Irgendwie fehlen die Worte fรผr das, was 1989 geschehen ist. Selbst der Titel dieser profunden Aufarbeitung dessen, was an Initiativen von Frauen ab den 1980er Jahren in Leipzig entstand, versucht es mit Frauenbewegung, Revolte und Transformation. Was eine Menge darรผber erzรคhlt, wie schwer es noch immer fรคllt, die beiden disruptiven Jahre 1989 und 1990 einzuordnen. Es sind die politischen Worthรผlsen, die die Sicht auf die Wirklichkeit verstellen.
Dass da niemand revoltiert hat in Leipzig oder irgendeiner anderen Stadt der DDR, ist eigentlich bekannt. Nicht ohne Grund trรคgt gerade dieser Zeitenwechsel den Titel Friedliche Revolution. Wobei sich die Historiker selbst รผber das Wort Revolution streiten. Eben weil niemand revoltiert hat. Im Grunde war das Jahr 1989 nichts anderes als eine groรe Misstrauenserklรคrung der Regierten an die bis dahin Regierenden.
Quasi die logische Einlรถsung des Spruches, den Bertolt Brecht 1953 nach dem Aufstand vom 17. Juni schrieb, der eigentlich auch kein Aufstand war, sondern ein Ausstand, ein Streik, wie ihn sich die moskaugeschulten Regierenden nicht erwartet hatten: โDas Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wรคre es da nicht doch einfacher, die Regierung lรถste das Volk auf und wรคhlte ein anderes?โ
Womit Brecht ja das ganze paternalistische Denken der eigentlich schon 1953 vergreisten Staats- und Parteifรผhrung auf den Punkt brachte. Die ganz in diesem Sinn bis zuletzt das โVolkโ behandelte wie einen unmรผndigen Lรผmmel, dem man vorschreiben musste, was er zu machen und wie er sich zu benehmen hatte. Und der dann vรคterlichst bestraft wurde, wenn der Lรผmmel wagte, eigene Gedanken zu hegen oder gar dem Vater zu widersprechen.
Wobei selbst dieses Bild schon viel zu simpel ist. Der vormundschaftliche Staat steckte in allen Institutionen, in den Kรถpfen sowieso. Und er war so allgegenwรคrtig, dass die Regierten meist gar nicht merkten, wie er ihr Leben formte und deformierte. Deswegen war die Demontage der Zustรคnde auch nur Angelegenheit einer Minderheit, die bereit war, das falsche Denken zu hinterfragen und damit auch die herrschenden Verhรคltnisse. Die durch und durch paternalistische waren. Das ist vielen Ostdeutschen bis heute nicht bewusst. Vielen Frauen schon, die 30 Jahre nach dem groรen โNeinโ oft immer noch das Gefรผhl haben, dass der begonnene Kampf noch immer lรคuft und noch immer zรคhlebig ist.
Jessica Bock hat zu diesem Thema 2018 an der TU Dresden ihre Dissertation vorgelegt, die in leichter รberarbeitung Grundlage fรผr dieses Buch ist, das sich ganz konkret der Szene der Leipziger Fraueninitiativen widmet, die ab den frรผhen 1980er Jahren entstanden. Sie waren Teil der seit der Biermann-Ausbรผrgerung zunehmenden Emanzipation vor allem junger Menschen, die das Sprachlossein nicht mehr aushielten und nach Freirรคumen suchten, in denen sie unzensiert und ehrlich รผber das sprechen konnten, was ihnen wichtig erschien.
Die viel beschworene Oppositionsbewegung in der DDR war zuallererst eine Selbstermรคchtigung zum unverstellten Sprechen. Und das betraf auch die jungen Frauen, die nicht mehr bereit waren, sich in das von der SED propagierte Bild der werktรคtigen Mutter und Ehefrau drรคngen zu lassen. Gleichberechtigung gab es auf dem Papier. Aber wie wenig die tatsรคchlich im Alltag der Frauen eingelรถst war, brachte 1977 der Protokollband โGuten Morgen, du Schรถneโ von Maxie Wander zur Sprache.
Ein Buch, das auch heute noch gern zitiert wird, um auf die Emanzipiertheit der Frauen in der DDR zu verweisen, die es durchaus gab. Aber im Alltag war davon wenig einlรถsbar, in der Politik schon mal gar nicht. Denn Emanzipation heiรt nun einmal auch: freie Entfaltung, freies Sprechen, ehrlicher Umgang miteinander. Und natรผrlich: Hinterfragen der Machtstrukturen. Auch der heimischen, familiรคren.
