Nicht ganz ohne Grund wird das einfach so abgesagte Leipziger Lesefest „Leipzig liest“ zu einem Politikum. Denn es traf genau jene, die auf so eine Begegnung mit dem lesehungrigen Publikum dringend angewiesen sind: die Autorinnen und Autoren. Die ja als Berufsgruppe fast verschwunden sind hinter dem Begriff Solo-Selbstständige. Da macht sich nicht nur der Satiriker U. S. Levin aus Markkleeberg so seine Gedanken ums Überleben in einer Zeit, in der keiner mehr ein Risiko eingehen will.

Sein Buch hat er natürlich schon weit vor der neuerlichen Absage der Buchmesse geschrieben. Denn ihm ging es ja wie allen anderen Autorinnen und Autoren auch seit Beginn der Pandemie und dem flächendeckenden Absagen von Lesungen, Messen und Festivals. Auf einmal saßen sie alle zu Hause und durften sich Gedanken darüber machen, ob sie nicht vielleicht doch die falsche Berufung angenommen haben. Und ob die Eltern vielleicht doch recht hatten damit, vor diesen ganzen brotlosen Künstler-Berufen zu warnen.

Die Unsicherheit des Künstlerlebens

Keine ganz neuen Gedanken, wie man in Levins neuem Sammelband mit satirischen Geschichten feststellen kann. Denn das geht auch einem gestandenen Spaßvogel immer wieder durch den Kopf. Denn anders als bei einem Bürojob in der Verwaltung oder der Arbeit eines Pizzaausfahrers ist die Arbeit eines Schriftstellers unberechenbar. Man weiß nicht, ob man sich immer wieder neu zu Schreiben aufraffen kann, zündende Ideen hat oder gar verzweifelt in einer Schreibblockade strandet.

Man weiß nicht, ob der Verlag das Buch ins Programm nimmt und die Leute es dann auch wirklich kaufen, oder ob es wie Blei im Lager liegt, weil der Titel nicht funktioniert oder die Leser lieber Kochbücher kaufen oder gar keine Bücher mehr. Denn darauf rechnen, dass alle Leute auch wissen, was eigentlich ein Buch ist und welche emotionalen Beziehungen man dazu haben kann, kann man nicht.

Das ändert sich auch nicht, wenn einer wie U. S. Levin seit Jahren recht erfolgreich seine Titel beim Mitteldeutschen Verlag verlegen lässt. Denn auf gewisse Weise ist das ja Lebensratgeberliteratur. Er holt seine Leserinnen und Leser im ganz normalen Leben ab.

Mit all ihren Eheproblemen. Erziehungsproblemen, Kümmernissen um Auto und Nachbarn, um Übergewicht und Arztbesuche, um Schönheitsideale und Generationenknatsch. Also all das, was die meisten in ihrem Alltag ständig erleben. Und sich auch selbst gern lustig machen darüber.

Manchmal wissen wir es ja auch, in was für ausgelatschten Bahnen wir uns bewegen, wie wir in angelernten Ritualen feststecken und Erwartungshaltungen, die bestenfalls aus einer billigen Boulevardzeitung stammen.

In Levins Geschichten darf sich auch der dicke Nachbar und der nervende Kollege auf der Arbeit wiedererkennen, der Hausschlappen tragende Patriarch und die strickende Oma, die am Telefon über die andern Leute im Haus lästert.

Es sind hilfreiche Geschichten, weil sie uns zeigen, wie wir oft oder meistens sind, wie das Hausschlappige in unseren Köpfen steckt und die alten Witze auch deshalb immer wieder funktionieren, weil wir uns nicht wirklich geändert haben.

Der heimliche Neid auf die Künstler

Und dann noch diese Künstlerambitionen, diese falschen Vorstellungen, die wir uns über Künstler, ihr Leben und ihr glorioses Leben so machen. Oder gar ihren Erfolg. Denn das schwingt ja immer  mit, diese leichte Vermutung, man könne ja mit Kunst ganz schnell auch ein richtig reicher Mensch werden, quasi über Nacht, in der sich das verkannte Genie in einen gigantischen Verkaufserfolg ummünzt.

Eine Konstellation, die Levin in mehreren Geschichten durchspielt, in denen er seinen Künstlerfreund Richard Querstrich auftreten lässt, der ihm eigentlich immer nur angepumpt hat, weil er seine genialen Bilder nie verkauft bekam – bis dann das Wunder tatsächlich geschieht und ein steinreicher Käufer gerade das Bild kauft, das der Erzähler beim Betrachten als ziemlichen Kitsch empfand.

