Michael Mรผller hat recht, wenn er im Nachwort schreibt: โ€žFlammender Frieden ist mithin auch ein erstaunlich aktueller Roman.โ€œ Und das will schon etwas heiรŸen fรผr einen Roman, der 1944 erstmals unter dem Titel โ€žOf Smiling Peaceโ€œ in den USA erschien und jetzt erstmals auf Deutsch vorliegt. Mรผller ist Grรผndungsmitglied der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft. Aber sein Satz ist mehr als Werbung fรผr einen der markantesten Autoren (Ost-)Deutschlands.

Jetzt mal mit Absicht genau so geschrieben: (Ost-)Deutschland. Denn Heym steht wie wenige andere Autoren fรผr eine deutsche Literatur, die immer fรผr das Ganze stand und sich nicht einvernehmen lieรŸ. Nicht von hรผben und auch nicht von drรผben, auch wenn er โ€“ als รผberzeugter Kommunist โ€“ 1952 seinen Wohnsitz in der DDR wรคhlte โ€“ wie so viele Emigranten, die damals in der DDR tatsรคchlich das bessere Deutschland erhofften, einen Staat, der tatsรคchlich eine gerechtere Gesellschaft schaffen wรผrde.Ein Traum, den ja auch so viele andere linke Intellektuelle trรคumten โ€“ von Ernst Bloch bis Hans Mayer, von Fred Wander bis Anna Seghers. Im Grunde alle noch in den 1950er Jahren bitter enttรคuscht. Auch Heym, der durchaus bereit gewesen war, die SED mit pro-sozialistischen Bรผchern zu unterstรผtzen. Doch 1956 war der Bruch da, als ihm die Verรถffentlichung von โ€žDer Tag Xโ€œ รผber den Aufstand von 1953 in der DDR untersagt wurde.

Mit der Verรถffentlichung von โ€žThe Eyes of Reasonโ€œ noch 1951 in den USA hatte er ja im Grunde thematisiert, was fรผr ihn als gesellschaftliche Alternative denkbar war. โ€žAuffรคllig und keineswegs untypisch fรผr Heym ist, dass er bereits in diesem Roman dem Sozialismus nicht im klassischen marxistischen Sinne das Wort spricht, sondern ihn eher als die โ€švernรผnftigereโ€˜, weil stรคrker am Gemeinwohl orientierte Gesellschaftsalternative interpretiertโ€œ, heiรŸt es dazu auf der Homepage der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft.

Eine Vision, mit der er im Osten genauso aneckte wie im Wesen. Als der Roman in den USA erschien, hatte gerade das Kesseltreiben gegen โ€ždie Kommunistenโ€œ unter Senator McCarthy begonnen und die Heyms verlieรŸen das Land, das ihnen eigentlich Heimat geworden war.

Algerien 1942

Und โ€žFlammender Friedenโ€œ erzรคhlt in weiten Teilen davon, wie er die USA mit ihren Freiheiten und ihren Menschenrechten tatsรคchlich verehrte. Als das Buch erschien, war er selbst als Soldat der US Army in Europa im Einsatz, in einer Einheit fรผr Psychologische Kriegfรผhrung.

Die Handlung spielt in Algerien im Jahr 1942, also auf einem Schauplatz des Krieges, der auch den Amerikanern seit dem Film โ€žCasablancaโ€œ (1942) vertraut war. Seine eigentliche Hauptfigur, der Vernehmungsoffizier Bert Wolff, hat selbst schon eine Vorgeschichte โ€“ hatte aus dem faschistischen Deutschland fliehen mรผssen, hatte im Spanienkrieg mitgekรคmpft und teilt nicht wirklich den naiven Glauben der Amerikaner an das Gute im Menschen.

Nicht, nachdem er das Gesicht des Faschismus kennengelernt hat, Typen wie diesen deutschen Stabsoffizier Ludwig von Liszt, der in dieser Geschichte so etwas wie sein Gegenspieler wird โ€“ und zwar nicht nur in der Konkurrenz um die schรถne Marguerite Fresneau. In weiten Teilen griff Heym tatsรคchlich zu den Erzรคhlstrukturen des Spionageromans, kam damit dem amerikanischen Lesegeschmack natรผrlich entgegen und hatte damit auch Erfolg.

Aber eigentlich passen seine Helden und die eine Heldin nicht zu den fรผr gewรถhnlich sehr eindimensionalen Typen, die in diesem Genre sonst zu Hause sind. Weder ist Wolff ein eiskalter James Bond, noch ist Marguerite eine leicht zu erobernde Blondine, auch wenn Heym auf eine geradezu unromantische Weise auch die Mรคnner- und Frauenbilder der Zeit aufs Korn nimmt.

