Was tun, wenn die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung die eigene Existenz bedrohen? Die staatlichen Corona-Hilfen erreichen viele Betroffene nicht oder nur unzureichend. Das deutsche Staatshaftungsrecht kennt eine Reihe von Rechtsinstituten, mittels derer der Staat und seine Behörden auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden könnten.
Sieben Juristen haben sich zusammengefunden, um die möglichen Ansprüche bei rechtmäßigen und unrechtmäßigen Schutzmaßnahmen zu analysieren. Zielgruppe sind zuvorderst Praktiker in Anwaltskanzleien, Gerichten und Wirtschaftsjuristen. Das erfreulicherweise leicht verständliche Handbuch eignet sich aber auch gut für Studierende, die das Staatshaftungsrecht in der Examensvorbereitung wiederholen möchten.Einführend umreißt Rechtsanwalt Benedikt Quarch allgemeine Regeln der Staatshaftung. Die überblicksmäßige Darstellung der möglichen Anspruchsgrundlagen orientiert sich eindeutig an der juristischen Praxis, also der Rechtsprechung, und kommt erfreulicherweise ohne die Ausbreitung dogmatischer Streitpunkte aus.
Herzstück des 220-Seiten-Bandes sind drei Kapitel, die sich mit der Rechtmäßigkeit ergangener Schutzmaßnahmen bis zum sogenannten „Teil-Lockdown“ Anfang November, den Entschädigungsregeln des Infektionsschutzgesetzes und allgemeinen Ansprüchen aus der Staatshaftung beschäftigen. Flankierend liefern die Autoren einen um Vollständigkeit bemühten Überblick über die – bisher überwiegend in Zeitschriften erschienenen – Fachbeiträge zum Thema.
Rechtsreferendarin Melanie Epe fasst auf 40 Seiten die bis Anfang November getroffenen Eindämmungsmaßnahmen und die hierzu ergangene Rechtsprechung anschaulich zusammen. Die Gerichte hätten die getroffenen Schutzmaßnahmen bislang – fast immer im Eilverfahren – tendenziell sehr großzügig als rechtmäßig erachtet. Dies begründeten die Richter durchgängig mit der Gefahr der Kapazitätsgrenzen des Gesundheitssystems und der daran anknüpfenden Gefahr für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.
Insgesamt stellen die Maßnahmen, so die Autorin, ein einheitliches Schutzkonzept dar. Sie müssten aber dem Infektionsgeschehen, der Breite und Validität wissenschaftlicher Erkenntnisse gerecht werden. Zur Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit seien die Empfehlungen und Feststellungen des Robert-Koch-Instituts zum Zeitpunkt ihres Erlasses heranzuziehen. Epe hält für die Verhältnismäßigkeit weiter die Einführung einer zeitlichen Befristung und die ständige Überprüfung durch den Gesetzgeber für ausschlaggebend.
Die Darstellung der möglichen Ersatzansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) nehmen Quarch und sein Rechtsanwaltskollege Dennis Geissler schematisch vor. Sie kritisieren, dass das IfSG keine Entschädigung für Unternehmen kennt, die von kollektiven Betriebsschließungen betroffen sind. Ein Vorgehen nach den Regelungen des Polizei- und Ordnungsrechts halten die Co-Autoren Benedikt Quarch, Pierre Plottek und Dennis Geissler für aussichtsreich.
Die Rechtsprechung hat derartige Ansätze bisher jedoch aufgrund einer weitreichenden Sperrwirkung des IfSG im Keim ersticken lassen. Ferner zweifeln die Verfasser an der Eignung von Entschädigungsansprüchen wegen enteignenden und enteignungsgleichen Eingriffen, um vom Staat schutzmaßnahmenbedingte Schäden ersetzt zu bekommen. Der BGH stellte schon 1987 klar, dass das Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs keine geeignete Grundlage für den Ausgleich „massenhaft auftretender Schäden“ sei.
Prinzipiell denkbare Amtshaftungsansprüche sieht das Juristentrio im Hinblick auf die Einmaligkeit der Situation und der Uneinigkeit in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft nur in wenigen Fällen als erfüllt an. Voraussetzung wäre die fahrlässige Verletzung einer Amtspflicht. Einem durchschnittlichen Beamten sei infolge der derart unsicheren Tatsachengrundlage eine gesicherte Entscheidung unzumutbar.
Somit stehen Betroffenen im Ergebnis zwar einige wenige Optionen offen, um zu ihrem Recht zu kommen. Ob sich die Gerichte auf solche Klagen einlassen werden, ist ungewiss, solange sich der Bundesgerichtshof nicht zu den grundsätzlichen Rechtsfragen geäußert hat. Das Praxishandbuch bildet deshalb nur den Status quo mit Stand Anfang November 2020 ab. Verlässliche Auskünfte, die sich auf den Einzelfall herunterbrechen lassen, können und wollen die Herausgeber nicht erteilen.
„Staatshaftung in der Coronakrise“ erschien erstmals am 29. Januar 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 87 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
Benedikt Quarch / Dennis Geissler / Pierre Plottek / Melanie Epe (Hrsg.) Staatshaftung in der Coronakrise, Nomos Verlagsgesellschaft 2021, 219 S, 58 Euro.
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