Wenn Frank Bröker nicht gerade mit The Russian Doctors unterwegs ist und die Erlenholzgitarre spielt, dann lebt er in einer Welt, in der es eiskalt, laut, schnell und heftig zugeht: Er ist der wohl emsigste Autor von Eishockey-Büchern in Deutschland. Und die Namen der Helden dieses Sports hat er immer parat, so wie die großen Triumphe, Meisterschaften und Legenden. Aber wer erzählt von den anderen, denen, die gescheitert sind, die nicht in der Hall of Fame landeten? Er tut es jetzt im Namen von zwölf zu Unrecht Vergessenen.
Wobei sie nicht völlig vergessen sind. Auch im Fußball oder Handball erinnern sich die wirklich von diesen Sportarten Bewegten auch noch nach Jahrzehnten an die Unglücksraben, die knapp Gescheiterten, die Kämpfer, mit denen sie mitfieberten und mitlitten, wenn es dann doch am Ende nicht reichte oder eine Karriere viel zu früh endete – meist aus tragischen Gründen.
Und oft nehmen sich dann auch Journalisten und Kenner der Materie dieser verlorenen Helden an und schreiben Reportagen über ihr Leben oder gar ganze Bücher, in denen sie eben auch versuchen, die ganze Persönlichkeit zu erfassen von der Kindheit über die ersten Schritte auf dem Eis und dem starken Willen, sich in einer der härtesten Sportarten durchzusetzen, um irgendwann auch einmal in der härtesten aller Ligen zu spielen und/oder den berühmtesten aller Pokale zu gewinnen – das ist im Eishockey der Stanley Cup.
Und mittlerweile wird ja auch das Internet zu einem riesigen Archiv der jüngeren Vergangenheit, kann man Sieger und Niederlagen dort wiederfinden, die vor Jahren ganze Hallen zum Brüllen brachten.
Muss man da noch betonen, das Bröker Anhänger der Icefighters Leipzig ist, die jetzt mal wieder ohne Halle dastehen? Denn anders als im Heimatland des Eishockeys – in Kanada – wird man nur in wenigen deutschen Regionen überhaupt noch die Bedingungen finden, dass im Winter auf Natureisflächen der Puck gejagt werden kann.
Man braucht also unbedingt entsprechende Hallen, in denen trainiert und gespielt werden kann, und man braucht jede Menge finanzielle Unterstützung von Anhängern und Sponsoren, damit man den Laden eiskalt und in Betrieb halten kann. Das ist nicht nur ein Leipziger Problem. Damit kämpfen in Deutschland viele Eissport-Clubs.
Mit den nordamerikanischen Ligen kann sich deshalb auch die deutsche Eishockey-Liga nicht messen. Die großen Begabungen dieses Sports zieht es deshalb immer wieder nach Kanada und in die USA, wo Eishockey auch noch ein ganz anderes Renommee hat. Frank Bröker schreibt nicht umsonst von der härtesten Sportart der Welt, auch wenn zum Beispiel Football einen ganz ähnlichen Ruf hat. Und ganz ähnliche Probleme.
Denn auch hier galt jahrzehntelang der volle Körpereinsatz als Markenzeichen für einen Sport, in dem sich nur die Härtesten und Unempfindlichsten durchsetzten. Mit dem Ergebnis, dass viele der Talentiertesten den Sport mit körperlichen Schäden beendeten. Auch solchen, die man nicht sah von außen (obwohl etliche der von Bröker porträtierten Helden einen von geheilten Brücken geprägten Körper hatten). Denn wenn auch immer wieder der Kopf Ziel zahlloser Tacklings wird, dann ergeht es Eishockeyspielern wie manchen Boxern, die nach Karriereende nur noch ein Leben mit starken psychischen Beschwerden führen können.
Das ist wohl eher die Hölle, an die man denken kann, wenn Frank Bröker das Leben von Brian Spencer, Joe Murphy, Bill Goldthorpe und anderen Helden der nordamerikanischen Ligen erzählt. Dazu die tragische Geschichte des vormaligen russischen Spitzenspielers Vladimir Konstantinow, dessen Karriere durch einen Autounfall ihr Ende fand.
Oder die von Robert Dietrich, der bei einem Flugzeugunglück mit seiner Mannschaft Lokomotive Jaroslawl ums Leben kam. Nicht zu vergessen Pinguin Pete, das Maskottchen der Pittsburgh Penguins, der seine erste Saison als Maskottchen nicht überlebte. (Woran aber das Eishockey nicht schuld war).
Natürlich war eine Karriere als Eishockey-Star für viele Jungs aus den Weiten des amerikanischen Nordens ein Weg, ihre Träume von einem anderen Leben zu verwirklichen. Wofür sie auch heftigste körperliche Blessuren, harte Trainings und heftige Fights um eine Chance bei einem der großen Ostküstenclubs in Kauf nahmen.
