Das frühe 20. Jahrhundert war in Deutschland auch die Zeit der großen Verleger. Sie schufen die großen Publikumsverlage, deren Namen allen Leser/-innen geläufig waren. Denen im Westen, die sich in jeder Buchhandlung mit den beliebten Büchern eindecken konnten. Und auch denen im Osten, die sich eine Bibliothek mit lauter Fischer-, Suhrkamp- und Rowohlt-Büchern wünschten. Taschenbüchern natürlich, denn davon passen ja viel mehr in ein Regal.
Der S. Fischer Verlag war nach dem Krieg einer der ersten, die mit preiswerten Taschenbüchern neue Leserkreise erschlossen und das Buch auch für Käufer erschwinglich machten, die sich Hardcover-Bände nicht leisten konnten. Der Siegeszug der Taschenbücher im 20. Jahrhundert ist eine eigene Geschichte.
Eigentlich begann sie schon in den 1920er Jahren, als mutige Verleger sich gegenseitig anspornten, das Buch tatsächlich zu einem Publikumsprodukt zu machen. Und zwar nicht nur mit preiswerten Klassikerausgaben (wie bei Reclam), wenn die Schutzrechte der Autoren ausgelaufen waren.
Zum exemplarischen Fall wurde 1929 die preiswerte Ausgabe der „Buddenbrooks“ von Thomas Mann, über die sich Gottfried Bermann Fischer mit seinem Schwiegervater Salomon Fischer gewaltig krachte und sich dann – auch zum Glück des Verlages – doch durchsetzte. Florian Bruns erzählt in dieser Miniatur die Lebensgeschichte von Gottfried Bermann, der eigentlich Medizin studiert hatte und längst als Chirurg arbeitete, als er Brigitte Fischer, Tochter des erfolgreichen Verlegers Salomon Fischer, kennenlernte und heiratete.
Florian Bruns ist selbst Arzt, kennt also den ungewöhnlichen Schritt aus der Medizin ins schreibende Gewerbe. Und Salomon Fischer stellte seinen künftigen Schwiegersohn scheinbar auf die Probe – auch weil er ein gewaltiges Nachfolgeproblem hatte: Wer sollte seinen Verlag fortführen mit all den großen Autoren von Hauptmann bis Mann?
Und mit Gottfried Bermann lag er gar nicht daneben. Quasi vom Operationstisch wechselte der in den Verlag, sorgte für neue Autoren, unerwartete Erfolge und dann ab 1933 dafür, dass der S. Fischer Verlag nicht in die Hände der Nazis geriet. Mit Peter Suhrkamp fand er einen begabten Treuhänder für den in Deutschland verbleibenden Verlagsteil. Nach dem Krieg wurden sie dann zu Konkurrenten.
Bis in die 1970er Jahre hinein prägte Bermann Fischer die bundesdeutsche Verlagsszenerie, war eine der großen Verlegerpersönlichkeiten, die man heute in Großverlagen nicht mehr findet. Schon damals machte sich der Trend bemerkbar, dass einst berühmte inhabergeführte Verlage in den Bestand riesiger Medienkonzerne wanderten. Auch Bermann Fischer verkaufte letztlich an Holtzbrinck.
Was wohl auch einer der Gründe dafür ist, dass es bislang keine profunde Biografie des Verlegers gibt, was Florian Bruns zu Recht als Manko ansieht. Es gibt also nicht nur in Leipzig immer wieder erstaunliche Lücken in der Forschung. Selbst in der zu hiesigen Verlegerpersönlichkeiten. In gewisser Weise berührt die Geschichte des S. Fischer Verlages auch die Buchstadt Leipzig, denn hier hatte der Verlag in den 1920er Jahren auch eine Dependance mit zehn Mitarbeiter/-innen.
Und bei Bermann Fischer sind es ja gleich drei große Kapitel der deutschen Verlagsgeschichte, die historische Forschungen spannend machen: die 1920er Jahre, in denen sich S. Fischer als einer der freigeistigsten und liberalen Verlage der bedrohten Republik profilierte, die Zeit von 1933 bis 1945, in der der in Wien 1936 neu gegründete Verlagsteil sich zu einem der wenigen arbeitsfähigen Verlage der Emigration entwickelte, und natürlich die Zeit nach 1945, als es eben Verlage wie Fischer und Suhrkamp waren, die den Lesern jene Autoren und Autorinnen in preiswerten Ausgaben zugänglich machten, die die notwendigen neuen gesellschaftlichen Debatten bestimmten.
Verleger waren keine kalt kalkulierenden Manager, sondern wurden auch mit den Autor/-innen identifiziert, die sie in ihrem Verlag heimisch machten. Und sie hielten sich auch in gesellschaftlichen Debatten nicht zurück, auch wenn sie in der Regel einen sachlichen und nachdenklichen Ton pflegten. Womit sie auch zu begehrten Interviewpartnern für die großen Zeitungen wurden. Die Bundesrepublik war auch einmal eine Republik der kritischen Köpfe und intellektuellen Diskussionen.
Alles nachzulesen in vielen der damals erschienenen (Taschen-)Bücher. Aber derzeit sieht es nicht so aus, als wären die Historiker dabei, diese durchaus spannende Epoche aufzuarbeiten. Ganz so, als fürchte man das Niveau, als fürchte man, man könnte einem durch heutige Medien eingeschläferten Leser gar nicht mehr erklären, wie geistig lebendig Deutschland sogar damals gewesen ist. Was übrigens das Gegenstück ist zur dumpfen Vergangenheitswehmut, die heute einige öffentliche Langweiler wieder vor sich hertragen.
Natürlich kann so eine Miniatur nur eine Miniatur sein. Aber sie ist auch eine Anregung, sich mit diesen reichhaltigen Literaturepochen mal wieder zu beschäftigen. Mit den berühmten Autoren aus dem Hause Fischer erst recht. Allein diese Partnerschaften, die für Salomon Fischer genauso wie für Gottfried Bermann Fischer oft auch Freundschaften waren, lohnen die Beschäftigung.
Das Büchlein selbst kann nur darauf hinführen, auch wenn es Florian Bruns gelingt, dieses durchaus überraschende Leben eines Arztes, der zu einem begnadeten Verleger wurde, sehr komprimiert zu erzählen und auch das Jüdische knapp zu streifen, so, wie es eigentlich nur zu erfassen ist: als ein Hintergrund, der für Menschen wie Berman Fischer nie eine wirkliche Rolle gespielt hat, bis die Nazis mit ihrer depperten Rassenkunde anfingen, Menschen auszusortieren und zu schikanieren.
Und damit auch die deutsche Verlagslandschaft zu zerstören, den Lesern systematisch alles zu entziehen, was intellektuell offen, kritisch und anspruchsvoll war. Umso wichtiger war es, dass Verleger wie Bermann Fischer nach 1945 tatsächlich zurückkamen und die Ärmel hochkrempelten und den Menschen wieder geistige Nahrung gaben, all die literarischen Landschaften, die Menschen im Kopf erst frei machen. Da verblüfft es schon, dass das die Historiker so wenig interessiert.
Florian Bruns Gottfried Bermann Fischer, Hentrich & Hentrich, Leipzig 2020, 8,90 Euro.
Die neue „Leipziger Zeitung“ Nr. 83: Zwischen Ich und Wir
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