Ob die Mahnung von Jutta Allmendinger von den Herren im grauen Zwirn erhรถrt wird? Ich zweifle daran. Es sind nicht nur die Statistiken, die dagegensprechen. Es ist das in unserem Land in Machtstrukturen etablierte Denken, das Frauen immer noch in die dienende Rolle drรคngt und wรคhrend Corona in aller Stille dabei ist, die Familienwelt zu refeudalisieren.
Dabei hat Jutta Allmendinger, seit 2007 Prรคsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin fรผr Sozialforschung (WZB) mit allem recht, was sie schreibt in dieser Streitschrift, die gar nicht zufรคllig im Corona-Jahr entstand, nachdem Jutta Allmendinger in einer Talkshow (wieder einmal) erlebte, wie das funktioniert mit den Mรคnner- und Frauenrollen โ selbst dann, wenn die Talkshow von einer Frau โ in diesem Fall Anne Will โ geleitet wird.
Da kรถnnen Mรคnner (und eine Lobbyistin) stundenlang zu den โwichtigenโ Themen der Zeit reden und streiten, ohne dass die Frage auch nur einmal an die eingeladene Fachfrau fรผrs Soziale geht. Und dann darf sie aus der Kalten Stellung nehmen zu einer typischen Frauenfrage: โHat die Krise Frauen zurรผckgeworfen?โ
Worauf sie nur mit einem klaren Ja antworten konnte. Und sich anschlieรend an diese Streitschrift setzte, die all die schรถnen Elogen auf die Fortschritte in der deutschen Frauen- und Familienpolitik als Schmarren entlarvt, Schรถnmalerei von zumeist mรคnnlichen Kommentatoren, die ein paar Statistiken interpretieren, sich aber nie wirklich mit der Lebenswirklichkeit der Frauen beschรคftigt haben. Wahrscheinlich nicht einmal der ihrer eigenen.
Fortschritte gibt es. Keine Frage. Immer mehr Frauen sind berufstรคtig, haben damit einen eigenen Lebensunterhalt und erwerben damit eigene Rentenansprรผche. Ab und zu tauchen sie auch in Leitungspositionen auf. Und in manchen Rechnungen zum Gender Pay Gap liegen sie auch nur noch knapp hinter den Mรคnnern.
Obwohl die Zahlen, die den Alltag der Frauen in Gรคnze erfassen, eine andere Geschichte erzรคhlen โ eine Geschichte, in der Mรคnner ganz selbstverstรคndlich davon ausgehen, dass Frauen ihnen den Rรผcken freihalten, sich um Haushalt und Kinder kรผmmern und auch in Krisenzeiten sofort bereit sind, zurรผckzustecken und sich um die Kleinen zu kรผmmern, wรคhrend die Mรคnner vorn an der wirtschaftlichen Front weiterkรคmpfen kรถnnen.
Das hat Allmendiger in der Corona-Zeit besonders erschreckt: Mit welcher Selbstverstรคndlichkeit die deutsche Politik im Frรผhjahr Schulen und Kitas schloss und einfach davon ausging, dass die Mรผtter das dann irgendwie gedeichselt bekommen, egal, ob sie alleinerziehend sind, selbst im Homeoffice sind oder gar einen systemrelevanten Beruf ausรผben. Von der Peinlichkeit, die Systemrelevanten erst zu beklatschen und dann doch wieder so schรคbig zu behandeln wie vorher schon, ganz zu schweigen.
Und jede ernsthafte Statistik der auch von Bundesamt fรผr Katastrophenschutz aufgelisteten systemrelevanten Berufe zeigt: Gerade hier sind รผberproportional Frauen beschรคftigt. Und das zu Lรถhnen, die selbst bei gleicher Tรคtigkeit 10 bis 20 Prozent unter denen ihrer mรคnnlichen Kollegen liegen.
Statistik um Statistik, die in der Corona-Zeit zur Begrรผndung herangezogen wurde, um die zunehmende Gleichberechtigung der Frauen zu belegen, nimmt Jutta Allmendinger mit ihrer Erfahrung aus 30 Jahren Forschungsarbeit auseinander und zeigt, dass die Schlรผsse, die die Herren Kommentatoren daraus ziehen, in der Regel die falschen sind.
Denn wenn immer mehr Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen, heiรt das eben nicht, dass sie auch dieselben Gehรคlter haben wie die Mรคnner. Und wenn sie gar in Teilzeit arbeiten oder in den extra von konservativen Mรคnnern erfundenen 450-Euro-Jobs, wird das selten mehr als zum Zuverdienst fรผr die Familie โ und endet immer รถfter in einer Altersarmut.
