Schummeln Sie ruhig dieses Büchlein in den Nikolausstiefel. Mit dem Schokonikolaus und den süßen Keksen. So klein es ist, so hilfreich wird es sein, wenn die Beschenkten anfangen, sich ein bisschen eingehender mit den Folgen eines entfesselten Zuckerkonsums zu beschäftigen – den niemand anders drosseln kann als sie selbst. Denn die Industrie, die uns überzuckerte Nahrung in rauen Mengen zur Verfügung stellt, denkt nicht mal dran, ihre Zuckerbomben zu entschärfen.
Und Bomben sind es in gewisser Weise, die wir da in uns hineinschaufeln. Nicht nur, weil sie unser Lebendgewicht explodieren lassen und die Zähne zerstören, sondern weil sie unsere inneren Organe verfetten lassen, Typ-2-Diabetes auslösen, den Körper genauso schnell altern lassen, als wenn wir Kette rauchen würden, usw.Der Spruch wird zwar immer wieder zitiert, aber selten steht er so richtig wie hier am Anfang des Buches: „Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Paracelsus, der oft Zitierte. Dem trotzdem kaum einer folgt, wenn uns Dinge süchtig machen.
Wobei ja die Sucht nur die Folge eines Aus-dem-Lot-geraten-Seins ist. Denn tatsächlich brauchen wir Zucker. Unser Körper giert nicht ohne Grund danach, wie Anja Stiller feststellen kann, wenn sie den Leser/-innen auch noch erklärt, warum es für unsere Vorfahren in der Wildnis überlebenswichtig war, vor Beginn der kalten Jahreszeit alles an Kalorien in sich hineinzustopfen, dessen sie da draußen in der Natur habhaft werden konnten.
Und in der Natur kommt freier Zucker nun einmal nicht vor. Da muss man schon eine Menge Früchte verspachteln, um auch nur auf die notwendige Ration zu kommen, die einem über den Winter hilft. Und Supermärkte mit ihren prallvoll gefüllten Süßigkeitenregalen gab es natürlich nicht.
Das heißt: Die großen Lebensmittelkonzerne zielen mit ihren offenen und versteckten Zuckeranteilen in den Fertiggerichten auf einen uralten Mechanismus, der in der Wildnis Sinn ergab, in der Überversorgungsgesellschaft aber zur Gesundheitskatastrophe wird.
Do it yourself
Aber Anja Stiller erzählt nicht nur, wie der Mechanismus funktioniert, sondern auch, woran man Zucker und Zuckerderivate auf der Produktpackung erkennt, warum Süßstoffe oft der Versuch sind, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, und warum man am besten auf natürliche Süßstoffe ausweichen sollte, wenn man sich aufrafft und beginnt, seine Nahrung möglichst wider selbst zuzubereiten. Denn erst dann hat man wirklich die Kontrolle darüber, wie viel Zucker im Müsli, in der Konfitüre und im Kuchen ist.
Dieses Zucker-Büchlein schreibt also auch frühere Buchtitel zum Zucker aus dem Buchverlag für die Frau weiter, die in manchem noch nicht so rigoros waren, weil sich natürlich auch die Forschung zum Zucker und seinen gesundheitlichen Folgen weiterentwickelt.
Was früher als tolle Alternative galt, hat sich oft genug als neue Falle entpuppt. Irgendwie ist es ja wirklich so: Am Ende landet man immer wieder bei Paracelsus und seinem unübertrefflichen Rat. Und bei der Natur, aus der wir nun mal kommen und von der wir wieder lernen können, mit unserem Körper im Einklang zu leben.
Dazu braucht es viel Disziplin. Denn vor allem Selbstbeherrschung hilft dabei, seine Ernährungsgewohnheiten umzustellen und all die fertigen Zuckerprodukte aus dem Supermarkt so weit wie möglich durch selbst zubereitete Gerichte zu ersetzen. Der Körper braucht eine Weile, sich wieder daran zu gewöhnen. Und der Kopf braucht eine Weile, dem automatischen Griff ins Leckerli-Regal zu widerstehen.
Der süße Wachstumswahn
Auf die Politik sollte man sich lieber nicht verlassen. Die kam bislang über bunte Sprechblasen mit Konzernvertretern nicht hinaus. Und nimmt auch lieber in Kauf, dass all die aus der Zuckerüberfütterung stammenden Krankheiten unser Gesundheitssystem belasten. Übrigens auch in Corona-Zeiten, denn das Übermaß an Zuckerernährung ist die Hauptursache für viele der schweren Vorerkrankungen, die Menschen auch für eine schwere COVID-19-Erkrankung anfällig machen.
Eine direkte Folge unserer Wachstumsgesellschaft, die man genau so wörtlich nehmen kann, wie sie klingt: Alles wächst – das Fett am Körper, der Energieverbrauch unserer Haushaltshilfen, die uns noch fauler und immobiler machen, die Autos, die Müllberge usw.
Das Büchlein hilft im Grunde, an einer ganz entscheidenden Stelle anzusetzen: bei uns selbst und der Aufmerksamkeit für das, was wir essen. Und meistens ist der automatische Griff zur Zuckerbombe gar kein Suchtverhalten, auch wenn es dem ähnelt. Denn man erlebt zwar einige harte Wochen, wenn man seine Ernährung umstellt – aber man kommt los von der „Droge“ Zucker.
Und gewinnt vor allem auch wieder ein neues Geschmacksspektrum. Das ist genauso wie mit der Überportionierung von Salz und all den künstlichen Aromen in den Fertigprodukten, die so stark sind, dass wir die Vielfalt unseres Essens gar nicht mehr schmecken und die Fertigwaren auch deshalb kaufen, weil sie so „deftig“ gewürzt sind.
Natürlich enthält das Büchlein dann auch wieder jede Menge Rezepte, mit denen man beginnen kann, seinen Alltag zu entzuckern und damit gesünder zu machen. Auch sättigender. Denn all die überzuckerten Fertigprodukte peitschen zwar den Insulinspiegel in die Höhe – aber dafür stellt sich oft erst gar keine Sättigung ein und viel zu schnell giert der Körper nach dem nächsten Schuss Zucker.
Eigentlich ein unmögliches Leben, das wir uns da mit all dem raffinierten Zucker antun. Dabei gibt es Möglichkeiten, aus diesem Hexentanz herauszukommen. Wenn man das Büchlein gelesen hat, weiß man, warum sich das lohnt. Und warum man auch mitten in der Weihnachtszeit damit anfangen kann.
Denn nie ist es zu früh, seinem Körper wirklich etwas Gutes zu tun. Und wenn man weiß, dass auch in Kuchen und Keksen weniger Zucker ist, vielleicht gar nur Honig oder süße Trockenfrüchte, umso schöner kann Weihnachten werden. Weil man auch nicht mehr so ein schlechtes Gewissen dem eigenen Körper gegenüber hat.
Wir brauchen die Zuckerbomben nicht. Eigentlich eine gute Nachricht. Außer für die Konzerne, die mit billigen Zuckerzugaben ihren Reibach machen – und Millionen Menschen sinnloserweise krank.
Anja Stiller Gesünder leben mit weniger Zucker, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2021, 5 Euro.
Hinweis der Redaktion in eigener Sache
Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.
Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.
Vielen Dank dafür.
Keine Kommentare bisher