Fledermäuse und Hühnerkrallen kommen nicht vor in Regina Röhners Hexenküchenrezepten. Aus gutem Grunds. Denn sie sind nur Teil der Hexenmärchen und dramatische Zutaten für die höchstchristliche Schaffung des Feindbildes Hexe in der Neuzeit. Mit den so systematisch von der Kirche verfolgten weisen Frauen hat das alles wenig zu tun. Die Rezepte von Regina Röhner haben es schon mehr.
Auch wenn es am Ende richtig süß wird und man den Verdacht bekommt, Hexen sind eigentlich nur Frauen, die Süßigkeiten aller Art – von der Biskuitrolle bis zur Schwarzwälder Schnitte – einfach nicht widerstehen können.Aber diese Rezepte haben vor allem Platz gefunden, damit auch die süßen Früchte aus den alten Bauerngärten Platz finden, die natürlich auch zum Repertoire der alten Kräuterfrauen gehörten, auch wenn sie daraus wohl eher Marmelade, Grütze und Liköre machten oder sie einfach zum Süßen verwendeten.
Die tatsächlichen Rezepte der weisen Frauen haben sich mit höchster Wahrscheinlichkeit in all den Volksrezepten erhalten, die bis heute als regionale Küche überlebt haben, denn natürlich hatte sich im Lauf der Jahrhunderte auch bei den Frauen in den Dörfern jede Menge Wissen angesammelt über die Heilkraft all dessen, was draußen in Feld und Wald wuchs und was bis ins 19. Jahrhundert zu einem richtigen Bauerngarten gehörte.
Das wird deutlicher, wenn man die vielen kleinen Erklärungen von Regina Röhner am Rand der Seiten liest, in denen sie erklärt, was alte Heilkundebücher und Rezeptsammlungen über die heilende Wirkung von all den Pflanzen zu berichten wussten.
Manches war echte Erfahrung, anderes mehr oder weniger Glaube und Hoffnung. Die aber nicht tot sind – das sieht man an der nicht nachlassenden Faszination des Spargels als phallisches Aphrodisiakum – was der Bleichling aus der Erde schlichtweg nicht ist. Da gibt es ganz andere Gemüse aus unseren Gärten, die das Blut tatsächlich in Wallung bringen oder den oder die Geliebte in besinnliche Laune versetzen. Und das tun sie tatsächlich, manchmal auch heftig, wenn man die alte Weisheit des Paracelsus vergisst: „Die Dosis macht das Gift.“
Wobei es auch den Frauen, die über Jahrhunderte das Kräuterwissen hüteten, nicht wirklich darum ging, immer nur irgendwelche verführerischen Zaubertränke zu destillieren. Auch das ist ein Mythos. Aber über die Wirkung der Kräuter aus dem Garten wussten sie sehr wohl Bescheid. Egal, ob Basilikum, Fenchel, Minze, Kerbel oder Johanniskraut. Wer sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, findet diese Kunde der wirksamen Kräuter auch in den Büchern mittelalterlicher Berühmtheiten wie Hildegard von Bingen.
Aber wenn eine machtvolle Institution ein Opfer sucht, hilft auch kein Kraut dagegen. Dann wird gerade das, was dem Volke tatsächlich hilft, zum Feindbild einer fanatischen Inquisition. Aber es ist der kirchlichen Inquisition trotz aller Schrecknisse nicht gelungen, das alte Wissen auszumerzen. Es hat im Volke überdauert – oft auch als schlichter Glaube und mutmaßlicher Glücksbringer.
Man sah im Hasen die Fruchtbarkeit und im Reis ebenso, Erbsen halfen über die Fastenzeit und neunerlei Kräuter waren das Glücksversprechen fürs ganze Jahr. Vom hungerstillenden Hirsebrei erzählen mehrere Märchen und Pfannkuchen für die Hausgeister haben Hausfrauen viele Jahrhunderte lang vor die Tür gelegt.
