Das Thema Geheimdienste ist für die seriöse Forschung nach wie vor ein kompliziertes Terrain. Im März erschien eine kompakte Geheimdienst-Geschichte Deutschlands, die ein paar Fragezeichen hinterlässt. Wir haben das Buch gelesen und etwas genauer unter die Lupe genommen.
Das Verhältnis vieler Deutscher zu „ihren“ Geheimdiensten ist speziell. Was in anderen Ländern des Westens als Teil moderner Politik gilt, wird durch Parteien und Medien in Deutschland oft bestenfalls als notwendiges Übel behandelt – skandalträchtig und scharfer Kontrolle zu unterwerfen, auch zulasten der Leistungsfähigkeit. Ein schlagkräftiges Narrativ, das Geheimdienste als Faktoren von Stabilität und Schutz ausweist, fehlt den Deutschen bis heute.
Von diesen Thesen ausgehend, spannt Wolfgang Krieger, zuletzt Professor für Neuere Geschichte an der Philipps-Universität Marburg, seine kürzlich in der Wissensreihe des Verlags C. H. Beck erschienene Überblicksdarstellung „Die deutschen Geheimdienste“ auf. Im straffen Tempo setzt das handliche Taschenbuch nach einem kurzen Vorwort in der Zeit des Deutschen Bundes und des Kaiserreichs an.
Vor 1900 nahm Österreich eine Pionierrolle im deutschen Sprachraum ein, was die Fundierung nachrichtendienstlicher Tätigkeit innerhalb des Staatsapparats betraf – schon unter der Regentschaft Maria Theresias wurden nach und nach moderne Polizeibehörden eingerichtet.
Im Deutschen Bund, einem lockeren Zusammenschluss vieler Einzelstaaten, gab es seit 1819 die „Zentralkommission zur Untersuchung hochverräterischer Umtriebe“ in Mainz, die vor allem Linke und Liberale als Bedrohung sah, verdächtige Personen erfasste und den Behörden meldete – nach Krieger die „erste Vorstufe eines deutschen Inlandsnachrichtendienstes.“
Geschichte einer verborgenen Schattenwelt
In den chronologischen Folgekapiteln geht es um einschlägige Stellen der Weimarer Republik und den regelrechten Wildwuchs geheimdienstlicher Strukturen im NS-Regime bis hin zur „Organisation Gehlen“, in der nach dem Zweiten Weltkrieg ab 1946 deutsche Militärs unter Aufsicht der US-Besatzungsmacht tätig wurden. Aus ihr ging 1956 der Bundesnachrichtendienst (BND) hervor, schon 1950 war das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland entstanden.
Nicht fehlen darf freilich auch die berüchtigte Staatssicherheit der DDR auf der anderen Seite des „Eisernen Vorhangs“, die gegen Ende des Buches mit einem eigenem Kapitel thematisiert wird. Krieger beschließt seine Ausführungen mit Entwicklungslinien nach dem Umbruch von 1989/90 und Perspektiven deutscher Sicherheitspolitik.
Dabei kommt islamistischer Terror als Phänomen ebenso zur Geltung wie Cyberspionage, Edward Snowden, das NSU-Desaster und der Terrorismus von rechts. Freilich: Es ist alles andere als leicht, die Komplexität der Materie in einem so kompakten Band einzufangen.
Das erklärt, warum es vor allem bei einem Parforceritt aus der Vogelperspektive bleibt, der viele Fragen deutscher Geheimdienstgeschichte nur zu skizzieren vermag, wie der Autor selbst betont. Gemessen daran, hat Krieger eine spannende Zusammenfassung vorgelegt, die durch Lesbarkeit und weniger bekannte Fakten aus der Schattenwelt der Geheimdienste punktet.
Oder wer weiß spontan eigentlich um deutsche Geheimoperationen in den USA während des Ersten Weltkriegs? Und wer kennt Otto John, den ersten Verfassungsschutz-Präsidenten der Bundesrepublik, der als NS-Widerstandskämpfer aus dem Zeitgeist der fünfziger Jahre herausstach und durch seinen Kuschelkurs mit der DDR einen handfesten Skandal heraufbeschwor?
Mitunter problematische Positionen
Dass einer seiner Nachfolger über sechzig Jahre später mit der schwammigen Aussage bedacht wird, er sei über seine Position zur Auswirkung der „Flüchtlingskrise“ gestolpert, ist jedoch – freundlich gesagt – irritierend.
Hans-Georg Maaßen musste 2018 vorzeitig seinen Platz räumen, weil er nach dem gewaltsamen Tod eines Mannes in Chemnitz, bei dem Asylbewerber verdächtig waren, und den Ausschreitungen im Nachgang unbewiesene Informationen gestreut hatte. Nicht nur hier flackert immer wieder eine Haltung Kriegers auf, die nicht geizt, gegen die Politik auszuteilen.
Wie berechtigt das im Einzelnen ist, sei dahingestellt. Doch auch andere Behauptungen im Buch sind problematisch – nur zwei Beispiele aus dem DDR-Kapitel: Eine „Unterwanderung“ der Bundesrepublik durch die DDR-Staatssicherheit scheint nach heutigem Wissen abwegig – dazu dürfte die Zahl an Spitzeln gar nicht ausgereicht haben. Und dass es die „Stasi“ am Ende der DDR nicht gewagt habe, die SED-Führung über den wahren inneren Zustand zu informieren, überzeugt als These ebenso wenig.
Auch wenn der DDR-Geheimdienst den Kollaps des Systems nicht prophetisch vorhersah, lieferte er dem Regime bis zuletzt Lagebilder über Versorgungsprobleme, Frust und Unmut der Bevölkerung – die Parteispitze um Erich Honecker verweigerte jedoch einen Kurswechsel. Es gäbe noch eine Reihe kritischer Fragen, die diskutabel sind, wie die nach einer wirksamen Kontrolle von Geheimdiensten durch das Parlament oder behördeninterner Rechtsextremismus.
Fazit: kritische Distanz notwendig
Allemal wird jedoch deutlich, dass Kriegers ohne Zweifel anregendes Buch trotz seiner Pluspunkte mit wachsamer Distanz zu lesen ist. Seriöse Geheimdienst-Forschung sieht sich immer einem schwierigen Terrain ausgesetzt – und wer sie dennoch betreibt, begibt sich fast zwangsläufig auf ein diskursives Minenfeld.
Wolfgang Krieger: Die deutschen Geheimdienste. Vom Wiener Kongress bis zum Cyber War, München 2021, Verlag C. H. Beck, ISBN 978-3-406-76432-5, 128 S., 9,95€. Hier kann das Buch direkt beim Verlag bestellt werden.
„Parforceritt durch eine Schattenwelt: ‘Die deutschen Geheimdienste'” erschien erstmals am 30. April 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung LZ.
Unsere Nummer 90 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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