Seit dem 14. Oktober zeigt die Kustodie der Universität Leipzig die schon zweimal verschobene Ausstellung „Max Klinger und die Universität Leipzig. Das verlorene Aulabild im Kontext“. Eigentlich hätte sie schon 2020 gezeigt werden sollen, 100 Jahre nach Klingers Tod. Denn nichts zeigte die ganz besondere Beziehung der Universität zu Klinger eindrucksvoller als dessen riesiges Wandbild „Die Blüte Griechenlands“ in der Aula des Augusteums.

Beides ist Kriegsverlust. Wobei das beim Augusteum nicht ganz zutrifft, denn dieser Universitätsbau nach den Entwürfen Arwed Roßbachs von 1897 war zwar von Bomben stark zerstört, hätte aber durchaus auch wieder aufgebaut werden können. Doch im Zusammenhang mit der Sprengung der Paulinerkirche 1968 wurde auch das Augusteum gesprengt.

Natürlich erzählen die Ausstellung genauso wie dieses zur Ausstellung vorgelegte Buch auch die Geschichte des Roßbachschen Universitäts-Umbaus, der das von Albert Geutebrück 60 Jahre zuvor geschaffene Universitätsensemble am Augustusplatz noch deutlich repräsentativer machte. Hier zeigte eine international renommierte Landesuniversität, welche Bedeutung sie sich selbst zumaß. Und auch, in welche große Tradition sie sich einordnete. Und nichts brachte das eindeutiger auf den Punkt als das riesige Wandbild, das Max Klinger für die Aula malte.

Obwohl es dazu beinah nicht gekommen wäre, denn den Auftrag für das Bild hatte Klinger schon in den 1890er Jahren bekommen, gleich nach Fertigstellung der neuen Roßbach’schen Aula. Doch jahrelang konnte er weder eine Skizze, noch eine Idee vorlegen. Bis das Auswahlkollegium sich schweren Herzens entschied, einen anderen Künstler zu suchen, der das Aulabild bis zum bevorstehenden 500. Jahrestag der Universitätsgründung 1909 würde fertigstellen können.

War Klinger nur mit zu vielen Aufträgen eingedeckt? Wollte er nicht? Konnte er nicht?

Ein konzertiertes Stück Universitätsgeschichte

Dieser Band ist tatsächlich eine kleine, konzertierte Forschung nicht nur zu einem Bild, sondern auch zu seiner Umgebung, den handelnden Personen und damit auch dem Geist dieser Universität um 1900 und vor allem einigen ihrer namhaften Vertreter. Denn diese bestimmten nicht nur, was da in der Aula als Bild hängen sollte. Mit einigen dieser bis heute berühmten Professoren war Max Klinger befreundet. Ihnen sind in diesem Band eigene Porträts gewidmet – so dem Psychologen Wilhelm Wundt, dem Historiker Karl Lamprecht und dem Kunsthistoriker August Schmarsow.

Mit Franz Studniczka kommt auch jener Archäologe ins Bild, der damals den modernsten Forschungsstand seiner Disziplin verkörperte und mit Klinger auch im Zusammenhang mit seinem Aulabild in reger Diskussion war. Hans-Peter Müller zeigt in seinem Beitrag, wie sich auch Klingers bildhauerisches Schafen in diese moderne Antikerezeption einordnete.

Und „Die Blüte Griechenlands“ zeigt natürlich genau diesen modernen Antike-Bezug. Gerade der ausführliche Beitrag von Conny Dietrich zur Entstehung und Gestaltung des riesigen Bildes geht dann ins Detail und macht sichtbar, wie das Bild im Grunde den zentralen Kern des damaligen humanistischen Bildungskanons sichtbar macht – mit dem das Publikum bannenden Geschichtenerzähler Homer, den maßgebenden Philosophen Platon und Aristoteles, dem herbeistürmenden Alexander dem Großen, der in gewisser Weise zum Schutzpatron der Wissenschaft wird.

Und nicht zu vergessen der jungen Frau in der Bildmitte, die Züge von Klingers Geliebter Elsa Asenijeff trägt, der in diesem Band Rita Jorek ein ganzes Kapitel widmet.