In diesen kleinen Notizen am Rand gibt Regina Röhner den Leser/-innen einen kleinen Einblick in die Zeugnisse, die zumindest in Büchern und Überlieferungen noch von dem teilweise magischen Umgang mit den Kräutern und Früchten unserer Region erzählen. Vieles hat die Wissenschaft mittlerweile als schönen Aberglauben entlarvt, manches aber auch bestätigt, weil in den Pflanzen ja tatsächlich Wirkstoffe enthalten sind, die im Körper die unterschiedlichsten Wirkungen auslösen können.
Aber Heiltränke wird man in dem Buch nicht finden. Sondern lauter phantasievolle Anregungen, was man mit all diesen heimischen Pflanzen und Früchten in der Küche anfangen kann. Bei Suppen und Eintöpfen könnte man sich tatsächlich wie in einer guten Hexenküche fühlen. So könnte das auch in den Frühlingszeiten des späten Mittelalters in vielen Küchen ausgesehen haben.
Aber Regina Röhner kann auch nicht verstecken, dass sie die ganze Sache mit sehr heutigem Blick betrachtet und die alten Gemüse und Kräuter nur zu gern in sehr heutige Rezepte verwandelt. Man hat also einerseits das schöne Gefühl, irgendwie ganz ähnlich frohgemut wie die Frauen des Mittelalters mit der frischen Ernte aus dem Garten, mit Hase, Huhn und Scholle umzugehen.
Und gleichzeitig sind es ganz moderne Rezepte, die unsere heutigen Erfahrungen von gesundem Essen aufgreifen. Sei es gleich zum Start der (natürlich erotische) Artischockensalat, seien es die gefüllten Weinblätter oder das Bärlauch-Brennnesselbrot – das kommt einem doch sehr heutig vertraut vor. Gerade wegen dieser Zutaten.
Denn mit der Hexenküche beschäftigt sich ja Regina Röhner nicht unbedingt aus nostalgischen Gründen, sondern aus ganz gegenwärtiger Sicht: Es ist die Wiederentdeckung der Vielfalt unserer regionalen Produkte, die logischerweise der Grundbestandteil jeder alten Küche waren. Und die heute erst recht wieder auf den Tischen auftauchen, weil nicht nur Hausfrauen begriffen haben, dass die Fertigprodukte aus dem Laden nicht wirklich Gesundmacher sind.
Und in den Rezepten, die Regina Röhner hier versammelt hat, wird das sehr sichtbar: Nicht nur Liebe geht durch den Magen, sondern auch Gesundheit. Und der Rückgriff auf die heimische Pflanzenwelt ist eben auch einer auf jene Lebensmittel, mit denen unser Körper am besten zurechtkommt. Er braucht auch diese Vielfalt und reagiert auch positiv darauf, auch wenn so mancher Zwiebeln, Bohnen und Knoblauch aus seinem Leben verbannt hat, warum auch immer.
Dabei entfalten sie ganz selbstverständlich kulinarische Genüsse, wenn sie an der richtigen Stelle in der Speisefolge landen und die Köchin oder der Koch wissen, wie man sie wirklich schmackhaft zubereitet.
Es ist letztendlich eine sehr persönliche Hexenküche, die Regina Röhner hier vorstellt, grundiert mit den vielen uralten Zuschreibungen, die das Volk den Pflanzen im Garten einst angehängt hat. Man würde sich wahrscheinlich ein wenig seltsam fühlen, wenn eine listig blinzelnde alte Frau einem ihre Gartenbevölkerung genau so erklärt und einem dann eine hübsche Liebessuppe kochen möchte. Es ist wie das Murmeln eines uralten Denkens, das noch halb magisch und halb wissend ist.
Dabei wäre es natürlich überhaupt keine schlechte Idee, seinen Garten wieder genauso anzulegen wie einst die Bauern und weisen Frauen. Denn natürlich bekommt man so die ganze Vielfalt des Jahres in die Küche. Und zwar frisch und selbst geerntet. Und dann ist es nur eine Frage der richtigen Stunde, dass man daraus das eine oder andere Rezept nachkocht aus Reginas Röhners Hexenküche. Wenn es dann wispert ringsum, könnte das die munter gewordene Familie sein, der das Wasser im Mund zusammenläuft.
Regina Röhner Rezepte aus meiner Hexenküche, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2021,9,95 Euro.
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