Wie beginnt man eigentlich die Besprechung so eines Buches am besten, das eine richtige รœberraschung ist, obwohl es gar keine sein dรผrfte? Mit ein paar Bemerkungen zum Versagen der Planwirtschaft? Oder der mittlerweile frustrierenden Schwarz-WeiรŸ-Malerei westdeutscher Besserwisser? Oder mit einer groรŸen Trauer darรผber, was die DDR eigentlich hรคtte sein kรถnnen, wenn...?

Hinter dem โ€žwennโ€œ kรคme dann eine Menge, denn da kรคme dann zur Sprache, wie ein Land โ€“ und sei es auch ein eher unter Zwang entstandenes wie die DDR โ€“ seine Potenziale verspielt, wenn es ausgerechnet Phantasie, Kreativitรคt, Experimentier- und Alternativlust seiner begabtesten Bรผrger/-innen ausbremst, einhegt, zurechtstutzt. Mal vom fehlenden offenen Diskurs ganz zu schweigen.

Denn eines waren die Bewohner/-innen des kleinen Landes an Elbe, Spree und Saale auf keinen Fall: phantasielos oder gar die grauen Duckmรคuser, die die Boulevardmedien des Westens seit 30 Jahren malen, um dann ab und zu in scheinheilige Begeisterung zu verfallen, wenn dann doch mal โ€žder genialeโ€œ Dingsbums oder die โ€žlegendรคreโ€œ Sowieso gestorben sind. Meist Berรผhmtheiten, bekannt aus dem โ€žKessel Buntesโ€œ.

Viel mehr wissen die Welterklรคrer in westlichen Zeitungen auch nicht. Woher auch? Es gibt bis heute keine wirklich seriรถse Aufarbeitung der DDR-Geschichte mit all ihren Brรผchen, Sackgassen, Unterlassungen, parteilichen Einmischungen und der Normierung des Alltags. Es gibt nur die immer wieder kopierten Legenden, die am Ende das Bild eines langweiligen Landes erzeugen, in dem die frustrierten grauen Mรคuse nur noch darauf hofften, dass irgendwann die Mauer fรคllt.

So einen Teil der ganz und gar nicht unsichtbaren Kreativitรคt zeigt dieses Buch. Eines, dem sogar ein Essay von Wolfgang Joop vorangestellt ist, der sein Staunen nicht verhehlen kann รผber den Reichtum der Modegrafik in der DDR. Dass dieser Reichtum รผberhaupt wieder in Ausstellungen und in diesem Buch gezeigt werden kann, ist dem SammelfleiรŸ der Herausgeberin Ute Lindner zu verdanken, die unermรผdlich nach den noch auffindbaren Entwรผrfen der ostdeutschen Modedesigner/-innen gesucht hat, die noch irgendwo zu finden waren.

Was ganz bestimmt eine bienenfleiรŸige Arbeit war, denn auch die hier zugehรถrigen Institutionen wurden ja entweder gleich 1990 abgewickelt, vรถllig umgebaut oder schafften es โ€“ so wie die berรผhmte Modezeitschrift โ€žSibylleโ€œ โ€“ nur ein paar Jahre noch, in der Marktwirtschaft zu รผberleben.

Und die โ€žSibylleโ€œ war nun einmal auch deshalb eine der begehrtesten Zeitschriften in der DDR, weil sie auch solche Modegrafiken verรถffentlichte. Ganz abgesehen von den hochprofessionellen Modefotografien von Arno Fischer, Gรผnter Rรถssler, Roger Melis, Sibylle Bergemann und Ute Mahler โ€“ Fotograf/-innen, von denen der Lehmstedt Verlag einige schon mit eindrucksvollen Fotobรคnden vorgestellt hat, weil sie zeitgleich zu den besten Vertreter/-innen der dokumentarischen (Alltags-)Fotografie in der DDR gehรถrten und das Leben in diesem โ€žstillen Landโ€œ so zeigten, wie es die meisten seiner Bewohner tatsรคchlich lebten.

