Aus technischen Gründen kommt dieses Büchlein schon etwas früher auf den Markt als vom Verlag geplant. Eigentlich sollte es erst 2022 kommen. Es ist die Fortsetzung von Reinhard Münchs Serie zu den verbündeten Truppen, die in Napoleons Grande Armée mitkämpfen mussten. Auch die Sachsen, die noch im Oktober 1806 auf der anderen Seite standen und mit den Preußen gegen Napoleon kämpften.
Es war so ein Moment der Geschichte gewesen, an dem alles hätte anders kommen können, wie auch im entsprechenden Wikipedia-Beitrag zur Schlacht bei Jena und Auerstedt nachzulesen ist: „Napoleon hatte jedoch die preußische Unentschlossenheit richtig eingeschätzt. Er im Gegenteil griff stets entschlossen und energisch an und koordinierte effektiv seine Armeekorps, die unter dem Befehl relativ junger kriegserfahrener Marschälle standen, mit Selbstständigkeit, Verantwortung und Engagement – das genaue Gegenteil der preußischen Generalität.“Oder – etwas früher: „Die Hauptursache ist in der Unentschlossenheit Friedrich Wilhelms III. und des Herzogs von Braunschweig zu sehen, die sich übervorsichtig und zaudernd gegenseitig die Verantwortung zuschoben und auf das Handeln des jeweils (aus eigener Sicht kompetenteren) anderen vertrauten.“
Mit dieser Niederlage endete praktisch der 4. und letzte Koalitionskrieg, in dem die zusammengeschrumpfte Koalition zu verhindern versuchte, dass Napoleon auch noch auf ihre Länder Zugriff erhielt. Auf der Seite Napoleons waren da schon die ersten Truppen aus den Rheinbundstaaten im Einsatz. Es war quasi ihre Feuertaufe und auch die Franzosen mussten erst einmal lernen, dass da neben ihnen auf einmal Truppen in fremden Uniformen kämpften. Was die Hessen schon mal in einer brisanten Situation erlebten.
Vertraglich ausgehobene Truppenkontingente
Im Grunde ist dieses Buch das Schlüsselbuch für Münchs Reihe, denn im Jahr 1806 entstand jene riesige Armee, die aus den Kontingenten der französischen Armee (200.000 Mann) und den Truppen all der Fürsten bestand, die Napoleon vertraglich Regimenter zur Verfügung stellen mussten „zum Schutz der Interessen des Bundes“. Die letztlich aber die Interessen Napoleons waren, bei denen all die kleinen deutschen Fürsten und Könige nichts mitzureden hatten.
Auch wenn sie sich – so klingt das zumindest an – geradezu stolz in den Dienst der großen Sache stellten und auf Napoleons Anforderung hin ihre Truppen aufstellten. Kurz leuchtet in den Augenzeugenberichten, die Münch zitieren kann, das Wort Konskription auf. Denn die meisten jungen Männer, die hier eingezogen wurden, kamen ganz und gar nicht freiwillig und zogen auch nicht freiwillig los, um all jene Schlachten zu schlagen, von denen dann die Balladensänger zu singen wussten: Pultusk, Eylau, Heilsberg und Friedland in diesem Zeitabschnitt, in dem Napoleon vor allem Preußen entmachtete und Russland aus dem Geschehen drängen wollte.
Weshalb dann auch noch die Belagerungen der preußischen Festungen Kolberg und Danzig eine zentrale Rolle spielen. Nun standen die Sachsen auf einmal mit den Nassauern, Polen, Württembergern und Badenern auf der anderen Seite und kämpften gegen die Preußen. Nur: Wer erzählt eigentlich? Denn auch in dieser Auswahl wird deutlich, dass die wirklichen Augenzeugenberichte rar sind. Nur die wenigsten teilnehmenden Soldaten schrieben ihre Erinnerungen später auf.