Und das immer wieder auch aus Marguerites Sicht, die eigentlich weniger eine femme fatale ist, als eine Frau, die ihre Beziehungen vor allem unter dem Aspekt von Macht und Einfluss wรคhlt und sich deshalb auch mit den finstersten Typen in dieser Geschichte einlรคsst. Mit dem eben โ€“ als die Deutschen noch ihre Militรคrvertretung hatten und mit dem Vichy-Regime kollaborierten โ€“ noch einflussreichen von Liszt genauso wie mit dem machtgierigen General Jules Marie Monaitre, der mit seinen eigenen Truppen sein eigenes Spiel spielt in dieser Region.

Aber auch mit dem Spitzel und Zutrรคger Jerez lรคsst sie sich ein. Und Heym verschont seine Leser/-innen nicht: Auf der vรถllig รผberstรผrzten und letztlich vรถllig dilettantischen Fahrt von Liszts in Richtung Front, wo der Agent mit dem deutschen General Nehring Kontakt aufnehmen mรถchte, taucht man direkt ein in Marguerites seltsame Gedankenwelt, in der sie fest davon รผberzeugt ist, von Liszt vรถllig zu durchschauen und durch Unterwรผrfigkeit auch abhรคngig machen zu kรถnnen.

Die Frau als Trophรคe

Was am Ende รผberhaupt nicht gutgeht und letztlich zeigt, dass man Typen wie diesen von Liszt nicht beherrschen kann. Und gerade mit diesem seltsamen Agenten in seinem GrรถรŸenwahn zeichnet Heym ein Bild des eiskalten Machtmenschen, fรผr den die Menschen in seiner Verfรผgungsgewalt immer nur entweder Befehlsempfรคnger sind oder Ballast. Und das Erschreckende ist: Heym lรคsst es seine Heldin schon frรผh bemerken.

Sie weiรŸ, mit was fรผr Typen sie es da zu tun hat. Was รผbrigens eine durchaus faszinierende Schicht in diesem Roman ist: der ernsthafte, aufmerksame, aber auch strenge Blick des Erzรคhlers auf seine weibliche Hauptfigur und ihre Rolle im Machtgefรผge der Mรคnner. Mรคnner, deren Maskerade sie eigentlich durchschaut. Auch bei diesem von Liszt, der bis fast zum Schluss die Attitรผde des Machtmenschen aufrechterhรคlt.

Und รผber den Marguerite denkt: โ€žStรคndig fรผrchten sie sich davor, unterlegen zu sein, ausgelacht und gerade von denen im Stich gelassen zu werden, die sie besonders beeindrucken wollten. Lief etwas schief, suchten sie den Fehler nie bei sich, sondern nahmen gleich an, dass ihnen ein Dolch in den Rรผcken gestoรŸen wurde. Sie gaben sich so hochmรผtig, hart und erbarmungslos, weil sie im Grunde noch nicht erwachsen waren.โ€œ

Wolff sieht ganz andere Aspekte. Aber gerade weil Heym die Geschichte immer wieder aus wechselnden Perspektiven erzรคhlt โ€“ auch der von von Liszt โ€“ ist sein Roman, der immer wieder auch die รœberraschungen, die Unรผbersichtlichkeit und die Grausamkeit des Krieges zeigt, in weiten Teilen eine Analyse jenes Charakters, den man mit gutem Recht den faschistischen nennen kann.

Und wer die oben zitierte Passage in die Gegenwart weiterdenkt, merkt, dass alles darin nach wie vor hochaktuell ist. Auch aus weiblicher Perspektive, denn eigentlich kommt Marguerite nicht wirklich los von diesen Machtmenschen, deren Brutalitรคt und Gefรผhlskรคlte sie selbst erlebt โ€“ und sich dennoch einredet, sie hรคtte Macht รผber sie, kรถnnte diese Mรคnner zum Lieben zwingen.

Wรคhrend ihr ein Mann wie dieser Wolff als viel zu weich und formbar erscheint. In diesen sehr intensiv geschilderten Szenen thematisiert Heym so eben auch die Tragรถdie der Emanzipation im 20. Jahrhundert. Denn die geht natรผrlich schief, wenn Frauen meinen, sie kรถnnten solche Mรคnner beherrschen, kรถnnten damit selbst Macht und Prestige erlangen. Obwohl auch Marguerite am Ende selbst nur zum Objekt (gemacht) wird.