Und auch wenn das naturgegeben in der Regel meist Schwarz-WeiรŸ-Fotografien waren, zeigen diese Bilder, dass das Leben jenseits der Paraden, Plakatwรคnde und Heldenlieder der Arbeit keinesfalls grau, trist und muffig war.

Auch die Bewohner/-innen des โ€žArbeiter-und-Bauern-Staatesโ€œ (den es so nie gab), suchten ihre Freirรคume, in denen sie die Trรคume vom erfรผllten Leben leben konnten. Sie wurden kreativ, legten Wert auf Stil, Wissen, Kunstgenuss. Und zwar nicht nur die Kรผnstler und Mitglieder der akademischen Elite.

Und wer sich jetzt durch diese Sammlung von Modegrafiken aus der Zeit von 1960 bis 1990 blรคttert, der staunt eher darรผber, wie vertraut einem das alles ist โ€“ auch dann, wenn man selbst niemals die โ€žSibylleโ€œ gelesen hรคtte, die sowieso eher bei Frauen begehrt war, weil darin auch die ganzen Tipps standen, wie man die abgebildeten Kleidungsstรผcke auch selbst schneidern konnte. Es gab eigentlich keinen Haushalt in der DDR, in dem keine Nรคhmaschine stand.

Denn das Geld, sich die modischen Modelle im Exquisit-Geschรคft zu kaufen, hatten nur wenige. Aber trotzdem sah man die Frauen nicht nur sonntags in genau solch legerer, modischer Kleidung, wie sie die in diesem Band versammelten Grafiken zeigen. Grafiken, die รผbrigens auch ein selbstbewusstes Frauenbild zeigen, das sich deutlich von dem in westdeutschen Modezeitschriften unterscheidet.

An einer Stelle in seiner Einfรผhrung geht Mathias Bertram auch darauf ein, dass Modezeitschriften in der DDR bis in die 1960er Jahre hinein auch eine emanzipatorische Aufgabe wahrnahmen. Die Sache mit der Gleichberechtigung der Frau wurde in der DDR wirklich ernst genommen. Auch wenn darรผber medial nicht groรŸ diskutiert wurde und ein Buch wie Maxie Wanders โ€žGuten Morgen, du Schรถneโ€œ 1977 noch einschlug wie eine Bombe und von Defiziten erzรคhlte, die รถffentlich nicht erwรคhnt wurden.

Was aber nicht heiรŸt, dass die Emanzipation nicht stattfand. Das tat sie sehr wohl, auch wenn westdeutsche Fรคhrtenleser davon heutzutage im Osten mit lautem Bedauern nichts mehr finden wollen. Da merkt man eher, wie tief verwurzelt das alte patriarchalische Denken in den Kรถpfen unserer Brรผderchen im Westen bis heute verwurzelt ist.

Denn natรผrlich fehlte hรผben wie drรผben in groรŸem MaรŸstab immer auch die Emanzipation des Mannes. Das ist โ€“ wie es aussieht โ€“ das schwerste Stรผck an Arbeit. Da sind Frauen (hรผben wie drรผben) lรคngst weiter. Und souverรคner. Man vergisst einfach, was fรผr eine Entwicklung da in den letzten 60 Jahren stattgefunden hat und wie sehr sich das Selbstbild der Frauen (hรผben wie drรผben) mittlerweile von dem ihrer GroรŸmรผtter unterscheidet.

Die Verรคnderung steckt in den Kรถpfen, nicht auf dem Gehaltszettel. Und dass unsere Gesellschaft von Mรคnnern mit Weltvorstellungen aus dem 19. Jahrhundert dominiert wird, ist eher tragisch, hat aber nichts mit der abgewickelten DDR zu tun. Es zeigt eher, dass auch der sich selbst so gern glorifizierende Westen einen enormen Modernisierungsbedarf hat โ€“ nicht nur in Vorstรคnden und Aufsichtsrรคten.

