Trauen Sie sich noch nach Connewitz? Oder versuchen Sie sich, wenn die Lautsprecheransage „Connewitz Kreuz“ ankündigt, auf Ihrem Sitz in der Straßenbahn ganz kleinzumachen, damit Sie keiner sieht von den hier lebenden schrecklichen Leuten? So ganz kann auch der Geograph Heinz Peter Brogiato das Thema nicht vermeiden, wenn er jetzt zu seinem vierten Spaziergang durch einen beliebten Leipziger Ortsteil einlädt.
Drei solcher als Stadtführer angelegten Spaziergänge hat er seit 2016 in der handlichen Reihe des Lehmstedt Verlages schon veröffentlicht. Da lud er zum Spaziergang durch Plagwitz, die Südvorstadt und Alt-Gohlis ein. Alles Touren, die selbst Leipziger/-innen interessieren dürften.Denn mit Brogiato lernt man nicht nur die eh schon bekannten Sehenswürdigkeiten kennen, sondern auch die historischen und architektonischen Kleinode in etwas abgelegeneren Straßen. Und das samt Ortsteilgeschichte, denn die Geographie eines Ortsteils erzählt nun einmal auch von ihrer Geschichte, der jüngeren und der älteren.
Das ist auch in Connewitz so, denn ohne die von den stockkonservativen Medien in Stadt und Land verteufelte alternative Szene sähe Connewitz heute nicht so aus – nicht so bunt, nicht so lebendig, auch nicht in Teilen so gut erhalten. Denn 1989 stand gerade Alt-Connewitz zum Abriss, die Bagger standen schon bereit, die die heruntergewirtschaftete Bausubstanz rund um die Biedermannstraße abräumen sollten, damit Plattenbauten an ihre Stelle treten konnten.
Es waren die Hausbesetzer/-innen aus dieser Umbruchszeit, die eben nicht nur die bedrohte Bausubstanz im Herzen von Connewitz retteten, sondern auch jene bunte Kulturszene zum Blühen brachten, die den Ortsteil bis heute besonders vielfältig macht.
Dass ausgerechnet diese Szene anfangs massiv und gewalttätig von Rechtsradikalen angegriffen wurde, wird meistens vergessen, wenn gut gepflegte Redakteure wieder ihre Randalegeschichten über Connewitz schreiben. Gewaltsame Vorfälle gibt es tatsächlich immer wieder, fast jeder Vorfall mit einem Auslöser, der so nicht hätte sein müssen.
Mal sind es wilde Hausdurchsuchungen einer entfesselten Polizei, mal sind es neue Bauprojekte im Ortsteil, die das Thema Gentrifizierung befeuern. Noch viel stärker als etwa in Plagwitz wird hier sichtbar, wie eine auf Rendite fixierte Immobilienwirtschaft die Früchte von 30 Jahren Sanierung und kultureller Vielfalt erntet, während die eigentlichen Akteure zunehmend das Gefühl haben, verdrängt zu werden.
Auch das gehört zur Psychologie in Connewitz und der hier öffentlich ausgetragenen Frage: Wem gehört die Stadt eigentlich? Denen, die ein Wohnviertel erst attraktiv gemacht haben, oder nur denen, die die steigenden Mieten zahlen können? Denn was bleibt von einem lebendigen Stadtquartier eigentlich, wenn die schlechter Verdienenden einfach verdrängt werden, was ja hinter dem schönen Wort Gentrifizierung steckt? Zum Glück haben die Diskussionen darüber im Leipziger Stadtrat seit einiger Zeit ein anderes Gewicht.
Was noch nicht heißt, dass diese Vielfalt, wie sie auch Brogiato in seiner 47-Stationen-Wanderung zeigt, auch wirklich bewahrt werden kann. Andererseits zeigt Brogiato natürlich auch, dass der Ortsteil im Leipziger Süden eben nicht nur aus Biedermannmstraße und „Stö“ besteht, obwohl man hier natürlich das gerettete Alt-Connewitz am besten besichtigen kann.
Brogiato beginnt an der prägenden Hochschule des Ortsteils, der HTWK und ihren dominanten Gebäuden gleich an der Karl-Liebknecht-Straße. Das Haus der Demokratie und Ilses Erika werden beim Spaziergang genauso gestreift wie das Werk 2, die Thalysia-Höfe und natürlich das markante Weichbild am Kreuz, das als letztes seiner Art in Leipzig daran erinnert, bis wohin einst die Rechtsgewalt der Stadt Leipzig reichte.
Und natürlich erzählt Brogiato zu jedem Punkt an der von ihm durch Connewitz gelegten Spazierstrecke auch die Geschichte. Eine Geschichte, die man als Ortsfremder gar nicht erst sehen würde, wenn man nicht auf den fast unscheinbaren Eingang zum UT Connewitz aufmerksam gemacht würde, auf die Gebäude des ehemaligen Straßenbahndepots an der Simildenstraße oder die unter Denkmalschutz stehenden Tagelöhnerhäuser in der Roßmäßlerstraße.
Brogiato bleibt mit seinen Lesern nicht auf den üblichen Hauptstraßen, sondern zeigt auch, was abseits davon so alles versteckt liegt. Oder weist auf die markanten Wohnanlagen hin, die hier zu Beginn des letzten Jahrhunderts entstanden, typische Beispiele dafür, wie Baugenossenschaften damals auch mit einem Blick für schönes und praktisches Bauen die Wohnungsnot im Ortsteil linderten.
Diese Wohnensembles sind noch heute beliebt. Und dass Connewitz auch mal eines der beliebtesten Ausflugs- und Erholungsziele der Leipziger war, kann Brogiato an der ganzen Prinz-Eugen-Straße entlang erzählen, bis hin zum Conne Island, dem einstigen Eiskeller, der auch deshalb als Ausflugslokal so beliebt war, weil hier die Endstation der Straßenbahn war, bevor die Straßenbahngesellschaft so klug war, die Straßenbahnlinie bis Markkleeberg zu verlängern. Auf die Idee, so eine Linie einzustellen, muss man erst mal kommen …
Aber natürlich streift der Rundgang auch das St. Elisabeth Krankenhaus und St. Bonifatius, lässt die Paul-Gerhard-Kirche genauso wenig aus wie den Friedhof Connewitz, auf dem auch die namhaften Connewitzer Fabrikanten ihre Ruhestätte fanden. Und zuletzt entführt Brogiato die Spaziergänger natürlich in den Auwald, der ja tatsächlich große Teile der Gemarkung Connewitz einnimmt und wo der Wildpark zum tierischen Abschluss des Ausflugs wird.
Wer die Tour so mitgeht, wird am Ende bestimmt merken, dass Connewitz ganz und gar nicht so klein und einthematisch ist, wie es die einschlägigen Zeitungen gern erzählen. Im Gegenteil: Es tut sich genau jene Lebendigkeit auf, die den Ortsteil für Menschen aller Art so attraktiv machen. Außer für jene Leute natürlich, die hier ihre Deutungsmuster platziert haben und sich das aus ihrer täglichen Zeitung nur zu gern bestätigen lassen. Da braucht man dann nämlich nicht hinzufahren und muss seine Vorurteile nicht korrigieren.
Heinz Peter Brogiato; Mark Lehmstedt Leipziger Spaziergänge. Connewitz, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2021, 6 Euro.
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