Ist das Problem jetzt neu oder kennt man es eigentlich schon, dass Richter und Staatsanwälte in Deutschland eher konservativ entscheiden? Manche auch eher seltsam, wenn es um den Umgang mit Rechtsextremismus in Deutschland geht. Wobei es natürlich stimmt: Das Thema ist noch nicht wirklich zum großen Diskussionsthema in den Medien geworden – anders als die rechtsextremen Vorkommnisse bei Polizei und Armee.

Und so ist das Buch, das Joachim Wagner, studierter Volljurist und von 1987 bis 2008 Leiter und Moderator des Magazins Panorama, Leiter des ARD-Studios London und zum Schluss als stellvertretender Chefredakteur im ARD-Hauptstadtstudio tätig, gewissermaßen die Schwalbe, die noch keinen Frühling macht.Und auf die direkte Nachfrage seines Verlages, ob eine bewusste „Unterwanderung“ der Justiz stattfindet, hat er auch geantwortet: „Es gibt keine Indizien für eine Unterwanderung der Justiz durch rechte Richter. In drei sensiblen Bereichen spielen sie jedoch eine relevante Rolle und gefährden die politische Neutralität der Dritten Gewalt: bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus und Antisemitismus, der Corona-Pandemie und bei der Einwanderung und dem Islam.“

Es sind dann auch nur einige wenige Fälle, in denen rechtslastige Richter/-innen und Staatsanwält/-innnen eine unrühmliche Rolle spielten, die Wagner aufgreift und diskutiert. Sie sind allesamt zum Medienthema geworden, insbesondere seit einige Richter und Staatsanwälte mit AfD-Parteibuch in Bundestag und Landtage einzogen. Wobei Wagner natürlich zu Recht zu bedenken gibt, dass eine AfD-Parteimitgliedschaft nicht zwangsläufig heißt, dass sich die Betroffenen nicht an die Regeln ihres Berufsstandes halten.

Aber im Detail wird es natürlich schwieriger. Denn einerseits ist in Deutschland die Unabhängigkeit der Richter garantiert. Andererseits haben Richter/-innen natürlich Ermessensspielräume, welche Indizien und Hintergründe sie bei ihren Fallentscheidungen wie bewerten und in Betracht ziehen. Und es war schon immer eine Illusion, dass Richter/-innen und Staatsanwält/-innen unpolitische Menschen wären. Das fordert der Gesetzgeber auch gar nicht.

Er fordert nur – und das Bundesverfassungsgericht hat es auch deutlich bestärkt – dass Richter/-innen mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und dessen Werte auch in ihrer Rechtsprechung vertreten. Das war lange Zeit so deutlich nicht gesagt worden und auch von Richtervereinigungen eher nicht als Problem gesehen worden. Aber viel diskutierte Entscheidungen wie das Nicht-Verbot antisemitischer Plakate einer rechtsextremen Partei oder die seltsam ignorante Begründung für die Genehmigung eines rechten Fackelmarsches brachten das Thema zumindest zeitweise in die Schlagzeilen.

Mordaufrufe auf Wahlkampfplakaten

Und am Ende kann man Wagners vorsichtige Einschätzung eher nicht teilen, wenn gerade wieder einmal Mordaufrufe auf sächsischen Wahlkampfplakaten zu sehen sind und der „Tagespiegel“ vermerken muss: „Eine Sprecherin der Zwickauer Staatsanwaltschaft sagte dem Tagesspiegel, dass die Motive im Freistaat zunächst weiter hängen bleiben dürfen. Die Behörde habe keine strafrechtliche Relevanz des Slogans feststellen können, da man nicht wisse, ‚wer konkret angesprochen wird‘.“

Das wirkt nicht nur fadenscheinig. Es erzählt auch von einer gewaltigen Grenzverschiebung. Obwohl man in Sachsen des Öfteren das seltsame Gefühl hat, dass einige Gerichte und Staatsanwaltschaften sich besonders ahnungslos anstellen, wenn es um rechtsradikale Propaganda geht.

