Da steckt man nun mitten im Corona-Shutdown, scheinbar gibt es nur noch dieses eine Thema. Und da erinnert einen ein handliches Buch daran, dass sich einige Leipziger vor acht Jahren einmal gewaltig echauffierten über einen Denkmalsentwurf. Es war das klassische Beispiel eines Shitstorms. Und wenn man die damaligen Forumbeiträge so liest, verstärkt sich der Eindruck wieder: Das war ein konzertiertes Niederbrüllen. Und wie die Ouvertüre für das, was ab 2015 in Sachsen anschwoll.
Marc Weis und Martin De Mattia aus München, die als Künstlerduo M+M arbeiten, hatten damals die erste Runde des Wettbewerbs um das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal gewonnen. So überzeugend, dass nach der Siegervorstellung fast schon klar schien, dass ihr Entwurf der „Siebzigtausend“ dann auch umgesetzt werden würde auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz. Vielleicht etwas abgewandelt. Denn die Stadt hatte auch ganz bewusst ein Online-Forum installiert, damit die Leipziger die drei besten Entwürfe aus dem Wettbewerb diskutieren und Verbesserungsvorschläge machen konnten.
Ein Vorhaben, das gründlich in die Hose ging. Wie so manches, was dann folgte.
Alles begann damit, dass die LVZ das Thema gleich am 13. Juli, als die Entwürfe auch in einer großen Ausstellung in der Wandelhalle des Neuen Rathauses vorgestellt wurden, okkupierte, den Siegerentwurf regelrecht zerriss und lautstark dafür trommelte, dass nur der drittplatzierte Entwurf „Herbstgarten“ für „uns Leipziger“ und die, die 1989 auf die Straße gegangen waren, akzeptabel sei.
Der Wink mit dem Zaunpfahl wirkte: Schon am 13. Juli begannen im „Dialog zum Denkmal“ die wütenden Kommentare, die scheinbar vielstimmig und aus unterschiedlichsten Perspektiven nicht nur das von der LVZ gesetzte Thema von den bunten Lego-Würfeln aufnahmen, sondern fast unisono behaupteten, „die Leipziger“ wollten das nicht. Einen Teil dieser Kommentare haben Marc Weis und Martin De Mattia mit aufgenommen in diesen Band, mit dem sie nun noch einmal, sechs Jahre nach Abbruch des Wettbewerbs durch den Leipziger Stadtrat, Bilanz ziehen aus ihrer Sicht.
Schon die künstlerische Gestaltung des Bandes zeigt, dass sie sich bis heute wundern darüber, wie das damals in Leipzig gelaufen ist, wie nach diesem regelrechten Shitstorm im Forum die Leipziger Verwaltungsspitze regelrecht einknickte und den Wettbewerb trickreich verdrehte, sodass auf einmal in der Folgerunde der drittplatzierte „Herbstgarten“ zum Sieger gekürt wurde, was ohne einige undurchschaubare Tricksereien in der zweiten Jury (die mit der ersten nur in Teilen identisch war) nicht hätte funktionieren können.
Dass die Suche nach einem Denkmalsentwurf, der tatsächlich der Dimension solcher Begriffe wie Einheit und Freiheit gerecht werden sollte und zusätzlich auch noch Akzeptanz in der Bevölkerung finden könnte, nicht leicht werden würde, war von Anfang an klar. Deswegen eröffnen die beiden den Band auch mit dem klugen Einführungsvortrag des Kunstkritikers und -soziologen Walter Grasskamp zum Bürgerforum am 7. April 2009, in dem er auf alle bekannten Schwierigkeiten bei modernen Denkmalsprojekten einging.
Der Vortrag war eigentlich auch eine Warnung an die Verantwortlichen, die Sache von Anfang an klug zu moderieren, die Ausschreibung nicht zu verkopfen, damit die Künstler wirklich Spielraum für gute Ideen haben, und vor allem sich nicht vom entfachten Volkszorn ins Bockshorn jagen zu lassen, der sich in der Regel meistens in Form echauffierter Journalisten meldet. Welche ihre Zeitungsspalten dazu nutzen, gnadenlos ihre Meinung über das Gesehene nicht nur zu verkünden, sondern auch gleich mal als allgemeingültige Meinung zu verkaufen.