Der faschistische Imperativ

Wann ist sie eigentlich sie selbst? Oder ist sie in der (gespielten) Unterwรผrfigkeit ganz sie selbst, mit der sie glaubt, diese Mรคnner hรถrig machen zu kรถnnen? Eine gewisse Bitterkeit in Heyms Erzรคhlen ist durchaus spรผrbar. Und natรผrlich auch Ratlosigkeit. Sein Roman ist auch ein groรŸangelegter Versuch zu verstehen, woher eigentlich der Faschismus kam, wie er in Deutschland diese brutalen Formen annehmen konnte.

An manchen Stellen ist es der Sergeant Shadow, der Wolff mit einfachen Wahrheiten daran erinnert, dass er selbst seine Gespenster auch nicht loswird. So wie Shadow seine Heimat Oklahoma an den Stiefelsohlen klebt, so wird Wolff das Deutschland in sich nicht los. Und nicht die deutsche Erziehung.

โ€žKant und Schiller werden einem nicht vergebens jahrelang eingetrichtert; der kategorische Imperativ und Schillers strikter Sinn fรผr moralische Verpflichtungen ergaben gleichermaรŸen brave Postbeamte wie verlรคssliche Mitglieder der Internationalen Brigaden.โ€œ

Gerade in den kalten Szenen im deutschen Hauptquartier wird sichtbar, wie leer und gnadenlos die Welt des rigorosen Befehls ist, dieses letztlich ganz und gar intellektuelle Konstrukt, dem sich Mรคnner wie von Liszt angedient haben und das allein ihrem Tun irgendeinen Sinn verlieh: โ€žSchicksal! Das Reich! All das hatte man in der Hand โ€“ und hat es vermasselt.โ€œ

Man wird geradezu mit der Nase darauf gestoรŸen, dass auch der deutsche Faschismus mit seinem GrรถรŸenwahn, seinem Rassenhass und seiner Kriegsverherrlichung vor allem eines war: das Konstrukt einer intellektuellen Elite, die aus literarischen Phrasen eine Heilserzรคhlung gestrickt hat, die mit der Realitรคt nichts mehr zu tun hatte. Und auch bis heute nichts zu tun hat. Die Konstrukte sind ja nicht aus der Welt. Und es sind wieder erzkonservative Intellektuelle, die damit auf Rattenfang gehen.

Und damit auch Erfolg haben, denn diese nicht erwachsen gewordenen Mรคnner gibt es ja noch immer. Unsere Konsumgesellschaft produziert sie ja am laufenden Band. Wenn sie dann aber im Verhรถr sitzen, entpuppen sie sich als arme Teufel aus der Provinz, die nie daran gezweifelt haben, dass man zu gehorchen und seine Pflicht zu erfรผllen hat. Eine deutsche Urerzรคhlung, die bis heute wirkt. Und die auch nach dem Ende des deutschen Faschismus funktionierte und dazu diente, die Gewissen zu entlasten.

Die รœbersetzung

Heyms Roman erschien ja nach dem Krieg nicht auf Deutsch. Er erschien auch nicht auf Deutsch, als Heym daranging, alle seine bislang nur auf Englisch erschienenen Romane zu รผbersetzen und in Deutschland herauszubringen. Ausgerechnet โ€žFlammender Friedenโ€œ blieb ausgespart, weil er Heym zu sehr als Vorlรคufer von โ€žCrusadersโ€œ (โ€žKreuzfahrerโ€œ) erschien.

Dass โ€žFlammender Friedenโ€œ in Heyms รœbersetzung ein wohl doch sehr anderes Buch geworden wรคre, thematisiert Bernhard Robben, der das Buch รผbersetzt hat. Weder lรคsst sich wirklich mit einiger Berechtigung der Stil nachahmen, den Stefan Heym im Deutschen schrieb und der sich deutlich von seinem englischen Schreibstil unterscheidet, noch lรคsst sich ausdenken, wie stark Heym noch einmal in den Text eingegriffen hรคtte, hรคtte er ihn fรผr eine Neuausgabe vorbereitet.

So bekommt man quasi mit dieser รœbersetzung auch einmal einen anderen Heym, und zwar jenen, wie er sich wohl fรผr englischsprachige Leser tatsรคchlich las und liest. Aber eben auch einen echten Heym, der nie aufgehรถrt hat, das Aufrechte im Menschen zu suchen und in seinen zum Teil hochpolitischen Romanen seine Helden immer wieder in moralische Zwickmรผhlen zu schicken, in denen sie โ€“ wie Bert Wolff โ€“ auch immerfort versuchen zu erklรคren, warum sie selbst so handeln, warum sie Skrupel haben, Gewissensbisse und Versagensรคngste.