Mathias Bertram erzรคhlt in seiner Einfรผhrung auch, wie wenige der im Band abgebildeten Modelle in der DDR eine Chance hatten, in die Jahresproduktion der Textilbetriebe aufgenommen zu werden. Mode und Fรผnf-Jahr-Plรคne passen einfach nicht zueinander. Und wenn dann auch noch wichtige Materialien im Land nicht zur Verfรผgung stehen und die Planungschefs immerfort mit dem Rotstift agieren, um die Entwรผrfe auch tauglich fรผr die sozialistische Massenfertigung zu machen, dann kommt im Laden eben wenig an von dem, was die an der Hochschule ausgebildeten Designer/-innen anfangs aufs Papier gebannt haben.

Aber dann darf man sich ruhig auch alte Aufzeichnungen von โ€žKessel Buntesโ€œ und anderen DDR-Fernsehsendungen anschauen und auf die Kleidung der Sรคngerinnen und Schauspielerinnen achten โ€“ und dann sieht man, dass die Ideen trotzdem ihren Weg ins Land fanden. Die Berรผhmtheiten zeigten sie vor der Kamera und an den Kiosken im Land standen die Frauen Schlange, wenn die neue โ€žSibylleโ€œ ausgeliefert wurde. Und es dauerte eigentlich nie lange, bis diese Mode dann auch bei Sekretรคrinnen, Bรผrgermeisterinnen, Chemikerinnen, Lehrerinnen und den Mรคdchen in der Diskothek usw. auftauchten.

Aschenbrรถdel und graue Puttchen waren die DDR-Frauen auf keinen Fall. Und meistens strahlten sie auch dasselbe Selbstbewusstsein aus, das die erwรคhnten Fotograf/-innen in ihre Bilder bannten. Und wie die Entwรผrfe und die Modefotografie zusammenfanden in dieser Bild-Sprache zeigt eine kleine Gegenรผberstellung am Ende dieses Bandes.

Und dazu kommt noch, dass kaum etwas in diesen Entwรผrfen wirklich veraltet aussieht. Denn die Grafiker/-innen lebten ja wirklich in der DDR, sie wussten um die Materialengpรคsse und sie hatten verinnerlicht, dass es keinen Sinn machte, in der DDR ein Luxusbild von Mode zu verkaufen, wie es sich selbst im Westen nur die Reichen leisten konnten.

Die Kombinationsfรคhigkeit der entworfenen Kleidungsstรผcke war durchaus Absicht und sollte รผber die Jahre eine immer wieder neu kombinierbare Auswahl im Kleiderschrank โ€žder modernen Frauโ€œ ergeben. Und zeitweise wurde das auch in der โ€žSibylleโ€œ genauso deutlich formuliert: Es ging nicht darum, der Mode zu genรผgen, sondern darum, dass jede Frau ihren Stil fand, das, was wirklich zu ihrer Persรถnlichkeit passte.

Das ist wirklich ein anderer Anspruch an Kleidung und korrespondiert direkt mit dem gewรผnschten (aber eigentlich auch gefรผrchteten) Selbstbild der Frau im ostdeutschen Sozialismus. Denn genau diese selbstbewussten Persรถnlichkeiten vertrugen ja die Parteiwรคchter nicht. (Man lese nur wieder mal โ€žFranziska Linkerhandโ€œ von Brigitte Reimann.) Was รผbrigens dazu fรผhrte, dass die Bรผrgerrechtsbewegung in der DDR eben immer auch ein starkes weibliches Gesicht hatte. Untersucht hat das zwar noch niemand, aber ohne die vielen selbstbewussten Frauen hรคtte die Opposition in der DDR nicht so friedlich, selbstbewusst und emanzipiert gewirkt.

Was mich fast schon zu einem Abschweif รผber die emanzipative Rolle des 1989er Herbstes bringen wรผrde.

