Eigentlich sollte es eher ein Buch mit 300 Seiten werden â aber dann war so viel Stoff beisammen, dass ein richtig schweres Buch mit 612 Seiten daraus wurde, das sich mit einem der groĂen Tabu-Themen unserer Zeit beschäftigt: den seelischen Leiden der Menschen, die in unserer Hochleistungsgesellschaft verdrängt und verachtet werden. Obwohl ziemlich viele Menschen davon betroffen sind. Man sieht sie meist nur nicht.
Und oft wissen sie selbst nicht, was sie da leiden lässt, was in ihnen belastende Gefßhle auslÜst, sie in Angst, Trauer, Niedergeschlagenheit versinken lässt.
Beschäftigt hat sich Schwarwel mit dem Thema schon des Ăfteren â in der Graphic Novel âGevatterâ und in âSeelenfresserâ. Aber selbst wer seine Schweinevogel-Strips liebt, weiĂ, dass die witzigen Comic-Helden eigentlich nicht witzig sind, sondern oft nur Spiegelbilder unserer eigenen Verunsicherungen, Kränkungen und desolaten Verhaltensweisen.
Gerade im tiefsten Ernst sitzt das Lachen Ăźber uns selbst, erkennen wir uns selbst. Und eigentlich lacht man da ja auch nicht, sondern fĂźhlt sich endlich mal wieder verstanden. Die kleinen Bildchen reiĂen die bunte Werbefolie von unserer Gegenwart und zeigen uns wieder so, wie wir eigentlich sind â da, wo wir wirklich mal unsere Harnische ablegen und die Masken abstreifen.
Da passt schon, dass das Corona-Jahr ein Jahr der Masken geworden ist, die ausgerechnet von denen, die eh schon mit clownsmäĂiger Maske durch die Welt laufen und sich als besondere Wunderausgaben der Spezies Mensch ausgeben, das grĂśĂte Lamento ausrufen lässt Ăźber die Maskenpflicht. Und es verstĂśrt zu Recht, wenn sie dabei auch noch das arme Wort Freiheit malträtieren. Ein Wort, das viele Menschen nicht einmal zu denken wagen, wenn sie die Einsamkeit im Lockdown erst recht mit all ihren psychischen NĂśten konfrontiert.
Und natĂźrlich spielt Corona hinein in dieses Buch, an dem Sandra StrauĂ und Schwarwel Anfang 2020 begonnen haben zu arbeiten, zu dem sie hunderte Freunde, Bekannte, Mitstreiter, Leidende und Mitleidende, Helfer und Therapeuten als Autor/-innen eingeladen haben, um Ăźberhaupt erst einmal ein groĂes Bild zu zeichnen von den psychischen Belastungen, die scheinbar immer mehr Menschen in unserer Zeit krank machen, arbeitsunfähig und oft regelrecht zum AuĂenseiter. Denn das Ideal unserer Gesellschaft ist ja der fitte, durchtrainierte, immer einsatzbereite und hochmotivierte âTeam-Playerâ.
Nicht jede psychische Erkrankung ist Folge dieser entfremdeten Arbeitswelt. Manche Menschen haben auch eine genetisch bedingte Veranlagung. Manche haben eine familiäre Leidensgeschichte hinter sich und mit dem Trauma gewalttätiger Ăbergriffe zu kämpfen oder einer Kindheit voller Lieblosigkeit und GefĂźhlskälte. Längst wissen ja die Forscher, wie sehr alles, was wir erleben, auch direkten Einfluss hat auf unsere KĂśrperchemie und damit auch die Verarbeitung des Erlebten im Gehirn.