Was ziemlich schnell deutlich wird, wenn Jessica Bock die frรผhen Ansรคtze Leipziger Frauen beschreibt, eigene Organisationsstrukturen abseits der staatlich vorgegebenen zu schaffen, Orte, wo Frauen sich รผber die Rolle verstรคndigen konnten, die sie in der schein-egalitรคren Gesellschaft tatsรคchlich spielten. Die Zumutungen der Dreifachbelastung Arbeit, Haushalt, Familie zum Beispiel, die diskriminierende Wirkung eines paternalistischen Familienbildes, aber auch die berechtigten รngste, die der neuen Militarisierung entsprangen.
Doch der Versuch, ein Frauenzentrum zu grรผnden, endete 1983 durch die massive Verhinderung durch SED und MfS. Die reagierten auf die Versuche der Frauen, sich in eigenen Strukturen zu emanzipieren, genauso rabiat wie auf alle anderen Versuche einer Emanzipation. Was letztlich zur Folge hatte, dass sich spรคtere Versuche in den Schutzraum der Kirche zurรผckzogen.
Statt die Chance zu wirklichem Dialog wahrzunehmen, versuchte die allein seligmachende Partei jeden nicht genehmigten Gedanken zu diskriminieren und zu kriminalisieren. Als die Genossen 1989 das Wort Dialog wiederentdeckten, war es nicht nur um ein paar Tage oder Monate zu spรคt, sondern um ein ganzes Jahrzehnt.
Denn den Menschen, die sich da artikulieren wollten, machte das stupide Vorgehen endgรผltig klar, dass mit diesen Mรคnnern kein Gesprรคch zu fรผhren war. Das keineswegs Erstaunliche ist, dass viele der Frauen, die in den 1980er Jahren an der Grรผndung solcher Gesprรคchskreise und Initiativgruppen beteiligt waren, durch die Erfahrungen mit dem mauernden Staat erst recht bestรคrkt wurden, sich fortan nicht mehr anpassen und unterkriegen lassen zu wollen.
Mehr als 30 dieser Frauen hat Jessica Bock interviewt, hat mit ihnen รผber die Schwierigkeiten und Erfolge ihrer Initiativen gesprochen. Und je intensiver sie รผber etwa โFrauen fรผr den Friedenโ, den โLila Lady Clubโ oder die โFrauengruppe Grรผnauโ erzรคhlt, umso deutlicher wird, dass auch die feministische Bewegung Teil der Friedlichen Revolution war. Das wird genauso gern vergessen wie die vielen anderen Strรถmungen in diesem Aufbruch 1989.
Aber Jessica Bock lรคsst die Geschichte nicht 1989 enden. Denn gerade dieses Jahr zeigte, dass die DDR selbst von den aktiv werdenden Mรคnnern nicht als der patriarchalische Staat begriffen wurde, der er bis zum Schluss war. Und darรผber hinaus, darf man sagen. Denn die Frustrationen, die die engagierten Frauen im Herbst 1989, an den Runden Tischen, in den Wahlen des Jahres 1990 und den ersten parlamentarischen Erfahrungen erlebten, sollten sich auch darรผber hinaus fortsetzen. Mรคnner rissen die Redezeiten an sich, drรผckten ihre Themen und Ansichten durch. Und eigentlich auch wieder ihre Art, Politik zu machen, Posten zu besetzen und zu denken โ zutiefst paternalistisch, mit Wohltรคter- und Gรถnnergeste.
Was dann auch zum Teil erklรคrt, warum die Leipziger Fraueninitiativen nach einem kurzen Aufbรคumen der Fraueninitiative Leipzig (FIL) politisch keine Rolle spielten und sich die anfangs politisch aktiven Grรผndungen von 1989 nach und nach in Vereinsstrukturen verwandelten, die die ersten Jahre eigentlich nur damit beschรคftigt waren, Gelder und Rรคume zu besorgen, um รผberhaupt arbeiten zu kรถnnen. Viele strichen dann trotzdem Ende der 1990er Jahr die Segel. Was nicht heiรt, dass das Engagement ganz vergeblich war. Denn die Leipziger Frauenhรคuser, das Mรผtterzentrum, die Frauenkultur, aber auch das Referat Gleichstellung sind Ergebnis dieses oft sehr krรคftezehrenden Bemรผhens, das โ aus Sicht amtswaltender Mรคnner โ meist nur ein unwichtiges ist. Frauenthemen eben.
