Seit dem 1. Juni ist im Studio des Stadtgeschichtlichen Museums eine kleine, besondere Ausstellung zu sehen: „Uns eint die Liebe zum Buch. Jüdische Verleger in Leipzig. 1815–1938“. Es ist eine kleine Würdigung für einen kleinen Teil der einstigen Buchstadt Leipzig, die einmal auch davon lebte, dass ein gebildetes Bürgertum gute Bücher zu schätzen wusste. Und bis die Antisemiten sich nach vorne prollten, war es völlig egal, welche Religion die Buchverleger hatten.

Willkür im NS-Regime: Repression, Verfolgung, Tod

Aber allein schon die vielen Verweise und Zitate zu dem, was die Nationalsozialisten ab 1933 gegen jüdische Verleger unternahmen, lassen ahnen, wie sehr diese Art, Menschen zu markieren und zu verteufeln, noch immer in unserer Gesellschaft und unserer Sprache steckt. Wobei das Wort „unsere“ wahrscheinlich falsch ist an dieser Stelle. Denn ganz so einfach lesen sich diese teils bürokratischen Floskeln, mit denen die Nationalsozialisten ihren Raubzug und ihre Mordpläne verklausulierten, nicht weg.Man stolpert jedes Mal drüber, hat die kritischen Worte Victor Klemperers im Ohr, der ja selbst bis zuletzt um sein Leben bangen musste, und liest dann meist in den letzten Absätzen, wie Nazi-Willkür nicht nur das Ende einst namhafter Verlage herbeiführte, sondern oft genug auch den Tod der Verleger und ihrer Familien, wenn es ihnen nicht glückte, noch rechtzeitig aus Deutschland zu entfliehen. Und selbst die geglückte Flucht war ja oft nicht die Rettung, wie wir vom Schicksal Henri Hinrichsens wissen, des Inhabers des Musikverlags C.F. Peters, den in diesem Band Erika Buchholtz würdigt.

Das Buch ist diesmal kein Katalog zur Ausstellung, sondern eher ein Sammelband mit Essays, die sich einer kleinen Auswahl Leipziger Verleger mit jüdischen Wurzeln widmen.

Fast vergessene Verlage kommen wieder zum Vorschein

Und die damit auch Verlage wieder in Erinnerung bringen, die eigentlich seit dem Verschwinden des Grafischen Viertels im Bombenhagel 1943 fast vergessen sind. Sie wurden „arisiert“, wie diese Enteignung durch die Nationalsozialisten genannt wurde, verschwanden oft hinter anderen Verlags- und Verlegernamen.

Und so muss natürlich auch erst einmal erzählt werden, warum Verlage und Buchhandlungen wie die Firma M.W. Kaufmann, der Musikverlag Anton J. Benjamin oder die Antiquariatsbuchhandlung Gustav Fock einmal nicht nur berühmt und wirtschaftlich erfolgreich waren, sondern in Bereichen der wissenschaftlichen oder musikalischen Druckware auch einmal ganz selbstverständlicher Bestandteil des Geisteslebens in Deutschland.

Man darf ja auch nicht vergessen, dass die Buchstadt ihren Aufschwung nahm, weil Deutschland mit der Industrialisierung auch einen gewaltigen Bildungsaufschwung nahm und Bildung und Belesenheit ganz anders geschätzt wurden als heutzutage. Die boomende Verlagslandschaft in Leipzig bediente einen gewaltigen Hunger nach Wissen und Bildung und – spätestens um die Jahrhundertwende – auch nach Ästhetik und Kultur.

Und auch wenn die Lebensgeschichten der Verleger meist nur angerissen werden können, wird deutlich, dass sie bis zum Aufkommen der Antisemiten ganz selbstverständlich Mitglied des Leipziger Bürgertums waren, wo sie sich auch sozial und kulturell engagierten.

Antisemitische Ressentiments gab es schon früher

Entsprechend infam liest sich dann all das, was die zur Macht gekommenen Nazis dann mit Menschen wie Leo Jolowicz oder der Familie List trieben. Das Jahr 1938 wirkt dabei wie ein Endpunkt. Als hätte die Geschichte genau darauf zutreiben müssen. Aber im einführenden Beitrag „Leipziger Ware“ erzählt Arndt Engelhardt die notwendige Vorgeschichte ab 1815, mit dem Menschen mit jüdischer Herkunft zunehmend Zugang fanden zur bürgerlichen Gesellschaft und nicht nur in Kunst und Wissenschaft von sich Reden machten, sondern auch als erfolgreiche Verleger.

