Seit 2012 erfreuen die Inselplakate nicht nur die Leipziger zur Buchmessezeit. Damals wurde die legendรคre Insel-Bรผcherei 100 Jahre alt. Eigentlich ein echtes Leipziger Ereignis, hatte der Insel-Verlag ja 1912 seinen Sitz in Leipzig. Aber die Zeitlรคufe haben den Verlag inzwischen zu einem Teil des Suhrkamp Verlages in Berlin gemacht. Also nahmen sich die Leipziger Buchwissenschaftler des Jubilรคums an.

Mit groรŸen, thematisch gestalteten Plakaten machten sie nicht nur auf das ganz besondere Jubilรคum einer beliebten Buchreihe aufmerksam, sondern machten auch sichtbar, welche Themenwelten in so einer nicht nur bei Sammlern beliebten Reihe zusammenfinden. Und zwar selbst dann, wenn die Herausgeber gar nicht so thematisch geplant haben. Aber wenn รผber 100 Jahre immer neue Titel produziert werden, die an die Neugier, den รคsthetischen Genuss und die Sammelfreude der Buchkรคufer appellieren, entstehen ganz von allein auch thematische Welten. Und einige davon machten die Plakate des Jahres 2012 auch schon deutlich.โ€žSchiff ahoi!โ€œ hieรŸ eines, das โ€“ unterm Zeichen des Verlagssignets โ€“ die maritimen Titel aus den mittlerweile รผber 2.000 Bรคndchen der Insel-Bรผcherei auswรคhlte. Eines zeigte die โ€žWeltkulturโ€œ, die in der Bรผcherei von Anfang an vertreten war. Weshalb die liebevoll und unverwechselbar gestaltete Reihe eben nicht nur Sammler ansprach, die darauf erpicht waren, eine mรถglichst vollstรคndige Sammlung aller erschienenen Titel zusammenzubekommen.

Sie sprach auch immer all jene Leser/-innen an, die einfach nur einen mรถglichst schรถnen, jederzeit griffbereiten รœberblick zur Weltliteratur haben wollten. Und da dabei immer auch liebevoll gemachte Titel zu Kunst, Kultur, Gรถtter-, Mythen- und Sagenwelt der Vรถlker erschienen, war die Bรผcherei immer auch ein Blick in die Welt. Wer die Bรคndchen hatte, wusste das Wichtigste, was es zu wissen gab. Damals, als es noch etwas galt, wenn jemand sich als ein kulturvoller Mensch verstand. Das war mal etwas Erstrebenswertes in Zeiten, bevor jeder sein eigener Lautsprecher und Besserwisser werden konnte.

Fast hรคtte man meinen kรถnnen, solche Buchreihen stรผrben aus, wenn das Internet mit seinen ganzen Fakes, Manipulationern und Oberflรคchlichkeiten das Buch verdrรคngen wรผrde. Aber die Insel-Bรผcherei lebt, wie man auch auf der Website des Suhrkamp Verlages sehen kann. Und die Herausgeber haben augenscheinlich die alte Lust wiederentdeckt, den buchlesenden Menschen wieder genau das Gefรผhl zu geben, dass ihnen hier Literatur und Kultur mit Liebe und Gestaltungswillen nahegebracht wird.

Also genau das, was 1912 mal die Grรผndung dieser Buchreihe gedanklich begleitete. Ganz abgesehen davon, dass man mit diesen Bรคndchen auch einen guten Teil der lesenswerten Weltliteratur in die Hand bekam. Was dann natรผrlich auch leicht mรถglich macht, Plakate mit Titeln zur Schweiz, zu Irland oder zu China zu gestalten.

Es waren die Studierenden der Buchwissenschaft selbst, die 2012 darangingen, die Plakate zu gestalten und auch mit der ร„sthetik der Bรคndchen zu spielen, sodass die Plakate selbst dann noch einmal sichtbar machten, dass sich schon die Gestalter der einzelnen Bรคndchen sehr viel Mรผhe gegeben hatten, den Inhalt auch in der Gestaltung des Buches sichtbar zu machen.

Natรผrlich sehen die kleinen Bรคndchen, die sich mit Garten und Natur beschรคftigen, wie florale Zauberkรคstchen aus. Und entsprechend blรผtenreich prรคsentiert sich das Plakat โ€žSommergartenโ€œ. In dunklem Waldesgrรผn lรคdt โ€žIm Waldeโ€œ ein und in kosmischer Schรถnheit das Plakat โ€žLunatischโ€œ.

Ein buchwissenschaftliches Experiment mit einem Inselbรคndchen: Ein Termitenbuch von Sophie Lokatis und Julia Alice Treptow

36 Plakate sind seitdem entstanden, die jรผngsten im Frรผhjahr 2021 fรผr eine Buchmesse, die nicht stattfindet. Und โ€“ im Fall von โ€žKulinarischโ€œ โ€“ fรผr Gaststรคtten, die bislang ihre Innenrรคume noch nicht wieder รถffnen dรผrfen. Aber die Plakate sind ja nicht nur fรผr die bis 2019 รผblichen Buchmesserundgรคnge gedacht und die Schaufensterausstellungen in der Leipziger Innenstadt.

