Bei Ingolstadt denkt man eigentlich nur an Autos, eine riesige Autofabrik und lauter Audis, zu deren Verteidigung der bayerische Ministerpräsident schon einmal anruft bei der Bundeskanzlerin, weil die schicken Autos für Bayern systemrelevant sind. Für Ingolstadt sind sie es tatsächlich. 44.000 Menschen sind rund um Ingolstadt in der Autoproduktion beschäftigt. Das Audi Forum Ingolstadt ist dann auch die letzte Station in Franziska Reifs kleiner Besuchsempfehlung für das 1.200 Jahre alte Ingolstadt. Eine Entdeckung auch ohne Auto.

Denn das alte Ingolstadt, das 806 erstmals in einer fränkischen Urkunde erwähnt wurde, entpuppt sich beim Besuch als eine Stadt, die in ihrem Herzen wie so viele deutsche Städte ihr Flair aus Mittelalter, Renaissance und Barock bewahrt hat. Ein schönes Stück Stadtmauer samt Mauertürmen, Glacis und zwei Stadttoren ebenfalls. Die Autobauer kamen in Wirklichkeit erst nach dem zweiten Weltkrieg, als Audi in Zwickau verstaatlicht wurde und auf den sozialistischen Weg zum Trabi einschwenkte.

Die Tradition von August Horch wurde in Ingolstadt fortgesetzt und war bis heute Teil der großen Legende vom Autoland Deutschland – das möglicherweise jetzt so langsam zu Ende geht. Woran Corona nicht schuld ist, auch wenn Corona die Autoverkaufszahlen massiv einbrechen ließ. Doch der Traum vom eigenen Auto hat einen Knacks bekommen, vorher schon in der unseligen Diesel-Affäre, in der Klimadiskussion sowieso. Und die Dauerstaus in den Großstädten haben immer mehr junge Menschen dazu gebracht, ernsthafte Alternativen zu fordern. Die Stadt ohne Autos gewinnt immer mehr Fürsprecher.

Auch weil so eine Stadt aus der Perspektive des nicht vom Fahrdamm verdrängten Fußgängers anders aussieht, mehr Details entfaltet, mehr Perspektiven. Städte im Gedränge hupender Autos zu betrachten macht einfach keinen Spaß. Und auch in Ingolstadt sieht man schon viele von Autos frei geräumte Plätze, auf denen Fußgänger und Radfahrer unterwegs sind und Freisitze zum Verweilen einladen.

Natürlich hat Matthias Horx recht, wenn er davon ausgeht, dass die Welt nach Corona anders aussehen wird als vorher und dass Krisen viele Entwicklungen erst so richtig sichtbar machen, die vorher schon im Gang waren. Man kann nicht einfach wieder zurück in den Zustand davor, egal, wie viele ergrimmte Demonstranten das fordern.

Wir wissen nur nicht genau, welche Entwicklungen künftig dominieren werden. Aber die Mobilität wird sich verändern. Und unsere Innenstädte werden sich erst recht verändern, weil die Debatte um Lebens- und Aufenthaltsqualität nicht mehr abzuwürgen ist. Und wie leise Städte ohne permanentes Autogelärme sind, haben wir alle erlebt im April.

Und mancher rätselt jetzt, wohin er fahren kann, wenn ein Flug nach Mallorca seinen Reiz verloren hat und die deutschen Küsten längst wieder überlaufen sind. Ingolstadt empfiehlt sich. Denn der historische Teil findet sich komplett innerhalb des alten Mauerrings, der bis ins 19. Jahrhundert hinein sogar ein Festungsring war. Ingolstadt war die Festung der bayerischen Könige.

Hier brachten sie sich und ihre Schätze in Kriegszeiten in Sicherheit – oder planten das zumindest – und steckten deshalb sehr viel Geld in den Ausbau der Festung, von der heute noch Teile existieren, die Franziska Reif auch besucht mit dem Künettegraben und der Kaponnière (Nr. 12), dem Kavalier Hepp (Nr. 16) und der Harderbastei (Nr. 17). Von den älteren Befestigungen erzählen noch heute das Kreuztor (Nr. 14) und der Taschentorturm (Nr. 11).

