Es gibt auch noch unzeitgemäße Bücher. Bücher, die sich mit all dem beschäftigen, was uns tatsächlich bewegt, umtreibt, am Leben sein lässt. Denn wenn wir die Nachrichten aus aller Welt ausschalten, sind wir alle nur noch wir selbst. Und meistens begegnen wir dann diesem komischen Ding, das wir Liebe nennen. Oder der Sehnsucht danach.

Oder dem Ärger, den sie macht. Denn zum Lieben gehören meistens mindestens zwei. Und meistens suchen sie alle etwas völlig anderes. Wir sind mit Erwartungen und Rollenmustern angefüllt, sind manchmal blind vor Leidenschaft und oft geradezu sprachlos von dem, was uns da umtreibt und überwältigt.

Na ja, und das uralte Adam-Eva-Problem kommt auch noch dazu. Denn wenn es darum geht, das Ding irgendwie in Worte zu fassen, landen Männer und Frauen in völlig unterschiedlichen Welten.

Was die Dichterin Undine Materni im Vorwort zu diesem Sammelband in zwei dichterischen Ansätzen auf den Punkt bringt – Ingeborg Bachmanns „Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann“ und Erich Frieds „Es ist, was es ist.“ Schon in diesem völlig verschiedenen Beobachten des Vorgangs aus weiblicher und männlicher Perspektive werden auch völlig unterschiedliche Erwartungshaltungen sichtbar.

Die sich sogar in dieser von Jutta Pillat für die GEDOK zusammengestellten Sammlung von Liebesgedichten von zehn Autorinnen niederschlagen. Denn natürlich kommen die Partner auch drin vor, diese oft so schwer von Begriff erscheinenden Männer, die oft gar nicht merken, dass es in der Liebe kriselt und worin die Ursachen liegen, die sich auch oft als unfähig erweisen, überhaupt zu artikulieren, wie es ihnen mit der Partnerin geht.

Missverständnisse und Überforderungen

Oder ist auch das ein Missverständnis? Eine völlig offenen Frage. Denn andererseits wird doch ziemlich deutlich, dass der Geliebte, vielleicht auch die Geliebte, ja trotzdem das ist und auch kommuniziert. Denn wir kommunizieren auch dann, wenn wir keine Worte haben. Und manchmal fehlt auch den Frauen der Wortschatz, zu beschreiben, was das ist, was zwischen Geliebten passiert. Und warum Miss-Verstehen so beängstigend und nicht auszuhalten ist.

Eine nur zu berechtigte Frage: Ist das vielleicht der Grund, warum es immer wieder dennoch so romantisch wird? Und auch lebenserfahrene Autorinnen nur zu gern auf den dichterischen Wortschatz der Romantik zurückgreifen? Vielleicht. Denn beim Erkunden dieses Vorgangs zwischen Menschen taucht mehr auf als nur die Sehnsucht nach Schwärmerei.

Da tauchen „zwei dünne Scheiben Sehnsucht“ auf – ausgerechnet bei der jüngsten Dichterin im Buch, bei Laura Friedrich. Von „vertan geglaubten Möglichkeiten“ schreibt Linde Unrein, von Flucht „um näherzurücken“ erzählt Mona Ragy Enayat. Und von Loslassen weiß Dagmar Dusil, „doch wollte ich dich jemals halten“?

Was den Fokus auf das Eigentliche in diesen Gedichten lenkt – und wahrscheinlich das Problem aller Liebenden: Wie hält man Nähe aus und wie die Freiheit in eine Beziehung? Wobei Dagmar Dusil ja besonders deutlich auf den Punkt bringt, wie sehr das Erkanntwerdenwollen im Zentrum dieser Lyrik steht. Ein immenser Anspruch, den sichtlich etliche der mit „Du“ Angesprochenen in dieser Gedichtsammlung nicht erfüllen – nicht erfüllen wollen oder können. Vielleicht, weil er zu groß ist: „Schlag mich auf / wie ein Buch / und leg mich / nicht nach / drei Seiten / beiseite.“

Was macht das aus eine Beziehung, wenn die Erwartungen zu groß sind? Oder gar unerfüllbar? Ist Liebe eigentlich Arbeit? Oder ein Erfüllen von Anforderungen? Man merkt schon die Vehemenz, mit der die Dichterinnen Antwort und Verständnis einfordern. Aber die die meisten schon ein ganzes Leben gelebt haben, wissen sie auch, dass das nicht wirklich funktioniert.

Und wahrscheinlich nicht wegen der schweigsamen Männer. Sondern weil es die gewünschte Eindeutigkeit nicht gibt. Nicht mal hier. Denn Eindeutigkeit vernichtet jede Freiheit. Es sind auch nicht immer die Männer, die losgelassen werden wollen, weil ihnen die Umklammerung zu eng ist, die Erwartungen zu groß.