Wagner diskutiert sehr ausführlich, woran das liegen könnte. Ob das nun am Korpsgeist in der Justiz liegt, an permanenter Arbeitsüberlastung oder der Angst vor langwierigen Streitverfahren, wenn man rechtslastige Richter wieder loswerden möchte. Richter sind ja auch nur Menschen und wissen ganz genau, welche zusätzliche Arbeitslast auf sie zurollt, wenn sie Urteile fällen, die den Rechtsextremisten im Land nicht in den Kram passen.

Niemand hat seine Strategie so sehr ausgefeilt, den Rechtsstaat bis zur letzten Konsequenz auf die Probe zu stellen, wie die deutschen Rechtsextremen im Verbund mit einer Schar mittlerweile bestens bekannter Rechtsanwälte, die jeden Kniff kennen, wie man die Mühlen der Justiz beschäftigen kann.

Deswegen ist das Problem eigentlich viel größer, als es Wagner beschreibt. Denn was da gerade in Zwickau passiert, passiert auch in anderen Staatsanwaltschaften und Gerichtsbezirken. Draußen übertreten Rechtsextremisten ganz gezielt mit der Wahl von Slogans, Kleidung, Aufmarschterminen, Fackeln und Trommeln die Grenzen, vermeiden die direkten Symbole und Wortmarken der NS-Zeit, verpacken aber dieselbe Ideologie in Bilder und Sprüche, die eigentlich die ganze Gesinnung und den mörderischen Geist dahinter in sich tragen.

Aber weil die direkten Symbole der Nazi-Zeit vermieden werden, scheuen viele Gerichte die Konfrontation und winken Anmeldungen zu rechten Aufmärschen selbst dann durch, wenn man nicht mal ein bisschen Phantasie braucht, in den Anmeldungen schon den Antisemitismus, die Menschenfeindlichkeit und das mörderische Denken der NS-Zeit zu erkennen.

Und das passiert eben nicht nur in Einzelfällen, auch wenn Wagner am Ende zu der Einschätzung kommt, dass man es bei rechtslastigen Richtern und Staatsanwälten bislang noch mit Einzelfällen zu tun hat. Aber zu Recht weist er auf die auch gesellschaftlich zu beobachtenden Grenzverschiebungen hin, die mit dem Aufkommen der AfD passieren und die vormals tabuisierte Haltungen in Teilen der Gesellschaft immer mehr zum normalen Selbstverständnis gemacht haben.

Nicht mehr „Das muss man doch mal sagen dürfen“, sondern – gern unterm Label Meinungsfreiheit verkauft – „Das darf man sagen“. Weshalb seit 2015 auch einige Richter und Staatsanwälte mit Wortmeldungen auffielen, die eindeutig ins migrations- und demokratiefeindliche Spektrum fallen.

Und das oft nicht nur in ihren privaten Chats, sondern bis hinein in Urteilsbegründungen, in denen die Schwelle einer neutralen Justiz endgültig verlassen wurde. Und mit Recht diskutiert Wagner auch die Rolle der jeweils Vorgesetzten, die oft genug lieber abwiegeln und nach Deutungen suchen, dieses Fehlverhalten irgendwie noch als akzeptabel zu begründen, als den Mut zu echten dienstrechtlichen Konsequenzen zu finden.

Politische Dimension der Rechtsprechung

Denn längst ist es an der Tagesordnung, über etwas ernsthaft zu diskutieren, was fast 70 Jahre lang eigentlich kein Thema war (wenn man die Probleme mit alten Nazirichtern in der Nachkriegszeit hier einmal vorsichtig ausklammert): die politische Dimension der Rechtsprechung. Denn anders, als es besonders konservative Juristen oft interpretieren, ist auch die Justiz in einer Demokratie ganz und gar nicht unpolitisch. Darf sie sogar gar nicht sein, denn ihre Aufgabe ist es eben auch, die Demokratie und die Werte des Grundgesetzes zu verteidigen gegen ihre Feinde.

