Auch Verlagsprogramme ändern sich nach und nach, wenn sich das Interesse der Leser/-innen verändert und – zum Beispiel – das Thema Klimaveränderung auch Bereiche erfasst, die noch vor kurzem eine heile Welt schienen. Jedenfalls keine, um die man sich sorgen musste. Das große Waldsterben seit 2018 hat nun auch vielen erst richtig bewusst gemacht, wie sehr wir auf die Leistungsfähigkeit gesunder Wälder angewiesen sind. Zeit für ein kleines Baum-Buch.
Quasi als Einstiegsbüchlein für alle, die an den grünen Riesen an unseren Straßen, in Parks und Wäldern bislang immer nur achtlos vorübergegangen sind. In einem kleinen Plädoyer für den Wald listet Katrin Pieper auf, was (gesunde) Wälder alles für uns tun, wie sie für uns Erholungsort für Geist und Seele sind, Wasser speichern, Schatten spenden, Sauerstoff produzieren und den Boden bewahren. Alles Dinge, die wir eigentlich seit Jahrhunderten wissen. Sie stehen sogar als Sinnspruch an einem Forsthaus in Niedersachsen.Aber Menschen können Dinge wissen – und sich im Alltag und Wirtschaften trotzdem so verhalten, als wäre alles ganz anders. Als könnte man Wälder einfach in Plantagen verwandeln, die in Höchsttempo Holz liefern, keine Artenvielfalt beherbergen, unter Hitzestress leiden und sich nicht mehr selbst regenerieren dürfen.
Denn können tun sie schon. Aber nur 0,6 Prozent der Wälder in Deutschland werden von Förstern und Bewirtschaftern in Ruhe gelassen. In den restlichen Wäldern herrscht das Diktat der Ökonomie. Mit mittlerweile unübersehbaren Folgen.
Die Hybris des wirtschaftenden Menschen
Doch es ist wie mit allen anderen industriellen Lobbyverbänden auch: Die deutsche Forstlobby hat mehr Einfluss auf Gesetzgebung und Politik als sämtliche Naturschutzverbände zusammen. Sie hat das Primat der Forstbewirtschaftung in sämtliche Waldgesetze gedrückt. Es steckt auch in den Köpfen sämtlicher Entscheider, die auch nach drei Jahren Dürre und immer größeren Sturmschäden meinen, dass man Wälder bewirtschaften muss und Forstwirtschaftspläne der einzige Weg sind, Wälder in Ordnung zu halten.
Ein klassischer Fall menschlicher Hybris, der freilich mit zunehmender Trockenheit und steigenden Temperaturen und immer häufigeren Extremwetterereignissen an seine Grenzen kommt. Man „experimentiert“ jetzt mit Mischwäldern und importierten, möglicherweise stressresistenteren Baumarten. Was davon erzählt, dass die deutschen Forstverwaltungen nicht mal ansatzweise darauf vertrauen, dass die Natur in der Lage ist, aus eigener Kraft Wälder wachsen zu lassen.
Wer aber hat dann eigentlich die Bäume erfunden, könnte man fragen? Ein hochgebildeter Forstwirt in seiner Experimentierplantage?
Nur langsam bröckelt diese manifeste und zumeist auch von Profitinteresse getriebene menschliche Sicht auf den Wald, der in Deutschland nun einmal in den seltensten Fällen ein Wald ist, sondern ein Forst – eine Plantage in Reihen gepflanzter gleichartiger Bäume, in der es nicht um ein lebendiges Biotop mit möglichst großer Resilienz und Artenvielfalt geht, sondern um Erträge. Möglichst schnell, möglichst hoch.
Die Kraft der Bäume
Und dabei haben wir sogar zu den wichtigsten Bäumen in unserer Landschaft ganz andere, sehr emotionale Beziehungen mit einer großen alten Mythologie und einem nicht wirklich vergessenen Wissen über die Heilkraft der Blätter, Früchte und Rinden.
Katrin Pieper stellt in diesem Bändchen die 15 wohl bekanntesten heimischen Bäume vor. Was sicher so manchen heutigen Stadtbewohner verblüffen wird, weil es so viele sind. Und dabei sind es tatsächlich nur die markantesten, die einem auch in städtischen Straßen und Parks begegnen. Manchmal wie Störenfriede behandelt werden wie der Ahorn, der sich meistens da am wohlsten fühlt, wo der Mensch alte Waldstrukturen mit Axt und Säge zerstört hat.
So nebenbei erfahren die Leser/-innen natürlich auch, warum manche Bäume solche scheinbaren Vorteile haben, die aber in der Natur ganz normal sind: Den ersten Baumsiedlern – wie Ahorn und Birke – folgen erst später all jene berühmten Arten, die Wälder tatsächlich erst stabil, artenreich und leistungsfähig machen.
Wenn der Mensch mit Harvester und Säge eingreift, unterbricht er in der Regel über Jahrhunderte entstandene Entwicklungsprozesse, setzt den Wald wieder auf Null, oft begleitet von einer Zerstörung der Bodenfauna, die bei Hitze und fehlendem Regen kaum wieder regeneriert werden kann. Ein Punkt, an dem man merkt, wie die heutige komplette Ökonomisierung der Welt mit dem menschlichen Allmachtswahn aufs Engste verknüpft ist. Von der Respektlosigkeit vor der Natur, die erst unsre Lebensbedingungen schafft, ganz zu schweigen.
Das Wort für Welt ist Wald*
Und so lernt man mit Katrin Pieper die 15 bekannten Baumarten erst einmal kennen, die unsere Landschaft prägen und teilweise eine immense Rolle in unserer Geschichte spielten, so wie die Buche, deren Name nicht zufällig mit den Worten Buch und Buchstabe zusammengehört.