Auch diese Ebene wird oft sehr bilderreich und vorsichtig erkundet: Was eigentlich das Gefühl, geliebt zu werden, ausmacht. Da tauchen ganze Landschaften auf, Situationen des Geerdetseins und des Vertrautseins. Als ginge es tatsächlich nur um das Gefühl, das Gisela Kohl-Eppelt beschreibt: „Einfach sich geborgen fühlen, / irgendwo zu Hause sein.“

Denn eigentlich geht es auch immer um die Hoffnung, die Sibylle Kuhne benennt: „Ich brauch euch, verkümmere / Allein mit der Welt / In mir.“

Was ja letztlich bedeutet, dass jede Liebe ein Risiko ist, ein Wagnis von Nähe und Bedürfnis, das immerfort scheitern kann. Die Angst ist in etlichen Gedichten präsent. Denn so richtig stark scheinen wir alle nicht zu sein, wenn es darum geht, die Liebe einfach sein zu lassen, auszuhalten, dass wir die Geliebten nicht festhalten und einsperren können. „bleibst gehst bleibst gehst weiß nicht ob du / wiederkommst“, bringt es Dora Schönfeld auf den Punkt, die von sich selbst aber auch „treulose“ Verse schreiben konnte.

Denn natürlich schließt sich die Welt nicht in der Liebe. Vielleicht ist das sogar ein altes, „ein sehr altes lied“, wie es Dora Schönfeld hinschreibt: „du machst mich krank / auch ophelia ertrank / das wasser wird trüb / das kommt von zu großer lieb“.

Passiert das wirklich? Natürlich. Die halbe Weltliteratur ist voll davon. Von Kino-Schmonzetten ganz zu schweigen. „Ewige Liebe“, auch wenn das so betitelte Gedicht von Gisela Kohl-Eppelt eher davon erzählt, dass es die wohl eher nur gibt, wenn zwei sich nicht in ihrer Leidenschaft verschließen: „Sei du ganz ruhig und schweige, / leg deine Hand in meine / und warte, was geschieht.“

Auch eine Form des Loslassens. Und eine Zurücknahme des Ganz-und-gar-Geliebtwerdens, das so unerbittlich sein kann, dass am Ende nur Scherben bleiben. Manche geht dann einen ganz weiten Weg, bis sie begreift, dass es nicht um Besitz und Besessensein geht. „seit ich keinem mehr / so gefalle dass er / mich besitzen will / bin ich stärker mit / allem verbunden“, schreibt Linde Unrein.

Muss man dafür wirklich erst älter und gelassener werden? Es scheint so. Denn auch wenn Frauen so gern meinen, man widme sich ihnen nicht genug und verstehe sie nicht, erzählt fast jedes zweite Gedicht, dass sie ausgerechnet in der Beziehung auch Freiheit suchen und so akzeptiert werden wollen, wie sie sind. Von „ausgeliefertsein und unsichersten fluchten“ schreibt Linde Unrein.

Es ist schon ein komisches Ding mit dem Lieben und Geliebtwerdenwollen. Und mit der Kontrolle über ausflippende Emotionen und das Verzweifeln daran, dass der oder die Andere einen einfach nicht verstehen. Krach, bumm, beim folgenden Streit fliegen die Fetzen, tut man aneinander weh bis aufs Messer und ist hinterher wund überall.

Und merkt, dass man sich aus lauter Angst gefetzt hat, wie es Laura Friedrich anklingen lässt: „es käme ein seltenes alles verstörendes / fragiles Gewächs es wüchse, hemmungslos über uns hinweg / bis alles zerplatzte und es könnte einer zerbrechen, sagst du / ganz leise und schnell …“

Aber wer ist schon so gelassen? Und erwartet nicht alles auf einmal von der oder dem, die man liebt? Dabei braucht man doch so wenig, wie Jutta Pillat meint: „halt mich doch / du kleiner frieden / ach halt mich aus“. Wahrscheinlich geht es die ganze Zeit immer nur darum: das Gefühl, den Geliebten keine Zumutung zu sein, sondern angenommen, so wie man ist. Jutta Pillat: „’ja’ flüsterten sie / und waren sich verbunden.“

Wäre da nicht der verflixte Anspruch, ganz und gar wahr genommen zu werden und nicht nur eine „Schaufensterpuppe in deiner guten Stube“ zu sein, wie Eva Lehmann-Lilienthal schreibt, obwohl sie durchaus um das Maßlose in der Beziehung weiß. „Schau wer ich bin!“ Nur um dem Herausgeforderten am Ende „den Granitblock ICH vor die Tür“ zu setzen.

Von ihr stammt auch die „Luft wie Seide“ im Buchtitel. Auch wenn es hier eher um die kleine Freude im Alter geht, wenn zwei „alte Leutchen Liebe machen“.

Womit natürlich nicht alles gesagt ist. Aber ein weites Feld umrissen und ausgemalt, in dem wir Menschlein beiderlei Geschlechts so oft und heftig an unseren Ansprüchen und Erwartungen scheitern. Dabei ist so Vieles einfach nur Skizze, so wie die Illustrationen von Gisela Kohl-Eppelt. So wie das ganze Leben. Erwartungen und Ungewissheiten dicht beieinander. Und wenn man es festhalten will, löst es sich auf.

Ein ewiges Thema, hier mal ganz aus weiblicher Perspektive betrachtet.

Jutta Pillat / GEDOK Mitteldeutschland (Hrsg.) „… ist die Luft wie Seide“, Halbton Verlag, Leipzig 2021, 10 Euro

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