Das eigentlich ein bewundernswertes Organ ist, eben weil es erstaunliche Leistungen zeigt im Umgang mit neuen Erfahrungen, mit jeder gefĂźhlsmäĂigen Herausforderung da drauĂen. Aber wenn es in Situationen gerät, die es zwangsläufig Ăźberfordern, treten Schutzmechanismen in Kraft, die zwar den Betroffenen einigermaĂen heil aus der Sache hervorgehen lassen â die aber kĂźnftig schon bei leichten Stresssituationen reaktiviert werden kĂśnnen.
Und wenn der Betroffene nicht weiĂ, woher das alles rĂźhrt, kommt er meist auch nur schwer wieder heraus aus diesen Situationen der erlebten Hilflosigkeit, der Angst, der Sucht, der Manie und was der Krankheitsbilder mehr sind. Da genĂźgt dann ein Trigger â und der Film läuft von ganz allein ab.
Was eigentlich nicht nur die kennen, die wirklich heftig darunter leiden. Denn Momente der Niedergeschlagenheit und der Hilflosigkeit kennt jeder. Sie haben mit ganz normalen GefĂźhlen zu tun. Wichtigen GefĂźhlen, die uns Menschen auch davor bewahren, (selbst-)zerstĂśrerisch zu leben.
Am Rande taucht das auf, wenn die hier so emsig Befragten Auskunft geben. Denn im Zentrum stehen natĂźrlich all jene, bei denen das Traurigsein, die Phobie, die Angst und das GefĂźhl der vollkommenen Wertlosigkeit wirklich zur (schweren) psychischen Belastung werden. Und die auch davon erzählen, wie lange sie oft brauchten, um sich ihrer âUnvollkommenheitâ bewusst zu werden oder sie einzugestehen.
Denn nichts ist hemmender als unser gesellschaftliches Tabu, dass man Ăźber seelische Erkrankungen nicht sprechen darf. Manches an diesem Tabu stammt aus der Geschichte, als die Menschen tatsächlich noch nicht wussten, warum einige ihrer Zeitgenossen derart âtrĂźbseligâ waren, im normalen Jargon dann meistens âgeistesgestĂśrtâ, was dann meist âin der Klapseâ endete.
Unsere Gegenwart ist da zwar mittlerweile erfahrener, kennt auch die Ursachen besser â aber tatsächlich bietet die Hochleistungsgesellschaft keinen Raum fĂźr Menschen, deren Leistungsfähigkeit immer wieder durch psychische Leiden gemindert wird, die gar ausfallen und nicht verfĂźgbar sind. Oder gar in dem Sinne âunzumutbarâ, der zum Titel des Buches geworden ist: nicht gesellschaftsfähig.
Logisch, dass auch diese Ausgrenzungen und Abwertungen zu Wort kommen, die alle aus einem letztlich fĂźrchterlichen Selbstbild des Neuzeitmenschen entspringen, der sich nur zu gern als effektiv, perfekt, flexibel und immer einsatzfähig begreift. Was meistens dann scheitert, wenn diese so Leistungsbesessenen an den Punkt kommen, an dem ihnen ihr Gehirn sagt, dass nun Schluss ist mit perfekt, die Systeme komplett runtergefahren werden und der ganze KĂśrper nur noch schreit: DAS HĂRT JETZT AUF!
Sorry, das war jetzt ein Trigger. Aber manchmal braucht es den â wenigstens bei den Menschen, die immer noch glauben, sie kĂśnnten ungestraft einfach die wilde Jagd nach immer mehr Perfektion mitmachen. Wobei der Corona-Lockdown viele dazu gezwungen hat, genau darĂźber einmal nachzudenken. Weshalb es auch kein Zufall ist, dass in den StraĂenbahnen derzeit vermehrt Angebote zur Hilfe bei Depressionen mitfahren.
Denn viele haben mit dem Ausbremsen im FrĂźhjahr auch mitbekommen, dass sie vorher eigentlich nur noch funktioniert haben, weil sie nichts mehr an sich herangelassen haben. Und nun ging es ihnen wie vielen Leistungsträgern, die in ihrem Jahresurlaub gleich in den ersten Tagen richtig krank werden, weil ihr KĂśrper endlich den Modus âDauerbereitschaftâ abschalten kann und sich die VerschleiĂerscheinungen alle auf einmal zu Wort melden.
