Leipzig war immer ein ziemlich hartes Pflaster für Autoren. Deswegen gibt es hier auch so wenige Dichtergedenkstätten. Eigentlich nur eine – in Gohlis das Schillerhäuschen. Schöne Erinnerung an Schillers freudigen Kurzurlaub in Leipzig. Ansonsten hängen nur eine Menge Gedenktafeln an diversen Fassaden. Da lebte dann – meist für kurze Zeit – ein berühmter Dichter. Aber man kann trotzdem auf den Spuren der Fleißigen wandeln. Hagen Kunze hat jetzt einfach mal zwei Spaziergänge draus gemacht.
Einen großen mit 8 Kilometer Laufweg und einen kleinen mit 4 Kilometer. Der eine ist auch Teil des anderen. Und es geht vor allem durch die Innenstadt und das Grafische Viertel. Manchmal hängt auch gar keine Tafel da, weil auch das Gebäude verschwunden ist – Kriegsverlust in der einen Hälfte, lustvoll abgerissen von Leipziger Investoren in der anderen Hälfte.Denn auch Kunze kann nur feststellen: So richtig geschichtsbewusst waren die Leipziger bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nicht. Da musste erst Gustav Wustmann kommen und ihnen erzählen, dass es mehr gab als die Nibelungen.
Und am Ende ist es immer so: Reich wurde man als Dichter in Leipzig nie. Wenn man Schwein hatte, fand man eine Hauslehrerstelle. Sonst hieß es: wandern. Abwandern. So wie Seume und Klopstock, denen man auf Kunzes Rundgang genauso begegnet wie Lessing (dessen „Hamburgische Dramaturgie“ in Leipzig ihre Wurzeln hat, schreibt Kunze), Fontane und Gerstäcker … Na gut: Gerstäcker lässt Kunze aus. Es ist kein Komplettrundgang.
So etwas hat zuletzt Otto Werner Förster 2011 mit seinem Band „… daß ich in Leipzig glücklich seyn werde …“ versucht, kompakt auf die Innenstadt beschränkt.
Liebeskummer und Skandale
Denn natürlich waren viel mehr hier an der Pleiße, als man so landläufig im Kopf hat. Und natürlich war es geschwindelt, dass alle wegen Geld- und Job-Mangels wieder abwandern mussten. Der junge Goethe verließ das schöne Leipzig ja wegen Liebeskummer und gebrochenem Herzen, auch wenn er das so explizit in „Dichtung und Wahrheit“ nicht gesagt hat.
Erich Kästner wurde mehr oder weniger von der Leipziger Skandalgesellschaft vertrieben (weil er mit einem Gedicht die heilige 9. Sinfonie von Beethoven beleidigt haben soll) und Hans Mayer und Ernst Bloch wurden von einer grantigen Staatspartei vertrieben.
Eigentlich genauso wie Erich Loest, der dann nach der „Wende“ wiederkam und für gewisse Zeit zum gern gefragten Gewissen der Stadt wurde. Hagen Kunze erwähnt ihn als berühmtesten Studenten des Leipziger Literaturinstituts, zu dem er einen kleinen Abstecher macht – also zum alten Literaturinstitut, zu dessen ersten Studenten Loest gehörte. Wobei er ausgerechnet Loest vergisst zu erwähnen, wenn er am Peterssteinweg den Prachtbau einer großen Leipziger Tageszeitung besucht.
Bei der arbeitete Loest nämlich auch, genauso wie Bruno Apitz, den Kunze hier erwähnt. Und Franz Mehring, der aber nicht hierher gehört, sondern in die Rosa-Luxemburg-Straße. Der eine für seinen Roman „Nackt unter Wölfen“ berühmt, der andere zum Beispiel durch „Die Lessing-Legende“.
Natürlich gehört zu so einem Rundgang auch die Erwähnung Casanovas, der hier nicht nur für ein Liebesabenteuer Station machte, sondern dessen Memoiren hier auch erstmals gedruckt wurden. Logisch, dass man unterwegs auch einigen Verlegern und Druckern begegnet. Und auch nur freundlich Durchreisenden wie Kafka oder Rilke.