„Zu den Aufgaben einer politisch neutralen Justiz gehört, bei politischen Sachverhalten ihre politische Dimension in die Rechtsfindung zu integrieren, sie nicht zu ignorieren“, schreibt Wagner. Denn das Ergebnis ist – gerade im Umgang mit rechtsextremen Parteien und Straftätern – dass dann in Prozessen ausgerechnet das ausgeblendet wird, was erst die Tragweite des Vorgangs ausmacht: die ideologische Motivation dahinter.

Und das ist der Punkt, an dem Wagners Übersicht leider zu eng ist. Man denke nur an die vielen hasserfüllten Angriffe auf demokratische Politiker/-innen im Internet, bei denen die Justiz landauf, landab oft so tat, als wäre das „normal“, weil Politiker/-innen so etwas aushalten müssten.

Oder an die vielen genehmigten Konzerte und Aufmärsche rechtsextremer Parteien, nur weil die Richter die Brisanz der Anmeldung nicht erkennen wollten oder – wie bei vielen jüngeren „Querdenker“-Demos – das gewaltbereite Potenzial und die hohe Aggression.

Oder man denke an die vielen, vielen Urteile gegen rechtsradikale Gewalttäter (die Wagner leider nur mit einem Fall aufgreift), in denen die Richter statt wirksamer Hafturteile nur Strafen auf Bewährung verhängten, gar Deals abschlossen, wenn die Täter geständig waren und Besserung gelobten, und sie dann doch wieder auf freien Fuß setzten, sodass auch in Sachsen gewalttätige Rechtsradikale mit einer langen Latte angezeigter Straftaten weiter frei herumlaufen und ganze Regionen terrorisieren können.

Irgendwann greifen die Erklärungen einfach nicht mehr, dass man es hier nur mit der Unabhängigkeit der Justiz zu tun hat, die auch rechten Wortführern das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gewähren müsse. Denn Gewalt, Einschüchterung, Verleumdung und Bedrohung sind keine Kavaliersdelikte. Doch genau hier ducken sich viele Gerichte weg und lassen damit die demokratische Zivilgesellschaft im Stich. Statt die Demokratie zu schützen, bereiten sie den aggressiv auftretenden Rechtsradikalen den Boden.

Rechtsradikale Umtriebe

Dass Rechtsradikale in ländlichen Regionen nicht nur in Sachsen derart die Oberhand gewinnen konnten, hat auch mit dieser offensichtlichen Schwäche der Justiz zu tun, die – ganz ähnlich wie Polizei und Innenminister – geradezu blind zu sein scheint gegenüber den rechtsradikalen Umtrieben. Wovon ja auch sämtliche Statistiken erzählen zu den offiziell registrierten rechtsradikalen Gewalttaten und denen, die tatsächlich stattgefunden haben, aber eben nur von zivilgesellschaftlichen Akteuren vermerkt werden.

Wenn Polizei und Gerichte den radikalen Hintergrund einfach nicht wahrnehmen (wollen), wird weder die Tat als Angriff auf die demokratische Zivilgesellschaft begriffen, noch das Ausmaß der Bedrohung wahrgenommen, rechtsradikale Gewalt also regelrecht kleingespielt, während man ja gerade in Sachsen den Kampf gegen den Linksextremismus mit einem Aufwand betreibt, der schon verblüfft.

Und da steht dann wirklich die Frage im Raum, ob da der Konservatismus in vielen Bereichen der Justiz der Demokratie nicht einen Bärendienst erweist, indem er rechtsradikale Straftaten teilweise regelrecht ignoriert und die Zivilgesellschaft somit allein lässt mit den Tätern, für die Rache, Einschüchterung und Selbstjustiz geradezu selbstverständlich sind.

