Eigentlich war ja 2021 auch so eine Art Gedรคchtnisjahr: Vor 200 Jahren starb der verbannte Napoleon Bonaparte auf St. Helena, gerade einmal 51 Jahre alt, an Magenkrebs wie sein Vater. Knapp 20 Jahre lang hatte er Europa regelrecht auf den Kopf gestellt. Hoffnungstrรคger und Tyrann, Modernisierer und Usurpator. Als โMann mit vielen Gesichternโ schildert ihn Caroline Vongries in diesem Buch, bevor sie sich den Frauen widmet, die in seinem Leben eine Rolle spielten.
Aufsteiger, Offiziersanwรคrter, Machtmensch
Dabei lernt man nicht nur Napoleons Mutter Leticia Buonaparte, Madame Mรจre de lโEmpereur kennen, sondern auch seine Schwestern Elise, Pauline und Caroline, von denen sich Elise und Caroline durchaus selbst als erfolgreiche Fรผrstinnen erwiesen, wรคhrend gerade Napoleons Schwester Pauline das Herrschen รผberhaupt nicht lag. Dafรผr hatte sie andere Talente und bezauberte Maler und Bildhauer.
Man merkt schon auf den ersten Seiten, dass Napoleons Familie eigentlich viel aufregender ist als die ganzen Kriegsspiele ihres Bruders, den man freilich รผber seine Familie auch etwas besser kennenlernt als Aufsteiger aus รคrmsten Verhรคltnissen, den frรผh zum Familienoberhaupt gewordenen Sohn des frรผh verstorbenen Vaters, ein Offiziersanwรคrter, der jeden verfรผgbaren Franc an seine Mutter schickte, damit die Familie รผber die Runden brachte.
Die groรen Gemรคlde zeigen Napoleon ja immer wieder auch in kรถniglich-majestรคtischer Staffage. Und auch in den Gemรคlden, die im Buch abgebildet sind, erscheint er immer wieder in einer opulenten kรถniglichen Kulisse. Seine Frauen รผbrigens auch.
Die Maler des Imperiums gaben sich alle Mรผhe, die Frauen in Gold- und Silberglanz, Lilien und Kรถniginnenornat zu malen โ selbst dann, wenn sie im gemalten historischen Akt gar nicht anwesend waren. Napoleon wusste sehr wohl, wie man Macht inszeniert und den Leuten eine Geschichte in die Kรถpfe setzt, die sie nur zu gern glauben. Ein bisschen Tricksen und Fรคlschen eingeschlossen.
Napoleon unfรคhig zu echter Liebe?
Natรผrlich ist man da gespannt auf die Frauen in Napoleons Leben, dem Mann, dem manche Zeitgenossen attestierten, dass er eigentlich nicht fรคhig wรคre, seine steife Hรผlle mal fallen zu lassen und Frauen wirklich zu lieben. Ein machtbewusster Typ, der sich nicht verwundbar machen mรถchte.
Aber augenscheinlich war er zur Liebe dennoch fรคhig und selbst zu Groรherzigkeit, denn er trennte sich zwar immer wieder auch von Frauen, die ihr Herz an ihn gehรคngt hatten โ verstieร sie aber nicht wirklich, sondern blieb in Kontakt, arrangierte Ehen mit seinen Gefolgsleuten. Mit Dรฉsirรฉe Bernadotte brachte es eine frรผhe Liebe sogar zur Kรถnigin von Schweden und zur Grรผndung einer richtigen Dynastie, die Napoleon sowohl mit Josรฉphine, der โKaiserin der Herzenโ, als auch mit Marie Louise, der รถsterreichischen Kaisertochter, versagt blieb.
Napoleon und die Frauen โ eine Sache fรผr sich
Aber Vongries erzรคhlt nicht einfach nur die Leben dieser Frauen, sondern versucht auch ihren Charakter zu beschreiben, ihre Stรคrken und ihre Aktivitรคten im Umfeld Napoleons. Denn in der รผblichen Geschichtsschreibung kommen sie ja fรผr gewรถhnlich nur als schmรผckendes Beiwerk vor, selten als selbstbewusst agierende Persรถnlichkeiten, die dem umtriebigen Kaiser durchaus ebenbรผrtig waren.