Dass sie dabei freilich auch gewachsenen antisemitischen Ressentiments begegneten, das wusste schon Arnold Brockhaus sehr kritisch anzumerken. Auch weil es völlig unverständlich und unlogisch war, mit jüdischen Buchhändlern zwar erfolgreiche Geschäfte abzuschließen, ihnen aber den Zugang zur Börse zu verweigern.

Geschäftstüchtigkeit auch im Leipziger Buchwesen

Das Kapitel über Kurt Wolff, der zumindest mütterlicherseits jüdische Wurzeln hatte, schrieb in diesem Band Michael Liebmann – auch mit dem Hinweis, dass er eigentlich nicht so richtig in die Ausstellung passte. Aber eigentlich passt er sogar doppelt, gerade weil er in seinem Verlag, den er nach dem Zerwürfnis mit Rowohlt gründete, auch viele jüdische Autoren versammelte, die gerade für die Zeit zu den wichtigsten Stimmen der jungen deutschen Literatur gehörten – von Kafka über Hasenclever bis Pinthus und Werfel.

Was natürlich kein Zufall war, denn mit der zunehmenden Emanzipation des Judentums in Deutschland eroberten sich natürlich gerade in dieser Zeit auch begabte junge Leute mit jüdischen Wurzeln eine Position im Literatur- und Kunstkanon des Landes, brachten neue Sichtweisen und Sprechweisen mit. Stichwort: Expressionismus.

Und mit der Buchreihe „Der jüngste Tag“ gab Wolff vielen von ihnen einen Auftritt. Die Reihe ist bis heute legendär, so wie der Verlag, auch wenn es Wolff nicht wirklich aushielt in der geschäftsnüchternen Stadt Leipzig und lieber nach München ging. Aber auch dieses Geschäftsnüchterne gehört zur Buchstadt, so sehr man sich über den Mut und die Kreativität einiger Verleger auch freut. Aber die Buchstadt funktionierte nur, weil ihre Protagonisten geschäftstüchtig waren.

Zeitreise in eine geschäftige Buchstadt

Es ist immer auch die Geschichte dieses ernsthaften Willens, den Aufstieg zu schaffen, der hinter den Lebensgeschichten der in Buch und Ausstellung so knapp porträtierten Männer steckte. Aber gerade das ist ja die Ambition hinter diesem ersten Blick in die Welt der jüdischen Leipziger Verleger, der eher nur andeutet, dass hier ein ziemlich großes Forschungsfeld gerade erst einmal betreten wurde. Was auch damit zu tun hat, dass die Erforschung der Buchstadt, die ja zum Kriegsende 1945 in Trümmern lag, auch erst am Anfang steht und erst nach und nach auch die großen Verlegergeschichten geschrieben werden.

Leipzig erwacht ja gerade aus der Selbstbegeisterung am schönen blinkenden Titel Buchstadt, der eher den Blick auf die eigentlichen Akteure verstellt. Zu denen eben auch viele jüdische Verleger gehörten, auch wenn ihre Namen fast verschollen sind, verschwunden mit ihren einst beeindruckenden Verlagen, Buchhandlungen und Antiquariaten.

Für alle, die wieder ein Stück dieser geschäftigen Buchstadt kennenlernen wollen, ein Buch voller kleiner Wiederentdeckungen. Auch wenn es die Wunde nicht schließen kann, die die NS-Zeit der Buchstadt und dem jüdischen Leipzig zugefügt hat. Wobei Nora Pester im letzten Beitrag auch zeigt, dass jüdische Literatur in der DDR-Zeit nicht wirklich vergessen war und sich auch Leipziger Verlage bemühten, die Erinnerung wachzuhalten.

Die Studioausstellung „Uns eint die Liebe zum Buch. Jüdische Verleger in Leipzig 1815–1938“ ist noch bis zum 25. Juli im Haus Böttchergässchen des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig zu sehen.

Anselm Hartinger, Johanna Sänger, Andrea Lorz (Hg.) Uns eint die Liebe zum Buch, Hentrich & Hentrich, Leipzig 2021, 17,90 Euro.

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