Man kann Jasmins erste Reaktion nur zu gut verstehen. „Flaggen, dafür interessiert sich doch keiner“, sagte sie, als Benjamin Fredrich mit der Schnapsidee ins Katapult-Büro kam, jetzt ein Buch über Flaggen machen zu wollen. Und dann surfte er ein bisschen auf Wikipedia und merkte, wie verrückt erst einmal die Leute sind, die auf Wikipedia hunderte Seiten und Unterseiten über Flaggen und Flaggensymbole verfasst haben.

Das menschliche Wissen ist so gewaltig und vielfältig und manchmal unglaublich kleinteilig, dass man vielleicht doch auf die Idee kommen könnte, dass es der Dummheit an Menge vielleicht doch das Wasser reichen könnte. Denn was bedeutet das eigentlich, wenn es auf Wikipedia ganze Seiten zu Kreuzen und Löwen auf Flaggen gibt? Zu Trikoloren, Handels- und Kriegsflaggen? Und natürlich Seiten zu jeder einzelnen Nationalflagge, offiziellen und inoffiziellen Landschaftsflaggen, zu Volksgruppen, Städten und Provinzen?Man versteht Fredrichs Begeisterung, als er merkte, was es da alles gibt. Nur: Was macht man draus? Noch ein ernstes Flaggenbuch, von denen es schon hunderte gibt? Wahrscheinlich sogar tausende. Denn hunderte jederzeit verfügbare findet man sofort im Online-Büchershop. Aber die wenigsten nehmen das Thema mit Humor, mit jener leichten Ironie, mit der man eigentlich auch sonst so auf Flaggen sieht, egal, wo sie hängen, oft genug von Wind und Wetter zerzaust.

Denn die Staaten, die sich welche zugelegt haben, nehmen diese flatternden Statussymbole in der Regel bierernst, bestrafen jede Flaggenschändung und haben meist penibel geregelt, wo und wann und in welcher Gesellschaft die farbigen Tücher aufgezogen werden dürfen oder sollen.

Also weg mit dem Bierernst, beschloss die Katapult-Mann-/Frauschaft und begann, wie geübt, wieder jede Menge bunter Karten zu entwerfen, die die Welt der Flaggen in die Welt der Kartographen verpflanzen und zeigen, was weltweit so alles auf Flaggen zu sehen ist. Darunter auch etliche nette und grimmige Tiere, jede Menge Kreuze aller Art, Monde und Sterne, zuweilen auch Pflanzen und Pflanzenteile.

Das kanadische Ahornblatt bekam gleich eine eigene Geschichte, die sehr anschaulich davon erzählt, wie Länder eigentlich zu ihren Flaggen kommen. Und dass es manchmal gar nicht um biologische Genauigkeit geht, sondern zuweilen einfach nur um richtig gute Ästhetik und Wiedererkennbarkeit. Was dann wieder eine eigene Wissenschaft ist: die Vexillologie.

Ruckzuck ist man wieder drin in der Welt der Katapult-Macher, die ja deshalb deutschlandweit so bekannt geworden sind, weil sie Wissen übersetzen in farbenfrohe und oft sehr lustige Grafiken. Da begreift man es nun einmal schneller und hat auch noch Spaß dabei. Oder teilt einfach den Spaß, den die jungen Leute aus Greifswald haben, wenn sie das so bierernste Thema Nationalflagge mit dem verbinden, was die Leute in der Regel so für Vorstellungen mit diesen Ländern verbinden.

Wie viel Pizza steckt eigentlich in der italienischen Flagge? Und wie viel Musik und vor allem welche in der österreichischen? Und woran denkt man eigentlich beim deutschen Schwarz-Weiß-Rot? Oder bringen einen diese Farben auf ziemlich kriegerische Gedanken, während man das hellblaue Fleckchen für Humor völlig vermisst?

Mitten im Buch fragen die Kartenmaler ja sogar frech, ob das nicht ein bisschen viel Platzverschwendung ist, wenn sie sich hier so mit Farben und in diesem Fall auch Farbenblindheit beschäftigen. Denn vier Prozent der Menschen haben eine mehr oder weniger ausgeprägte Farbenblindheit. Wie sehen sie denn eigentlich Flaggen, deren drei Farbbahnen sich auf einmal in ein gleichförmiges Grau-Grün verwandeln?

Da kann man nicht nur mit der deutschen und der belgischen Flagge durcheinanderkommen, was aus einer gewissen Farbähnlichkeit öfter mal vorkommt. Die Dreifarbigkeit haben ja Dutzende Länder zur Nationalflagge gemacht, manchmal mit vielen Hintergedanken, was jede einzelne Farbe bedeuten soll. So in der Art „Einigkeit und Recht und Freiheit“.

Warum die Nazis die Fahne der Weimarer Republik hassten, wird genauso eingängig erklärt wie die Rolle der Reichskriegsflagge in der Frühzeit des NS-Reiches. Womit auch klar ist, woran die Typen erinnern wollen, die heutzutage mit Reichskriegsflaggen demonstrieren.

Jedenfalls nicht an die DDR, die sich erst zehn Jahre nach der Gründung eine eigene Flagge zulegte, indem sie die schwarz-rot-goldene Flagge mit Hammer, Sichel und Ährenkranz versah. Eigentlich eine sehr schöne Geste, weil damit mal nicht an irgendwelche Fürsten, Krieger und Helden erinnert wurde, sondern an arbeitende Leute, ohne die in keinem Land der Welt irgendetwas läuft.