Denn die deutschen Versorgungssysteme sind immer noch auf das uralte Bild von Familie ausgerichtet: den alleinverdienenden Mann, der so viel verdient, dass er per Ehegattensplitting seine Frau zum Steuersparmodell machen kann. Und natรผrlich auf die Frau, die auch dann, wenn sie Vollzeit arbeitet, trotzdem den grรถรten Teil der hรคuslichen Care-Arbeit verrichtet.
Was dann in den Arbeitszeitstatistiken steckt, die einerseits enorme Zuwรคchse bei der Erwerbsarbeit der Frauen zeigt โ aber selbst das fรผhrt keineswegs zu grรถรerer Unabhรคngigkeit der Frauen. Jedenfalls nicht dann, wenn sie auf das Lebensmodell Familie und Kinder nicht verzichten wollen. Denn spรคtestens in der ersten Schwangerschaft kommen sie aus dem Tritt. Haben die jungen Frauen bis dahin dieselben, oft sogar bessere Leistungen als ihre mรคnnlichen Altersgefรคhrten erbracht, erleben sie ab diesem Zeitpunkt all die Auszeiten, die nicht nur ihre anrechenbaren Beschรคftigtenzeiten zerhackstรผcken. Sie kommen erst spรคt wieder in den Beruf und das oft nicht wieder auf der Stufe ihrer Qualifikation, ganz zu schweigen von der Karriereleiter, auf der die Mรคnner systematisch aufsteigen, weil diese ihre Arbeit nicht unterbrochen haben.
Ergebnis sind nicht nur Gehaltslรผcken und Armutsrenten, sondern auch gekappte Aufstiegschancen. Und natรผrlich genau das, was wir in Politik, Kultur und Wirtschaft sehen: Die verantwortlichen Positionen sind fast alle mit Mรคnnern besetzt.
Und das wird immer wieder begrรผndet mit der Behauptung, es gรคbe ja keine Frauen, die fรผr den Job infrage kรคmen. Oder sie wollten nicht oder wรผrden sich nicht bewerben. Und so weiter. Obwohl nichts falscher ist als das. Aber die meisten gut qualifizierten Frauen bleiben spรคtestens auf der mittleren Leitungsebene hรคngen. Die Glรคserne Decke nach oben ist fรผr sie eine Betondecke, wenn nicht der Zufall eingreift oder die Quote, gegen die die Herren im Zwirn alles tun. Und zwar seit Jahrzehnten. Das Quotenmodell fรผr die Fรผhrung groรer Unternehmen sollte schon vor 10 Jahren kommen.
Verhindert haben es stockkonservative Politiker, die in ihren verschwiemelten Begrรผndungen spรผren lassen, wie sehr sie kompetente Frauen verachten.
Und warum arbeiten die Frauen dann, wenn sie es im Berufsleben doch nur mit diesen sturen, emotionslosen Kerlen zu tun bekommen? Das hat weniger mit Anerkennung zu tun, als man denkt. Gerade jรผngere Frauen sind schlichtweg dazu gezwungen, oft auch dann, wenn sie nur zu gern mit den Kindern lรคnger zu Hause bleiben wรผrden, denn in vielen jungen Familien ist die Finanzierung des Haushalts nicht mehr zu stemmen, wenn nicht beide Elternteile verdienen.
Es ist also auch weniger die รbernahme des ostdeutschen Modells der Erwerbstรคtigkeit durch die westdeutschen Frauen, das hier eine Rolle spielt bei der Angleichung der Erwerbsquote bei Mรคnnern und Frauen, als ein durch und durch kapitalistischer Effekt, der mit Niedriglรถhnen und prekรคren Jobs auch die Arbeit von (jungen) Mรคnnern entwertet hat, sodass der Lohn eben nicht mehr reicht, eine Familie zu ernรคhren.
Frauen wurden also regelrecht in den Arbeitsmarkt gedrรคngt. Und das oft in geringqualifizierte und schlecht bezahlte Teilzeitjobs. Allmendinger: โWรคhrend sich also bei Mรคnnern in Sachen Erwerbsarbeit in der Mitte des Lebens wenig geรคndert hat, haben Frauen ihr Leben massiv umgebaut. Sie haben eine Erwerbstรคtigkeit aufgenommen, unterstรผtzen ihre Familie finanziell und stรคrken die Wirtschaft maรgeblich.โ
Sie wurden also letztlich als billige Arbeitskrรคfte rekrutiert.