Deswegen ist dieses von Schwarwel aufwendig gestaltete Buch mit den Ăźppigen BlĂźten der Japanischen Kirsche (und dem traurigen kleinen Jungen) auf dem Cover nicht nur eine Sammlung von Leidens- und Genesungsgeschichten. Denn genesen kann man von den meisten psychischen Erkrankungen nicht wirklich. Eben weil sie vor allem davon erzählen, wie sich die eigene Seele gegen Ăberforderungen schĂźtzt. Und diese Schutzfunktionen kann man nicht einfach ausschalten. Im Gegenteil: Es sind Warnfunktionen, die einen mit aller Macht daran erinnern, dass man sich auch um sich selbst und die Gesundheit seiner Psyche kĂźmmern muss.
Deswegen erzählen viele der im Buch versammelten Geschichten davon, wie lange die Betroffenen oft brauchten, um die Art ihrer Belastung zu begreifen und erste Wege zu finden, wie sie mit der Belastung umgehen kÜnnen. Am Ende gibt Schwarwel selbst noch ein kleines Motivationsset mit Dingen mit, die er selbst tut, um auch die härteren Tage zu ßberstehen. Was nicht ganz zufällig etwas mit guten Routinen, Innehalten und Aufmerksamkeit zu tun hat. Alles Dinge, die einen daran erinnern, dass man nicht als Roboter geboren wurde und auch nicht ein Leben lang die HÜchstleistung eines gedopten Sportlers bringen kann.
Und sie erinnern auch daran, dass manchmal der AuslĂśser der Krankheit die ZerstĂśrung einer lebendigen Routine war. Wozu auch Gesellschaftsordnungen gehĂśren. Und die, die in der DDR zu erleben war (wo Schwarwel immerhin seine Kindheit verbrachte), war eine genauso heftige StĂśrung des menschlichen Unversehrtseins wie es unsere von falschen Helden dominierte Konsumgesellschaft ist.
Was Ăźbrigens in dem Teil, in dem kluge Kritiker sich mit Filmen, BĂźchern und Spielen beschäftigen, noch etwas deutlicher wird. Wobei es da schwerpunktmäĂig eher um die Darstellung psychischer Leiden geht, die sich in den letzten 20 Jahren deutlich professionalisiert hat. Aber viele Filmhelden sind auch klassische âkaputteâ Helden, die ihre selbst erlebten Kränkungen nun in Gewalt und Brutalität ausleben.
Was an die ganz heikle Stelle bei der Darstellung psychischer Erkrankungen in der Kunst rĂźhrt: Dass Krankheit dort viel zu lange immer mit Gewalt assoziiert wurde. NatĂźrlich wird auch das diskutiert in diesem Buch. Wie geht man eigentlich als AngehĂśriger und mitfĂźhlender Mitmensch damit um? Kann man das Ăźberhaupt oder endet so eine Partnerschaft zwangsläufig in Ăberforderung? Denn eines scheint deutlich: Irgendwelche Hausmittelchen helfen da nicht unbedingt weiter, wenn jemand wirklich unter einer psychischen Belastung leidet. Er oder sie braucht in der Regel wirklich professionelle Hilfe von Therapeuten, die wissen, mit welchen Krankheitsbildern sie es zu tun haben und wie man damit wirklich umgehen kann.
Aber dazu braucht es oft auch erst die Ermutigung. Mancher braucht ja Jahre, um diesen Schritt zu tun, der ja gesellschaftlich genauso markiert ist. Denn was ist denn mit Menschen los, die psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen? âMit denen stimmt doch was nichtâ, denkt das trainierte Ăber-Ich praktisch sofort. Und verrät damit, wie unsere Gesellschaft mit ihrer Schablonenmentalität eigentlich Ăźber Menschen denkt â nämlich die, die âstimmenâ, und die, die nicht passen. Da springt sofort die eingebaute Normenkontrolle an. Und wer will schon das Stigma bekommen, nicht zu stimmen und nicht richtig zu funktionieren?
