Kara Tepe heißt das Flüchtlingslager, in dem die von Alea Horst fotografierten Kinder auf der griechischen Insel Lesbos leben. Viele von ihnen hatten zuvor auch in Moria gelebt, jenem Lager, das 2020 abbrannte und zuvor schon mit Berichten über die schlimmen Zustände dort in die Schlagzeilen geraten war. Aber was erzählen die Kinder selbst?
Alea Horst war selbst als Nothelferin tätig, hat eigene Hilfsprojekte organisiert und 2021 den Alea e. V. gegründet. Die Kinder im Lager Kara Tepe hat sie im Februar 2021 besucht und fotografiert und mehrere Übersetzer/-innen vor Ort haben ihr geholfen beim Dolmetschen.
Dann natürlich sprechen die meisten Kinder nur die Sprache ihrer Herkunftsländer, die ja allesamt Krisenländer der jüngeren Vergangenheit sind: Irak, Syrien, Afghanistan, Kongo. Länder, in denen Bürgerkriege herrschten und Millionen Menschen vertrieben wurden. Mit unzulänglichen Mitteln machten sie sich auf den Weg irgendwohin, wo sie wenigstens ihre Existenz retten und in Frieden leben könnten.
Viele Afghanistan-Flüchtlinge versuchten einen Neuanfang im Iran, wo sie dann aber von rassistischen Angriffen wieder in die Flucht getrieben wurden. Über die Türkei und die gefährliche Bootsfahrt übers Mittelmeer landeten sie dann auf Lesbos.
Und hingen dort auf einmal fest, weil Europa sich zur Festung erklärt hatte und versuchte, all die Flüchtenden wegzuhalten. Was aber in der Regel Festhalten bedeutete in den Flüchtlingslagern am Mittelmeer, denn in den Ländern, aus denen diese Menschen geflohen waren, hatten sie ja keine Lebensgrundlage mehr.
Der Traum von einem Leben in Frieden
In den Gesprächen mit den Kindern wird noch viel deutlicher, wie viel Hoffnung die Menschen in Kara Tepe mit Europa verbinden und der Chance, hier einen Aufenthaltstitel zu bekommen. Ihnen geht es nicht um eine „Flucht in die Sozialsysteme“, wie Deutschlands eigene Rassisten so gern behaupten. Sie wollen lernen und sich durch eigene Arbeit eine Existenz aufbauen. Sie träumen von einem Leben, das auch deutschen Kindern nicht fremd ist.
Nur: Sie bekommen es nicht. Statt die Asylanträge zeitnah zu bearbeiten und den Flüchtlingen aus den Bürgerkriegsländern wirklich den schutzwürdigen Status zuzugestehen, lässt man sie ausharren in den schlecht ausgestatteten Lagern. Dort hängen sie monate-, oft jahrelang fest, dürfen diese nur zu besonderen Anlässen verlassen und warten auf einen positiven Bescheid. Denn ein negativer Bescheid würde die Abschiebung in ein Land bedeuten, in dem sie ihres Lebens nicht sicher sind.
Alea Horst sprach mit den Kindern über ihr Leben im Lager, über ihre Erinnerungen an die Flucht und den gefahrvollen Weg bis nach Griechenland. Und sie fragte sie nach ihren Wünschen und Träumen. Träume, die schon im Lager so langsam zerbrechen, denn nicht einmal eine Schule gibt es. Sodass die Kinder selbst dann den Anschluss verlieren, wenn sie vorher schon eine Schule besucht haben.
Auch Sprachunterricht gibt es nicht, die Essensverpflegung ist unzureichend, die Unterkünfte sind auch weiterhin nur einfach. „Ich hatte mir ein Zuhause gewünscht“, erzählt die 13-jährige Neda aus Afghanistan. „Stattdessen wurden wir alle in ein ganz enges Zelt gequetscht. Es war viel zu klein. Und es gab keine Schule.“
Ein Ort, der Menschen krank macht
Auch die 14-jährige Raghad aus Syrien beklagt das Fehlen einer Schule und appelliert an die Kinder in Deutschland: „Lernt, so viel ihr könnt.“ Nur ein Jahr lang konnte sie selbst eine Schule besuchen, bevor der Krieg in Syrien ihre Familie zur Flucht zwang.
Mit den kleinen Interviews gibt Alea Horst den Kindern aus Kara Tepe ein Gesicht und eine Geschichte, zeigt ihre Hoffnungen und Ängste und macht auch deutlich, wie das Leben im Lager seine Insassen krank macht. „Es gibt keine Medizin gegen diesen Ort hier, der die Menschen krank macht“, bringt es Raghad auf den Punkt.