Das Wort rekrutieren taucht an anderer Stelle wieder auf, wo es um just die systemrelevanten Berufe geht, ohne die im Corona-Lockdown nichts lรคuft. Und wo Mรคnner in Fรผhrungspositionen augenscheinlich ganz selbstverstรคndlich davon ausgingen, dass diese Berufsgruppen ohne Murren Gewehr bei Fuร standen und ihrer Arbeit nachgingen zum Wohle der Nation. Also regelrecht rekrutiert wurden zur Krisenbewรคltigung. Grรถรtenteils eben Frauen in sowieso schon hochbelasteten Berufen, die schon vor Corona den Spardiktaten mรคnnlicher Optimierer und Rendite-Schaufler ausgesetzt gewesen waren.
Und genau das erzeugt zumindest bei mir so eine Ahnung, dass Allmendingers Ziele, die sie zum Abschluss ihrer Streitschrift formuliert, auch in den nรคchsten Jahrzehnten nicht umsetzbar sind. Und dass auch ihre Enkelin nichts davon erleben wird โ keinen gleichen Lohn fรผr gleiche Arbeit, keine Arbeitsmarktpolitik, die sich an Familien ausrichtet, keine Honorierung fรผr unbezahlte Care-Arbeit, keine Gleichberechtigung in Vorstandsetagen. Nichts davon.
Denn eigentlich erzรคhlt das ganze Buch davon, wie tief verwurzelt das Denken der (alten weiรen) Patriarchen in unserer Gesellschaft ist. Es ist im Grunde der Wesenskern der Gesellschaft, die wir jetzt haben. Und sie kennen alle Finessen, diese ungleiche Machtverteilung zu bewahren. Denn sie wissen auch, dass sie mit ihren Vorstellungen immer an eine riesige Wรคhlerschaft appellieren kรถnnen, die genau so sozialisiert wurde und die geradezu sehnsรผchtig Wahl um Wahl auf den groรen Retter und Kรถnig hofft, der sie vor einer Gesellschaft, in der Frauen (und andere โunpassendeโ Menschen) als gleichwertig betrachtet werden, bewahrt. Das Problem sitzt tief.
Und eigentlich weiร es Jutta Allmendinger auch, die immer wieder aus ihrer eigenen Berufslaufbahn erzรคhlt, aber auch die Lebensmodelle ihrer Groรmutter und ihrer Mutter analysiert. Die sich beide in Zeiten durchsetzen mussten, in denen das Familienbild noch konservativer war als heute. Und wer es nicht glaubt, dem benennt Allmendinger die Gesetze, die die konservative Hausfrauenehe in Deutschland bis heute zum vorteilhafterten Lebensmodell fรผr Frauen machen, wรคhrend sie bei allen Talenten im Berufsleben ausgebremst und behindert werden.
Und sie hat recht, wenn sie den Fokus auf die Zeit des Kinderkriegens legt. Da werden die Weichen gestellt. Da geht eine mรคnnlich dominierte Gesellschaft davon aus, dass Frauen die Sache mit dem Nachwuchs vorwiegend allein deichseln โ und zwar auch vorwiegend unbezahlt.
Denn wie alle Ostdeutschen wissen, taten sich unsere gewinnorientierten Brรผder im Westen jahrzehntelang schwer, รผberhaupt ein Kinderbetreuungssystem aufzubauen, das Frauen tatsรคchlich eine Erwerbstรคtigkeit erst ermรถglicht. Denn natรผrlich kann man einen vollwertigen Beruf nur ausรผben, wenn eine ganztรคgige Betreuung fรผr die Kinder existiert โ und zwar eine professionelle, nicht bloร eine Verwahranstalt.
Erst wenn man die Sache so betrachtet, ahnt man, was fรผr eine bodenlose Frechheit der von Mรคnnern so locker organisierte Lockdown im Frรผhjahr war. Der jetzige ist auch nicht besser. Und die richtige Bilanz werden wir alle erst danach erfahren โ auch von Frauen, die psychisch erkrankt sind, entmutigt und vรถllig demotiviert, weil es natรผrlich fรผr ihre Rolle als Hausfrau, Mutter, Homeschool-Betreuerin und Homeoffice-Arbeiterin keinen Lohn und keine Anerkennung gibt. Dafรผr jede Menge รrger, wenn sie doch zur Arbeit mรผssen und die Kinder nur mit enormen Scherereien in Kita und Schul-Notbetreuung unterbringen kรถnnen.
Und Allmendinger befรผrchtet zu Recht, dass genau das dazu fรผhren wird, dass Frauen nach dem Lockdown um die Errungenschaften einer ganzen Generation betrogen sein werden. Denn selbst dann, wenn ihre Mรคnner nicht durchgearbeitet haben (weil es ihr Unternehmen so angewiesen hat), werden die meisten Vรคter schleunigst wieder zur Vollzeitarbeit zurรผckkehren, weil die ausgehungerten Familien auf diesen Vollerwerb dringend angewiesen sind. Und damit endet dann auch die Zeit, in der Mรคnner sich mal wieder etwas mehr um die Kinder gekรผmmert haben.
Aber das muss auch erwรคhnt werden: Die meisten Mรคnner wรผrden sich liebend gern um die Kleinen kรผmmern. Wenn es nicht auch fรผr Mรคnner genauso dieselben irreparablen Schรคden in ihrer beruflichen Laufbahn mit sich brรคchte, die fรผr Frauen die ganz normale Erfahrung sind. Lรผcken in der Erwerbsbiografie werden von Geizhals Staat gnadenlos bestraft. Auch bei Mรคnnern.
Es ist nicht nur unsere Familienpolitik, die von hintergestern ist und den wichtigsten Dienst an unserer Gesellschaft saumies bzw. gar nicht honoriert. Von unserer Wirtschaft mรผssen wir da gar nicht reden, wo stockkonservative Mรคnner in Konzernen und Lobbyverbรคnden das Sagen haben, die Regeln und Gesetze machen und einer ganz bestimmt nicht zu dienen bereit sind: unserer Gesellschaft.
Familiengerechte Betriebe findet man bestenfalls im Mittelstand oder in eher familiรคren Kleinbetrieben. Der grรถรte Teil der Wirtschaft setzt auf den jederzeit fitten, mobilen und voll einsatzfรคhigen Erwerbs-Soldaten, der beim Pfiff aufspringt und Leistung erbringt. Auch dann, wenn der grรถรte Teil dieser Wirtschaft lauter nutzlose Produkte herstellt, die kein Mensch wirklich braucht.
Die aber jede Menge von der kargen Zeit auffressen, die Frauen (und Mรคnner) noch haben, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kommen. Und auch dort geht der grรถรte Teil der Zeit fรผr Frauen in der tรคglichen Care-Arbeit drauf. So viel, dass am Ende des Tages eigentlich keine Minute mehr รผbrig bleibt fรผr (Weiter-)Bildung, Kultur, Entspannung oder fรผr sich selbst.
Die groรe Ausbeutung der Frauen ist gesellschaftlich unsichtbar.
Und auch an dieser Stelle merkt man, dass Jutta Allmendinger viel zu bescheiden ist in der Formulierung der Ziele. Denn eigentlich muss sich die Bezahlung in Deutschland selbst grundlegend รคndern, muss der Zwang zum Arbeitenmรผssen aufgelรถst werden (der so exemplarisch in den Hartz-IV-Regelungen steckt), mรผssen Familien und Kinder endlich den Wert zugemessen bekommen, den sie eigentlich haben.
Denn sie sind die Zukunft des Landes, nicht die Herren Vorstรคnde in den Konzernspitzen. Und auf sie mรผsste eigentlich alles zugeschnitten sein โ die Politik, die Sozialgesetzgebung, das Grundeinkommen und auch die Wirtschaft. Der eines jedenfalls nicht ausgeht, auch wenn es eitle weiรe Mรคnner immer wieder behaupten: die Arbeit.
Die Arbeit wird nur falsch honoriert und falsch verteilt. Und es erstaunt nicht, dass gerade die lebensnotwendigsten Berufe saumies bezahlt und organisiert sind. Und es erstaunt auch nicht, dass dort zumeist Frauen beschรคftigt sind.
Es ist ein Buch, das richtig anregt, einmal nachzudenken รผber das, was wir so landlรคufig Geschlechtergerechtigkeit nennen. Eine Streitschrift, die ihren Namen verdient. Und die eigentlich erst ahnen lรคsst, wie tief verwurzelt das alte Macho-Denken im Diskurs unserer Gesellschaft ist. Und wie sehr dieses altbackene Hausvaterdenken unsere Gesellschaft daran hindert, endlich modern, offen und mitmenschlich zu werden.
Jutta Allmendinger Es geht nur gemeinsam!, Ullstein, Berlin 2021, 12 Euro.
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