Man merkt ziemlich schnell: Eine Gesellschaft, die so tickt, hat wirklich eine seltsame Einstellung zu sich selbst, zum Menschsein und zur Bereitschaft, jedem Einzelnen zugestehen zu kĂśnnen, dass er Schwächen haben darf. Oder besser: zeigen darf. Denn in einer Gesellschaft der Wettbewerbstrainierten darf man Schwächen nicht zeigen. âSonst wirst du ausgelacht …â â Na, erinnern Sie sich?
Weshalb viele, die psychisch leiden, selbst mit eng Vertrauten nicht darßber reden. Obwohl das in vielerlei Hinsicht der Weg zur Besserung wäre. Denn viele erleben so auch erstmals, dass sie dafßr ganz und gar nicht verachtet werden, sondern durchaus positives Feedback bekommen. Eben auch, weil auch andere betroffen sind oder zumindest ahnen kÜnnen, wie schwer die Last ist. Und es hilft natßrlich dabei, die Hilfeangebote zu finden, die es tatsächlich schon gibt, wenn auch nach wie vor noch zu wenige. Was eben nicht nur etwas ßber die Unterversorgung aussagt, sondern auch ßber den enorm hohen Bedarf.
Der vielleicht sogar ganz normal ist, weil wir nun einmal in einer Gesellschaft mit sehr eigentĂźmlichen Vorstellungen vom Passen und Funktionieren leben, in der sich zwar immer mehr Leute mit Selbstoptimierung beschäftigen. Aber Selbstoptimierung hat nichts mit den eigenen BedĂźrfnissen und GefĂźhlen zu tun. Das tut man, um besser in die groĂe Maschine zu passen und das rasende Tempo mĂśglichst lange mithalten zu kĂśnnen. Aber menschlich ist das nicht. Menschlich sind verletzte GefĂźhle, ist die Sehnsucht der Psyche nach Heilung, nach Liebe und nach Verstandenwerden. Und natĂźrlich nach Akzeptanz â in aller Unvollkommenheit und Nichtbelastbarkeit.
Es ist also ein Buch geworden nicht nur fßr jene, die schon mal betroffen waren oder betroffen sind, sondern auch fßr alle, denen die Scheu vor dem Thema psychische Belastung nur zu vertraut ist und die es deshalb lieber meiden, sich damit ßberhaupt zu beschäftigen. Dabei hat das Lesen all dieser Geschichten auch einen kleinen therapeutischen Effekt, weil es zeigt, wie schnell es einem selbst passieren kann, dass eine Grenzerfahrung im Leben einen vÜllig aus der Bahn werfen kann.
Und manche Erkrankungen erzählen nun einmal auch von der uneingestandenen permanenten Ăberforderung, die sich manche Menschen auferlegen lassen ohne zu merken, wie sehr sie damit ihre eigenen Belastungsgrenzen Ăźberschreiten. DafĂźr stehen viele Spielarten der Depression genauso wie die Borderline-StĂśrung, aber auch Ăngste, Zwänge und SĂźchte.
Im ersten Teil des Buches wird ein breites Tableau dieser seelischen Erkrankungen/Erfahrungen aufgetan, von denen Menschen berichten, die meist mitten im Leben stehen, oft in verantwortlicher Position, oft als beliebte KĂźnstlerinnen und KĂźnstler. In Kapiteln zur Musik, zu Filmen, Literatur und Comics wird noch deutlicher, dass manche KĂźnstler/-innen besonders betroffen sind von psychischem Belastungen. Die Kunst ist dann oft der kreativste Weg, mit diesen Leiderfahrungen umzugehen.
