โWir alle erleben momentan surreale Zeiten, deren wirtschaftliche Folgen vor allem fรผr eine Berufsgruppe spรผrbar real sind: Musikerโ, schreibt uns Heide Schwarzweller, die nach Ende ihres Berufslebens einen innigen Wunsch in die Tat umsetzte: Sie hob einen Konzeptpreis fรผr Musiknachwuchstalente ins Leben und benannte ihn nach Felix Mendelssohn Bartholdys begabter Schwester Fanny, die zu Lebzeiten nie die Chancen erhielt, die ihr Bruder hatte. Das Buch erzรคhlt nicht nur von diesem Fรถrderpreis.
โWenn sรคmtliche Auftritte fรผr mindestens sechs Monate abgesagt werden, bedeutet das die konkrete Gefรคhrdung musikalischer Existenzen. Vor allem junge, aufstrebende Musiker sind davon betroffen, da sie ganz besonders auf Fรถrderung angewiesen sindโ, schreibt Heide Schwarzweller. โIch mรถchte Ihnen ein Buch ans Herz legen. (โฆ) Das Einzigartige an diesem Buch sind sicherlich die verschiedenen Blickwinkel โ von etablierten Kรผnstlern รผber Intendanten bis hin zu Mรคzenen. Sie alle haben unterschiedliche Beweggrรผnde und doch haben alle das gleiche Ziel: den Nachwuchs in der Musik zu fรถrdern, um auch zukรผnftig auf eine vielseitige und hochkarรคtige Musiklandschaft blicken zu kรถnnen. Talente sterben nie aus, Talentfรถrderung hingegen braucht immer neue Impulse um am Leben zu bleiben.โ
Impulsratgeber nennt die Grรผnderin des Fanny Mendelssohn Fรถrderpreises den von ihr herausgegebenen Band โWegbereiter Wegbegleiterโ. Aber tatsรคchlich ist es eher eine Bestandsaufnahme, eine Sammlung von Interviews mit lauter Menschen, die sich seit Jahren intensiv um die Nachwuchsfรถrderung in der Musik kรผmmern โ mit Paten, die den talentierten Nachwuchs begleiten und beraten, mit Intendanten, die einige der groรen und wichtigen Nachwuchsfestivals organisieren, mit Stiftungsprรคsidenten, die das verfรผgbare Geld klug einsetzen, um Talente wirklich helfend zu begleiten bis zum Weg in eine selbststรคndige Berufslaufbahn, aber auch mit Mรคzenen, denen es ganz selbstverstรคndlich ist, ihr Geld in solche Stiftungen, Festivals und Fรถrderprogramme zu geben.
Das alles nicht aus lauter Selbstzweck oder des Ruhmes willen. Denn die Interviews, in denen auch einige der gefรถrderten jungen Musiker zu Wort kommen, zeigen auch, wie sehr sich die Welt der klassischen Orchester und die Berufskarrieren der Musiker/-innen verรคndert haben.
Prรคsentation des Buches sowie des Fanny Mendelssohn Fรถrderpreises.
Denn wรคhrend in vielen Lรคndern und Kommunen die Fรถrderung fรผr Orchester und Musiktheater zurรผckging und damit auch feste Stellen fรผr ausgebildete Musiker/-innen verloren gingen, hat insbesondere das Internet dafรผr gesorgt, dass der Konkurrenzdruck deutlich stรคrker geworden ist. Die heimischen Talente konkurrieren nicht nur mit den besten Talenten aus Asien und รbersee, ihnen sind auch klassische Wege, fรผr sich zu werben und damit auch Geld zu verdienen, verloren gegangen.
Immer wieder wird der Markt der CD-Einspielungen genannt. Im 20. Jahrhundert war es noch รผblich, dass selbst die Besten der Besten ihre stรคrksten Stรผcke immer wieder neu einspielten โ mit anderer Orchesterbesetzung, mit mehr Erfahrung. Man konnte ihre Entwicklung auch anhand dieser verschiedenen Aufnahmen mitverfolgen. Heute kรถnnen sich das die meisten Musiker/-innen nicht mehr leisten. Die Produktionskosten รผbersteigen bei Weitem die mรถglichen Umsรคtze mit der fertigen CD.
Und gerade deshalb sind auch die angehenden Musiker/-innen immer stรคrker gezwungen auch etwas zu lernen, was zur klassischen Musikausbildung an den Hochschulen nicht gehรถrte: Selbstvermarktung, Geschรคftssinn, Kommunikationsfรคhigkeit. Denn nur wer sich ein funktionierendes Netzwerk mit Agenturen, Intendanten, Veranstaltern aufgebaut hat, hat auch eine Chance, sich eine berufliche Existenz aufzubauen, wenn die Bewerbung um eine der begehrten Orchesterstellen nicht klappt. Was eher die Regel ist. Denn auch die deutschen Musikhochschulen bilden deutlich mehr Profi-Musiker/-innen aus, als es tatsรคchlich freie Stellen in den deutschen Orchestern gibt.