Man hat so seine Konflikte miteinander, aber andererseits ist da doch so ein Gefühl von Schicksalsgemeinschaft. Es geht ja den Malern nicht anders als den Schriftstellern. Und selbst wenn man sich professionell sein kleines Reich erschaffen hat, wirft einen so eine komplette Aus-Zeit durch eine Pandemie doch wieder auf all die alten Fragen und Sorgen zurück.

Bis in die Kindheit, in der man meist hin und her geworfen ist zwischen Genügen und Ungenügen. Gerade dann, wenn man nicht wirklich ins genormte Raster passt. Und wie kränkend eigentlich Benotungen mit „mangelhaft“ und „ungenügend“ sind, das wissen viele Kinder noch – viele Erwachsene aber nicht mehr.

Denn meist bewerten solche „Noten“ ja nicht wirklich das, was einer kann und zeigt, sondern seine Person. Und Menschen, die so einen kleinen kreativen Schalk im Nacken haben, merken sich das. Und werden dann in einer Corona-Stille wieder mit der Nase draufgestoßen.

Schreiben sich dann selber Faulheit und fehlende Konzentration zu und sehen dann das Stranden im Künstlerberuf sogar selbst als Fehlleistung. Hätten sie sich doch nur angestrengt …

Vom Wert von Kunst und Kultur

Wo doch so viele Eltern merken, dass ihr Wunsch, aus dem Knaben einen genialen Musiker zu machen, in einem Katzenkonzert endet.

Und das stand ja zumindest im ersten Corona-Jahr ganz fett als Frage im Raum: Wie viel wert sind uns eigentlich Kunst und Kultur und all diese Kreativen, die sich so wagemutig als Schauspieler, Musikerin, Tänzerin und Schriftsteller tummeln, sich auf „Projekte“ einlassen, die platzen können, mit ihrer Kunst immer geradeso am Existenzminimum entlanghangeln und im Ernstfall keine „Betriebskosten“ abrechnen können, weil ihr „Betrieb“ aus einem tapferen Gehirn besteht, dass zwar gelernt hat, immer neue Geschichten in die Welt zu setzen, aber auch, wie belastend die Tage werden können, an denen gar nichts mehr geht.

Und solche Tage haben viele Solo-Selbstständige in der Corona-Zeit erlebt. Viele haben sich freilich auch gefreut darüber, dass ihre Bundesländer auch sie nicht vergessen und Stipendienprogramme aufgelegt haben, sodass dann etliche Buchprojekte doch noch verwirklicht werden konnten. Auch dieses.

Trotzdem fällt auf, in welch wilden und filmreifen Geschichten Levins Befassung mit seinem ureigensten Thema endet. Und etliche haben das Zeug zur Verfilmung, denn es geht vom Traum vom ganz großen Ruhm und Erfolg bis zum ganz tiefen Absturz, wenn Lesungen leer bleiben und der Verleger (den Levin frech Hunger genannt hat), dem bittstellenden Hausautor erklärt, dass sein Titel derzeit so gar nicht ins Programm passt.

Und er sich vielleicht etwas einfallen lassen sollte, um entweder mit einer großen Schlagzeile als Verbrecher berühmt zu werden (dann verkauft sich sein Buch ganz bestimmt) oder wenigstens mal auf der Gästebank von „Riverboat“ Platz zu nehmen, damit die Leute wenigstens mal mitkriegen, dass es ihn auch wirklich gibt.

Wenn der Sarkasmus naheliegt

Und auch wenn das mit viel Humor und Augenzwinkern erzählt wird, merkt man schon, dass die Corona-Stille für Levin ganz so bequem nicht war und dass die alten Widersprüche im Kopf ganz und gar nicht beruhigt sind. Denn seine Laufbahn begann zwar mit Beiträgen für eine regional recht bekannte Zeitung – aber das Verhältnis hat sich doch sehr in etwas verwandelt, das man – wie in „Interview mit absoluter Diskretion“ – nur noch mit viel Sarkasmus beschreiben kann.

So bekommen freilich auch begeisterte Leser/-innen von U.S. Levin mit, dass auch ihr geliebter Geschichtenerzähler dieselben Sorgen teilt wie alle anderen Leute, die hoffen, ein möglichst großes Publikum mit ihrer Kunst unterhalten zu dürfen. Natürlich brauchen sie uns. Das ist der Kitt unserer Gesellschaft.

