Koblenz? Brรคuchte es da nicht einen Heinrich Heine, der einen รผberreden wรผrde, einmal den Abstecher nach Koblenz zu machen? Aber Heine war nie da. Dafรผr ein Knabe, den er gefressen hatte, ein gewisser Metternich, Fรผrst und so, der mรคchtige Kanzler in Wien, dessen weinselige Familie aus Koblenz stammt, oder jedenfalls der Gegend, wo noch heute der Sekt mit dem fรผrstlichen Namen in Flaschen gefรผllt wird.
Aber Heine reiste ja lieber รผber Aachen und Kรถln ein. Das Vergnรผgen war dasselbe, hier wie dort kramten die preuรischen Zollbeamten in der Wรคsche der Einreisenden. In Koblenz wรคren sie vielleicht noch etwas miesepetriger gewesen, denn hier liegt ja โ auf der anderen Seite des Rheins โ noch der Ehrenbreitstein, gern als Festung ausgebaut, gern erobert und frรถhlich zerstรถrt.Die Preuรen machten wieder eine Festung draus. Da war Koblenz freilich noch ein freundliches Stรคdtchen mit Fachwerkhรคusern, Barock und Klassizismus. Was es heute nur noch zum Teil ist, denn 1944 sorgten die Alliierten-Bomber dafรผr, dass auch Koblenz zu 90 Prozent in Trรผmmer gelegt wurde. Wenn man heute was sieht auf dem ersten Teil des Rundgangs, den Reinhard Mรคurer konzipiert hat, dann ist das fast alles originalgetreu wieder aufgebaut worden nach dem Krieg.
Manches auch mit ordentlich Steuergeld, um jede Menge รmter und Behรถrden drin unterzubringen. Allein die Zahl der Bundesbehรถrden lรคsst staunen. Aber man lernt schnell: Deutschland ist eigentlich ein Verwaltungsspezialist, der sich am liebsten selbst verwaltet und dabei gern in alten Klรถstern, Kasernen, Schlรถssern und Marstรคllen sitzt. Also den Prachtbauten der feudalen Zeit, die immer schon vorรผber ist und immerfort herbeigesehnt wird.
Nur wer die Metterniche besuchen will, landet heute (Nr. 13) in einem Haus der Kรผnstler. Also kein Metternich-Museum. Obwohl es so lehrreich sein kรถnnte, denn Klemens Wenzel Lothar von Metternich ist bis heute der Prototyp aller deutschen Innenminister. Haben Sie Konterbande im Kopf? Dann wissen Sie, was gemeint ist.
Wobei: Die Koblenzer wissen das mit gewissem Humor zu nehmen. Immerhin wird auch hier Karneval gefeiert. Und am Alten Kaufhaus kann man dabei seinen Spaร haben, wo man die maskenhafte Darstellung des Raubritters Johann Lutter von Kobern sehen kann, den berรผhmten โAugenrollerโ, der den Ritter in seinem letzten Minรผtlein auf dem Richtblock zeigt, wo er mit heftigen Grimassen seinen Unwillen รผber die Hinrichtung gezeigt haben soll.
Was einerseits verstรคndlich ist. Das wรผrde man als friedlicher Mernsch auch tun. Aber der Knabe war nicht friedlich, sondern ein ausgebuffter Raubritter, der auch 1536 das Rauben nicht lassen konnte.
Wenn man da nur an die Raubritter von heute denkt, diese feinen, ehrbaren Burschen mit ihren Geldkรถfferchen โ wie wรผrden die eigentlich Grimassen schneiden, wenn man sie fรผr ihre Mausereien auf dem Marktplatz zu Koblenz hinrichten wรผrde? รffentlich, wie sich das fรผr Rรคuber groรen Formates eigentlich gehรถrt? Oder ist das schon wieder Konterbande im Kopf? Zu viel Heine gelesen?
Bestimmt. Aber in Koblenz trifft man ihn nicht. Da muss man schon rรผber nach Dรผsseldorf. In Koblenz trifft man nur Leute, รผber die er geschrieben hat, zum Beispiel in seiner โRomantischen Schuleโ: Joseph Gรถrres (der in Koblenz sogar ein Denkmal hat), Clemens Brentano (โDes Knaben Wunderhornโ) oder Sophie von La Roche, welche in Koblenz den ersten Literatursalon im Rheinland einrichtete, was schon deshalb etwas Besonderes war, weil man dazu geistreiche Gรคste haben musste, die einen nicht den ganzen Abend mit ihren tollen Bรถrsengeschรคften langweilten.