Und natรผrlich stehen die Talente, die oft schon in frรผhester Kindheit angefangen haben, ein Instrument zu lernen, dann vor der Frage: Was tun? Das Talent und die Profession reichen nicht, um davon leben zu kรถnnen. Ganz zu schweigen davon, dass auch an den Musikhochschulen vor allem die Kinder aus begรผterten Elternhรคusern studieren, die es sich leisten kรถnnen, die Musikausbildung der Kinder zu bezahlen und auch die teuren Instrumente zu kaufen, ohne die hochkarรคtige Musik nicht zu machen ist.
Da entscheidet am Ende trotzdem der Wille, dranzubleiben und sich in einer von harter Konkurrenz geprรคgten Welt durchzusetzen, sich einen Namen zu machen. Das muss nicht die Weltkarriere als Solo-Musiker sein, der mit seiner Virtuositรคt die Musikhรคuser in den Metropolen fรผllt. Viel mehr begabte Musiker/-innen spezialisieren sich, suchen sich Mitstreiter, grรผnden kleine Orchester und bespielen zum Beispiel die Kirchen im Land, die ja nicht nur die Glรคubigen anlocken, wenn Bach, Pachelbel, Haydn oder Mendelssohn gespielt werden.
Das sind Momente, in denen man merkt, dass menschliche Gemeinschaft nicht einmal das gleiche Glaubensbekenntnis braucht, dass sich menschliche Nรคhe und Gemeinsamkeit auch in Musik entfalten kann. Denn Musik ist international. Und sie berรผhrt das Menschlichste in den Zuhรถrern, weil sie keine Worte braucht, um die Sinne dafรผr zu wecken, dass wir alle lebendig sind und auf derselben Erde leben.
In den Interviews werden natรผrlich die verschiedenen Fรถrderansรคtze deutlich, die sich aber meistens darauf fokussieren, den jungen Musiker/-innen das nรถtige Wissen und die Unterstรผtzung mitzugeben, in der Musikwelt Tritt zu fassen, ihren ganz persรถnlichen Einstieg in eine Laufbahn zu finden, die sie dann ganz nach den persรถnlichen Interessen und Zielen gestalten kรถnnen.
Der hรคufigste Ratschlag ist dann tatsรคchlich, die Sache am Schopf zu packen, nicht nur hart fรผr den eigenen Auftritt zu proben, sondern auch dranzubleiben und die Chancen von Auftritten zu nutzen, bei denen sie Erfahrungen sammeln und mรถgliche Unterstรผtzer kennenlernen. Die Zeit der introvertierten, sich ganz der Musik widmenden Individualisten ist vorbei. Dazu ist die Konkurrenz wirklich zu groร.
Man muss nicht zum extrovertierten Bรผhnenstar werden. Aber man muss lernen, die Bรผhne zu nutzen und sich einem aufmerksamen Publikum tatsรคchlich zu รถffnen. Auch da hilft so mancher Lehrer und Pate. Natรผrlich kann auch so ein Fรถrdernetzwerk nicht allen helfen. Letztlich wendet es sich vor allem an diejenigen jungen Kรผnstler, denen das Musikmachen wirklich eine Sendung ist, die mit ihrem Instrument auf der Bรผhne auch etwas erzรคhlen wollen, die unbedingt da hinwollen, wo ein ganzer Saal erwartungsvoll zuhรถrt und offen ist dafรผr, von richtig guter Interpretation im Herzen berรผhrt zu werden.
Die Konkurrenz ist ja auch deshalb so groร, weil viele begabte Menschen genau das wollen und auch Jahre darauf verwenden, alles zu lernen, was man dafรผr kรถnnen muss. Und auch wenn die Billigheimerei im Internet dazu gefรผhrt hat, dass diesen begnadeten Musikern viele Einnahmen weggebrochen sind, zeigt es dennoch, dass die Menschen da drauรen gar nicht verzichten wollen auf dieses groรe Aufgewรผhltwerden durch richtig gute Musik.
Angebot und Nachfrage gehรถren schon zusammen. Nur die Umsรคtze passen nicht, landen โ wie bei allen anderen Internetgeschรคften โ wieder bei Leuten, die einfach Kasse machen mit dem Kรถnnen anderer.
Das wird dann nicht so diskutiert. Was auch ein wenig entspannt, weil sich die Befragten im Buch so auf den Kern ihres Tuns konzentrieren kรถnnen โ den Wunsch zu helfen und die Beschreibung der Wege, mit denen das zumindest fรผr einige begabte Musiker/-innen mรถglich ist.
Heide Schwarzweller (Hrsg.) โWegbereiter. Wegbegleiter. Realitรคt, Strategien und Wege musikalischer Nachwuchsfรถrderungโ, Ellert & Richter, Hamburg 2020, 19,95 Euro
Das Buch ist รผber alle einschlรคgigen Bestellplattformen lieferbar. Der Erlรถs von 19,95 pro Euro verkauftes Buch geht direkt an die Preistrรคger des Fanny Mendelssohn Fรถrderpreises um deren derzeitigen Komplettausfall von Gagen etwas zu kompensieren.
Blinder Fleck: Solo-Selbststรคndige fallen bei Bund und Freistaat einfach durchs Raster
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