Gleich zwei Bรคnde mit Karikaturen hat Schwarwel diesmal gleichzeitig verรถffentlicht. Zwei Bรคnde, die zeigen, wie zweigeteilt unser Leben seit zwei Jahren verlรคuft. In der einen Hรคlfte spielen das Coronavirus und dessen Leugner die Hauptrollen. In der zweiten geht das verrรผckte Leben weiter, wie wir es vorher schon kannten. Und nicht nur Schwarwel fรผhlt sich wie in einer Zeitschleife gefangen. Die Leser dieses Bรคndchens werden es genauso fรผhlen.
Denn dazu braucht es gar nicht die Karikatur vom 27. Dezember 2021, die den Zeichner selbst am Schreibtisch zeigt, wo er ein bisschen verzweifelt feststellt, dass er fรผr den Jahresrรผckblick auch die Zeichnungen aus dem Vorjahr nehmen kann. Das Virus ist zwar mutiert und die Politik hat so einiges an ihrem Krisenmanagement geรคndert. Doch die Sprechchรถre der Corona-Leugner und Impfverweigerer haben sich kein bisschen geรคndert.Die Zeichnungen vom Frรผhjahr 2020, als diese eigenartigen Proteste begannen, unterscheiden sich von Gestus und Botschaft her nicht im mindesten von den โSpaziergรคngenโ dieser Leute Anfang 2022. Nur dass es mehr geworden sind, dass die Auftritte aggressiver wurden und dass immer mehr Neonazis mitmarschieren, weil ihnen dieser Sturm der Entrรผstung รผber die Zumutungen des Staates und der Demokratie allerbestens in den Kram passen.
Die frรผheste Karikatur, die diesen Aufstand der kleinen Iche zeigt, stammt vom 30. Mรคrz 2020. Schwarwels Zeichnungen sind wie Tagebucheintragungen โ nur halt in kleinen, treffenden und manchmal hochdramatischen Zeichnungen. Er muss sie nur ausdrucken, denn auf seiner Homepage hat er sie ja chronologisch alle sortiert. Jeden Tag zeichnet er sich so den Frust รผber den Irrsinn der Welt von der Seele. Und sein tiefes Unverstรคndnis fรผr menschliche Irrationalitรคt und Wirklichkeitsverweigerung. Die ja nun beide lรคngst zur Dauerschleife in den Nachrichten geworden sind.
Die Menschen, die sich haben impfen lassen und mit Geduld und Verzweiflung einfach versuchen, den Alltag am Laufen zu halten, kommen in den Nachrichten kaum vor. Dafรผr dominieren die straff organisierten Corona-Demos alle Nachrichtenkanรคle und malen damit ein Bild, als wรคre die Empรถrung รผber โImpfzwangโ und โFreiheitsberaubungโ ein Mehrheitsthema, obwohl es bis heute nur eine Minderheit ist, die da so tut, als wรผrde sie fรผr Grundrechte demonstrieren.
Frรผher war alles besser?
Ist es wirklich so, dass sie einfach nur wollen, dass alles wieder so wird wie vorher? Am 25. August 2021 lรคsst Schwarwel einen kleinen Jungen widersprechen: โUnd nein, ich will nicht, dass alles wieder so wird wie vorher.โ
Das kรถnnte trotz allem der Punkt sein: die Angst vor der Zukunft. Vor einer Welt, die sich verรคndert. Und die sich verรคndern muss. Eine Angst, die die Kreuz-und-Quer-Denker augenscheinlich mit den kampagnenerfahrenen Nazis im Land teilen. Ihre Vorstellung einer besseren Welt liegt irgendwo in der Vergangenheit. Was kรผmmert da ein kleines Virus, das die รlteren und Schwรคcheren sterben lรคsst?
Es ist nicht nur Schwarwel, den es zutiefst frustriert, wie gefรผhllos diese selbst ernannten Freiheitskรคmpfer gegenรผber allen anderen sind. Gegen ihre eigenen Kinder sogar, gegen die Alten, die Kranken. Sie merken nicht einmal, wie sie mit ihrem Egoismus fรผr die รberlastungen sorgen, die andere dann irgendwie abfangen und aushalten mรผssen โ nicht nur das Personal auf den Intensivstationen, sondern auch Polizisten, Lehrer, Schulkinder und ihre Eltern.
Wo ist Muddi?
Immer wieder taucht jener kleine, von sich selbst so รผberzeugte sรคchsische Hรผtchentrรคger auf, der alles, was die Gesellschaft versucht als Schutz gegen die Ausbreitung immer neuer Corona-Wellen zu verordnen, grundsรคtzlich als gegen sich und seine kleine, wutentbrannte Freiheit empfindet. Er allein will Gehรถr finden. Er wรผtet und spuckt und lรคrmt: โDie Pandemie ist ein einziges Staatsversagen!!!โ lรคsst Schwarwel das Mรคnnchen am 1. Dezember 2021 brรผllen.