Andere Bäume wie Eiche und Esche sind fester Bestandteil der Mythologie und erzählen damit auch von den intensiven Weltbeziehungen unserer Vorfahren, für die Bäume nicht nur Lebensgrundlage und Baumaterial waren, sondern auch ein sinnstiftendes Bild der Welt, in der sie lebten. Linden, Tannen und Ulmen sind gar nicht wegzudenken aus der Erinnerung des Landes, aus der Literatur schon gar nicht. Dichter greifen immer wieder auf Baummotive zurück.
Und auch in Büchern des Buchverlags für die Frau haben aufmerksame Leser/-innen schon nachschlagen können, welchen reichen Schatz an essbaren Früchten und medizinischen Wirkstoffen die heimischen Bäume bieten. Jeder der hier vorgestellten Bäume hat seine besonderen Stärken, jeder wird kurz und knapp porträtiert, bevor er auch sein Kapitelchen zum „Nutzen“ bekommt, in dem dann logischerweise der bisher propagierte wirtschaftliche Nutzen steckt.
Man ahnt, wie sehr die Interessen der Forstwirtschaft unser Bild vom Nutzen eines Baumes prägen. Als säße die Idee seiner Verwertung als Bauholz, Tisch, Diele oder Feuerholz schon eingeschrieben in die mächtigen Stämme, in denen Tonnen von Kohlenstoff gebunden sind.
Zum Glück gibt es aber auch noch die Imker, die blühende Kastanien als Bienenweide verstehen. Und Menschen, die den Schatten der Blätterdächer zu schätzen wissen, die Kühlung und den Sauerstoff. Und Gärtner, die wissen, wie wertvoll Laubstreu ist. Von der Freude der Landschaftsgärtner an der Optik gesunder Bäume ganz zu schweigen.
Kleine Texte erzählen, was über die Bäume an naturheilkundlichem Wissen bekannt ist und wie die Bäume und ihre Früchte noch weit bis ins 20. Jahrhundert auch zur Nahrungsgrundlage der Menschen gehörten. Denn nach jedem großen Krieg gehen die Menschen in die Wälder und suchen dort essbaren Ersatz für all das, was die kriegszerstörte Landwirtschaft nicht mehr liefern kann. Das Kapitelchen zur Mythologie schließt dann jedes Baumporträt ab, dem natürlich – wie beim Buchverlag für die Frau üblich – auch jedes Mal kleine Rezepte beigegeben sind.
Gestresst durch Globalisierung und invasive Arten
Nur dass es eben eher Rezepte für Tees, Knospen-Salate und Bucheckern-Pesto sind als die sonst üblichen ganzen Hauptmahlzeiten. Denn das unterlässt Katrin Pieper auch nicht zu erwähnen, auch bei dieser Nutzung der Bäume sehr Acht zu geben darauf, die Bäume nicht zu schädigen. Längst dürfte klar sein, dass jeder einzelne Baum geschont und behütet werden muss in unserer Zeit, in der wieder einmal Forstlobbyisten meinen, ausgerechnet sie hätten die richtigen Rezepte gegen das Waldsterben. Obwohl es noch immer die alte, von Verwertbarkeit getriebene Sicht auf Forst ist.
Die meisten der hier porträtierten Bäume haben natürlich auch eine große, weltweite Artenfamilie. Zum Glück, muss man sagen. Denn so überleben wenigstens einige aus diesen Familien, die etwas besser mit Miniermotten, Borkenkäfern, Wassermangel und Hitzestress umgehen können. Manche einst landschaftsprägende Arten sind ja schon bei früheren Plagen aus unserer Welt verschwunden.
Etwa durch den Ulmensplintkäfer. Aber auch das war in den seltensten Fällen der „Lauf der Natur“, sondern Folge blinden menschlichen Handelns, indem alte, stabile Waldstrukturen zerstört wurden oder/und neue, invasive Arten eingeschleppt wurden, die das sensible Gleichgewicht unserer Wälder zerstört haben.
Gelernt haben wir, wie es aussieht, nicht wirklich viel daraus. Man experimentiert weiter, statt den wirklichen Anstand zu haben, den Wald in seiner Gänze nach und nach wieder Wald sein zu lassen und nicht immer nur als Holzvorratsspeicher zu behandeln.
Untertan oder Fürsorge?
Das Büchlein ist im Grunde ein feines, kleines Kennenlernangebot, mit dem man auch Kindern einen Zugang geben kann zur unbekannten Welt der Bäume. Wenn aus Bäumen erst einmal Pappeln, Linden und Weiden werden, ist der erste Schritt getan, die Neugier der Kleinen auf die Vielfalt unserer lebendigen Umgebung zu wecken. Nennt die Dinge beim Namen, könnte man sagen.
Frei nach der ersten Aufgabe, die auch Adam in der Bibel bekam. Das ist ein völlig anderes Untertanmachen, als es uns von Waldverwertern gern erzählt wird. Obwohl ja auch dieses hebräische Wirt „kabasch“ mit Untertanmachen falsch übersetzt ist, sondern eher mit urbar machen oder gar Fürsorge übersetzt werden müsste, worauf auch Wikipedia hinweist.
Man merkt schon, wie falsche Bibelübersetzungen auch Teil unseres falschen Denkens über die Verfügbarmachung der Welt geworden sind. Die Fürsorge ist dabei fast verschwunden. Wir gehen nicht fürsorglich um mit unseren Lebensgrundlagen. Aber wir stehen an dem Punkt, an dem wir das schleunigst lernen sollten, sonst war es das mit diesem „König auf Erden“, der sich benommen hat wie die Axt im Walde.
Katrin Pieper Bäume. Grüne Wunder, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2021, 5 Euro.
*) Ein Roman von Ursula K. LeGuin von 1972.
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