Geschichte muss nicht so stattfinden, wie sie stattfindet. Nicht in Afghanistan, nicht im Irak oder anderswo. Niemand hat die Amerikaner gezwungen, im Irak einzumarschieren und einen ungeliebten Diktator zu stürzen. Ein UNO-Mandat hatten sie ebenfalls nicht. Genauso wenig wie in Afghanistan. Was sie da angerichtet haben, liest sich aus Sicht eines Soldaten aus dem Irakkrieg noch einmal erhellender als in großen Sachbüchern.
Wobei man die Sachbücher natürlich nicht ignorieren kann. Denn abseits der patriotischen Begleitmusik aus Regierungsquellen, die unsere Medienberichterstattung bis heute dominieren, gab und gibt es auch zur us-amerikanischen Politik kritische Stimmen und Bücher, die durchaus auch hinterfragen, wer eigentlich hinter den gigantischen Aufrüstungsprogrammen steckt und wer eigentlich fortwährend daran arbeitet, neue Einsatzfelder für die modernen Waffensysteme und neue „bad boys“ zu finden, die dann die Begründung dafür hergeben, dass amerikanische Truppen zum „regime change“ ausrücken. Zu den ausdauerndsten Kritikern dieser US-Politik gehört ja Noam Chomsky, dessen Buch „Wer beherrscht die Welt“ wir hier in zwei Teilen besprochen haben. (Teil 1 und Teil 2).Oliver Stone beleuchtete in „Amerikas ungeschriebene Geschichte“, wie gerade schwache US-Präsidenten den Krieg immer wieder als Ablenkungsmanöver für ihre desolate Innenpolitik nutzten.
Was freilich auch nur ein Aspekt des Dilemmas ist, das jüngst erst Stefan Baron in „Ami Go Home“ neu ausleuchtete. Denn in der US-Außenpolitik vermengen sich schon längst ökonomische Gründe mit einer patriotisch aufgeblasenen Moral.
Im Grunde genügt ein Blick in all jene Staaten, in denen amerikanische Truppen in den letzten Jahrzehnten offiziell Demokratie und Menschenrechte zu retten ausgezogen waren. Die Länder stecken ziemlich alle in diversen Bürgerkriegen, wenn es nicht gar „failed states“ geworden sind. Oder in tiefster Armut, wenn sie das Ziel dauerhafter amerikanischer Sanktionen wurden.
Jeff Montrose meldete sich schon als 17-Jähriger erstmals zur US-Armee, war später als Fallschirmjäger im Kosovo im Einsatz und hatte auch schon harte Lehrgänge für die Offizierslaufbahn hinter sich, als er 2004 und 2005 als Zugführer und stellvertretender Kompaniechef im Irak eingesetzt wurde, genau in jener Phase, als aus dem scheinbar leicht errungenen Sieg über die Truppen Saddam Husseins etwas wurde, was in den Strategien der amerikanischen Generäle nicht vorkam und die Politiker nicht die Bohne interessiert hatte. Im Grunde machten die USA denselben Fehler gleich zweimal – im Irak genauso wie in Afghanistan.
„Aus meiner Sicht war es auch nicht Aufgabe des Militärs, Demokratie und Freiheit mit Hilfe eines Krieges zu exportieren, der sich als humanitäre Intervention gerierte“, schreibt Montrose. „Krieg ist allerdings, wie schon Clausewitz feststellte, eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“
Montrose ist ein besonderer Fall, denn nach seinem Irakeinsatz ist er ausgestiegen, hat nicht nur die Army verlassen und seine Offizierslaufbahn an den Nagel gehängt, sondern hat in Deutschland einen Neuanfang gewagt, die deutsche Sprache gelernt und studiert. Heute ist er Lehrbeauftragter für Außen- und Sicherheitspolitik der USA an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstatt und Gastdozent an der Uni Hamburg.
Er kann das, was die USA da mit ihrer teuren Armee weltweit anrichten auch aus wissenschaftlicher Sicht beurteilen. Er kennt beide Seiten, die analytische Außensicht und das Trauma des Kriegsveteranen, der jahrelang mit den Gespenstern seiner Vergangenheit kämpfen musste.
Gespenster, die auch viele deutsche Soldaten kennen, die in Afghanistan eingesetzt worden waren. Denn nach dem Trauma des Zweiten Weltkrieges hat man in Ost wie West gründlich verdrängt, dass Millionen Menschen aus diesem Krieg traumatisiert hervorgegangen sind. Das hat kaum jemanden gekümmert.