Man sieht das vรถllig enthemmte Kleinkind, das in ein fรผrchterliches Geschrei ausbricht, wenn seine Wรผnsche nicht sofort und auf der Stelle erfรผllt werden. Als hรคtten diese Leute die Phrase von โMuddi Merkelโ tatsรคchlich รผber Jahre verinnerlicht und klagen jetzt gar ihr Recht ein, mit den Zumutungen der weltumspannenden Pandemie verschont zu werden.
Und mit Not-Verordnungen sowieso. Denn die beschneiden ja ihre ganz persรถnliche Freiheit โฆ dass diese kleine Freiheit der Verantwortungslosen durch das Grundgesetz nicht gedeckt ist, hat am 30. November 2021 erst das Bundesverfassungsgericht wieder bestรคtigt und die entsprechenden Klagen gegen die โNotbremseโ abgewiesen.
Eigentlich eine ganz einfache Botschaft: Regierungen sind fรผr Wohl und Gesundheit der gesamten Gesellschaft verantwortlich. Und wenn sie diese zu schรผtzen versuchen, beschneidet das keine grundlegenden Freiheitsrechte. Die im Grundgesetz nicht grundlos nebeneinander stehen und sich auch mal anderen Freiheiten unterordnen mรผssen โ denn das Recht auf Demonstrationsfreiheit kann nicht hรถher gewichtet werden als das auf gesundheitliche Unversehrtheit.
Man merkt schon, dass diese Leute das Grundgesetz benutzen wie eine Rosinentorte โ sie klauben sich nur die Rosinen heraus und ignorieren, dass die Torte fรผr alle da ist. Auch fรผr die Schwachen und die Andersdenkenden, die Schutzbedรผrftigen und die Schutzlosen, die, die sich solidarisch fรผhlen, und die, die sich einsam und hilflos fรผhlen.
Mensch, nun lach doch mal
Denn wer gar schon psychische Lasten zu schleppen hat, den haben Pandemie und Lockdown ja erst recht mit seiner Last konfrontiert. Der schaut nur noch verzweifelt hinaus auf die rรผcksichtslos in die Stรคdte drรคngenden Wutbรผrger, denen das gemeinsame Bemรผhen, diese Pandemie einigermaรen heil zu รผberstehen, vรถllig egal sind. Als interessiere sie das Wohlergehen des Landes nicht mehr die Bohne. Was es ja vielleicht auch nicht tut.
Da sieht man dann auch nicht mehr, wer alles leidet unter der Pandemie und ihren Folgen. Ein kleiner verprรผgelter Junge sucht im Mai 2021 verzweifelt nach einer Lobby.
Bei Schwarwel wirkt das alles so leicht und selbstverstรคndlich. Und es fรคllt ihm auch leicht, weil er die Nachrichten des Tages mit Betroffenheit wahrnimmt und sich selbst betroffen fรผhlt, wenn er vom Leid anderer erfรคhrt. Er fรผhlt mit ihnen. Und ganz selbstverstรคndlich ergreift er ihre Partei โ die der Schwachen, Hilfsbedรผrftigen, Ungetrรถsteten. Die, denen auch dann nicht zum Lachen ist, wenn ihnen ein รผberschรคumender Optimist zuruft: โMensch, nun lach doch mal.โ
Und wenn es nichts zu lachen gibt? Wenn einem nicht nur die Vernunft sagt, dass man selbst mรถglichst alles tun sollte, um sich und seine Lieben zu schรผtzen? Und ganz und gar nicht absehbar ist, ob und wie das alles ausgeht?
Verweigerte Realitรคt
Aber dazu braucht man wohl diese menschliche Fรคhigkeit, sich einfรผhlen zu kรถnnen und mittrauern zu kรถnnen mit denen, die tatsรคchlich leiden. Da wรคre auch ein Schwarwel gern Superman, der den Quatsch-Behauptern einfach mal eine Backpfeife verpasst. Bildlich zumindest. Denn im richtigen Leben ist er ein auskรถmmlicher und freundlicher Mensch. Er kann keiner Fliege etwas zuleide tun. Nicht mal den Narren, die ein Pferdewurmmittel trinken, weil sie glauben, das wรผrde besser helfen als eine Impfung.
