Die Jeans ist wohl die Jahrhunderthose schlechthin, ein Statement in Blau, das noch vor einem halben Jahrhundert Politiker in Ost und West auf die Palme brachte. Ute Scheffler hätte durchaus auch ganz allein die politische Geschichte dieser Arbeiterhose erzählen können, die heute längst als Luxusversion in den Boutiquen der Reichen angekommen ist. Aber wie konnte dieses Protestsymbol Kult werden?
Und was überhaupt ist Kult? Eine berechtigte Frage, wenn die Autorin am Ende aufblättert, in wie vielen Schnitten und Passformen es die Jeans heute gibt, in welchen Materialien und Farben und wie sie längst getragen wird. Was kein Bruch mit der Geschichte dieser Hose ist, denn auch für Löb (Levi) Strauß aus Buttenheim in Franken, der in Amerika sein Glück suchte, ging es bei der Kreation dieser Hose vor allem ums Geschäft. Wobei es anfangs tatsächlich ja ein handfestes Geschäft war.Die Legende ist in diesem Fall keine Legende: Das neue (Industrie-)Arbeiterzeitalter brauchte Arbeitshosen, die etwas aushielten. Und wie in so vielen Fällen heute berühmter Produktstandards war auch die Hose mit ihrem haltbaren Stoff, den doppelten Nähten, den Nieten und den fünf Taschen (eine für die Taschenuhr) keine geniale Einzelidee, sondern Ergebnis eines Optimierungsprozesses, der am Ende genau den Hosentyp ergab, den das neue Zeitalter brauchte.
Dass diese Hose in Blau auch gleich noch ein Statement wurde, hat dann schon eine Menge mit den Medien und den wirren Reaktionen der Erzkonservativen in aller Welt zu tun. Ein exemplarischer Fall für die Schizophrenie einer Konsumgesellschaft, deren Gesetze gerade die Männer nicht begriffen, die die ganze Zeit Konsum predigten. Nur wirken auch ökonomische Gesetze anders, als es die Big Bosse den von ihnen gekauften Politikern gern weismachen.
Sie predigen gern gegen Sozialgesetzgebungen und den Sozialstaat. Aber es war ausgerechnet der von Franklin D. Roosevelt nach der Weltwirtschaftskrise von 1929/1930 aufgebaute Sozialstaat, der erst in den USA für einen rapiden Anstieg des Wohlstands in der ganzen Breite der Bevölkerung sorgte und damit auch vergleichbare Entwicklungen in Europa auslöste.
Ohne Roosevelts New Deal auch kein Wirtschaftswunder in Deutschland. Das merkt Scheffler zumindest beiläufig an. Aber genau diese Phänomene sorgen dafür, dass sich nicht nur Millionen Menschen einen bis heute Maßstab setzenden Wohlstand aufbauen konnten. Der New Deal sorgte auch dafür, dass junge Menschen auf einmal Geld in der Tasche hatten und sich etwas leisten konnten.
Das war der Beginn der Rock-und-Pop-Ära, die sich in der Musik genauso austobte wie im Film, in der Literatur, bei den Frisuren und natürlich in der Mode. Auf einmal waren junge Menschen eine attraktive Zielgruppe. Nur kauften die natürlich nicht die grauen und schwarzen (Büro-)Hosen der alten Herren. Warum auch?
Ist das große Buch über die enge Verquickung von Ökonomie und Kultur eigentlich schon geschrieben worden? Denn das Phänomen, dass Wohlstand in der Breite der Gesellschaft auch die Kultur verändert, hält ja bis heute an. Auch in ihren negativen Folgen, denn die Konsumgesellschaft kennt auch ihre Irrungen und Wirrungen, wenn die Alten immer mehr Geld haben und nun auf einmal die Jungen wieder zum Konsumverzicht gezwungen sind. Und das sind sie.
Mit dem Ergebnis, dass reiche alte Säcke sich in Stonewashed Jeans und Jackett auftakeln, während junge Leute sich mit Billigklamotten aus dem Mode-Discounter kleiden müssen.
Das nur so an Rande, auch wenn das anklingt, wenn Ute Scheffler am Ende auflistet, welche Marken und Preisklassen die einstige Arbeiterhose inzwischen zum Luxusobjekt gemacht haben.
Zwischendurch erzählt sie natürlich, wie die Hose in den 1950er Jahren ihren Rebellenstatus bekam und junge Leute sie gerade deshalb haben wollten, weil die Alten sie als Kleidung von Outlaws und Kriminellen verteufelten. Ein Effekt, der in Ost wie West ganz gleich funktionierte. Wer die Hose anzog – und zwar auch im öffentlichen Raum -, der zeigte eine durchaus rebellische Haltung, so ein „Ihr könnt mich mal!“
Da knickte selbst die SED-Führung ein und zog gar selbst eine DDR-eigene Jeans-Produktion auf. Auch über dieses durchaus nicht schwarz-weiße Kapitel der ostdeutschen Hosenpolitik berichtet Ute Scheffler. Es fallen Worte wie Lebensgefühl, was etwas anderes ist als Kult.