Und der Blick in die Gegenwart zeigt nur zu deutlich, wie leicht es sich ein Wรคhlervolk da 1990 gemacht hat, als es die eine paternalistische Gesellschaft einfach gegen die andere austauschte. Die Chance, den Neubeginn auch als eine gemeinsame, mutige Emanzipation von veralteten Geschlechterrollen zu begreifen, wurde grรผndlich vertan. Was auch die Friedliche Revolution zu einer der vielen unvollendeten Revolutionen in der deutschen Geschichte gemacht hat.
Natรผrlich reflektiert Jessica Bock auch immer wieder das Verhรคltnis der engagierten Frauen im Osten zur feministischen Bewegung im Westen. Und zumindest fรผr die 1980er Jahre galt, dass die Differenzen sehr wohl existierten. Die feministische Bewegung im Westen hatte naturgemรคร einen grรถรeren Vorlauf und andere Rahmenbedingungen.
Zu denen aber auch die รผberlebenden patriarchalischen Vorstellungen und Strukturen der Gesellschaft gehรถrten. Mit den bekanntesten Autorinnen aber sickerte dieses Bewusstsein auch in die Initiativen im Osten, auch wenn auch die Leipziger Frauen bis 1990 durchaus mit Recht darauf beharrten, einen eigenen Weg zu gehen mit einer letztlich grรถรeren Themenbreite.
In den 1990er Jahren freilich kamen sich die Frauenbewegungen in West und Ost zusehends nรคher, da sie nun ja auch unter den gleichen prekรคren Bedingungen arbeiteten und in derselben von Mรคnnern dominierten Welt, in der gerade die dominierenden Mรคnner nicht einmal merken, wie sie Macht, Einfluss und Definitionsraum an sich gerissen haben und Frauen nach wie vor als schรถnes Beiwerk und fleiรige Hausfrau betrachten, die bitteschรถn dafรผr zu sorgen haben, (mit kostenloser Heimarbeit) dass ihr Laden lรคuft und sie sich um Familie und Kinder nicht kรผmmern brauchen. Und deutlicher wurde auch, wie mรคnnliche Vorstellungen von Hierarchien und Wirtschaften dafรผr sorgen, dass Frauen weiter marginalisiert sind โ und zwar in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Nur dass sich auch langsam die Ahnung durchsetzt, dass diese Hierarchien in den Kรถpfen sitzen und letztlich dafรผr sorgen, dass Karrieremuster mรคnnlich gedacht und strukturiert sind und fรผr Frauen in keiner Weise attraktiv. Dass Frauen รผberall dort, wo Entscheidungen getroffen werden, fehlen, hat auch damit zu tun, dass der Weg dorthin eine Zumutung ist. Fรผr Frauen eine doppelte und dreifache, weil nach wie vor stillschweigend davon ausgegangen wird, dass sie trotzdem (nebenher) die Sache mit Haushalt und Kindern im Griff haben.
Insofern ist natรผrlich das, was den Leipziger Frauen passiert ist, symptomatisch fรผr die Frauenbewegung im ganzen Osten, mit der die Leipziger Initiativen teilweise รผber intensive Netzwerke verbunden war. Aber man kann auch regelrecht zuschauen, wie sich die engagierten Frauen zerrieben haben in diesem Kampf um Wahrnehmung und Anerkennung und letztlich dem Versuch, auch politisch Gehรถr zu bekommen. Was wohl mit dem Wort Marathon heillos untertrieben beschrieben wรคre.
Dass viele sich dann in den 1990er Jahren lieber entschlossen, jetzt die Chancen auf ein Studium oder eine neue Berufsperspektive wahrzunehmen, ist nur zu verstรคndlich. Andere wurden von dem voll erwischt, was im Titel als Transformation auftaucht โ oft wurden nรคmlich gerade die Betriebe besonders schnell geschlossen, in denen vorher besonders viele Frauen beschรคftigt waren. Viele Frauen zeigten dann zwar erstaunlich viel Bereitschaft, sich vรถllig neu zu orientieren. Aber auch das kostete Kraft und verรคnderte Biografien dramatisch. Da hatten manche, ohne die die Diskussionen von 1989 und 1909 nicht denkbar gewesen wรคren, schlicht nicht mehr die Kraft und die Zeit, sich weiter in zumeist unhonorierten Ehrenรคmtern einzubringen.