Thema wurde es eigentlich erst nach der Niederlage der USA in Vietnam. Und auch da brauchten die USA Jahrzehnte um zu akzeptieren, dass ihre Helden zumeist nicht nur körperliche Narben davongetragen hatten, sondern tiefste seelische Verletzungen, die man heute Posttraumatische Belastungsstörung nennt.
Obwohl man schon aus dem Ersten Weltkrieg wusste, dass Soldaten und Offiziere in so einem Kriegseinsatz schon nach zehn, zwölf Monaten ausgebrannt waren und zutiefst traumatisiert, bekam die psychische Erkrankung erst nach dem Vietnam-Krieg durch Judith Lewis Herman ihren Namen.
Soldaten sind keine Maschinen
Was freilich nicht bedeutet, dass die USA oder Deutschland die Sache wirklich ernst nehmen. Sie denken tatsächlich in den Clausewitzschen Kategorien, die auch als fatale Entschuldigung für politisches Versagen gelesen werden können. Motto: Wenn wir mit Politik nicht weiterkommen, führen wir eben einen Krieg. Wozu haben wir denn diese tolle Armee, wenn wir sie nicht einsetzen, zitiert Montrose auch die ehemalige amerikanische Außenministerin Madeleine Albright.
Nur sind Soldaten keine Maschinen, auch keine Kriegsmaschinen. Selbst bis zu den Zähnen bewaffnet sind sie noch immer Menschen und in der Regel auch solche, die ihren Dienst in Uniform auch als Dienst an der Gemeinschaft begreifen. Ein Thema, mit dem sich Montrose sehr intensiv beschäftigt.
„Allerdings verstand ich unter ‚wahrem Glauben und Loyalität‘ sowie ‚Unterstützung und Verteidigung‘ der Verfassung nicht, dass das US-Militär die Aufgabe habe, Diktatoren gewaltsam zu stürzen, die weder die Vereinigten Staaten angegriffen hatten, noch unsere grundlegenden Interessen bedrohten.“
Deswegen lag der SPD-Politiker Peter Struck auch völlig daneben, als er meinte, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt. Der Spruch wird ja gerade wieder vorwurfsvoll zitiert, weil alle möglichen Medien meinen, irgendjemandem das Chaos in Afghanistan anlasten zu müssen. (Wobei mich immer die Frage umtreibt: Wer steckt eigentlich hinter diesen Artikeln und Agenturmeldungen?)
Aber das Chaos erzählt nur von einer Tatsache: Dass es eine fatale Einbildung ist, es ginge in Afghanistan um Deutschland oder die USA. Dass die afghanische Regierung und die Armee so schnell zusammenbrachen, erzählt ja genau davon: Es war eine westliche Schimäre. Die Geheimdienste standen wie begossene Pudel da. Das ganze Konstrukt fiel mit dem Rückzug der westlichen Truppen (den übrigens Donald Trump in seiner heiligen Tumbheit begonnen hatte) in sich zusammen.
Und Montrose benennt auch, was da falschläuft. Auch in unseren Köpfen und in unserer moralisch aufgeladenen Berichterstattung: Wir und die von uns gewählten Politiker begründen, was wir da treiben, immer wieder mit Moral. Und zwar ziemlich scheinheiliger Moral, wie Montrose schreibt: „Es ist und bleibt zusammenhanglose, impulsive, scheinheilige Außenpolitik, bei der das Militär und seine Soldaten nicht mehr Mittel der Verteidigung und Abschreckung sind, sondern Werkzeuge zum Korrigieren nicht konformer Regime.“
Logisch, dass er auch Barack Obama kritisiert, der ja sogar den Friedensnobelpreis bekam, obwohl er die Drohnenkriege in aller Welt weiterführte nach dem Abgang seines Vorgängers George W. Bush.
„Dass er den Friedensnobelpreis erhielt, bestätigt aus meiner Sicht nur, wie durch und durch heuchlerisch, inkohärent und vor allem naiv viele Menschen sind. An dieser Stelle möchte ich noch einmal Erich-Maria Remarque zitieren: ‚Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die nicht hingehen müssen.‘ Jene Menschen, die uns in diese Kriege schickten, um zu töten und zu sterben, haben meist selbst nicht den Mut, eine Uniform zu tragen, und nur sehr selten dienen ihre Kinder im Militär.“
Das klingt schon sehr abgeklärt, obwohl er auch seine Leser immer wieder mitnimmt in seine Zeit im Irak, wo ihm selbst in dem Moment, als sein Bauchgefühl ihm sagte, dass er den Dienst quittieren muss, nicht wirklich wusste, was ihn wirklich dazu bewegte. Immer wieder blendet er in diesem Buch zurück zu seinen Erlebnissen nahe Samarra, erzählt von den Männern in seiner Kompanie, den Vorgesetzten und den Sergeanten, mit denen er im gepanzerten Fahrzeug ausrückte.