Sie sind lรคngst schon selbst wieder bei Sammlern beliebt und sind auch schon als eigene Ausstellung in die Welt gereist. Denn Bรผcher sind Botschafter. Sie erzรคhlen davon, was Leser/-innen wirklich fasziniert: die ganze Welt. Auch wenn ab und zu ein paar Kriege, Diktaturen und deutsch-deutsche Zwistigkeiten dazwischenkommen, die auch die Insel-Bรผcherei immer wieder durcheinandergewรผrfelt haben.

Darรผber schreibt Siegfried Lokatis in dem, dem Buch beigegebenen, Essay โ€žEine gesamtdeutsche Reihe? Der Inselbuch-Nummernkrieg 1962โ€“1987โ€œ. Wobei das eher kein Krieg in dem Sinn war, sondern das Ergebnis der Tatsache, dass es zeitweilig zwei Insel-Verlage gab, die sich irgendwie mit den Gegebenheiten der deutschen Teilung arrangieren mussten. Und manchmal gelang das ganz gut, manchmal siegten die Animositรคten.

Aber das Nummernwirrwarr begann ja nicht erst 1962, auch das erwรคhnt Lokatis. Das ging schon 30 Jahre frรผher los, als auch der Insel-Verlag auf die Zensurpolitik der Nazis reagierte und etliche โ€žunerwรผnschteโ€œ Autor/-innen aus dem Programm flogen und die Nummern mit genehmeren Titeln besetzt wurden. Was dann auch schon vor 1962 das Sammeln aller verfรผgbaren Insel-Bรคndchen zum Abenteuer machte.

So gesehen ist die Insel-Bรผcherei sogar ein exemplarisches Beispiel dafรผr, welches Chaos staatliche Verbotspolitik und Bevormundung anrichtet in der Bรผcherwelt. Und wie erfolglos sie damit letztlich ist. Denn รผber die Verkรคuflichkeit der Ware Buch entscheidet nicht, ob der Inhalt den Zensoren genehm ist, sondern ob er den Kรคufern gefรคllt. Mรถglichst samt grafischer Gestaltung. Ein gutes Buch muss man nicht mal einwickeln, es ist von vornherein ein Geschenk fรผr Auge und Phantasie. Und so werden die meisten Insel-Bรคndchen wohl auch gekauft und verschenkt. Fast jedes ein gelungenes Geschenk fรผr die Beschenkten.

Und dieser groรŸformatige Band ist es auch, nicht nur, weil er alle 36 bislang entstandenen Inselplakate detailliert vorstellt und auch erlรคutert, was im Detail zu sehen ist. Sondern auch, weil er den noch nicht Faszinierten zeigt, welche Vielfalt in dieser nun 109 Jahre alten Buchreihe steckt und was man alles entdecken kann, wenn man sich auch nur thematisch in sie hineinwรผhlt. Zum Beispiel in die vielen kleinen Schriften groรŸer Autor/-innen, die sonst oft in Sammelbรคnden untergehen und hier ihren eigenen, liebevoll gestalteten Auftritt haben.

So mancher wird sich animiert fรผhlen, auch mal wieder im Antiquariat zu stรถbern, selbst dann, wenn man gar nicht mit den groรŸen Sammlungen wetteifern mรถchte, in denen die ganze Insel-Bรผcherei fast vollstรคndig zu finden ist, gar mit Erstausgaben und allen mรถglichen Varianten in Gestaltung und Druck. Die Freude beginnt ja schon dann, wenn man einzelne Titel bekommt, die man immer schon mal lesen wollte.

Und die man gern immer wieder liest. Gerade in unseren so chaotischen Zeiten. Nichts hilft besser gegen den Irrsinn der Tage, wie ein Griff zu Eichendorffs โ€žWanderliedernโ€œ, Heines โ€žWintermรคrchenโ€œ oder โ€žSt. Brandans Wundersamer Seefahrtโ€œ. Man findet seinen Swift genauso wie seinen Zweig, seinen Goethe sowieso (zu dem es natรผrlich ein eigenes Inselplakat gibt) oder seinen Petrarca, Hesse oder Dickens. (Ja, das Plakat Frauen-Power fehlt noch.)

Fast mรถchte man meinen: Es ist alles da. Was natรผrlich nicht stimmt. Aber es ist von allem etwas da. Und vor allem so schรถn portioniert, dass diese Bรผcherei fรผr viele Leser/-innen immer schon der Einstieg war ins selbstbestimmte Lesen. Worin sich die Insel-Bรผcherei dann wieder von der ebenfalls in Leipzig geborenen Reclam Universalbibliothek unterscheidet, mit der viele leider heute auch noch ihre unliebsame Begegnung im Schulunterricht machen. Leider, muss man sagen. Das hat auch Reclam nicht verdient.

Und wer sich noch nicht in die Insel-Welt verirrt hat, fรผr den ist dieses Plakate-Buch wie eine Einladung, einzutauchen und zumindest eine Ahnung davon zu bekommen, wie viele Welten in so einer kleinen Bรผcherei zu entdecken sind.

Siegfried Lokatis Leipziger Inselplakate, Edition Hamouda, Leipzig 2021, 36 Euro.

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