Denn auch wenn es manchmal humorvoll und witzig daherkommt wie bei U. S. Levin, steckt doch ein gewaltiger Ernst dahinter. Denn letztlich spiegeln diese Künstler uns, so wie wir selbst sind – miteinander und zueinander. Man kann sich lustig machen über die „Hungerkünstler“, aber hinter dem Lustigmachen steckt auch eine kleine Portion Neid und Bewunderung.

Die dann die fröhliche Familie am Tisch gern hinter der Behauptung versteckt, das könne doch jeder. Denn es sieht ja so leicht aus, so hingetuscht, als hätte der unter Pseudonym schreibende Bursche aus Markkleeberg in der Corona-Zeit jede Menge Spaß gehabt und eben nur aufschreiben müssen, was eh jeder über Künstler und solche, die es bleiben wollen, denkt.

Aber gerade das Leichte kann ziemlich schwer werden in so einer Zeit. Und wahrscheinlich darf man auch die Zweifel an der Akzeptanz und der Aufnahme seines nächsten Buches ernst nehmen, die Levin hier so spaßig thematisiert. Denn wenn man zwei Jahre lang sein Publikum nicht zu sehen bekommt, ist das wie die Trennung von einer Geliebten. Man weiß nicht mehr, ob man noch die richtigen Worte findet und die alte Beziehung noch funktioniert.

Ohne Publikum geht es nicht

Das sieht man ja nicht, wenn so oberflächlich über die geschlossene Kultur geredet und entschieden wird: Dass Künstler auch deshalb „funktionieren“, weil ihnen die Reaktion ihres Publikums bestätigt, dass sie gehört und erhört werden, dass die Emotionen überspringen und die Leute am Büchertisch die Bücher nicht nur passend zum Kostüm kaufen.

Womit wir bei Christian Habicht wären, der Levins Geschichten auf seine unverwechselbare Art illustriert hat. Wobei es eigentlich keine Illustrationen sind, sondern Anverwandlungen: Der Grafiker nimmt die Idee der Geschichte auf und spitzt sie zur Karikatur zu, erzählt also im Grunde seine eigene Geschichte. Denn als Grafiker teilt er ja in vielem das Schicksal des Autors. Auch er kann nicht ohne Publikum, selbst dann nicht, wenn er es nie zu sehen bekommt.

Manchmal erzählt ja nur der Abverkauf der gedruckten Auflage davon, ob ein Buch seine Leser erreicht. Zumindest so lange, bis es endlich wieder eine Lesung gibt und der doch von einigen geliebte Autor dann überhaupt in den Saal gelassen wird.

Denn auch das ist ja eine uralte Sorge der so Fleißigen: Dass sie bei der Einlasskontrolle abgewiesen werden könnten. Sage niemand, Künstler würden diesen Beruf deshalb ergreifen, weil sie vor Selbstbewusstsein strotzen. Oft ist das Gegenteil der Fall. Und meist ist es genau das, was sie so menschlich macht und ihre Bücher zu kleinen Lebensratgebern, auch wenn sie wie lauter leichter Humor aussehen.

Richtig guter Humor sieht ganz leicht aus, hat aber ein paar ganz tiefe Wurzeln ins ganz normale Leben, in dem einer tapfer auch gegen lauter selbstgewisse Nachbarn seine seltsame Berufswahl verteidigt. Mit Humor natürlich. Und der für Levin typischen Fähigkeit, sich immer wieder selbst auf den Arm nehmen zu können.

Denn nur auf den ersten Blick wirkt so ein Satz ganz simpel und selbstverständlich: „Künstler im Allgemeinen und Überlebenskünstler im Besonderen haben es in unserer konsumorientierten Zeit schwer, sich am Markt zu behaupten.“

Denn wer so lebt, hat keinen doppelten Boden. Weshalb es dann so weitergeht: „Nicht wenige gehen im täglichen Überlebenskampf vor die Hunde, selbst als Hundebesitzer. Die Coronakrise hat vielen Kunstschaffenden den Gnadenstoß versetzt.“

Das sind Sätze, die die Tür aufstoßen in die dann durchaus mit Hintergedanken zu lesenden Geschichten über das Künstlersein in marktkonformen Zeiten.

U.S. Levin Hilfe, unser Kind wird Künstler, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2022, 12 Euro.

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