Nun hat der Lehmstedt Verlag auch für Würzburg einen Stadtführer vorgelegt, für alle, die beim nächsten Städtetrip mal wieder eine Portion Geschichte erleben möchten. Auch wenn das erst einmal nicht so klingt: Würzburg? Geschichte? Aber vielleicht helfen ja Namen wie Tilman Riemenschneider oder Götz von Berlichingen? Bauernkrieg? Nichts wie hin.
Auch wenn man natürlich vor Ort eher vergeblich nach einem Pendant zum großen Bauernkriegspanorama bei Bad Frankenhausen sucht. Aber ein paar kleinere Erinnerungsmale an den Bauernkrieg und das Bekenntnis der Würzburger zu den Aufständischen findet man doch. Immerhin war ja auch der heute weltberühmte Holzschnitzer Tilman Riemenschneider nicht nur Sympathisant des Aufstands, sondern Ratsherr.Die Würzburger verknüpften ihre Beteiligung mit dem Versuch, aus der Untertänigkeit unter die Würzburger Fürstbischöfe herauszukommen. Doch die Erstürmung der am anderen Mainufer gelegenen Festung Marienberg misslang. Vielleicht auch, weil Götz von Berlichingen mal wieder frühzeitig abzog. Die Fürstbischöfe blieben. Tilman Riemenscheider wurde gefangen genommen und auf der Festung Marienberg gefoltert.
„Erst gegen Zahlung der Hälfte seines Vermögens wurde er freigelassen. Die nachtragende Obrigkeit sorgte dafür, dass Tilman Riemenschneider seine politischen Ämter und seine Arbeit verlor und bald in Vergessenheit geriet. Nach seiner Freilassung erhielt er nie mehr einen größeren Auftrag“, schreibt Wikipedia.
Aber ganz so ist es nicht. Heute ist jede Kirche und jedes Museum in Würzburg, das Arbeiten von Tilman Riemenschneide zeigen kann, bannig stolz. Und sie können fast alle etwas vorweisen. Und Christina Meinhardt irrt, wenn sie beiläufig meint, der wohl berühmteste Würzburger sei der Basketballer Dirk Nowitzki. Ihr eigener Rundgang, der am Marktplatz beginnt und auf der Festung Marienberg endet, straft sie Lügen.
Denn da begegnet man auch ein paar anderen Leuten, die noch berühmt sein werden, wenn sich nur noch Basketballspezialisten an den Star der Mavericks erinnern. Conrad Röntgen zum Beispiel, einer von 14 Nobelpreisträgern der Universität Würzburg. Oder Matthias Grünewald, der Schöpfer des Isenheimer Altars. Oder Walter von der Vogelweide, der im Neumünsterstift in Würzburg seinen Alterswohnsitz nahm, so ähnlich wie sein Zeitgenosse Heinrich von Morungen im Thomasstift in Leipzig.
Doch während das Grab Heinrich von Morungens schon seit Jahrhunderten nicht mehr auffindbar war, haben die Würzburger das Grab von Walter von der Vogelweide erst im 18. Jahrhundert plattgemacht. Es gibt also immer wieder Generationen, die auf ihre Weise rüpelhaft mit Geschichte und Erinnerung umgehen.
Wenigstens das Riemenschneiderhaus kann man besichtigen. Die Tonnengewölbe, in denen er seine Werkstatt hatte, haben selbst die schweren Bombardements im Frühjahr 1945 überstanden, die den größten Teil Würzburgs in Schutt und Asche legten. Man spaziert hier also durch eine alte fränkische Stadt, die nach den Kriegszerstörungen in großen Teilen wieder liebevoll restauriert wurde. Mit durchaus sehenswerten Bauten wie dem Hof zum Stachel, in dem sich 1525 die Anführer des Bauernaufstands trafen. Neben Riemenschneider und Götz von Berlichingen auch der Reichsritter Florian Geyer.
Man erfährt, warum ein Lindenbaum an den ältesten Teil des Rathauses, den Grafeneckart, gemalt ist, erlebt den opulenten Domkomplex vom Dom St. Kilian bis zu den Domherrenhöfen (wobei man hier zeitlich hinabtaucht bis in die Jahre 741/742, als das Bistum gegründet wurde). Drinnen sieht man natürlich jede Menge barocker Pracht und sieht im Museum am Dom natürlich eine Menge Arbeiten von Tilman Riemenschneider.
Und allein das dürfte für Kunst- und Prachtliebhaber schon mal genug sein für einen Tag. Dass die Fürstbischöfe hier gar nicht wohnten und residierten, erfährt man nämlich erst einige Stationen später, wenn es zur Residenz Würzburg geht, die heute zu den größten und berühmtesten Barockresidenzen Europas gehört und natürlich UNESCO Weltkurlturerbe ist.
Was auch an den architektonischen Wunderwerken Balthasar Neumanns und den prachtvollen Ausmalungen Tiepolos liegt. Und natürlich an lauter teurer Innenausstattung in Gold und Marmor, die einem zeigt, was sich Fürstbischöfe einst leisten konnten, wenn sie sich ein bisschen verschuldeten. In der Hofkirche spätestens merkt man, dass einen so viel Opulenz auch erschlagen kann.
Erholen kann man sich danach im Staatlichen Hofkeller, wo das eigentliche Herz von Würzburg schlägt, wo ja bekanntlich die ältesten und berühmtesten Frankenweine geerntet und in Bocksbeutel abgefüllt werden. Für Weinliebhaber allein schon lohnt sich diese Reise an den Main, auch wenn ihnen nach dem Bürgerspital zum Hl. Geist, dem Juliusspital und der Pleich die Füße schmerzen dürften.
Wobei: In der Pleich, dem „ältesten Würzburger Viertel“, gibt es, wie sich das gehört, „urige Kneipen“. Da kann man also noch einmal Kraft tanken, bevor es über den alten Kranen und die Alte Mainbrücke hinübergeht zur Festung Marienberg, wo man nicht nur eine herrliche Aussicht auf Main, Weinberge und Würzburg hat, sondern auch das Museum der Franken besuchen kann, das auch daran erinnert, dass Franken erst unter Napoleon von Bayern geschluckt wurde und in der Zeit Barbarossas mal ein mächtiges und einflussreiches Herzogtum war, obwohl der Titel der Herzöge von Franken irgendwie unrechtmäßig durch die Geschichte wanderte.
Und auch wenn sich Christina Meinhardt hier größte Mühe gibt, den immer zeitknappen Reisenden Würzburg als Ein-Tages-Tour zu offerieren, sagt einem jedes kulturverständige Zeitgefühl, dass man diese Tour wohl doch lieber in drei Tagen abläuft, um nicht abends mit schwirrendem Kopf und dem Gefühl aufs Bett zu sinken, zwar jede Menge gesehen zu haben, aber nichts davon wirklich genossen.
Höchste Zeit für bewusst langsameres Reisen möchte man meinen. Denn wer immer nur durchflitzt, hat am Ende viel gesehen, aber nichts behalten. Schon gar nicht das Gefühl, auch mal durch eine fürstbischöfliche Residenzstadt prozessiert zu sein.
Christina Meinhardt; Mark Lehmstedt Würzburg an einem Tag, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2021, 6 Euro.
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