Auch ohne Corona waren die beiden letzten Jahre verrückt. Man vergisst es nur zu schnell, denn ein närrisches Ereignis folgt dem anderen. Unsere Medienwelt ist ein Zirkus. Und nur allzu viele Leute tun alles dafür, um in der Clownsrolle auf offener Bühne ihre Show abzuziehen. Schwarwels zweiter Karikaturen-Band zur Corona-Zeit zeigt, was wir alles schon wieder vergessen haben. Und wir haben uns aufgeregt über all diese Clowns.

Vielleicht sollten wir Berichte über politische Ereignisse mit Clownsmasken bewerten? Von sechs Clowns für die absolute Clownerie bis zu null Clowns, die eben diejenigen bekommen, die wirklich ernsthafte und verantwortungsvolle Politik machen. Die ist nämlich Arbeit. Was den Clowns meistens egal ist. Denen geht’s meist nur um ihr Ego, ihre Macht und den Beifall einer Menge, der das ganze Theater da vorn wichtiger ist als das, was die Clowns im Rampenlicht tatsächlich zum Wohlergehen der Menschheit beitragen.Und da sind dann auch die altehrwürdigen Parteien nicht gefeit vor dem Auftritt der Clowns, im Februar 2020 zu erleben etwa mit einer irrlichternden CDU in Thüringen, von einem CSU-Innenminister ganz zu schweigen, der immer erst nach den blutigen Vorfällen aus der Deckung kam und vor den Gefahren von rechts warnte. Und wie ist das mit der EU-Flüchtlingspolitik, dem Brand in Moria und den brutalen Aktionen an der EU-Grenze?

Die hohe Kunst des Herumdrucksens

Immer wieder macht Schwarwel in seinen Zeichnungen die riesige Kluft zwischen Wort und Tat sichtbar, die gerade konservative Realpolitiker so gern an den Tag legen – ob das eine verlogene Abschottungspolitik ist, eine Wegduckpolitik beim Rechtsextremismus in der Polizei und im Internet oder die jahrelange Verweigerung, die AfD als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz einzustufen.

Zwischendrin verkantete sich ja auch noch das Containerschiff Ever Given im Suezkanal und brachte den ganzen klimaschädlichen Gütertransport der Globalisierung für Tage zum Stocken. Und seit März 2021 beschäftigt uns die Nicht-Aufarbeitung des Kindesmissbrauchs in der Katholischen Kirche. Man fühlte sich gerade im Frühjahr 2021 wie in eine Ur-Zeit zurückgefallen, in der Schwarwel die beiden bepelzten Helden Armin Geröllheimer und Markus Feuerstein über die beiden grünen Spitzenkandidatin lästern lässt.

Da war die große Plagiatskampagne zu Annalena Baerbocks Buch „Jetzt“ gerade angelaufen – die CDU-Kampagne gegen die Grünen-Vorsitzende sowieso. Mit Erfolg: Aus den Kanzlerinträumen der Grünen wurde nichts. Aber die beiden Bepelzten wurden es auch nicht. Im Gegenteil. Selbst Laschets Fischen am rechten Rand (20. September 2021) nutzte nichts.

In der Wahlnacht soff die CDU ab und die Sachsen wählten AfD. Worte wirken. Und Propaganda auch. Und irgendwann werden auch die braven Höhlenbewohner merken, dass man die Rechten ganz außen nicht schwächt, wenn man ihre Parolen und ihre Menschenverachtung übernimmt. Im Gegenteil: Man öffnet ihnen Tür und Tor.

Nichts schlimmer als Gendern …

2020, das war auch das Jahr, in dem ein Donald Trump nur widerwillig aus dem Weißen Haus entschwand und gleich wieder begann, seine Lügenmaschine vom „gestohlenen Wahlsieg“ anzuwerfen. Denn diese großen Clowns wissen, wie man das Publikum ködert, aufpeitscht und zur heulenden Menge macht. Ein Publikum, das sich nur zu gern aufpeitschen lässt. Dann wird das Leben zum großen Theater und auch noch der irrste Cowboy erlebt seinen Moment der Twitter-Berühmtheit.

