In den letzten Jahren hat die Diskussion so richtig Fahrt aufgenommen, debattieren Wissenschaftler darüber, ob man ein gänzlich neues geologisches Zeitalter einführen sollte, das nach dem Menschen benannt ist. Denn längst ist es unübersehbar, dass die Menschheit die Erde in einem Ausmaß verändert, wie es zuvor nur große geologische Katastrophen getan haben. Mit Erle C. Ellis erläutert einer die große Debatte, der selbst mittendrin steckt.

Denn Ellis ist Professor für Geographie und Ökologische Systeme an der University of Maryland und ist gleichzeitig Mitglied der Arbeitsgruppe Anthropozän der Internationalen Stratigrafie Kommission. Natürlich beginnt er sein Buch mit der Stratigrafie, der Wissenschaft, mit der die aufeinanderfolgenden geologischen Schichten bestimmt werden. Und da sie in ihrer Entstehung eine über der anderen liegen – die jüngsten Schichten oben, die ältesten ganz unten – hat sich die Stratigrafie in den vergangenen 250 Jahren zur grundlegenden Wissenschaft der Zeitbestimmung in der Erdgeschichte entwickelt.

Was Erle C. Ellis mit kenntnisreichem Augenzwinkern zu jenem mittlerweile legendären Bischof James Ussher ausführt, der 1650 die Bibel zur Hand nahm und akribisch nach allen darin auffindbaren zeitlichen Belegen den Zeitpunkt der Schöpfung auf den 23. Oktober 4004 berechnete.

Das klingt etwas närrisch. Denn indem Ussher hier versuchte, mit einer naturwissenschaftlichen Methode die Schöpfungsgeschichte ins Zeitalter der Aufklärung zu retten, erweist sich diese Fleißaufgabe gleichzeitig als eine offene Kapitulationserklärung. Die wissenschaftliche Forschung ließ sich damit nicht aufhalten. Schon 1669 entwickelte der dänische Naturforscher (und spätere Bischof) Nicolaus Steno das stratigrafische Prinzip, das fortan Archäologen, Geologen und Paläontologen ganze Welten öffnete und den Zeithorizont, den Menschen zu denken vermochten, gewaltig erweiterte.

Fand Ussher seine 5.654 Jahre schon atemberaubend, stellten Forscher des 18. Jahrhunderts schon fest, dass die Erdgeschichte wohl eher ein paar hundert Millionen Jahre alt sein müsse. Im 19. Jahrhundert trauten sie sich, auch schon in Milliarden Jahren zu denken. Heute wissen wir, dass der Big Bang vor rund 13,8 Milliarden Jahren stattfand, das Sonnensystem vor 4,6 Milliarden Jahren entstand, die Erde ebenfalls – und dass es erste Lebensspuren vor 3,8 Milliarden Jahren gab, also schon recht früh nach der Erdentstehung.

Auf einmal bekam unser Blick in die Vorgeschichte eine atemberaubende Dimension. Wenn das Leben so viel Zeit hatte, sich zu entfalten, dann braucht es keinen großen Creator, der das alles in einer Woche hätte erschaffen müssen. Dann gab es so viel Zeit, dass die dann von Charles Darwin beschriebenen Entwicklungsprozesse zu immer komplexeren und vielfältigen Lebensformen darin problemlos Platz fanden. Und heute wissen wir auch, dass auch noch fünf große Massensterben – ausgelöst durch Ausbrüche von Supervulkanen und den Absturz eines riesigen Meteoriten – darin Platz fanden.

Und nach jeder Katastrophe begann die überlebende Natur erneut, sich zu entfalten, ausgestorbene Tierarten durch neue zu ersetzen, jede Nische zu erobern und … Nee, das klingt jetzt blöd. Natur macht ja nichts. Sie ist kein planendes Wesen. Unsere Sprache personifiziert und beseelt ja gern alles, vermutet einen Willen hinter allem.

Was auch das Denkproblem mit sich bringt, dass Menschen, die nicht an eine göttliche Schöpfung (und damit einen strengen Richter da oben irgendwo) glauben, zur Abwertung und Verachtung alles Lebendigen neigen, quasi die gegenteilige Position einnehmen und dann mit der Erde, der Wildnis, der lebendigen Mitwelt umgehen, als wäre das alles nur „Ressource“, etwas, das niemandem gehört und deshalb nichts wert ist.

Weshalb Aufklärung und Kapitalismus oft zusammengedacht werden, als wären sie verwachsen miteinander. Was ja heute oft genug die Argumentationsschiene ist, wenn ausgerechnet die Aufklärung für den modernen technologischen Machbarkeitswahn verantwortlich gemacht wird.