Natürlich deutet wenig darauf hin, dass sich das Problem mit Aufkommen der AfD verstärkt haben sollte. Denn die meisten Richter und Staatsanwälte, die inzwischen unter blauem Parteibuch fahren oder mit rechtsradikalen Posts im Internet aufgefallen sind, waren vorher schon im Justizdienst.

Und ein wenig Recherche in den Jahren vor 2015 oder 2013 würde schnell etliche Fälle zutage fördern, in denen Richter mit Urteilen reüssierten, die vom Standpunkt einer demokratischen Zivilgesellschaft recht seltsam klangen, rechtsradikale Gewalttäter straffrei davonkommen ließen oder Prozesse gegen rechte gewalttätige Gruppen jahrelang verschleppten.

Denn ein Fazit kann Wagner natürlich ziehen: Richter haben immer Ermessensspielräume. Und die politische Einstellung von Richtern und Schöffen beeinflusst auch ein scheinbar neutrales Urteil, wenn Recht etwa nur konsequent gegen Migranten angewendet wird oder rechte Propaganda einfach als Meinungsfreiheit betrachtet wird, ganz so, als wäre es ganz normal, mit der menschenverachtenden Haltung der NS-Zeit heute die Demokratie als „System“ zu bekämpfen und das als demokratische Auseinandersetzung zu akzeptieren.

Wagners Fazit ist freilich deutlich: der Rechtsstaat muss wehrhaft sein. Und er braucht noch ein paar deutliche Klärungen im Gesetz, wenn der Anspruch des Bundesverfassungsgerichts von 2008 Gültigkeit erlangen soll, dass Richter und eben auch Schöffen konsequent die Werte des Grundgesetzes vertreten sollten. Was eben auch heißt, dass ihre Einstellung zum demokratischen Staatswesen ebenso eine Rolle zu spielen hat wie der politische Hintergrund von Straftaten.

Denn wenn sich unser Rechtsstaat nicht gegen die Angriffe rechter Radikaler zu verteidigen weiß, gibt er den Kern unseres Rechtssystems preis. Dann kuscht er genau vor den Leuten, die unsere Demokratie verachten, und gibt ihnen auch noch das Gefühl, dass die Justiz alles mit sich machen lässt, wenn man nur aggressiv genug auftritt.

Und auch wenn Wagner das Problem (noch) nicht so groß sieht, merkt er dennoch an, dass das Problem nicht auf einzelne Gerichte und Staatsanwaltschaften beschränkt ist. Dass oft ganze Landkreise einknicken, wenn Rechtsextreme ihre mordlüsternen Plakate aufhängen oder Fackelmärsche oder Rechtsrockkonzerte veranstalten. Und so ist aus Wagners Sicht auch die Richterschaft gespalten. In einen konservativ-zurückhaltenden Verband, der die Vorgänge lieber gar nicht kommentiert, und einen liberalen, der zu Einzelfällen durchaus mal prononciert Stellung nimmt.

Was aber nichts daran ändert, dass die Forderung des Bundesverfassungsgerichts von 2008, dass Richter und Schöffen eine „Pflicht zur besonderen Verfassungstreue“ haben, auch in guten Gesetzen rechtlich und faktisch umgesetzt werden muss. Was bei Staatsanwaltschaften nicht aufhört, deren Rolle Wagner eher nur beiläufig diskutiert.

Denn wenn Prozesse gegen Rechtsradikale schon deshalb nicht zustande kommen, weil die zuständigen Staatsanwält/-innen keinen Anfangsverdacht sehen wollen, bleiben die Täter straffrei, ihre Straftaten werden nicht mal statistisch erfasst, und die Opfer – und meist hat man es mit wirklichen Opfern zu tun – stehen hilflos vor der Tür eines Rechtsstaats, der sie gegen die Täter nicht verteidigt.

Joachim Wagner Rechte Richter, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2021, 29 Euro.

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