Wer Grasskamps nachdenkenswerte Zeilen gelesen hat, weiß, dass Leipzigs Verwaltung dann wirklich alles falsch gemacht hat, was man nur falsch machen konnte. Auf die Ausschreibung gehen M+M nicht dezidiert ein. Selbst in der Forums-Diskussion wurde deutlich, dass auch die aufgeregten Bürger bis zum Schluss nicht begriffen, was die Stadt mit dieser Ausschreibung eigentlich hatte bezwecken wollen, die ja geradezu erzwang, dass es keine plastischen oder figürlichen Entwürfe geben durfte. Da war das, was die drei Preisträger in diesem engen Rahmen am Ende zustande brachten, tatsächlich hochprofessionell.
Die Jury gab nach der ersten Runde übrigens keine Umsetzungsempfehlung ab. Leipzig hätte also die erste Runde ganz stilvoll beenden können, indem man akzeptierte, dass man so keinen Denkmalsentwurf bekommen würde, der wirklich den Erwartungen genügt, den Preisträgern ihre Preisgelder übergeben und ihnen für die Teilnahme danken können. Das wäre ehrlich und anständig gewesen.
Hätte aber auch ein bisschen Selbstkritik gebraucht, die es von den Verantwortlichen in der Stadtverwaltung bis heute nicht gab. Selbst als M+M die Vergabekammer anrief, weil die Stadt Leipzig mit ihrem Rumgemurkse nach dem 14. Juli 2012 auch noch die Wettbewerbsregeln nach ihrem Gutdünken veränderte, gab sich die Stadtspitze selbst in amtlichen Schreiben nur zutiefst beleidigt, tat gar so, als hätte nun gerade M+M mit seiner Anrufung der Vergabekammer den ganzen Wettbewerb torpediert.
Man spürt es beim Lesen der Texte, wie überrascht die Stadtspitze von der Wucht des Shitstorms war, der im Online-Forum über sie hereinbrach. Und da das Ganze parallel mit anfeuernden Beiträgen in diversen (nicht nur Leipziger) Medien flankiert wurde, konnte so aus Rathausperspektive schon der Eindruck entstehen, dass hier „das Volk“ aufsteht und der Sturm losbricht.
Wer freilich die im Buch abgedruckten Forums-Beiträge liest, merkt, dass dieser Shitstorm so ganz von allein nicht kam. Der größte Fehler war von Anfang an, anonyme Kommentare zuzulassen. Das öffnete gerade all jenen Tür und Tor, die in der Erzeugung von Shitstorms Erfahrung haben und die wissen, wie man eine Diskussion von Anfang an kapert und entgleisen lässt. Die Stadt hat zwar die Forumsbeiträge dann noch von einer Berliner Agentur auswerten lassen. Aber die hat augenscheinlich nicht einmal gemerkt, was sie da vor sich hatte. Der Ton und die Wortwahl verraten es an vielen Stellen.
Und auch die Haltung, die die Kommentierenden einnahmen, verrät es. Denn wenn sich Menschen eine Meinung bilden – auch über einen Denkmalentwurf, der ihnen nicht gefällt – dann versuchen sie in der Regel zu erklären, was ihnen daran nicht gefällt und warum nicht. Sie schlüpfen eben nicht in die – in diesem Forum stereotyp auftauchenden – Rollen von „wir Leipziger“, „als wir damals um den Ring marschierten“ oder „dafür sind wir nicht auf die Straße gegangen“.
Da half auch die verzweifelte Moderation des Forums nicht: Wer sich so äußert, überhöht sich. Ohne dass nachprüfbar wird, ob an diesen stereotypen Behauptungen auch nur das geringste dran ist. Gut möglich, dass manche Wortmeldungen tatsächlich von Menschen stammten, die ihr Engagement von 1989 in den Denkmalentwürfen nicht wiederfanden.