Nur wird eben auch deutlich, wie eng der Radius der Frauen in dieser Zeit tatsรคchlich war โ auch der hochadligen. Selbst der Code Napoleon รคnderte an dieser dem Mann untergeordneten wirtschaftlichen Stellung der Frau nicht viel. Ein Gesetzeswerk, das man ja gern als enorme Liberalisierung der damaligen Welt betrachtet.
Aber die Denkweise, Frauen hรคtten sich um Heim und Kinder zu kรผmmern und kein selbstverstรคndliches Recht auf Bildung, eigenes Geld und Mรผndigkeit, die hielt sich noch lange โ in den Kรถpfen einiger Mรคnner bis heute. So betrachtet war Napoleons Verhรคltnis zu den Frauen fรผr seine Zeit durchaus auch modern und aufgeschlossen. Was freilich nicht ausschloss, dass er einige der klรผgsten und selbstbewusstesten Frauen als Gegnerinnen hatte.
Dem Imperator die Stirn bieten
Mit Kรถnigin Luise von Preuรen und Anne Louise Germaine Staรซl-Holstein kommen zwei dieser Frauen ins Bild โ und damit natรผrlich auch der letztlich genauso wie Napoleon in der Franzรถsischen Revolution geborene Anspruch der Frauen auf Gleichheit und Schwesterlichkeit, der bis heute in immer neuen Emanzipationsbewegungen ausgefochten wird, weil in manchen Mรคnnerschรคdeln bis heute die Vorstellung sitzt, Frauen seien nicht gleichwertig.
Und so musste sich Napoleon gefallen lassen, dass es auch Frauen waren, die รผber ihn und seine Zeit schrieben in bis heute vielgelesenen Erinnerungen โ Laure Adelaide Junot genauso wie Claire รlisabeth Jeanne Rรฉmusat. Nach dem Tod des groรen Imperators hat er keine Macht mehr รผber die Bilder seines Regierens, auch wenn die alten Propaganda-Bilder natรผrlich fortwirken.
Bis hin zu der Frage, inwieweit Frauen seine Siege und Niederlagen beeinflussten, wenn schon nicht sein Agieren selbst. Natรผrlich erinnert Caroline Vongries auch an Maria Waleska, Napoleons polnische Liebe. Aber ihr Schicksal macht mehr als deutlich, dass ihr Geliebter nie wirklich das Interesse der Vรถlker im Sinn hatte โ auch nicht das der Polen, denen kurzzeitig ein Herzogtum Warschau vergรถnnt wurde, bevor Napoleon meinte, er mรผsse auch noch den Zaren in Russland besiegen. Was ja bekanntlich der Anfang vom Ende seiner Siegeszรผge war.
Machtbewusstsein, Dreistigkeit, Fehleinschรคtzung
Aber im Scharfsinn der Frauen wird eben auch mancher Persรถnlichkeitsfehler Napoleons sichtbar โ und damit auch ein fataler Zug, der sich durch alle modernen Diktaturen zieht bis heute: Seine Unfรคhigkeit, die Entwicklungen anders zu denken als von einem sicheren Sieg aus.
Da รผbersieht man ja oft, wie viele seiner gewonnenen Schlachten an einem Haar hingen, von Zufรคllen begรผnstigt waren und von seiner damals durchaus neuen und unberechenbaren Art, den Sieg auch mit echten Hasard-Entscheidungen zu erzwingen.
Natรผrlich wird man so auch Konsul und kann sich zum Kaiser krรถnen โ und einen Teil der Gesellschaft fasziniert es immer, wenn ein Mann alle Normen bricht und sich einfach nimmt, wovon er glaubt, dass es ihm zusteht oder herrenlos auf dem Boden liegt.
Unsere heutige mediale Berichterstattung lebt noch immer von diesem Mythos und tut sich unheimlich schwer, Politik anders zu zeichnen, mit mehr Facetten und in der ganzen Komplexitรคt der widerstreitenden Interessen.