Das Fernsehen spielte dabei immer eine wichtige Rolle. Und die Spieler der Spitzenmannschaften verdienen auch entsprechend viel Geld. Harter „Männer“-Sport verbindet sich mit hohem Prestige und schillernden Träumen von einem Leben im Licht.
Dass dahinter meist auch eine Welt voller Schmerzen war, die manche der Talentierten und Gefeierten auch in die Abhängigkeit von Alkohol und Drogen brachte, erfährt man in Brökers Geschichten, die eigentlich Geschichten von einem labilen Gleichgewicht sind. Denn ob das Klima in der Mannschaft stimmt und die „harten Jungs“ auch psychisch aufgehoben sind, liegt immer auch am richtigen Trainer. Und natürlich auch am Management, das für den Kauf und Verkauf von Spielern zuständig ist.
Auch Eishockeyklubs können der Gier und dem Größenwahn der Manager zum Opfer fallen – und mit ihnen die Stars auf Kufen. So sind einige dieser Geschichten solche, die genau so ein Scheitern erzählen, das zuweilen abrupte Ende von Karrieren, die eben noch steil in die Höhe gingen. Bröker erzählt, wo er kann, die Kindheitsgeschichten mit, sodass man eine Ahnung davon bekommt, welche Rolle dabei Elternhäuser (zumeist die Väter) spielen.
Er erzählt von Freundschaften und auch von Spielern, die so stark waren, dass sie nach den ersten Abstürzen (manchmal wirklich ganz nach unten) doch noch die Kurve kriegten und Abschied nahmen vom Eishockeytraum und ein neues Leben ohne all diese vulkanischen Gefühle begannen.
Denn das hat Bröker ja schon in seinen vorhergehenden Büchern erzählt: Wie sehr die aufgepeitschtesten Emotionen beim Eishockey eben nicht nur Testosteron freisetzen, sondern auch süchtig machen können – Publikum wie Spieler. Denn wenn man erfahren hat, wie stark die emotionalen Belohnungen in diesem Hexenkessel sind und wie gewaltig das Echo des Publikums, ist es schwer, sich mit weniger zufriedenzugeben.
Mal ganz zu schweigen davon, dass Bröker so schreibt, wie die Cracks auf dem Eis spielen – in kurzen, scharfen Schüssen, die Namen, Begriffe und legendären Ereignisse knallhart hingeschossen wie ein hartes Stück Gummi, das ins Tor zischt. Und während Leute, die ein langsameres Tempo gewohnt sind, noch versuchen einzuordnen, wohin die ganzen schillernden Namen gehören, ist das Publikum längst aufgesprungen und jubelt.
Beim Eishockey sind nicht nur die Kufenstars auf 180, sondern auch die Zuschauer. Was aber beim Lesen nicht stört, eher richtig Spaß macht, weshalb das Büchlein nur zu empfehlen ist, wenn sich jemand wieder an einem schweren und langatmigen deutschen Preisträger-Roman überfressen hat. Es ist wie eine starke Tasse Espresso, die einem am Beispiel von zwölf ganz und gar nicht höllischen Burschen zeigt, dass die Typen unter dem Fieberglashelm auch richtige Menschen sind – mit all ihren menschlichen Tiefpunkten und körperlichen und seelischen Blessuren.
Sie haben alle eine ordentliche Biografie verdient – und einige haben auch eine bekommen. Es lohnt sich, nicht immer nur die im Blitzlichtgewitter anzuschauen, sondern auch die, die es zu heftig an die Bande geschleudert hat oder die – wie Joe Hill – von der Spanischen Grippe mitten aus dem Erfolg gerissen wurden. Oder den wirklichen Erfolg nie erfahren durften – wie Bernie Saunders, der noch selbst erlebte, wie Rassismus im amerikanischen Sport funktionierte, auch da, wo die Bosse so taten, als ginge es gar nicht um die dunkle Hautfarbe des Spielers.
Von den Reaktionen des Publikums muss man da nicht reden. Ein Problem, das ja – wie wir wissen – die USA auch heute wieder erschüttert. Man bekommt eben kein freies Land, wenn man weiter den alten Sklavenhalter-Rassismus als tolerabel gelten lässt und so tut, als entschiede allein die richtige Hautfarbe darüber, ob ein Mensch etwas wert ist. Und nicht eben sein Talent, sein Einsatz und seine Bereitschaft, im Team alles zu geben.
Frank Bröker Hockey Hell of Fame, Verlag Andreas Reifer, Meine 2020, 9,50 Euro.
Frank Bröker lädt seine Leser ein zur Eishockey-Reise um die ganze Welt
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Die neue Leipziger Zeitung Nr. 82: Große Anspannung und Bewegte Bürger
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