Aber die meisten Beiträge klingen ganz und gar nicht danach – weder nach Reflexion, noch nach historischer Einordnung. Sie klingen eher so, als hätte sich eine hochengagierte Truppe von Leuten, die das Projekt Freiheitsdenkmal in Leipzig unbedingt abschießen wollten, zusammengetan und in hoher Taktzahl lauter anonyme Gast-Beiträge abgefeuert, in denen sie es schafften, eine überwältigende Menge zu suggerieren. Was auch untermauert wird durch einige Sätze, die später auftauchen, in denen es dann immer wieder aufdringlich heißt: Sie sehen doch, dass die Mehrheit der Leipziger das nicht will.
Die Ergebnisse des Forums waren – als Bürgerdialog – am Ende nichts wert. Und trotzdem knickte die Stadtspitze ein, ließ die Entwürfe „nach den Anregungen aus dem Bürgerdialog“ überarbeiten und veranstaltete dann eine weitere Jurysitzung, in der zumindest ein Jury-Mitglied, der Stadtrat Roland Quester, hörbar protestierte. Hier wurde das Ergebnis regelrecht in die (von der LVZ gewünschte) Richtung getrickst, der „Herbstgarten“ mit einem völlig neuen Punktesystem zum Sieger gekürt. Und damit das ganze Wettbewerbsverfahren endgültig ad absurdum geführt.
Ein paar amtliche Dokumente und Presseartikel (meist stark verfremdet), ergänzen den Band, der gerade in dieser unkommentierten Zusammenstellung zeigt, wie man Denkmal-Wettbewerbe nicht organisieren sollte und welche Macht jene Gruppen „besorgter Bürger“ entfalten können, wenn sie den Ansatz für einen richtigen Shitstorm finden und die andere Seite nicht mal merkt, mit wem sie es tatsächlich zu tun hat.
Die „besorgten Bürger“ haben seither große Teile des digitalen Raumes okkupiert und viele wichtige Diskussionen regelrecht abgewürgt. Das Buch erzählt also auch von einer erstaunlichen Sprachlosigkeit, die heute in digitalen Räumen herrscht, weil kaum jemand weiß, wie man noch einen Dialog auf Augenhöhe organisieren kann, ohne dass die Wüteriche in den Netzwerken sofort ihre Kampagnen draufsetzen.
Hier war es einmal kein privates Netzwerk, wo die Diskussion völlig entgleiste, sondern ein Forum der Stadt Leipzig. Und zu Recht stellen Marc Weis und Martin De Mattia am Ende fest: „Vielleicht erstmals in der bundesdeutschen Geschichte stellte ein Shitstorm im Internet einen Kunstwettbewerb dieser Größenordnung auf den Kopf, indem die Verantwortlichen verängstigt oder im vorauseilenden Gehorsam möglichen Wählerinnen und Wählern gegenüber das Projekt aus dem Verkehr ziehen wollten.“
Der Idee eines Freiheits-Denkmals erwiesen sie damit einen Bärendienst. Und wer nicht gerade zu den renitenten „besorgten Bürgern“ gehörte, die das Forum dazu nutzten, ihre Verachtung auch noch über „Wessis“ auszukübeln, der schaute dieser Katastrophe nur mit wachsendem Entsetzen zu. Denn so, wie es hier praktiziert wurde, funktioniert Kommunikation nicht. Das Büchlein legt einiges offen, was im Leipziger Selbstverständnis in dieser Beziehung gründlich schiefläuft seit Jahren. Darüber sollte man eigentlich reden, bevor sich Leipzig in eine neue Wettbewerbsrunde wirft.
Die noch verfügbaren Informationen der Stadt zum Wettbewerb findet man hier.
Eine kleine Auswahl unserer Artikel zum Scheitern des Wettbewerbs haben wir wieder unterm Text verlinkt.
M+ M (Hrsg.) Kein Freiheits- und Einheitsdenkmal, Edition Metzel, München 2020, 12,80 Euro.
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