Und man merkt auch, dass sie eigentlich alle nicht darüber reflektierten, was mit ihnen da geschah und welche Rolle sie als kleine Figur in einem großen Spiel eigentlich spielten. Den französischen Soldaten ging es eigentlich nicht besser, wie man ja im Roman „Histoire d’un conscrit de 1813“ von Emile Erckmann und Alexandre Chatrian nachlesen kann, der auch auf Deutsch unter dem Titel „Ein Soldat von 1813“ erschienen ist. Meist hat man ja ein sehr „modernes“ Bild von diesem Napoleon, der irgendwie schon die Idee eines vereinten Europa und einer bürgerlichen Gesetzgebung umzusetzen versuchte.
Die Schaffung der Moderne mit kriegerischen Mitteln?
Aber seine Soldaten betrachtete auch er nur als Verfügungsmasse und Kanonenfutter. Auch wenn er etwas in ihnen aufzustacheln wusste, was es in den alten Fürstenarmeen so nicht gab: Stolz, bei dieser Truppe sein zu dürfen. Weshalb in den Berichten meist besonders erwähnt wird, wie Napoleon nach der (gewonnenen) Schlacht vor die Truppen reitet und ihre Heldentaten in der Schlacht besonders würdigt.
Auch wenn die Mutigsten davon ja in der Regel nichts hatten, denn sie waren ja zumeist in den heftigsten Kampfhandlungen getötet oder schwer verletzt worden. Und die reichlich von Napoleon verliehenen Orden der Ehrenlegion bekamen natürlich vor allem die Offiziere.
Für die einfachen Soldaten scheint es wirklich egal gewesen zu sein, für wen sie nun gerade kämpften. Sie taten, was ihnen befohlen wurde, schanzten, bauten Erdhütten, stürmten mitten in den Kugelhagel oder hielten darin aus, wenn es befohlen war. Sie plünderten, wenn es erlaubt war und schämten sich wie kleine Kinder, wenn sie dafür von oben gerügt wurden.
Sie registrierten die martialischen Verletzungen der Kameraden, die aus der Schlacht in die Lazarette gefahren wurden. Und waren am Ende froh, wenn sie mit heilen Knochen aus den Gefechten zurückkamen oder sogar nach mehreren Feldzügen noch lebendig in die Heimat zurückkehren konnten.
Eigentlich bestätigt auch dieses Buch, wie lückenhaft die Geschichtsschreibung des einfachen Volkes ist. All der Leute, die immer unter den Kriegen litten, die kein Recht hatten, zu protestieren oder den Einberufungsbefehl zu ignorieren. Und denen oft nur die Möglichkeit blieb zu desertieren, manchmal nicht einmal das. So bleiben auch die von Münch zitierten Augenzeugenberichte eher winzige Fragmente, die manchmal Stücke aus den Kriegsereignissen zeigen, die die offizielle Kriegsberichterstattung meistens lieber verschweigt.
Und während der badische Offizier Georg Satori nach der Eroberung Danzigs schreibt: „Wir erholten uns für alles Ausgestandene. Die Offiziere wurden einquartiert und gut verpflegt“, erzählt der badische Gemeine Michael Trautmann, der mit 18 Jahren konskribiert wurde, von der eher miserablen Verköstigung und Unterbringung der Soldaten – in diesem Fall in Schwedisch-Pommern.
Napoleons Verbündete mussten überall mit, wo Napoleon seine Politik mit kriegerischen Mitteln durchsetzte. Zuletzt waren es 120.000 Mann, die vor allem aus den deutschen Fürstentümern in Napoleons Armee eingegliedert wurden, berichtet Münch. Und er kann auch zeigen, wie Napoleon selbst im Grunde der Auslöser war dafür, dass auch die Truppen seiner Verbündeten modernisiert wurden und quasi mitten im Krieg lernten, ganz genauso wie die französischen Truppen zu agieren.