Eigentlich steckt hinter manchen scheinbar so wรผtenden Bildern eine groรe Trauer. Eine Trauer darรผber, wie leicht sich Menschen von Lรผgen und falschen Parolen kรถdern lassen. Und wie gleichgรผltig ihnen ist, mit wem sie da auf den Straรen randalieren und was fรผr Folgen ihre kleine Ich-Sucht fรผr alle anderen hat. Und mit einer kleinen Karikatur vom 7. November 2021 macht Schwarwel auch deutlich, wie sehr die Realitรคtsverweigerung in der Corona-Pandemie mit der Realitรคtsverweigerung auch auf anderen Gebieten zu tun hat, wo es auch um unser aller Leben und รberleben geht. Da will ein im Lockdown Gelangweilter schon mal den Urlaub fรผr nach der Pandemie planen โ aber die Bilder von รberschwemmungen und brennenden Wรคldern in den Urlaubsregionen dieser Welt machen ihm klar, dass auch das dann nicht mehr geht.
Dass wir also letztlich in einer Schleife feststecken, in der sich das kleine Wohlstandsdenken derjenigen, die sich allein fรผr den Nabel der Welt halten, mit dem Gebrabbel kleiner und groรer Prominenter mischt, die mal auf Fuรballerart, mal als Luftballongesang verkรผnden, dass das groรe Bemรผhen der Politik keinen Pfifferling wert ist, wo jeder sich doch in alternativen Medien รผber alles viel besser informieren kann.
Die dunkle Seite einer egoistischen Gesellschaft
Manchmal erwartet man das ja wirklich nicht, dass Leute, die man eigentlich mal gut fand, derartig abdrehen und zum Verkรผnder des blanken Egoismus werden kรถnnten. Verdienen die einfach zu viel Geld? Oder leben die in einer Welt, in der sie auf nichts und niemanden mehr Rรผcksicht nehmen mรผssen?
Mรถglich ist das schon. Denn die Querdenker-Demos haben die Gesellschaft nicht erst gespalten. Die haben die Spaltung erst sichtbar gemacht โ und damit die Folgen eines vรถllig enthemmten Egoismus, dem das Leid und die Sorgen der Anderen vรถllig egal sind. Kein Wunder, dass da ab und zu Batman ran muss, um ein paar Ohrfeigen zu verteilen.
Freilich auch ahnend, dass man diese Leute damit trotzdem nicht herausbekommt aus ihrer Wohlfรผhlwelt der Verschwรถrungstheorien. Die ist ja so schรถn einfach: Immer sind die anderen schuld. Man hat immer wen, den man an den Pranger stellen kann. Und wenn man seinen Willen nicht bekommt, dann wird getrotzt, dass die Wรคnde wackeln.
Ob das in der anderen Welt auch so ist, werden wir hier demnรคchst noch begutachten. In der Corona-Welt jedenfalls ist es so. Und es sieht ganz so aus, als hรคtten eine Menge Leute nur darauf gewartet, dass endlich mal so eine blรถde Pandemie das Land รผberfรคllt, um allen Trotz und alle Wut auf die Straรe zu tragen und endlich mal ein bisschen wichtig zu sein. Denn weggucken kรถnnen die anderen ja nicht, wenn das wรผtende Volk mit und ohne Volker durch die Straรen lรคrmt.
Wut ist ja so ein schรถnes Gefรผhl, wenn man sonst schon keine Gefรผhle hat, so enthemmend und gewaltig, dass man sich endlich als was fรผhlen kann. Als Freiheitskรคmpfer zum Beispiel, auch wenn es nur die eigene Freiheit ist, auf nichts und niemanden Rรผcksicht nehmen zu mรผssen in dieser Welt.
Aber diese Freiheit steht nicht im Grundgesetz. Das muss hier zumindest mal gesagt sein.
Schwarwel hรคtte diesen Band auch โUnser Leben mit den Rรผcksichtslosenโ nennen kรถnnen. Das hรคtte auch gepasst. Corona war auch ein Lackmustest, wie es eigentlich steht um den Gemeinschaftssinn in unserer Gesellschaft. Und fรผr unsere Bereitschaft, fรผreinander einzustehen, wenn es wirklich darauf ankommt. Und fรผr viele galt nicht nur am 31. Dezember 2020 der Vorsatz fรผr 2021: โรberleben.โ Fรผr viele gilt das auch fรผr 2022.
Denn besser gemacht haben all die verqueren Demonstrationen die Lage nicht. Geholfen haben sie auch nicht. Sie haben nur alle Diskussionen, wie wir da zusammen einigermaรen unbeschadet durchkommen, รผberschattet und gestรถrt. Man denke nur an die leidige Diskussion, ob Menschen mit oder an Corona verstorben sind. Als wenn es einen Unterschied macht, ob einen allein das Virus sterben lรคsst oder das Virus einen sowieso schon von Krankheit Geschwรคchten tรถtet. Was fรผr eine irre, gefรผhllose Diskussion.
Wo ist jetzt Batman? Bitte an die Arbeit โฆ
Schwarwel Mein Leben mit Corona, Glรผcklicher Montag, Leipzig 2022, 9,90 Euro.
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Vielen Dank dafรผr.
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