In Berlin war das damals ganz einfach, in Koblenz zumindest ein Wagnis. Aber im Museum Mutter Beethoven-Haus kann man erleben, wie es trotzdem klappte und was das mit der besonderen rheinlรคndischen Romantik zu tun hat. Mutter Beethoven deshalb, weil zwar der Sohnemann weltberรผhmt ist, die Mutter bei ihrer Geburt aber Maria Magdalena Kevenich hieร. Da fรคllt einem nix ein, wenn man nicht weiร, dass der berรผhmte Ludwig โฆ Aber sie wurde just in diesem Haus in Koblenz geboren. Und selbst Wikipedia weiร nicht mehr รผber sie zu erzรคhlen, als dass sie eine gute Mutter war.
Bisschen peinlich, wรผrde ich sagen. Aber vielleicht erfรคhrt man ja an dieser Station Nr. 35 mehr. Denn bei einem bin ich mir sicher: Sรถhne werden nicht einfach so genial. Dazu gehรถrt immer eine anregende, kluge und mutmachende Mutter. Und all diese selbst gemachten Genies von heute sollten auch mal nachdenken, wie das war, als sie noch blanke Rotzlรถffel waren, wer ihnen da beibrachte, sich die Nase zu putzen und nachzudenken, bevor sie was Geistreiches von sich gaben.
Die Tour ist natรผrlich zweigeteilt. Die ersten 30 Stationen geht es einfach durchs alte Koblenz, vom modernen โForum Confluentesโ (das natรผrlich an die Rรถmer erinnert, die hier vor zwei Jahrtausenden ihr Castrum an den Zusammenfluss zweier Flรผsse bauten) รผber Rathaus, diverse Kirchen, Metternichs Hof, die Alte Burg und den โDeutschen Kaiserโ bis zum Deutschen Eck, also der westlichen Ecke unserer berรผhmtesten Nationaldenkmรคler (Vรถlkerschlachtdenkmal, Kyffhรคuser, Deutsche Eck), wo noch immer Kaiser Wilhelm I. reitet hoch zu Ross, oder besser: wieder reitet, denn auch der wurde im Zweiten Weltkrieg zerdeppert und 1993 neu gegossen.
Da hat man das Nationaldenkmal einfach zum Mahnmal umtituliert, auf dass wir Deutschen aufhรถren, die Welt mit Kaisern, Fรผhrern und Weltkriegen zu beglรผcken. Vom Deutschen Eck kann man so schรถn auf Rhein und Mosel schauen, wie sie ineinanderflieรen. Und Reinhard Mรคurer erinnert einen daran, dass es ein in Koblenz herausgegebenes Buch โ โRheinreise von Mainz bis Cรถlnโ โ war, das Karl Baedeker auf seine Erfolgsidee mit den berรผhmten Reisefรผhrern brachte, den Baedekern, die es noch heute gibt. Aber auch die Stadtrundgรคnge aus dem Verlag Lehmstedt gehรถren ja in diese Tradition. Im Hause Lehmstedt weiร man in Karl Baedeker einen Geistesverwandten.
Nach Deutschherrenhaus und Blumenhof begab sich auch Mรคurer รผber den Rhein โ natรผrlich mit der Seilbahn, die den Rhein seit der Bundesgartenschau 2011 รผberspannt, ausnahmsweise, denn eigentlich mag das die UNESCO nicht, wenn solche Stรถrungen in ein erklรคrtes Weltkulturerbe wie das Obere Mittelrheintal gebaut werden. Deswegen hat die Seilbahn nur eine Genehmigung auf Zeit โ bis 2026 vorerst. Man sollte sich also sputen, wenn man mal mit der Seilbahn 60 Meter รผber den Rhein gondeln mรถchte.
Danach gehtโs sowieso auf den Ehrenbreitstein hinauf, wo sich eigentlich ein Museum in das andere schachtelt, sodass die wirklich Wissbegierigen schon richtig erschรถpft sein werden, wenn sie endlich im Mutter-Beethoven-Haus ankommen. Obwohl danach noch das Rhein-Museum kommt, das nicht nur so heiรt, sondern wirklich zeigt, was so im Lauf der Zeit alles auf dem Rheine schwamm und schwomm.
Erstaunlich: Aber so in der รberschau gibt es doch einige Dinge, fรผr die es sich tatsรคchlich lohnt, auch mal nach Koblenz zu fahren. Und die Stadtrundgรคnge, die ja im Hause Lehmstedt in der Regel fรผr einen Tag konzipiert sind, sind ja vor allem Anregungen, wie man sich die Erkundung einer Stadt organisieren kann. Man muss ja nicht alles in einem Rutsch schaffen. Und seine Fรผรe erholen kann man jeden Tag im Weindorf (Nr. 30), wo man es einfach genieรen kann, in der wohl berรผhmtesten Weinregion Deutschlands unterwegs zu sein.
Reinhard Mรคurer; Mark Lehmsted Koblenz an einem Tag, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2021, 6 Euro.
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