Man sieht schon: Für Liebhaber mittelalterlicher Wehrhaftigkeit ist Ingolstadt ein sehr lohnendes Ziel. Vor allem auch, weil auch die Verbindung zu den bayerischen Herzögen, Kurfürsten und Königen noch sichtbar ist mit dem Herzogkasten (Nr. 24) und dem Neuen Schloss (Nr. 26), das heute das Bayerische Armeemuseum beherbergt, das weniger die modernen Waffenarsenale zeigt als die Rüstungen und Kampftechniken des Mittelalters und der jüngeren Neuzeit.

Auch die des Dreißigjährigen Krieges, der auch Ingolstadt betraf. Da bewährte sich der Ausbau zur Festung und die gegnerischen Truppen kamen einfach nicht rein in die Stadt. Gustav Adolf musste nach fünftägiger Belagerung wieder abziehen, nachdem ihm auch noch sein Schimmel unter dem Hintern weggeschossen worden war. Der Schimmel steht heute ausgestopft im Stadtmuseum im Kavalier Hepp.

Ein anderer Feldherr kam nicht so glücklich weg: Johann T’Serclaes von Tilly. Bei der Verteidigung des Lechübergangs gegen die schwedischen Truppen wurde er schwer verwundet. Er zog sich mit seinen Truppen in die Festung Ingolstadt zurück, erlag hier aber im Haus des Professors Arnold Rat seinen Verletzungen. Das ist heute das Tillyhaus (Nr. 19).

Tilly steht wie kein anderer Feldherr des Dreißigjährigen Krieges für die Verrohung der Methoden beim Kriegführen. Auf sein Konto geht das Massaker von Magdeburg 1631, das als „Magdeburger Hochzeit“ in die Geschichte einging. Aber auch die Leipziger haben den Mann in keinem guten Gedächtnis, denn nach Magdeburg nahm er sich Leipzig vor, eroberte Leipzig (was ihm auch leichter fiel, weil die Leipziger die schlimmen Nachrichten aus Magdeburg schon kannten), unterlag dann aber in der Schlacht bei Breitenfeld den Schweden.

Militärisch war das alles völliger Blödsinn, denn damit erzwang Tilly geradezu das Bündnis von Schweden und Sachsen (welch Letzteres sich nur zu gern aus dem ganzen Krieg herausgehalten hätte) und zwang Gustav Adolf regelrecht dazu, jetzt auch nach Bayern zu marschieren und Tilly nachzusetzen.

Aber Städte können nichts für die Dummheit von Feldherren. Und man begegnet in Ingolstadt nicht nur Festungsbau und Kriegsgeschichte. Ein nicht ganz unwichtiges Kapitel verknüpft Ingolstadt direkt mit der Leipziger Reformationsgeschichte. Denn es war ja der Ingolstädter Theologieprofessor Johannes Eck, der 1519 mit Luther und seinen Gefährten im kurfürstlichen Schloss zu Leipzig disputierte.

Eck wurde damit auf Jahre zum bekanntesten Gegenspieler Martin Luthers, erwirkte in Rom die Bannbulle gegen Luther und nutzte genauso wie Luther die moderne Technik des Buchdrucks, um den protestantischen Herausforderern ebenso wirkmächtig zu antworten. Dass die Leipziger Professoren ausgerechnet Eck nach Leipzig einluden, hat natürlich mit dem Ruf der Universität Ingolstadt zu tun, die Johannes Eck regelrecht zu einem Zentrum der Gegenreformation gemacht hat.

An die Universität erinnert heute noch das Haus Hohe Schule (Nr. 9), kurz bevor man zum Collegium Georgianum kommt, einst Studentenwohnheim, heute Bierbrauerei. Seit 2016 fließt hier der Bierbrunnen (Nr. 10), als Kunstwerk geschaffen zum 500. Jubiläum des (Bayerischen) Reinheitsgebots. Und da wir uns in einer katholischen Stadt befinden, liegen jede Menge Kirchen am Wegrand.

Aber die beste Aussicht – so empfiehlt Franziska Reif – hat man, wenn man auf den 63 Meter hohen Pfeifturm (Nr. 3) klettert, wohl ein echtes Unikum in deutschen Landen: ein Turm extra zur mittelalterlichen Überwachung der Stadt, gleich neben dem Alten Rathaus (Nr. 1) und der Moritzkirche (Nr. 4). 200 Stufen muss man ersteigen, dann kann man herabschauen auf die noch stark von historischen Strukturen bestimmte Altstadt an der Donau.

Schon dafür lohnt sich die Reise in dieses Städtchen, in das König Gustav Adolf einfach nicht hineinkommen konnte.

Franziska Reif Ingolstadt an einem Tag, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2020, 6 Euro.

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