Und mit einigem Entsetzen erinnert man sich daran, wie die Konservativen ausgerechnet in der Zeit, in der die Flut im Ahrtal noch frisch in Erinnerung war, just den Kampf gegen das Gendern auf die Tagesordnung setzen. Auch wieder so ein Moment aus dem rechtsextremen Mustopf.

Als hätten wir keine richtigen Probleme. Aber man lässt sich ja so leicht ablenken. Da warnt ein bepelzter Ministerpräsident in Bayern am 6. September 2021 vor einem „Linksrutsch“, während eine rechtsradikale Partei in Sachsen Plakate mit dem Text „Hängt die Grünen“ aufhängt und dafür auch noch richterliche Rückendeckung bekommt.

Geld verdienen mit Hass und Hetze

Zwischendurch gab es auch die inzwischen ja längst wieder vergessenen Skandalnachrichten aus dem Hause von Mark Zuckerberg, der mit Hass und Hetze auf Facebook Milliarden verdient, dem aber die Folgen für die Demokratie oder für die seelische Gesundheit der Kinder völlig egal sind. Die FDP rauschte dann ohne Tempolimit in die Bundesregierung und beim zweiten Anlauf wurde ein gewisser Julian Reichelt bei der „Bild“ endgültig geschasst.

Was wie eine gute Einsicht im Hause Springer wirkte, selbst wenn sich am Gebaren dieses Konzerns auch danach nichts geändert hat. Und während der Bundestag damit beschäftigt war, lauter ziemlich rechte AfD-Kandidaten als Bundestagsvizepräsidenten zu verhindern, erschütterte die Nachricht, dass die Reichen auch unter der neuen Bundesregierung nicht wieder richtig besteuert werden, nur für einen Lidschlag die Nation.

Danach ging es weiter wie gehabt.

Denn wie auch dieses Wahljahr 2021 zeigte, gab der deutsche Michel seine Stimme doch lieber wieder denen, die ihm jederzeit alles versprachen. Wer wird sich den ändern wollen, wenn die Welt vor die Hunde geht?

Einfach zum Mond schießen …

Eine Jeff-Bezos-Karikatur zeigt, wie die wirklich Reichen mit dem so rücksichtslos zusammengerafften Geld ihre irrsten Wünsche in die Tat umsetzen – eben einfach mal mit den Amazon-Penunsen ins Weltall fliegen. Oder „Wettrennen der Superreichen“. Oder: Das sinnloseste Geldverbrennen ever. Eine Diskussion, die ja sogar in L-IZ-Kommentaren so langsam Kontur gewinnt: Kann es sein, dass wir langsam begreifen, welche Schäden all die Leute mit zu viel Geld anrichten, weil sie schon gar nicht mehr wissen, wofür sie es vernünftig ausgeben können?

Wobei ja schon das Einkaufen bei Amazon an Unvernunft kaum zu toppen ist. Aber wahrscheinlich als logische Folge eines gefeierten Konsumismus nur zu verständlich. Dafür werden dann eben demonstrierende Fridays-For-Future-Kinder in Frankfurt mit Wasserwerfern von der Straße gefegt, damit die Automobilmesse ungestört stattfinden kann. Und nach der EM in einigen dubiosen Diktaturen 2020 findet ja jetzt auch gleich mal die nächste Olympiade in einem geradezu vorbildlichen Überwachungsstaat statt.

„The show must go on“, sagt der Zirkusdirektor und lässt die nächsten Clowns in die Manege.

Haben Sie Angst vor Mädchen mit Zöpfen?

Während ein kleines Mädchen mit Zöpfen im Regen steht und sagt: „Ich hasse es, recht zu haben.“ Ein Bild, das zu den gaffenden Urlaubern passt, die auf ihrem Mittelmeerurlaub bestehen, während in Griechenland, der Türkei und Italien die Wälder in Flammen stehen.

Und wohl den Höhepunkt der clownesken Unverantwortlichkeit erlebten wir dann im August 2021 alle live am Bildschirm, als die Amerikaner und ihre Verbündeten in einer überstürzten Aktion Afghanistan verließen und es nicht einmal schafften, all die Menschen zu retten, die ihnen in den 20 Jahren zuvor geholfen hatten. So macht man sich unglaubwürdig.

