen Effiziensdenkens völlig sinnlos sind.

Was einem dann freilich auch klarmacht, dass es gerade diese Unverwertbarkeit ist, die uns wieder Mensch sein lässt, lebendiges Gegenüber und Herausforderung zugleich. Denn natürlich fühlen sich dann die Kolleginnen und Kollegen auf dem Kontinent dazu animiert, ebenfalls mit kleinen Zeichnungen zu antworten. Immerhin sind eine ganze Reihe der profiliertesten deutschen Grafikerinnen und Illustratoren darunter.

Und natürlich auch einige Leipziger, denn hier ist ja nun einmal mit der HGB eine der besten Ausbildungsstätten für die hohe Kunst der Buchgrafik. Und da überrascht es natürlich nicht, wenn Axel Scheffler auf seine Briefe an Yvonne Kuschel, als sie noch in der Nonnenstraße in Plagwitz wohnte, ein paar freche Nonnen zeichnete.

Spielwiese fĂĽr die Phantasie

Scheffler spielt gern mit den Namen und Adressen seiner Briefpartner. Manchmal auch mit der Welt des Briefeverschickens, mit den Motiven der verwendeten Briefmarken und auch gern mit dem Zeitgeschehen, sodass in der Corona-Zeit seine Figuren auf den Zeichnungen auf einmal begannen, blaue Masken zu tragen. Und zwar nicht nur die Pärchen im Park, sondern auch Seepferdchen, Nashörner und Schnabeltiere.

Die Tiere aus seinen Büchern tauchen sowieso immer wieder auf. Und da die englische Königin auf vielen Briefmarken abgebildet ist, rutscht sie auch des Öfteren mitten hinein in burleske Szenen, in denen sie Teil der Schefflerschen Phantasiewelt wird.

Neben dem Interview enthält das Buch auch einen Essay von Tilman Spreckelsen, Literaturredakteur bei der FAZ und selbst auch Autor und Herausgeber. Er versucht der „fröhlichen Willkür“ in Schefflers Briefewelt auf den Grund zu gehen. Und benennt damit im Grunde etwas, was tatsächlich die Wunde unserer Zeit berührt.

Denn diese „fröhliche Willkür“ ist aus dem Leben vieler Menschen verschwunden. Man unterschätzt oft, was für einen Normierungsdruck die digitalen Medien mit ihren Perfektionierungsregeln auf die Nutzerinnen und Nutzer ausüben. Ein Druck, der ja nicht endet, wenn der Arbeitstag zu Ende ist.

Im Gegenteil: Da alles sichtbar gemacht wird und verglichen und bewertet wird, gibt es kaum noch eine Lücke im Tagesablauf, in der der Mensch unpassend, müde, unperfekt und geschafft sein darf. Und damit auch wirklich frei. Und natürlich auch keinen Platz mehr für die wilde Individualität, die in jedem schlummert, sich aber nicht entfalten darf, weil es in der normierten Welt dafür keine Aufmerksamkeit gibt.

Briefeschreiben als Verweigerung

Die Aufmerksamkeit gibt es nur außerhalb. In den „chaotischen“ Ecken. In vielen Kinderzimmern, wo die wilden Kinderbücher aus Schefflers Welt liegen (und auch die seiner zeichnenden Kolleginnen und Kollegen), wo dann manchmal beim Vorlesen auch bei den Eltern wieder das Gefühl wach wird, dass es eine riesige Welt abseits der normierten Bestenlisten gibt.

Eine, wo kein Mensch nach Perfektion fragt und jeder sich freuen darf, wenn einer sich einfach – wie dieser Axel Scheffler – in fröhlichen, frechen und stets unerwarteten Bildgeschichten austobt. Obwohl: toben muss er ja nicht. Er erzählt einfach. Und macht damit auch in seinen Zeichnungen sichtbar, wie vertraut ihm der ferne Briefpartner ist.

Und dass auch durch die Bilder ein Gespräch über Distanzen fortgesponnen wird. 150 dieser Briefumschläge, die Axerl Scheffler in den letzten 40 Jahren verschickt hat, sind im Buch versammelt. Viele Briefempfänger haben ihre Briefe für die Ausstellung leihweise zur Verfügung gestellt. Nicht alle übrigens. Es haben sich auch einige verweigert, in Angst um diese herrlichen Unikate.

Aber auch was man anschauen und durchblättern kann, macht Lust darauf, doch wieder richtige Briefe zu schreiben und sich auch wieder mehr Zeit zu nehmen, die man beim Briefeschreiben zubringt. Oder beim Zeichnen und malen.

Denn beim Empfänger löst das ganz gewiss eine Freude aus. Man sieht es jedem dieser Briefe an, wie sich die Empfänger gefreut haben müssen, vielleicht sogar quietschend die Treppe hochrannten: „Kinder! Kinder! Axel Scheffler hat einen Brief geschickt!“

Doch. So kann man sich über Briefe freuen. Buch und Ausstellung sind geradezu eine Aufforderung dazu, es wieder zuzulassen. Und sich diese wilde Freiheit zu nehmen. Gepfiffen sei auf Schnelligkeit. Gepfiffen auf uptodate. Wenn wir wieder Mensch sein wollen, ist es gar keine dumme Idee, Malkasten und Buntstifte immer bereitzuhaben, um die nächsten Briefe wieder mit fröhlichen Bildern zu verschönern. Persönlicher geht es kaum.

Die Ausstellung „Verbriefte Freundschaft. Axel Schefflers fantastische Briefbilder“ ist vom 16. März bis zum 25. September im Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig zu sehen.

Axel SchefflerVerbriefte Freundschaft, Péridot, Köln 2022, 16,99 Euro.

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