Und natürlich auch Frauen, ohne die Leipzigs Literaturwelt schlicht nicht vollständig ist – Louise Otto Peters zum Beispiel und Lene Voigt. Und natürlich Autoren, die in Leipzig studierten und dann was draus machten – Christoph Hein etwa, Ralph Giordano, Uwe Johnson oder Christa Wolf.
Leipzig ein bisschen anders sehen
Natürlich kann das nur eine Auswahl sein. Eine bunte, aber zwangsläufig komprimierte. Denn natürlich fasst auch ein 2-Stunden-Rundgang nicht wirklich mehr. Irgendwann hat man nur noch lauter Namen und Zahlen im Kopf. Stadtführer wissen, dass zu viel wirklich zu viel sein kann. Und so sind das im Grunde zwei Kennenlern-Stadtrundgänge, die den Neugierigen eine Seite von Leipzig zeigen, die so oft nicht wirklich thematisiert wird.
Die Dichter/-innen verschwinden immer hinter dem Label „Buchstadt“. Obwohl die Bücher ja nichts Lesenswertes wären, steckten nicht die Texte der Dichter/-innen darin. Und regten zum Stutzen und Staunen an, zum Die-Welt-ein-bisschen-anders-Sehen.
Das wird auch Lesern oft nicht gewahr, was die richtig guten Dichter/-innen da eigentlich anrichten mit unserer Sicht auf die Welt, wenn sie wirklich mitreißend erzählen. In Büchern stecken lauter andere Möglichkeiten, die kleine und die große Welt zu sehen. Und manchmal auch schöne Sätze fürs Stadtmarketing: „Mein Leipzig tobt in mir …“ Oder so ähnlich.
Lessing sprach mal davon, dass man als Dichter gern weniger gelobt werden würde als gelesen zu werden. Aber Sie wissen ja, wie das ist mit den immer geschäftigen Zeitgenossen: „Keine Zeit!“ Immer ist irgendeine wilde Netflix-Serie wichtiger. Und so werden die meisten Bücher meistens viel zu spät gelesen – wenn die Dichter schon tot und begraben sind (auch wenn man oft nicht mal weiß, wo) und die Nicht-Belesenen schon alles vergeigt haben.
Die ganze Welt in Worten
Nicht alle Dichterdenkmäler liegen auf dem Weg, den Kunze vorschlägt – das Schillerdenkmal und das Gellertdenkmal zum Beispiel liegen etwas zu abseits. Man muss halt auswählen, wenn man so eine Route entwirft – und zwangsläufig verknappen. Und auch so wird deutlich, dass Leipzig eigentlich eine sehr profunde Literaturgeschichte hat.
Vorzeigenswert und auf jeden Fall konkurrenzfähig mit anderen deutschen Literaturstädten. Und in gewisser Weise erfährt man auf dieser Tour auch ein wenig über das Selbstverständnis der Stadt Leipzig, das sich gern so großbürgerlich gibt und hochmusikalisch.
Aber wenn man genauer hinschaut, sind es die Dichter, die auch Jahrzehnte nach ihrem Tod die besseren Geschichten aufbieten, die sich dann auch von einem gut munitionierten Stadtführer erzählen lassen: Goethe mit seinem Frosch in Auerbachs Keller, Lessing mit der Neuberin auf dem Dachboden, Seume mit seinen italienerprobten Stiefeln oder Lene Voigt, wie sie – statt sich drüber zu ärgern – die vielen Leipziger Baustellen zum Gedicht macht.
Mit dem Büchlein in der Tasche bekommt man schon ein ganz gutes Gefühl dafür, welche Schriftstellerinnen und Dichter die Leipziger längst fest eingebaut haben in ihr Stadtgedächtnis. Und damit in die eigene Identität.
So erzählen sie eben auch davon, wie die Leipziger sich selbst gern sehen, auch wenn das in der rauen Realität meist etwas anders ist und so mancher lebende Dichter froh wäre, wenn er wenigstens irgendeine Hauslehrerstelle bekommen könnte, damit er nicht ständig trocken Brot essen muss.
Hagen Kunze Literarischer Stadtrundgang durch Leipzig, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2021, 5 Euro.
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