Er erzählt von Hinterhalten und Mörserangriffen und der Verschärfung dessen, was die Amerikaner als Aufstand erlebten. Und gleichzeitig als Kontrollverlust. Denn längst standen sie einem unsichtbar gewordenen Feind gegenüber, der aus dem Hinterhalt angriff, die Zufahrtsstraßen mit Sprengbomben spickte und die amerikanischen Truppen in ihren Lagern zunehmend zermürbte. Er berichtet von Verletzungen und Tod seiner Soldaten und von den Momenten, in denen er merkte, dass er selbst sich verändert hatte.
Die Frage nach dem Was
Ein Pflichturlaub in Deutschland wird eine regelrechte Begegnung mit seinen Dämonen. Dämonen, die ihn auch heimsuchten, als er längst die Uniform ausgezogen hatte und hoffte, mit dem Erlernen der deutschen Sprache seine Albträume in den Griff zu bekommen. Die Erinnerungen an den Krieg vermischen sich mit den Reflexionen der Zeit danach, als er sich bewusst fürs Studium der Friedenspolitik in Hamburg entschied. Er wollte wissen, was da passiert war. Anfangs sogar eher das, was ihn besonders beschäftigte: Warum?
Aber auf das Warum gibt es keine wirkliche Antwort. Das machte ihm spätestens sein Studium klar. Auch wenn er es im Irak schon ahnte. Die Armeeführung war genauso planlos in diesen Krieg gegangen wie die us-amerikanische Regierung. Es gab keinen belastbaren Plan für danach. Dazu hätte man das Land und seine Bewohner besser kennen müssen und den westlichen Thron verlassen müssen, von dem herab man nun seit Jahrzehnten der Welt immerfort Demokratie und Menschenrechte predigt.
Aber das sind Dinge, die man nicht exportieren kann. So langsam sollten das auch noch die letzten Militärstrategen begriffen haben. Das sind Dinge, die die Völker sich selber wünschen und schaffen, wenn sie ein gutes Vorbild haben. Aber das sind die westlichen Demokratien nicht unbedingt.
Aber sie können keinen Krieg begründen, schon gar nicht – wie Montrose betont – mit Verweis auf die Verfassung. Auch die amerikanische Verfassung bietet keine Grundlage zum gewaltsamen Export amerikanischer Werte. Und wenn man dann die sowieso schon jahrhundertealten Konflikte vor Ort nicht kennt oder ignoriert, verwandelt sich ein Land wie der Irak sehr bald in ein Pulverfass, das es ja bis heute geblieben ist.
Armeen ersetzen keine kompetente Außenpolitik. Und für Montrose wird nach vielen Albträumen und vielen Gesprächen auch mit Freunden klar, dass es auf die Frage nach dem Warum keine Antwort gibt, nicht geben kann. Wer so auf seine Kriegstraumata zurückschaut, kommt zu keiner Lösung und bleibt Gefangener seiner Dämonen.
Was bleibt, ist die Frage nach dem Was. Das Was macht die Kriegserlebnisse real. Auf dieser Ebene wird sichtbar, wie jeder einzelne Soldat auf die anderen angewiesen war, wie einer für den anderen einstand, wie sich jeder einzelne menschlich bewährt hat und trotzdem schon am nächsten Tag Ziel einer Bombe, eines Scharfschützen, eines Mörsergeschosses werden konnte. Krieg an sich hat keinen Sinn. Er reduziert das Dasein der Soldaten auf Momente des absoluten Stresses und der Langweile, der permanenten Einsatzbereitschaft, der Angst und der Wut.
Meist geht es um das blanke Überleben und die Hoffnung, vielleicht heil aus dem Einsatz zurückzukommen. Die Rückblenden, die Montrose einstreut, lassen dem Leser den Irak-Krieg sehr lebendig werden. Und dass Montrose diese Rückblenden nicht chronologisch einbaut, sondern stets an den Stellen platziert, als ihm die spätere Reflexion das Traumatische am Erlebten wieder bewusst gemacht hat, spürt man auch ein wenig den Fortschritten nach, die Montrose mit der Bewältigung seiner Kriegserlebnisse gemacht hat.