Eigentlich alles Tugenden von aufrechten Menschen, denen immer bewusst ist, dass man in der Welt nicht handeln kann, ohne Verluste zu erleben und Niederlagen verkraften zu mรผssen.

Sie werden ihre eigenen Gespenster nicht los, zรถgern im falschen Moment โ€“ auch der eigentlich tapfere Shadow, der an seiner eigenen Verlรคsslichkeit zweifelt. Sie machen Fehler, fรผhlen sich schuldig (so wie Wolff, dem von Liszt durch die Lappen geht) und werfen sich dennoch im Ernstfall mit allem Einsatz in den Kampf.

Auf der gerechten Seite

Es ist das Handicap des mitfรผhlenden Menschen, dass er weiรŸ, dass die Dinge nie wirklich gut sind, dass die Welt nicht Schwarz/WeiรŸ ist und dass man aus einem Krieg nicht heil herauskommt. Skrupel, die die bloรŸen Befehlsempfรคnger und -erfรผller nicht haben.

Eher sitzen die dann wie blรถd vor dem Verhรถroffizier und erzรคhlen, wie sie einfach gehorcht haben und alles geglaubt haben. Und damit zur Verfรผgungsmasse derer wurden, die mit ihnen โ€ždie ganze Weltโ€œ erobern wollten.

โ€žMรคnner kรคmpften und starben fรผr kleine, belanglose Dinge, sogar fรผr Lรผgen โ€“ aber sie kรคmpften und starben besser, wenn sie verstanden, und wenn sie auf der gerechten Seite waren, auf der Seite der Zukunftโ€œ, schreibt Heym. โ€žSagamond lag genau richtig. Man musste voreingenommen sein.โ€œ

Sagamond ist ein Journalist, der in der Geschichte eigentlich nur eine kleine Beobachterrolle spielt, vom Oberbefehlshaber der Amerikaner aber ausgewรคhlt, weil er genau beobachtet und die Dinge meist aus einer unรผbersehbaren kritischen Distanz beschreibt.

Er darf auch den gutmรผtigen Amerikanern sagen, wie naiv sie sich oft verhalten, dass sie dem eisigen Kalkรผl solcher Machtspieler wie Monaitre auf den Leim zu gehen drohen. Wer immer an das Gute im Menschen glaubt, erkennt die Lรผgen nicht.

Denn was passiert, wenn die Amerikaner abmarschiert sind, der Krieg gewonnen? Spielen dann Typen wie Monaitre nicht weiter ihre dubiosen Spiele? Verfรผgen sie nicht รผber ihre Netzwerke, ihren Einfluss und ihre Erpressungsmethoden? Und jene Arroganz der Machtgierigen, die sie รผber Leichen gehen lรคsst und Partnerschaften nur eingehen lรคsst, wenn fรผr sie noch mehr Macht und Einfluss dabei herausspringen?

Da gleichen sich all die Typen, mit denen Marguerite glaubt spielen zu kรถnnen: Mรคnner, die so eine Frau nur als Trophรคe betrachten.

Feigheit und Maulheldentum

Und selbst von Liszt entblรคttert sich am Ende vor Wolff, als alle seine Plรคne gescheitert sind und er begriffen hat, dass der Traum vom Sieg der Deutschen in diesem Krieg ausgetrรคumt ist. Auf einmal hat sein ganzes Dasein keinen Inhalt mehr. โ€žUnendlich mรผdeโ€œ, erscheint er Wolff im letzten Verhรถr, als hรคtte jemand die Luft herausgelassen aus diesem nicht kleinzukriegenden Major. Denn seine ganze Stรคrke bezog er aus der Siegergeschichte des deutschen Militarismus, dieser Herrenmenschen-Attitรผde, die selbst fรผr diesen Major immer Staffage, Korsett und Rolle war.

Wolff sagt es ihm dann auch ins Gesicht: โ€žIhr ganzes Verhalten ist typisch, Ihre Feigheit am Ende das Gegenstรผck zu Ihrem Maulheldentum. Lรผge und Tรคuschung, der DolchstoรŸ in den Rรผcken, das sind Ihre Stรคrken, und erfolgreich sind Sie nur unter falscher Flagge. Oder wenn Sie an Truppenstรคrke und Material รผberlegen sind. Vor jedem Feind aber, der gleich stark und gleichermaรŸen entschlossen ist, weichen Sie zurรผck.โ€œ

Es steckt beides darin: Heyms bis heute zutreffende Analyse des faschistischen Charakters genauso wie die Ermunterung an die Seinen, die โ€žSeite der Gerechtigkeitโ€œ, sich von der martialischen Kraftmeierei der Maulhelden nicht einschรผchtern zu lassen und Paroli zu bieten. Was 1944 durchaus als Botschaft verstanden wurde.