Aber wie man sieht: Selbst in der Modegrafik steckt ein eminent subversives Element, wenn sie das selbst erklรคrte Frauen- und Menschenbild der Staatsfรผhrung tatsรคchlich ernst nimmt und mit einer beeindruckenden Kreativitรคt in Entwรผrfe umsetzt, bei denen nur noch ein Fingerschnipsen zu genรผgen scheint, und schon laufen die Frauen mit genau diesen kessen Outfits auf der StraรŸe und strahlen genau das aus, was den regierenden alten Mรคnnern so bedrohlich erschien: die Selbstgewissheit von Menschen, die fรผr sich selbst definieren konnten, was wirklich wichtig ist und wie sie in der Welt sein und wirken wollten.

An diesem Punkt scheiterte die DDR am eigenen Menschenbild.

Im Anhang des Buches werden die Grafiker/-innen, deren Zeichnungen in diesem Band versammelt sind, auch noch mit kleinen biografischen Abrissen gewรผrdigt. Und Bertram betont auch nicht zu Unrecht, dass bei einigen die Grenzen zur kรผnstlerischen Grafik flieรŸend sind.

Wie flieรŸend, sieht man in den Zeichnungen, die im Grunde sรคmtliche Kunststile des 20. Jahrhunderts aufnehmen โ€“ besonders stark die der Moderne und der Pop-Art. Man hat also eigentlich auch gleichzeitig einen richtigen Kunstband vor sich, der zeigt, dass selbst die scheinbar verrรผcktesten Blรผten der Kunst in einer farbenfrohen und anspruchsvollen Modekollektion ihre Fortsetzung finden kรถnnen.

Der Widerspruch lag nicht wirklich zwischen Schein und Sein โ€“ das trรคfe eher auf die Parteitagsreden und Jubelfeste der Staatsfรผhrung zu. Im Alltag gerade der Frauen (Modelle fรผr Mรคnner kommen nur marginal in diesen Grafiken vor) war durchaus erlebbar, dass mit etwas Finesse die Kluft zwischen โ€žGibtโ€™s nichtโ€œ und โ€žNun geradeโ€œ รผberbrรผckbar war.

Und รผberbrรผckt wurde. Man sieht also โ€“ auch wenn es โ€žnurโ€œ die Zeichnungen sind โ€“ ein Stรผck echten, farbigen DDR-Alltag. Und Bertram ist sich sicher, dass viele dieser Kollektionen heute noch in den Kleiderschrรคnken ostdeutscher Frauen hรคngen โ€“ wohl nicht nur die aus dem Exquisit-Geschรคft.

So wie auch die vielen Foto-Bรคnde aus dem Lehmstedt Verlag setzt auch dieser Band einen Kontrapunkt zum รผblich gewordenen DDR-Bild. Und zwar einen groรŸen und bunten. Und er erzรคhlt davon, wie junge, kreative Menschen das Entwerfen tragbarer und trotzdem mutiger Mode zu ihrem Lebensinhalt machten. Einige machten nach 1990 in groรŸen westdeutschen Unternehmen weiter.

Denn das ist nun einmal auch Fakt: das neugebackene Deutschland bekam ein ganzes Reservoir bestens ausgebildeter Fachkrรคfte in fast allen Bereichen. Man nahm sie schweigend und selbstzufrieden hin und tat dann offiziell so, als wรคre โ€žder ganze Krempel nichts wert gewesenโ€œ.

An der Haltung hat sich bis heute nichts geรคndert. Deswegen sind solche Bรผcher so wichtig. Sie zeigen, dass es an Kreativitรคt und Ideenreichtum im Osten nie mangelte. Die Grenzen des Mรถglichen setzten andere, die mit Kreativitรคt und Einfallsreichtum nichts anfangen konnten.

Oder sollte ich โ€žsetztenโ€œ lieber ins Prรคsens setzen? Ich hab so das leise Gefรผhl, dass das keine falsche Idee wรคre.

Ute Lindner; Mathias Bertram; Vogt Ulrike Zwischen Schein und Sein, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2020, 58 Euro.

Warum die bekannteste Modezeitschrift der DDR noch heute berรผhmt und manchmal teuer ist

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