Die Droge Macht
Zumindest einige Groรkommentatoren tun immer noch so, als ginge das nicht ohne den starken Kerl, der auf den Tisch haut und sagt, wo es lang geht. Dabei ist Napoleon ein exemplarischer Fall, was den Feldherrn betrifft, der immer wusste โwo es lang gingโ und dafรผr groรe und kleine Armeen verheizte und sich von der โGeliebtenโ Frankreich nur zu gern 500.000 stramme Kinder schenken lieร, die er mit Tornister und Gewehr in die nรคchste Schlacht jagen konnte.
Aber Macht ist wohl die grรถรte Droge, die man Mรคnnern unter die Nase halten kann. Und die grรถรte Gefahr fรผr jede friedliche Gesellschaft.
So gesehen ist ja gerade Germaine de Staรซl aber, die mitten in Napoleons Triumphzeiten ausgerechnet das frisch eroberte Deutschland in โDe lโAllemagneโ als Gegenbild zum imperialen Frankreich entdeckte und die Formel vom โLand der Dichter und Denkerโ in die Welt setzte, diejenige, die den Ruhm des Machtbesessenen am klarsten durchschaute.
Eine andere Weltsicht โ ohne pompรถse Machtdemonstration
Und nicht nur seinen. Gerade im Dichterstรคdtchen Weimar entdeckte sie eine vรถllig andere Mรถglichkeit, die Welt zu denken. Dass sie dabei einem Trugschluss aufsaร, stellte ja spรคter schon Heinrich Heine fest. Aber auch Imperatoren brauchen ein Gegenbild, die Erzรคhlung einer Gesellschaft, die ihre Grรถรe eben nicht in Militรคr und Machtgehabe sieht (heute ja bekanntlich immer noch der โStolzโ ganzer Nationen), sondern in Bildung, Respekt und Weltoffenheit.
Was dann deutlich mehr ist als die Selbstbehauptung der Frauen an der Seite eines Mannes wie Napoleon, die die ihnen mรถgliche Spielrรคume nutzen. Aus ihrer Perspektive ist dieser Kaiser nicht die Bohne widersprรผchlicher als die meisten Mรคnner unserer Zeit. Mit der Adoption von Josรฉphines Kindern ging er durchaus weiter, als es viele andere Mรคnner an seiner Stelle getan hรคtten. Andererseits betrachtete er weibliche Familienangehรถrige immer auch als Teil seine Machtspiele.
Frauen als Teil von Napoleons Kaleidoskop
Es ist tatsรคchlich ein kleines Kaleidoskop der Welt um Napoleon herum, das Caroline Vongries anhand der Frauen erzรคhlt, die ihm wirklich nahe waren oder eben โ wie Luise von Preuรen und Germaine de Staรซl โ auf eine Weise Paroli boten, die auch die Zeitgenossen bestaunten. Mut kann man all diesen Frauen nicht absprechen. Sie waren ganz gewiss keine Heimchen am Herd, waren oft unternehmungslustiger und aktiver, als es vielen Frauen in dieser Zeit รผberhaupt mรถglich war.
Und sie hatten alle Charakter. Das ist sogar das Bewegendste an diesen Geschichten, die wie eine schรถne, reich bebilderte Einfรผhrung zu lesen sind in den weiblichen Teil der Napoleonischen Geschichte. Denn auch wenn es meist seine Marschรคlle und die gegnerischen Generรคle und Fรผrsten sind, die das historische Tableau bevรถlkern: Schon diese sinnenfreudige Auswahl zeigt, dass es ohne starke Frauen auch keinen Napoleon gegeben hรคtte.
Dass also auch dieses Kapitel der Geschichte ohne Frauen kaum zu erzรคhlen ist. Nur stecken sie leider mehrheitlich in der Belletristik fest, wรคhrend Historiker gern so tun, als brรคuchte es schon die Epauletten eines Generals, um von ihnen รผberhaupt erwรคhnt zu werden.
Caroline Vongries Napoleon und die Frauen, Buchverlag fรผr die Frau, Leipzig 2021, 9,95 Euro.
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