Weshalb es dann in manchen Genres auch regelrecht zu wimmeln scheint von âkaputten Typenâ. Aber Fakt ist auch, dass es nicht die souveränen und perfekten Heldinnen und Helden sind, die uns begeistern, sondern die gebrochenen, angeknacksten. Vielleicht gerade darum: Weil sie uns vorleben, dass unser Menschsein ohne eine emotionale Ebene nicht funktioniert, dass wir gerade da, wo wir verletzt und verletzlich sind, Mensch sind.
Erst die Unvollkommenheit macht uns zu Menschen und fähig zu Empathie, vielleicht sogar Liebe. Auch zur Selbst-Achtung, denn dazu gehĂśrt eben auch, dass man sich im Spiegel so zu sehen vermag, wie man wohl wirklich ist â unperfekt, ganz schĂśn mitgenommen vom Leben, vielleicht nicht mal das ausfĂźllend, was wir uns in unserer Jugend mal erträumt haben.
Man erdet sich ganz schĂśn mit diesem Buch, weiĂ aber spätestens nach 300 Seiten, dass das ganz und gar nichts Schlimmes ist. Weg mit den falschen Träumen und Idealen. Lieber das tun, was man wirklich will und kann. Und wenn man dafĂźr die Rollos runterziehen muss, damit die täglichen StĂśrenfriede mal drauĂen bleiben.
Und während sich die Beiträge zu Film, Literatur und gezeichneter Kunst schon mit den Veränderungen im gesellschaftlichen Blick auf seelische Erkrankungen beschäftigen, kommen zuletzt auch die Therapeut/-innen selbst zu Wort, erzählen ein bisschen, wie sie mit ihren Patient/-innen arbeiten und worum es eigentlich in Therapien geht. Und natßrlich darßber, wie sie sich mitfreuen kÜnnen, wenn ihr Gegenßber langsam wieder Mut fasst und sich der eigenen Leidensgeschichte stellt.
Was ja der Anfang ist dafĂźr, Wege zu finden, mit LeidensschĂźben anders umgehen zu kĂśnnen. Manchmal muss man wohl auch lernen, mit ihnen zu leben und sie auch als Warnzeichen des eigenen KĂśrpers zu verstehen, der damit Ăberforderung signalisiert. Vielleicht auch zu spät und an falscher Stelle. Aber Vergangenheit kann man nicht wirklich auslĂśschen. Sie hat sich in unser Gehirn gefressen, ist dort leicht wieder aufrufbar, wenn die richtigen (also falschen) Trigger gesetzt werden.
Und gerade im analytischen Teil des Buches wird auch deutlich, dass unsere Art zu leben und zu wirtschaften daran oft nicht ganz unschuldig ist. Dass also eigentlich auch unsere Gesellschaft eine Therapie bräuchte, die ja nur ein âImmer weiter soâ kennt und auch keine Pausen, wenn nicht gerade ein hochansteckendes Virus sie auf einmal zum Innehalten zwingt.
Was auch nicht lange vorgehalten hat, wie wir heute wissen. Was aber den beiden KĂśpfen der Agentur GlĂźcklicher Montag genug freie Zeit verschaffte, dieses fast zwangsläufig auf âGevatterâ folgende Projekt beherzt und mit vielen guten Kontakten aufzugreifen und umzusetzen. Teilweise mit Gästen, die jeder kennt und die auch kein Hehl daraus machen, dass sie die schwarzen Stunden und Tage aus ihrem Leben ebenfalls kennen.