Das Bild einer modernen Universität

Und natürlich wird auch und gerade in dieser intensiven Beziehung Klingers zu der emanzipierten Frau, die selbst Vorlesungen bei Wilhelm Wundt hörte, seine eigene Persönlichkeit deutlicher. Womit freilich auch ein geistiges Leipzig Konturen gewinnt, das es so in den historischen Arbeiten zum Leipzig im späten 19. Jahrhundert eher selten gibt.

Denn hier wird ein modernes Leipzig sichtbar, das auch schon Züge der Emanzipation und der Weltoffenheit trägt. Und damit auch ein universitäres Selbstverständnis, das Rudolf Hiller von Gaertringen in seinem Beitrag zu fassen versucht. Ein sehr modernes, das sich selbst in der Überwältigung zeigt, die das Klingersche Bild in seiner Farbenpracht dann in der Aula zeigte.

Irgendwann um 1904 muss Klinger die entscheidende Idee zu einem solchen Bild gehabt haben, sodass er dem Kollegium der Professoren 1905 einen Entwurf zeigen konnte, der sofort überzeugte, obwohl er deutlich mit den herrschenden Kunstströmungen des damaligen Deutschen Reiches brach. Es war nicht nur Mut, der die Professoren dazu trieb, sich jetzt doch für Klinger zu entscheiden. Sie zeigten damit auch ein Selbstbewusstsein, das auch so manche der Autoren dieses Buches verblüfft. Damit hatten sie nicht wirklich gerechnet.

Glück für dieses ganz besondere Forschungsprojekt: Es gibt noch genug hochwertige fotografische Reproduktionen, sodass das 1943 vollkommen verbrannte Bild heute noch gezeigt werden kann – wenn auch nicht im riesigen, 20 Meter langen und 4 Meter hohen Original. Und natürlich auch nicht mehr in der ehrwürdigen Aula, in der es über 30 Jahre lang über den Köpfen der Versammelten prangte.

Die Liebe zur Wissenschaft

Im Grunde zeigen sowohl Buch wie Ausstellung ein Stück Leipziger Universitätsgeschichte, das im 20. Jahrhundert fast völlig vergessen und verschwunden war, überblendet von eher eindimensionalen Ideologien, die sich nicht mehr in der Tradition des griechischen Humanitätsideals sahen. Ein Ideal, das nicht nur zu Klingers Zeit sehr modern wirkte. Auch das wird in den Analysen des Bildes deutlich, dass vieles von dem, zu dem sich ja mit der Auftragsvergabe an Max Klinger auch die Hochschulleitung bekannte, bis heute Gültigkeit hat.

Bis hin zur Emanzipation der Frau, die ja mit der Gestalt Elsa Asenijeffs ganz zentral in dem Riesenbild platziert war. Und die damit auch mehr verkörperte als die Liebe des Künstlers zu dieser selbstbewussten Frau. Denn sie verkörpert ja in gewisser Weise auch die Gestalt der Alma Mater selbst, und damit auch die Liebe zur Wissenschaft. Das Riesenbild fand bei seinen Auftraggebern vehemente Zustimmung. Das verblüfft die Autoren teilweise bis heute.

Und es erinnert eben auch daran, dass auch in diesem Wilhelminischen Deutschland von 1909, als Klinger das Bild nach knapp dreijähriger Arbeit vollendete, mehr steckte als das nationalistische Säbelrasseln, das dann auch das Ende des Wilhelminischen Deutschlands bedeutete.

So gesehen ist dieses Buch zur Ausstellung für sich eine gelungene historische Recherche rund um ein Bild, das im Original nicht mehr existiert und auch in dieser Form für etwas steht, was im Gedächtnis der Universität immer unterschwellig existierte, aber über mehrere Generationen regelrecht verbannt und verschüttet war.

Rudolf Hiller von Gaertringen; Conny Dietrich Max Klinger und die Universität Leipzig, Passage Verlag, Leipzig 2021, 17,50 Euro.

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