Wobei sich im fernen Jahr 2021 so einige bekannte und berühmte Größen alle Mühe gaben, ein paar Clownspunkte zu sammeln, auch Schauspieler, Sängerinnen und Starkritikerinnen, in der Regel mit bierernster Miene, weil man ja so weise ist, dass man all diese Kindsköpfe da draußen und da unten von oben her belehren muss. Die Namen findet man im Buch.

Und das Verstörende ist: Man kann nicht einmal schmunzeln. Schwarwels Zeichnungen zeigen die bittere und manchmal nicht auszuhaltende Wahrheit über unser Land und seine Dienstbotenmentalität, wenn es um die Gierigen und Reichen geht.

So gesehen ist Angela Merkel, die nach 16 Jahren unbehelligt in den Sonnenuntergang spazieren konnte, recht glimpflich davongekommen. So unbehelligt, dass die sich prügelnden Knaben hinter ihr nicht mal gemerkt haben, dass jetzt 16 Jahre vergangen sind und das Gendern ganz bestimmt nicht das größte aller Probleme ist, die wir haben.

Das Problem mit den alten Säcken

„Warum nicht mal einen alten Sack wählen?“, fragt Schwarwel.

Eine gute Frage. Aber dafür haben die alten Säcke, um es mal so zu formulieren, mittlerweile zu viel Schaden angerichtet auf dieser Erde. Nicht nur die alten Säcke in Russland, Ungarn oder wo sonst immer sie den König Krösus spielen. Auch unsere alten Säcke, die sich nur im April 2021 ganz kurz mal erschreckten, als das Bundesverfassungsgericht dem größten Teil der Klage stattgab, dass die Bundesregierung zu wenig im Klimaschutz tut.

Was just die Zeit war, als die Anti-Baerbock-Kampagne so richtig Fahrt aufnahm. Und wie war es im September, als immer mehr rechtsextreme Chat-Gruppen von Polizisten nicht nur in NRW aufflogen? Da übte so mancher Innenminister gleich den schönen Spruch: „Der Linksextremismus ist die größte Gefahr.“

Da verraten wir aber nicht, aus welchem Land der kam.

Kein Wunder, dass auch in diesem Band einige deftige Ohrfeigen verteilt werden – aber diesmal nicht von Superman. Denn was bleibt einem sonst noch übrig bei all den faulen Ausreden und Ablenkungsmanövern, wenn man nicht in der Schleife landen will: „Irgendwie aus dem Bett kommen. Den Tag überstehen. Hinlegen.“

Manchmal ist einem so. Irgendwann hat man die ganzen Clowns einfach über. Und zumindest bildlich hat man dann so eine kleine Lust, einfach ein paar Ohrfeigen zu verteilen. Zum Munterwerden. Denn eigentlich können wir uns das Gerede der Clowns längst nicht mehr leisten.

Schwarwel „Mein Leben ohne Corona“, Glücklicher Montag, Leipzig 2022, 9,90 Euro.

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Keine Kommentare bisher

Lieber Herr Julke, da dreht sich Chaplin im Grabe um.
Clown- und Theatermetaphern in diesem abwertenden Sinne zu gebrauchen, funktioniert beim zweiten Hinsehen schon nicht mehr. Clowns im Allgemeinen und die hier gemeinten Clowns im Besonderen sind ja gar nicht so harmlos und ihre Shows zeigen weitreichende Wirkung, obwohl (oder gerade weil?) sie “nur” Theater sind.
Lektüretipp für einen etwas weniger engen und einseitigen (dank Deutschunterricht von der Ideologie des bürgerlichen Theaterprogramms der Aufklärung immer noch gefärbten) Clown-Begriff:
“Clowns”, herausgegeben von Prof. em. Dr. Gerda Baumbach, erschienen 2021 im Leipziger Universitätsverlag.
Donald Trump kommt übrigens auch darin vor, auf S. 122-123. Und vielleicht stellt sich nach dem Lesen die Erkenntnis ein, dass so mancher Clown durchaus “zum Wohlergehen der Menschheit” beiträgt.

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