Und Michael Mรผller weist zu Recht darauf hin, dass es diese Maulhelden nicht nur in deutschen Uniformen gab. Es gibt sie auch in zivil und auch in den USA. Heym erlebte es ja selbst noch, als die Umtriebe McCarthys begannen und die Kommunistenjagd in den USA begann. Eine Jagd mit Folgen bis heute โ€“ in der Unterschรคtzung des faschistischen Moments genauso wie in der erbitterten Jagd gegen alles Linke.

Als hรคtte es den Mahner Heym nie gegeben, der immer nach dem menschlichen Anstand gefragt hat und nach dem mรถglichen Weg in eine wirklich gerechte Gesellschaft. Und die findet man nun einmal nicht in den verbissenen Extremen und den falschen Geschichten von รœberlegenheit.

Geschlossene Deutungsmuster

Die findet man eher in dieser moralischen Verunsicherung, in der gerade dieser Bert Wolff steckt. Denn wer eine โ€žSiegergeschichteโ€œ hat, der zweifelt nicht, sondern walzt einfach alles nieder und nimmt auf menschliches Leid keine Rรผcksicht.

Wer sich aber zu den Menschen und zu ihrem Recht auf ein menschenwรผrdiges Leben bekennt, der kann sich gar nicht in โ€žSiegergeschichtenโ€œ verstecken. Der steht bei all seinen Handlungen im Zwiegesprรคch mit seinem Gewissen. Und er hinterfragt auch die โ€žgerechte Seiteโ€œ, ob sie noch menschlich ist oder schon verkrustet in einer falschen รœberlegenheitsgeschichte.

Es ist tatsรคchlich ein hochaktueller Roman โ€“ spannend geschrieben wie ein Spionageroman. Aber all die Gesprรคche, Nachdenklichkeiten, Begegnungen, in denen Heym die Wรผrde des Menschen und die Verantwortung fรผr sein Handeln diskutiert, kann man gar nicht รผberlesen.

Und das funktioniert auch deshalb, weil Heym sich auch nicht scheut, in die Rollen der dunklen Gestalten zu schlรผpfen, ihre Selbstbilder und Begrรผndungen, mit denen sie ihr egoistisches Handeln begrรผnden. Es sind โ€“ das รผberrascht ja nicht wirklich โ€“ geschlossene Deutungsmuster. Genau das, was wir heute wieder als Blasen und Bubbles erleben, geschlossene Weltbilder, die nur so lange funktionieren, bis sie an der Wirklichkeit scheitern.

So, wie es diesem von Liszt am Ende geht, wo er Wolff fรผr einen kurzen Moment Einblick gewรคhrt in seine kurz aufwallende Verzweiflung, dass das Mantra vom โ€žVolk ohne Raumโ€œ eine Schimรคre war. Aber man ahnt schon: Der Typ wird sich gleich wieder verschlieรŸen wie eine Auster und sich spรคter darauf herausreden, dass er immer nur Befehle befolgt hat, seine Pflicht getan hat, wie es ihm in der Schule beigebracht wurde.

Als hรคtte Heym schon รผber das Ende des Krieges hinausgeschaut, das ja 1943, als er an dem Roman schrieb, noch lรคngst nicht zu sehen war. Aber er kannte seine Deutschen, wusste, wie sie tickten und sich herausredeten, wenn es um die eigene Verantwortung ging. Und diese Geschichten, in denen sich die Menschenverachtung einschlieรŸt, sind nicht verschwunden. Deswegen wรคre vielleicht der Titel โ€žVom lรคchelnden Friedenโ€œ nicht ganz so falsch gewesen.

Denn es klingt auch dieser berechtige Zweifel mit, ob es danach tatsรคchlich leichter und einfacher wird und das Lรคcheln des heraufziehenden Friedens nicht sogar tรคuscht, weil doch wieder machthungrige Mรคnner mit Profilierungszwang anfangen, Fronten und Feinde zu erfinden โ€ฆWomit eigentlich das 20. Jahrhundert ganz gut erfasst ist. Der Anfang des 21. Jahrhunderts auch. Ein hochaktueller Roman. Mรผller hat recht.

Stefan Heym Flammender Frieden, C. Bertelsmann Verlag, Mรผnchen 2021, 24 Euro.

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