Das ist die philosophische Dimension dieses Kleidungsstücks, über die auch die PR-Agenturen der heutigen Kleidungskonzerne nicht wirklich nachdenken. Denn bei einem Kult steht das anbetungswürdige Produkt im Mittelpunkt – und damit letztlich der Preis, der dann irgendwann nichts mehr mit den wirklichen Herstellungskosten zu tun hat.
Produkte, die als „Kult“ verkauft werden, kann man ruhigen Gewissens meiden. Sie halten nicht das, was sie an falschen Versprechungen mitbringen. Das gilt nicht nur für die Jeans. Und wer vom Fieber angesteckt ist, alles zu kaufen, was sich als Kult anpreist, weiß eigentlich, dass all der Babel nichts, aber auch gar nichts mit seinem eigenen Lebensgefühl zu tun hat.
Denn Lebensgefühl kommt aus einer anderen Sphäre, aus der nämlich, wo man sich mit dem, was man trägt, eins fühlt, wo der Stil auch vom Menschen erzählt. Übrigens eine Tugend der ostdeutschen Modedesigner/-innen, die sie zur Perfektion brachten, auch wenn die Bekleidungsindustrie im Osten meist nicht die nötigen Stoffe und Materialien zur Verfügung hatte.
Aber der Ansatz besticht noch heute, wie der große Band „Modegrafik“ aus dem Lehmstedt Verlag erzählt: Wirklich stark ist Mode dann, wenn sie Menschen hilft dabei, ihre Persönlichkeit auch in der Kleidung zu zeigen. Was natürlich in der DDR immer ein schizophrenes Ding war, denn natürlich ist das dann auch verräterisch.
Und sollte es auch sein. Das betraf ja nicht nur die Jeans, sondern auch andere Kleidungsstücke wie den Parka: Wer so etwas anzog, setzte nach außen sichtbar ein klares Zeichen, dass ihm die gewünschte Normierung und Unterordnung fremd war. Da hätten sich Polizei und Stasi eigentlich nur auf den Straßen umschauen müssen, um sehen zu können, dass ihre Ideologie weder beliebt noch unwidersprochen war. Am Ende waren es Ostdeutsche in Jeans, die die Mauer am 9. November 1989 besetzten.
Was dann freilich westliche Interpreten gern als Sieg ihrer Art Konsumgesellschaft interpretierten. So gesehen selbst wieder Sprachrohre einer erfolgreichen (und unreflektierten) Werbeindustrie. Und so steht tatsächlich die Frage, die Ute Scheffler am Ende offenlässt: Ist die Jeans eigentlich noch das rebellische Utensil, das sie einmal war?
Oder ist es den PR-Giganten auch in diesem Fall gelungen, einem Kleidungsstück, das einmal ein Statement war, die Botschaft zu entziehen, es also zu zähmen? Müssen heutige Rebellen tatsächlich erst Springerstiefel und Hoodies anziehen, um wieder einen wie auch immer gearteten Widerspruch zur selbstgefälligen Gesellschaft der Alten auszudrücken?
So ein kleines Büchlein – und dann solche Gedanken. Auch wenn Ute Scheffler das selbst nicht so schreibt. Sie will hier ja wirklich nur ein Buch für all jene vorlegen, die ihre Jeans gernhaben und einfach wissen wollen, wie es zur Entwicklung dieser beliebten Bekleidung des 20. Jahrhunderts kam, wie sie zum rebellischen und eben leider auch kultigen Produkt wurde und wie viele Arten es davon in den diversen Shops eigentlich gibt.
Die aufrührerischen Gedanken entstehen erst, wenn man die Fragen weiterdenkt, die Ute Scheffler zum Verlust des Rebellischen stellt. Oder steckt davon noch etwas in dieser blauen Hose, die man tragen kann, bis sie durchgewetzt ist? Ist also vielleicht noch ein bisschen rebellischer Geist erhalten, von dem ja auch clevere Unternehmer aus dem Silicon Valley profitieren, wenn sie ihre neuen smarten Produkte in Jeans und Rollkragenpullover präsentieren? Oder wird sich hier eine Jugendlichkeit einfach angeeignet, die nun auch dem kleinen Telefonchen anhaften soll?
Es sind durchaus Fragen der Einvernahme lebendigen Widerspruchs durch eine gierige Vermarktung, die einfach alles verwurstet – und damit entwertet, weil sie es für sich selbst verwertet? Diese Frage steht nun wirklich, wenn man das Büchlein durchgelesen hat. Auch wenn der Drang, sich jetzt ausgerechnet ein Teil aus der Edelboutique zu holen, denkbar abgekühlt ist. Dann doch lieber eine im klassischen Straight Cut, ordentlich gearbeitet und haltbar. Wohl wissend, dass eine klassische Jeans auch gleich mal 8.000 Liter Wasser braucht, bis sie verkaufsfertig im Laden liegt.
Ute Scheffler Jeans. Einfach Kult!, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2021, 5 Euro.
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