Für Friedrich Wilhelm und Luise
Und während in der Schlacht bei Jena und Auerstedt auf preußischer Seite noch das Denken des 18. Jahrhunderts dominierte und die Niederlage bedingte, machten sich in den folgenden Kämpfen gegen Napoleons Truppen jene Offiziere einen Namen, die an 1813 die entscheidenden Rollen spielen sollten. Auch so beginnen Modernisierungen einer Gesellschaft – gezwungenermaßen, mitten in der Katastrophe.
Nicht nur was die Art der Kriegsführung betrifft, sondern auch das Denken über die Rolle von Kriegen, von Fürsten und Nationen. Auch wenn es vom Stolz der Soldaten, die vom Kaiser bei Appell gelobt werden, bis zum Stolz des Bürgers, der den Kriegstreibern eine Abfuhr erteilt, ein weiter Weg ist. Den ja bekanntlich einige Herren in und ohne Uniform bis heute nicht zurückgelegt haben.
Manchmal scheint Geschichte sich mit einem gewaltigen Ruck in die Zukunft zu bewegen. Und dann erstarrt wieder alles, scheint sich jahrzehntelang nichts zu rühren als eine dumpfe Vorgestrigkeit, die von sich behauptet, sie sei die Zukunft. Als sehnten sich ein paar alte, in Heldenpose erstarrte Männer nach nichts anderem, als nach herrlichem Stammstehen vor ihrem Kaiser. Oder vielleicht auch wie Diederich H.: untertänigster Verbeugung, wenn der Angehimmelte vorüberreitet.
Der Warnecker Heinrich Friedrich von Meibom, der in diesem Zeitabschnitt in holländischen Diensten stand und so mit Napoleons Truppen nach Preußen kam, zeigt zumindest, wie das gemeine Volk damals die Weltverhältnisse sah. Was auch in anderen Erinnerungen spürbar wird, denn anders als heute waren die gewöhnlichen Menschen nicht ansatzweise über das informiert, was in der Welt vor sich ging. Oft erfuhren sie gerade einmal das, was in ihrem kleinen Ländchen vor sich ging.
Und auch wenn die Schlachtberichte von Preußen, Hessen und Bayern erzählen, galt die eigentliche Anhänglichkeit vor allem ihren jeweiligen Fürsten. Und die Anhänglichkeit an den entscheidungsschwachen Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. war nach der Niederlage von 1806 ganz und gar nicht verschwunden. Im Gegenteil: „Man war durch die Unfälle der Armee zwar sehr gedrückt, sprach aber unverhohlen seine Verehrung für Friedrich Wilhelm III. aus und liebte enthusiastisch die Königin Luise.“
Manchmal denken ja Politiker heute noch, dass das noch immer so sein müsste. Aber zur Aufklärung gehört irgendwann auch die nüchterne Erkenntnis, dass Politik zwar ein Jahrmarkt der Eitelkeiten ist. Aber dass niemand wirklich Dankbarkeit erwarten darf, nicht mal dann, wenn er oder sie ihre Arbeit ganz ordentlich gemacht haben. Dann gibt es meistens sogar ziemlich viel Häme von den Historikern, die gar nicht genug tiefe Verbeugungen machen können, wenn ein Kerl wie Napoleon vorübergeritten kommt.
Deswegen ist Münchs Reihe im Grunde auch eine Art Graswurzelarbeit, eine Würdigung für die Soldaten und Offiziere, die in Napoleons Kriegen verheizt wurden, ohne zu wissen, wofür eigentlich. Manche hatten dann lebenslang starke Erinnerungen an eine „Große Zeit“, manche machten Karriere. Aber die meisten haben nie aufgeschrieben, was ihnen geschah und welchen Sinn sie dem Erlebten gaben. Oder ob nicht einzig nur die Erleichterung übrig blieb, irgendwie heil davongekommen zu sein.
Reinhard Münch „1806/1807 – Die Verbündeten Napoleons“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2022, 10 Euro.
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