Und zuletzt folgt dann natĂźrlich noch ein ausfĂźhrlicher Teil, der Ăźber Hilfsangebote, hilfreiche Telefone, Stiftungen und Initiativen berichtet, die alle dabei helfen, das Thema der psychischen Erkrankungen stärker ins Bewusstsein der Ăffentlichkeit zu bringen und auch Politiker und Medienschaffende sensibilisieren dafĂźr, dass manches, was oft in grausamen Schlagzeilen steht, weder von einem Monster noch von einem Wahnsinnigen verursacht wurde, sondern oft Folge einer (nicht erkannten oder nicht behandelten) psychischen Erkrankung ist. Wobei manche Erkrankungen durchaus dazu fĂźhren, dass jemand sich in wirklich gewalttätigen Welten verliert.
Was ein eigenes Thema ist.
Und eigentlich wollten Sandra StrauĂ und Schwarwel das Buch auch mit lauter ermunternden Statements zum Thema ânicht gesellschaftsfähigâ (#ngf) spicken. Aber als das Buch dann in die Fertigstellungsphase kam, waren wir schon im nächsten Lockdown gelandet, der ganz bestimmt bei manchen ganz ähnlich schwere seelische Krisen ausgelĂśst hat wie schon der erste im FrĂźhjahr. Und so wandeln sich diese Statements beim Durchblättern des Buches und tauchen später unter einer neuen Botschaft auf: âDon’t panic!â Was dann eigentlich lauter kleine Ratschläge sind, gerade die Stille zu nutzen, um Gelassenheit zu Ăźben. Und Aufmerksamkeit fĂźr sich selbst und seine wirklichen WĂźnsche und GefĂźhle.
Gerade Schwarwels Nachwort (âCorona-Times Againâ) lässt zumindest ahnen, dass eigentlich alle Menschen so ein paar (kleinere oder grĂśĂere) seelische AbgrĂźnde in sich tragen: ein bisschen Hypochondrie, ein bisschen Menschenscheu, ein paar Ăngste, Zwänge und SĂźchte, Macken sowieso.
Bei den einen ist die Last so groĂ, dass sie darunter erkranken und leiden, andere nehmen die seelischen Ecken und Kanten als Teil ihrer PersĂśnlichkeit an (die wahrscheinlich so auch erst Ecken und Kanten bekommt), andere ignorieren sie, spielen sie herunter und tun so, als mĂźsste der Mensch sich einfach nur runderneuern oder zum Ăber-Menschen werden, um noch besser einer hochtourigen Technologie zu genĂźgen, die alles mĂśgliche ist, nur keine ErfĂźllung menschlichen GlĂźcks.
Und quasi als Draufgabe ist das dicke Buch mit zahlreichen Grafiken aus Schwarwels Werkstatt gespickt, etlichen Fotos und auch Arbeiten befreundeter Kßnstler, die sich auf ihre Weise mit Grenzerfahrungen beschäftigt haben.
Und natĂźrlich muss auf die Triggerwarnung hingewiesen werden, die gleich zu Anfang das Buch erĂśffnet. Denn bei allen seelischen Belastungen ist es nun einmal so, dass einige Trigger genĂźgen, um die MĂźhle im Kopf in Gang zu setzen. Da ist es dann gut zu wissen, wie man in so einem Fall gut reagiert.
Ob man sich da lieber eine Tasse Tee kocht oder eine Runde HĂźpfgummi springt oder mit dem Hund um den Block spaziert, so langsam, dass man beim Laufen wieder auftaut und sieht, wie der Schnee schmilzt. Denn es kommt natĂźrlich darauf an, welchen Wolf man fĂźttert, den weiĂen oder den schwarzen. Die AuflĂśsung steht im Buch.
Sandra StrauĂ, Schwarwel (Hrsg.) âNicht gesellschaftsfähig. Alltag mit psychischen Belastungenâ, GlĂźcklicher Montag, Leipzig 2020, 29,90 Euro.
Nach mir die Sintflut! Schwarwels Cartoons zum Irrsinn des vergangenen Jahres in einem Band
Nach mir die Sintflut! Schwarwels Cartoons zum Irrsinn des vergangenen Jahres in einem Band
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