Auch das schwingt mit, wenn die Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen nun seit 20 Jahren, seit der Meteorologe Paul Crutzen ausrief „Wir befinden uns im Anthropozän!“, darüber diskutieren, ob man nun tatsächlich ein ganzes nach dem Menschen benanntes geologisches Zeitalter einführen sollte und ab welchem Punkt man dann seinen Beginn ansetzt.

Denn – zum Glück – sind es die Geologen, die diese Klassifikation vornehmen. Und danach gelten sehr strenge Regeln für die Definition eines geologischen Zeitalters. Ihr Beginn und ihr Ende müssen in geologischen Schichten nachweisbar sein. Und zwar überall auf der Erde nach denselben Prinzipien. Und die Arbeitsgruppe Anthropozän hat genau die Aufgabe bekommen, diesen Punkt zu finden und zu klären, ob er tatsächlich den strengen Anforderungen genügt.

Den größten Teil des Buches widmet Ellis natürlich der Diskussion dieser Ansätze, die alle eine Menge Argumente für sich haben. Denn auch wenn der Mensch bis zum Ende der letzten Eiszeit relativ naturnah lebte, jagte und sammelte, aber auch schon Kunst, Werkzeuge und Jagdwaffen herstellte, ist in abgelagerten Sedimenten seit ungefähr 11.600 Jahren nachweisbar, wie er die Welt des Holozäns (wie das geologische Zeitalter seitdem eigentlich benannt ist) veränderte.

Denn mit dem Aufkommen der Landwirtschaft begann der Mensch tatsächlich, ganze Kontinente zu verändern, fällte einst riesige Wälder, um Boden urbar zu machen, züchtete Vieh und griff damit auch schon damals ins Klima ein. Was die Forschergemeinde durchaus verblüffte, als die Befunde z. B. aus Bohrkernen aus dem antarktischen Eis bekannt wurden, nach denen schon damals die Methan- und CO2-Konzentration in der Atmosphäre gegen die zuvor messbaren Trends anzusteigen begann.

Spürbar, aber noch nicht so einschneidend, wie das ab der Mitte des 19. Jahrhunderts geschah, als die Industrialisierung in Gang kam. Und auch nicht so einschneidend wie seit den 1950er Jahren, als die Industrialisierung zur Globalisierung wurde.

Es gibt noch ein paar andere Punkte, die die Wissenschaftler ernsthaft als möglichen Beginn des Anthropozäns diskutieren – so etwa die columbianische Wende, die im Grunde schon die erste Stufe einer Globalisierung war, mit der Epidemien begannen um den Erdball zu wandern, Arten rund um den Globus verschleppt wurden und die Ausbeutung der Welt erst so richtig begann.

Für jeden einzelnen Zeitpunkt gibt es gute Argumente. Und in vielen anschaulichen Grafiken macht Ellis auch sichtbar, warum über diese Zeitpunkte diskutiert wird und warum nach den Geologen und Archäologen mittlerweile auch andere Wissenschaftsdisziplinen mitdiskutieren.

Die Meteorologen etwa, wie Crutzen, der ja mit seinem Ausruf auch eine wissenschaftliche Verzweiflung zum Ausdruck brachte, dass alle Forschungen, alle Belege und Warnungen der Wissenschaftler seit den 1960er Jahren von den Regierungen der Welt einfach nicht ernst genommen worden waren.

Denn seit Charles David Keeling 1958 den Infrarot-Gasanalysator auf dem Mauna Loa auf Hawaii installiert hat, liegen eindeutige Messergebnisse für den ansteigenden CO2-Anstieg in der Atmosphäre vor, wissen wir, wie die Verbrennung fossiler Brennstoffe dazu führt, dass sich die Erdatmosphäre immer weiter aufheizt und damit Prozesse ausgelöst werden, die die Menschheit nicht mehr beherrscht. Und die die Menschheit auch in ihrer Kulturphase in den vergangenen 11.600 Jahren nie erlebt hat.

Aber jahrzehntelang haben Politiker die Zeit damit verplempert, die Dramatik dieser Entwicklung zu negieren oder gar den Anteil des Menschen daran kleinzureden. Und die dümmsten unter uns tun das heute noch, obwohl der 1988 gegründete Weltklimarat (IPCC) mehr als genug Fakten und Belege dafür gesammelt hat, dass es die aktuelle Klimaerwärmung ohne die Menschheit nicht gegeben hätte.

Das war für die meisten Politiker nicht mal ein Schock. Im Gegenteil: Es passte so gar nicht in ihr Machbarkeitsdenken, in dem die Folgen menschlichen Tuns einfach nicht vorkamen. Und auch bis heute nicht vorkommen. Denn das „Wachstumsdenken“ ist wie ein Mantra, ein festgefressener Glaube daran, dass man aus einem begrenzten Planeten immer mehr „Wohlstand“ herausholen könnte für immer mehr Menschen.