Aber gerade weil Jessica Bock diese Schwierigkeiten zeigt, macht ihr Buch sehr deutlich, dass etwas Wichtiges fehlt, wenn man die Friedliche Revolution ohne die Fraueninitiativen erzรคhlt und ohne das รผberhaupt nicht unwichtige Element des Feminismus. Das Wort vermieden die Frauen zwar zumeist, weil es durch SED-Propaganda vorbelastet war. Aber letztlich handelten sie dennoch genau in diesem Sinne: der selbstbewussten Frau, die ihre Rolle nicht mehr lรคnger durch Mรคnner definiert sehen mรถchte.
Dass die Emanzipation freilich im Schlamm stecken bleibt, wenn sich nicht auch die Mรคnner von den falschen Mรคnnermustern emanzipieren, wissen wir heute. Die Themen โ die z. B. auch die ambitionierte Zeitschrift โZaunreiterinโ oder Petra Lux in ihren DAZ-Kolumnen anschnitten โ sind so aktuell wie vor 30 Jahren. Und gehen weiter, oft ungesehen von der breiten รffentlichkeit, die nach wie vor mit mรคnnlichen dominierten Schauspielen der Macht gefรผttert wird.
Nur gelingt es den Herren im grauen Anzug schwerer, die Wortmeldungen der Frauen zu ignorieren und wegzudrรผcken. Der Harnisch hat Kratzer und Dellen bekommen. Und so recht vertrauenswรผrdig sind die alten patriarchalischen Vorstellungen vom Zurichten der Welt auch nicht mehr.
Nur sorgt die Tatsache, dass Frauen in unserer Welt systematisch รผberbeansprucht werden, auch dafรผr, dass sie nach wie vor nicht die Freirรคume der Mรคnner haben, sich Gehรถr zu verschaffen.
Aber da bin ich schon weit รผber das Jahr 2000 hinausgeschossen, mit dem Jessica Bock ihre Untersuchung beendet. Ein Jahr, mit dem im Grunde auch das spezifisch Ostdeutsche in der ostdeutschen Frauenbewegung endet und viele spannende Projekte, mit denen die Leipziger Frauen in die neue Zeit gestartet sind, beendet wurden, weil sie in den neuen Strukturen einfach nicht die nรถtige Unterstรผtzung fanden. Von der Hรคrte dieser 1990er Jahre ganz zu schweigen, die nicht nur Frauen oft an den Rand ihrer Krรคfte und ihrer Zuversicht gebracht hat โ das, was so schรถn technisch โTransformationโ genannt wird, obwohl Transformation fรผr die Transformer etwas vรถllig anderes ist als fรผr die Transformierten.
Aber auch das geht natรผrlich รผber diese sehr detaillierte Untersuchung hinaus, in der die befragten Frauen auch sehr emotional werden. Denn all das, was vor 1990 die staatlichen โOrganeโ zu verbissener Tรคtigkeit herausforderte, haben sie immer mit Herzblut betrieben. Genauso, wie sie sich 1989/1990 mit aller Kraft in die Politik warfen, nicht ahnend, dass sie hier wieder Niederlagen erleben wรผrden, die davon erzรคhlen, wie zรคh das alte Denken in mรคnnlichen Verantwortungsstrukturen ist. Was zuweilen den Eindruck erweckt, dass der Feminismus glรผcklich erlegt wurde von tollkรผhnen Jรคgern, die die Wortmeldungen von Frauen immer fรผr eine Stรถrung in ihrem Verwaltungshandeln empfunden haben.
Sind also die Tรถchter und Enkelinnen weniger feministisch? Wahrscheinlich nicht. Sie setzen wohl eher ohne viel Aufhebens die Kรคmpfe ihrer Mรผtter und Groรmรผtter fort und erobern sich durch Beharrlichkeit Rรคume, die sture Mรคnner nie im Leben freiwillig hergeben wรผrden.
Ein รผberfรคlliges Buch eigentlich, das in komprimierter Fรผlle zeigt, dass auch die Friedliche Revolution in Leipzig ohne engagierte Frauen und eine gehรถrige Prise Feminismus nicht denkbar war. Und ist.
Jessica Bock Frauenbewegung in Ostdeutschland, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2020, 48 Euro.
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