Im Grunde steht das Flüchtlingslager für das, was europäische Politiker nicht sehen und spüren wollen, wenn sie das abschottende Asylsystem propagieren, das Menschen von Europa fernhalten soll. Als würde das irgendein Problem in den Ländern lösen, aus denen sie fliehen mussten.
Und als wäre der Traum, den die Europäer träumen dürfen, den zur Flucht Gezwungenen verboten. Denn die Menschen in den Lagern sind ja vor allem vor Autokraten und finsteren Fundamentalisten geflohen. Sie hätten nur zu gern ein friedliches Leben in ihren Herkunftsländern geführt, aber das haben ihnen gewalttätige Männer unmöglich gemacht.
Das Problem unserer Welt: Gewalttätige Männer
Nur noch mal zur Betonung für alle, die beim Stichwort „toxische Männlichkeit“ anfangen, sich beleidigt zu fühlen: Alle Kriege und Bürgerkriege, alle Vertreibungen und autoritären Systeme auf der Erde wurden von Männern geschaffen, die in ihrem gewalttätigen und autokratischen Denken keine Rücksicht auf Schwächere und Andersdenkende nehmen. Sie gehen über Leichen – auch über die von Frauen und Kindern.
Und ihre Macht gründet sich immer nur auf Gewalt und Repression, nie auf Respekt und Menschenliebe. Aber Europa nimmt die Flüchtlinge nicht in dem Wissen auf, dass sie alle schon eine lange Leidenstour hinter sich haben. Die europäischen Hardliner agieren nicht viel besser als die fundamentalistischen Bartträger anderswo, wollen nur abschotten, abwehren, abschieben. Nur weg mit diesen Menschen, aus den Augen, aus dem Sinn.
„Manchmal habe ich Albträume“, erzählt die 10-jährige Tajala aus Afghanistan. „Oft träume ich, dass wir ertrinken. Wir sind dann alle unter Wasser und gehen unter.“
Und die 14-jährige Elahe sagt: „Wir sind nicht freiwillig Flüchtlinge. Ich möchte kein Flüchtling sein. Ich habe mir das nicht ausgesucht.“
Womit sie das Problem auf den Punkt bringt, das entstanden ist, seit europäische Hardliner die Begriffe der rumorenden Rechtsradikalen übernommen haben und Flüchtlinge geradezu zum Feindbild aufgeblasen haben. Obwohl die eigentlichen Übeltäter jene toxischen Männer sind, die ihre Herkunftsländer in einen Kriegsschauplatz verwandelt haben.
Doch wirkliche Lösungen, die „failed states“ wieder zu friedlichen Ländern mit einer Zukunft für ihre Bewohner zu machen, sind rar bis nicht vorhanden. Und mit dem überstürzten Abzug aus Afghanistan im Sommer 2021 ist dort die Chance, wirklich eine friedliche Zukunft zu schaffen, endgültig preisgegeben worden.
Die Wünsche der Kinder
Mit dem Ergebnis, dass die Menschen in den Flüchtlingslagern wirklich nur die Hoffnung haben können, dass ein europäisches Land sie aufnimmt und ihnen die Chance gibt, dort zu lernen, zu arbeiten und ein Zuhause zu finden.
Die Fotos, die Alea Horst gemacht hat, zeigen die Welt der Kinder, ihr Obdach in den Zelten und die begrenzten Spielmöglichkeiten, die sie sich meist selbst geschaffen haben. Mehrhad Zaeri hat die einzelnen Geschichten mit kleinen gezeichneten Vignetten ergänzt, die vor allem zeigen, was die Kinder sich besonders wünschen.
Und da ist dann nicht nur das Haus zu sehen, das sie gern bewohnen würden, sondern auch der Geburtstag, den Zainab und Nida so gern in Deutschland feiern würden, Adonais Traum von besserer Verpflegung oder Ebens Traum von einem Reisepass, mit dem er problemlos reisen könnte.
Aber meistens geht es in den Geschichten der Kinder vor allem um eines: den Traum von einem richtigen Zuhause.
So entstand ein Foto-Kinderbuch, das Kindern die Welt ihrer Altersgefährten in einem griechischen Flüchtlingslager zeigt und durch die kleinen Geschichten der Kinder Grenzen überwindet, die in den Köpfen vieler Erwachsener wie festgemauert stehen. Meist auch deshalb, weil sie verlernt haben, sich in die Not von Menschen zu versetzen, die aus ihrer zerstörten Heimat fliehen mussten.
Und dann lieber verhärteten Politikern glauben, die Abschottung und Abschiebung für legitime Mittel halten, das Elend der Welt fortzuhalten aus einem Europa, das glaubt, sich verstecken zu können vor den Folgen einer in Krisen geratenen Welt.
Alea Horst Manchmal male ich ein Haus für uns, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2022, 16 Euro.
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