Sie können nicht denken, dass es Grenzen des Wachstums geben könnte. Denn das kapitalistische System (zumindest in seiner entfesselten, neoliberalen Variante) kennt keine Grenzen. Es lebt vom Heilsversprechen, dass es immer mehr von allem geben könnte. Aber das funktioniert nicht mehr, da immer mehr natürliche Systeme auf der Erde kollabieren.

Immer mehr Systeme geraten an ihren Kipppunkt: Meere, Fischbestände, Korallenriffe, Gletscher, Permafrostböden, Trinkwasservorräte … Die Menschheit kann nicht mehr leugnen, dass all das auf ihr Wirken zurückgeht, auf eine blind agierende Wirtschaftsweise, die gerade dabei ist, die Lebensgrundlagen der Spezies Mensch zu zerstören. Und auf einmal schnurrt eine Zukunft, die zuvor noch als unfassbar lang gedacht werden konnte, auf ein paar wenige Generationen zusammen.

Das gerade erst begonnene Anthropozän wird, wenn das so weitergeht, nicht Millionen Jahre dauern, in denen der Mensch gelernt haben könnte, seinen einmaligen Planeten zu hegen und zu pflegen, sondern vielleicht noch ein paar hundert, vielleicht auch tausend Jahre, in denen die letzten Generationen verzweifelt gegen Katastrophen kämpfen, die ihre Vorväter ausgelöst haben.

Der Natur wird das egal sein. Ihre Prozesse werden einfach weiterlaufen und es wird auch nach dem vom Menschen ausgelösten sechsten Massenaussterben neue Lebensformen und Tier- und Pflanzenwelten geben. Nur der Mensch wird verschwunden sein. Gescheitert an seiner Unfähigkeit, die Folgen seines Tuns zu begreifen.

Und deshalb wird der letzte Teil des Buches dann beinah politisch. Denn mittlerweile diskutieren auch Soziolog/-innen, Ökolog/-innen und Ökonom/-innen mit, denen die Sorge der Geologen um den richtig gesetzten Zeitpunkt des Anthropozäns eigentlich egal ist. Für die meisten ist es einfach Fakt, dass wir in einem menschgemachten Zeitalter leben und dass man das auch politisch benennen muss, um die Entscheider zum Umdenken zu bringen, die meist immer noch so tun, als wäre die Menschheit überhaupt nicht angewiesen auf diesen lebendigen Planeten.

Andere warnen vor dem Begriff, weil er den menschlichen Machbarkeitswahn befeuern könnte – ein Thema, das Ellis auch unter dem Stichwort „Geoengineering“ diskutiert. Nur dass all die Rettungsversprechen, den Planeten dann auch wieder künstlich abzukühlen, eher noch katastrophalere Folgen haben werden als ein Abbremsen der jetzigen Verheerungen.

Und die wilden Vorschläge betreffen immer nur ein aus dem Lot geratenes Phänomen. Gegen Artensterben, Bodenverlust, verlorene Trinkwasservorräte, versauerte Meere und die Folgen massenhaft ausgebrachter Pestizide hilft auch keine künstliche Klimaabkühlung. Die Erde leidet – bildlich gesprochen – an multiplem Organversagen. Und so gesehen hatte Crutzen natürlich recht: Wahrscheinlich muss man es allen Verantwortlichen und Ungläubigen mit dem Wort Anthropozän wirklich erst klarmachen, dass der Mensch tatsächlich so viel Schaden angerichtet hat, dass er jetzt umdenken muss.

Und zwar verdammt schnell. Und lernen muss, all das, was er aus dem Gleichgewicht gebracht hat, bewusst wieder zu reparieren. Obwohl sich vieles nicht mehr wird reparieren lassen. Das Verschwinden der Korallenriffe ist genauso wenig mehr zu verhindern wie das Verschwinden von tausenden Tierarten, die heute als bedroht gelten, deren Population aber längst zu klein ist, um sich zu erhalten.

Künftige Generationen werden fluchen über diese dämlichen Menschen im 20. und 21. Jahrhundert, die einfach nicht begreifen wollten, wohin ihr grenzenloser Wohlstandswahn die Erde bringen würde. Letztlich ist es relativ egal, ob man nun das Holozän zum Anthropozän umbenennt oder nur den letzten Teil seit dem Atombombenirrsinn der 1950er Jahre. Oder ob man den Begriff einfach synonym verwendet für das Wirken einer mit großem Gehirn beschenkten Spezies, die am Ende zu doof war, dieses Gehirn richtig zu benutzen.

Bei der Pointe lasse ich es für heute mal. Selber lesen macht klug.

Erle C. Ellis Anthropozän, Oekom Verlag, München 2020, 18 Euro.

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