Und man ahnt dabei natürlich, womit wohl ein Großteil der Soldaten zu kämpfen hat, die in solchen Kriegen im Einsatz waren, und was nur Politiker nur zu gern verharmlosen. Doch wenn ein Soldat mit der Waffe schießen muss, so Montrose, ist es Krieg. Egal, was die Politiker sonst behaupten.
Und der Krieg hinterlässt in den Köpfen der Soldaten Spuren. Und auch viele Jahre nach seinem Ausscheiden aus der Armee hat Montrose mit den Erinnerungen zu kämpfen, auch wenn er jetzt weiß, dass er diesem Krieg auch im Nachhinein keinen Sinn geben kann. Und zu Recht stellt er fest, dass die aussendenden Regierungen das, was die Soldaten erlebt haben, in der Regel lieber verschweigen und kleinreden.
Das Versagen von Politik
Und damit ein weiteres Mal ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Denn wer Soldaten in einen Kriegseinsatz schickt, ist auch für das verantwortlich, was dort mit ihnen passiert. Und dazu gehört auch die nötige Anerkennung und überhaupt das Wahrnehmen dessen, was die Soldaten da auf sich genommen haben in Grenzsituationen, die nichts mehr zu tun haben mit dem behüteten und geregelten Leben in der Heimat.
Gerade in dieser Mischung der Innen- und der Außensicht ist das Buch, das Jeff Montrose geschrieben hat, eine vehemente Kritik an der Unwissenheit und Arroganz westlicher Außenpolitik. Und natürlich ihrem geradezu primitiven Verständnis von Völkerrecht, das die Rechte der Völker einfach ignoriert, wenn man nur mit genug Moral in die Verhandlungen geht.
Da konnte Montrose fast froh sein, dass es „diese entsetzliche deutsche Sprache“ gab, auf die er sich jahrelang konzentrieren musste, um ihre Grammatik zu knacken. Und er lernte neue Freunde kennen, mit denen er endlich über das Erlebte reden konnte. Und die ihm auch den Blick öffneten dafür, dass die Soldaten des Ersten und des Zweiten Weltkrieges im Grunde dasselbe erlebt hatten, dieselbe Sinnlosigkeit eines mörderischen Gemetzels, in dem sich alles nur noch auf das Töten fokussiert.
Auch deshalb ist der Krieg keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern nur ein blutiger Platzhalter für das Versagen von Politik und den Größenwahn von Politikern, die nur zu gern mit dem moralischen Fähnchen wedeln, wenn sie die Truppen losschicken.
Und Afghanistan wie Irak zeigen exemplarisch, dass man so einem Vorgehen auch nachträglich keinen Sinn verleihen kann und die in westlichen Strategiekommissionen ausgedachten Pläne nicht funktionieren. Erst recht nicht, wenn man die Verhältnisse und Konflikte vor Ort nur oberflächlich kennt und nicht mal ahnt, welches Pulverfass man da aufmacht. Und welche Aufgabe man eigentlich den jungen Männern in Uniform wirklich aufgebürdet hat. Früher wurde da gern von „die Kastanien aus dem Feuer holen“ geredet.
Aber das würde dem, was die in Afghanistan und Irak eingesetzten Soldaten erlebt haben, nicht annähernd gerecht. Und viele leiden bis heute darunter, weil sich das Erlebte nicht – wie Montrose schreibt – „in eine Art von Ordnung“ bringen lässt. Das Erlebte bleibt bruchstückhaft. Und man lernt auch nichts draus, stellt Jeff Montrose fest. Der Krieg selbst hat keinen Sinn. Und wenn dann auch noch die Erzählung der Politiker, die das alles angezettelt haben, zerplatzt wie eine Seifenblase, war es das eh mit der Sinnsuche.
Da bleibt dann tatsächlich nur die Antwort der Friedensforscher, die diese alte Art Politik mit dem „big stick“ infrage stellt. Infrage stellen muss. Aber die geballten Vorwürfe, die jetzt die Zeitungsspalten füllen, erzählen eben auch davon, dass diese Botschaft weder die Redaktionen noch die Regierungskabinette schon erreicht hat. Es ist ein Buch geworden, das mit den Afghanistan-Ereignissen erst seine ganze Brisanz entfaltet. Stoff zum Nachdenken. Und Hoffnung, dass wir endlich mal Politiker/-innen wählen, die auch was draus gelernt haben.
Jeff Montrose In der Wüste des Wahnsinns, Econ Verlag, Berlin 2021, 21,99 Euro.
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