Nur wenige Länder der Erde würdigen so ihre Bauern und Arbeiter, noch weniger ihre Intelligenz. Aber in Westdeutschland kam das trotzdem ganz schlecht an. „Spalterflagge“ nannte man dort die neue Kreation. Auch diese Geschichte steht im Buch, genauso wie die der Neuseeländer, die sich eine neue Flagge zulegen wollten und dann doch lieber ihre alte wählten. Oder die Entstehung des Union Jack und des Flaggenalphabets auf See.

Auch die Frage, ob es eine Flagge für die ganze Erde gibt, wird geklärt, genauso wie die nach Flaggen für sexuelle Orientierungen und die nach einer gemeinsamen Flagge für ein vereintes Korea. Stoff genug zu einem wirklich ausgelassenen Spiel mit dem Thema. Und natürlich machen sich die Katapult-Autor/-innen auch Gedanken darüber, wie eine nicht so langweilige deutsche Flagge aussehen könnte. Dazu haben sie sogar extra einen Aufruf an ihre Leser/-innen gestartet. Denn Vorschläge können direkt an flaggen@katapult-magazin.de geschickt werden.

So, wie sie jetzt aussieht, muss die Flagge gar nicht aussehen. Denn das Grundgesetz regelt lediglich: „Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold.“ Wer sagt denn, dass das nur drei langweilige Streifen sein müssen? Einige Ideen sind im Buch schon mit abgedruckt. Manche nehmen dabei die Mentalität der Deutschen gekonnt auf die Schippe, andere loten die Möglichkeiten aus, die ein spielerischer Umgang mit den drei Farben bieten könnte.

Was einen an einen ähnlichen Wettbewerb erinnert, den einst „Die Woche“ veranstaltete. Doch dort wollte man lieber das finstere Schwarz aus der Fahne entfernen, das sie ja eindeutig ziemlich ernst und schwermütig erscheinen lässt. Ein helles Blau könnte das Schwarz ersetzen, das ja für jedermann verständlich Heiterkeit, Offenheit und Freiheit symbolisiert.

Aber vielleicht fürchten ja unsere Staatsdarsteller, dass uns dann niemand mehr ernst nimmt. Jedenfalls nicht auf diese verbissene deutsche Art, die so gut zu Schäferhunden, Bürostempeln und Militärmusik passt. Dass Flaggen auch viel lebensfroher aussehen können, ist im Buch reichlich zu bewundern. Man lernt auch etwas über Flaggenfamilien (wie im britischen Commonwealth), über einfarbige Flaggen (die meist nur sehr kurzzeitig benutzt wurden), über schrecklich designte Flaggen und die Flaggen fiktiver Staaten.

Denn die Flaggenlust hört ja nicht am Bildschirmrand auf. Und zwischendurch gibt es immer wieder einen zum Teil abgründigen „Spaß mit Flaggen“, wenn den Nationalfahnen allerlei verinnerlichte Vorurteile den entsprechenden Ländern gegenüber zugeteilt werden. Gern mit einer Zusatzfarbe, die das symbolisiert, was man im entsprechenden Land durchaus vermissen darf.

Es sind ja nicht nur die Deutschen, die mit verbissener Miene ihre Fahnen hissen und dabei so tun, als hätten sie einen Stock im Hintern. Das können auch andere Nationen, die mit fürchterlich ernster Miene ihre Flaggenhissung zelebrieren und dabei völlig vergessen zu haben scheinen, dass das Leben eigentlich auch noch ein paar andere Aspekte als finstere Mienen und grollende Machtdarstellung beinhaltet.

Sodass dieses neue Katapult-Buch im Grunde wieder ein mit viel spielerischem Wissen vollgestopfter Appell an die eigene Nation ist, sich vom stocksteifen Ernst der Nationalisten den Spaß am Leben nicht vergällen zu lassen. Andere Völker sind genauso verrückt wie das unsere. Manche haben viel schönere Wappentiere, auch schönere als die diversen deutschen Bundesländer, auch wenn man über Ponys, Löwen und Bären durchaus seine Späße machen kann und darüber grübeln darf, ob der Berliner Bär nun einfach aus dem Ber in Berlin entstand oder doch ein Erbe Albrechts des Bären aus Anhalt ist.

In Sachsen ist das alte Wappentier ja nur in den Städtewappen von Dresden, Leipzig und Chemnitz gelandet, während die Landesflagge einen seltsamen Zierrat aufweist, den nur noch die Kenner mit der alten Kurwürde verbinden, die Sachsen seit 200 Jahren nicht mehr hat. Da wäre 1990 mal ein echtes Brainstorming dran gewesen. Oder ein echter Wettbewerb darum, was als Wappen auf die sächsische Flagge soll oder darf.

Die Autor/-innen dieses Bandes haben durchaus recht: Manche Flaggen müssen einfach mal erneuert und entrümpelt werden. Einfach schon deshalb, weil die Botschaft nicht mehr stimmt oder sich das Ganze irgendwie altbacken anschaut. Als klebten die Flaggenmacher noch immer am Alten fest ohne auch nur den leisesten Gedanken daran, dass sich die Welt geändert haben könnte.

Hat sie nicht?

Oh, da bin ich jetzt aber überrascht.

Spaß mit Flaggen, Katapult Verlag, Greifswald 2021, 22 Euro.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar