Bernstein – das assoziiert man für gewöhnlich mit den schönen Stränden der Ostsee, an denen sich nach heftigen Stürmen die Gaben des Meeres häufen, allerlei Strandgut, Tang, Muscheln und ab und zu ein goldgelber Klumpen, der das Finderherz höherschlagen lässt. Aber Bernstein ist viel mehr. Und Barbara Kosmowska-Ceranowicz ist Expertin für dieses Thema.
Und dass ihr Buch über das zum Mineral gewordene Harz jetzt in einem Verlag in Westsachsen erscheint, hat damit zu tun, dass in den vergangenen 35 Jahren aus Polen auch intensive Kontakte zu Bernsteinsammlern im Mitteldeutschen Bergbaurevier gewachsen sind. Denn mit dem Braunkohleabbau im Bitterfelder und im Lausitzer Revier wurden auch alte Quartärsedimente freigelegt, in denen die emsigen Sucher auch faszinierende Bernsteinfunde machen konnten.Insbesondere die Goitsche hat sich zu einem veritablen Fundort für Bernstein entwickelt – der freilich nur kurzzeitig nutzbar war, einige Jahre auch wirtschaftlich ausgebeutet wurde. Aber dann verschwand auch dieser Fundort wieder unter Wasser, als die Goitsche geflutet wurde.
Die Geschichten vom Bernstein aus Bitterfeld machten ja schon in der DDR-Zeit Furore. Und sie warfen natürlich die Frage auf: Ist das überhaupt richtiger Bernstein? Was hat das mit den Funden am Ostseestrand zu tun? Denn jahrhunderte-, eher sogar jahrtausendelang bestimmten die Bernsteinfunde vom Ufer der Ostsee die Geschichte und die alten Handelsrouten. Am Ostseerand entlang und von dort nach Süden Richtung Mittelmeer verliefen die berühmten Bernsteinstraßen.
Zur Jahrtausendwende wurde die polnische Bernsteinstraße als touristische Route aus der Taufe gehoben. Sie verbindet alle Orte, an denen sich heute wichtige Bernsteinmuseen befinden, die aber auch historisch eine Rolle spielten bei der Bernsteingewinnung und im -handel. Wenig später folgten die östlichen Ostseeanrainer Litauen, Lettland und das Kaliningrader Gebiet. Man kann also regelrecht von einem faszinierenden Museum zum nächsten reisen und dabei gleichzeitig die wilde Ostseelandschaft erleben und da und dort tatsächlich noch zusehen, wie die Bernsteinfischer an die Arbeit gehen.
Denn nach wie vor ist Bernstein ein gefragtes Handelsgut. Polen ist dabei so etwas wie der Mittelpunkt der Bernsteinwelt – natürlich durch die Tatsache, dass seine Ostseeküste über Jahrtausende der eigentliche Schauplatz der Bernsteinwirtschaft war. Die Nachfrage nach den goldgelben Harzklumpen hat nie nachgelassen. Noch heute verarbeiten Dutzende kleine und mittlere Betriebe in Polen die Bernsteine zu edlen Schmuckstücken, finden in Polen die wichtigsten Messen mit Bernsteinschmuck statt.
Und mit dem Museum der Erde der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau existiert seit über 60 Jahren eine wachsende Sammlung zu allem, was man zu den mineralisierten Harzen aus aller Welt wissen kann. Hier wird auch intensiv geforscht. Denn die Harzklumpen verraten ja eine Menge nicht nur über ihre chemische Zusammensetzung, sondern auch über Flora und Insektenwelt jener Zeit, in der sie entstanden.
Die eingeschlossenen Insekten sind eine Fundgrube für die Entomologen. Die Zusammensetzung des Harzes verrät, welche Bäume sie einst absonderten und damit eben auch, welche Wälder Mitteleuropa – oder das, was davon aus dem Wasser ragte – vor 30, 40 oder gar 100 Millionen Jahren besiedelten.
Logisch, dass Barbara Kosmowska-Ceranowicz die Leser/-innen mitnimmt in diese teilweise sehr vulkanische Vorgeschichte. Denn vieles deutet darauf hin, dass große Vulkanausbrüche verantwortlich sind gerade für die großen Mengen an – echtem – Bernstein aus dem Ostseeraum. Denn Harz ist ja ein Stressprodukt, das Bäume vermehrt produzieren, wenn ihre Rinde beschädigt wurde. Und das tun sie auch heute noch, sodass Forscher praktisch dabei zuschauen können, wie jene gewaltigen Harzmengen entstehen, die teilweise zu spektakulär großen Bernsteinfunden führen.
Und da beginnt schon die Diskussion, denn da die Entstehung des Bernsteins nicht auf den heutigen Ostseeraum beschränkt war, gibt es reiche Bernsteinfunde auch auf anderen Kontinenten und Inseln. Was sich unterscheidet, ist in der Regel die Baumart, die einst das Harz abgab. Oft findet man die Verwandten dieser Bäume auch heute noch, sodass man anhand des Spektrums der Harze die Verwandtschaft nachweisen kann.
Im Grunde hat man es deshalb auch nicht mit dem klassischen Bernstein an sich zu tun, sondern mit einer ganzen Familie mineralisierter Harze, die meist nach ihrem Herkunftsort bezeichnet werden und sich in Zusammensetzung und Farbe oft deutlich unterscheiden. Auch hier schafft Barbara Kosmowska-Ceranowicz eine schöne Übersicht und nimmt die Leser/-innen dabei natürlich mit zu den Fundorten in aller Welt und – so nebenbei – auch in die nach wie vor prosperierende Bernsteinindustrie, die sich längst genauso globalisiert hat wie auch andere Branchen.
Was manchmal auch ärgerlich wird, gerade im Bernstein-Mutterland Polen, wo man dann nur den Kopf schütteln kann über die vielen Imitate, Fälschungen und Falschetikettierungen, die den Käufer/-innen der schönen Schmuckstücke etwas suggerieren, was das schmucke Stück schlicht nicht ist. Manchmal erkennt man es am Preis. Oft braucht es dafür aber erst die chemische Analyse.
Und trotzdem finden natürlich auch diese Stücke ins Museum der Erde. Denn sie erzählen natürlich auf ihre Weise von der anhaltenden Faszination der fossilen Harze, die so groß ist, dass Menschen sich seit Beginn der Industrialisierung auch intensiv Gedanken darüber machen, wie sie die Wirkung des honiggelben oder rötlichen, grünlichen oder bläulichen Urzeitharzes nachahmen können.
Aber eigentlich ist die Faszination der Forscher noch viel größer. Denn die Vielfalt der Harze ermöglicht ihnen natürlich einen Blick in die Erdgeschichte, den so auch geologische Ausgrabungen nicht ermöglichen. In vielen Fotos zeigt das Buch die verblüffende Vielfalt der weltweit gefundenen und ausgegrabenen Bernstein-Variationen. Und am Ende kommt Barbara Kosmowska-Ceranowicz natürlich auch auf die subfossilen Harze zu sprechen, jene Fundstücke, die zwar auf dem Weg sind, richtiger Bernstein zu werden.
Aber um wie Bernstein bearbeitet zu werden, sind sie noch zu jung und zu weich – so wie Kopal. Die Funde sind eher nur einige tausend Jahre alt, meist erst nach dem Ende der letzten Eiszeit entstanden. Ein Kapitel, das selbst die Forscherin staunen lässt, weil es erst richtig sichtbar macht, wie erstaunlich es ist, dass sich mehrere Millionen Jahre alte Harzklumpen derart gut haben erhalten können. Und das, obwohl sie in der Regel mehrfach geologisch umgeschichtet wurden, von uralten Flüssen weggetragen, in uralten Sedimenten immer weiter abgeschliffen.
Und dann findet man sie oft erst unter deutlich jüngeren Kohleflözen wie im Bitterfelder Raum. Einmal mehr erweist sich der so zerstörerische Kohlebergbau an dieser Stelle auch einmal als Gewinn für die Forschung, denn er ermöglichte einen Blick in erdgeschichtliche Zeitalter, die für gewöhnlich Dutzende bis hunderte Meter unter unseren Füßen verborgen liegen: meterdicke Ablagerungen am Strand eines urzeitlichen Meeres, dessen Existenz wir uns gar nicht mehr bewusst sind.
Allein die Funde aus dem Tagebau Goitsche sind 23 Millionen Jahre alt, der baltische Succenit (die Fachbezeichnung für den historischen Bernstein, wie er jahrtausendelang die Bernsteinstraßen dominierte) ist sogar 40 Millionen Jahre alt. Älteste Bernsteinfunde aus Großbritannien werden sogar auf ein Alter von 140 Millionen Jahren datiert.
Sehr verständlich also, wenn sich Sammler auch auf die Vielfalt der vorkommenden Bernsteine aus aller Welt fokussieren. Andere wieder konzentrieren sich auf die Vielfalt direkt vor ihrer Haustür, ihre Farben, Formen und Einschlüsse. Jedes Fundstück erzählt eine eigene Geschichte. Und würde man nicht auch erfahren, welche Mengen an Bernstein überall in der Welt aus der Erde geholt werden, würde man geradezu erschrecken, was die Industrie sonst noch so alles aus Bernstein gemacht hat und macht.
Im Grunde weiß man nach Lesen dieses Buches das Wichtigste über dieses fossile Harz und ist garantiert vorsichtiger beim nächsten Messebesuch oder beim preiswerten Angebot im Schmuckladen. Denn eigentlich ist das Buch auch ein freundliches Plädoyer für mehr Ehrlichkeit und weniger Trickserei. Denn wer sich echten Bernstein nicht leisten kann, der wird nicht unglücklicher sein, wenn das Imitat dennoch wie echter aussieht und genauso golden schimmert im Sonnenlicht.
Für die Sehnsucht nach einem echten Bernstein lohnt sich manchmal einfach das richtige Sparen. Und um die faszinierende Vielfalt dieser eindrucksvollen Harze zu erleben, ist sowieso eine Reise in die Städte empfohlen, wo es profunde Bernsteinmuseen gibt – nach Danzig zum Beispiel, der „Welthauptstadt des Bernsteins“, in Leipzigs Partnerstadt Krakow oder auch nach Warschau, wo man im Museum der Erde viele der besonders besprochenen Stücke besichtigen kann.
Und da die Reise vor Ende der Corona-Pandemie noch nicht machbar ist, empfiehlt sich dieses Buch als bilderreiche Einführung in die Welt des Bernsteins.
Barbara Kosmowska-Ceranowicz Bernstein, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2020, 24,80 Euro.
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