In der Woche nach Ostern sollte die CRIMINALE 2020, das jรคhrliche Krimifestival des Syndikats mit fast 300 Krimiautoren, in Hannover stattfinden. Doch aufgrund der Corona-Beschrรคnkungen musste auch dieses Lesefest ausfallen. Selbst der Glauserpreis musste online verliehen werden. Die extra fรผr die CRIMINALE in Hannover geplante Anthologie mit Kurzkrimis ist natรผrlich trotzdem erschienen.
โTod unterm Schwanzโ heiรt die vom Syndikat herausgegebene Anthologie mit Kurzkrimis, wobei der Schwanz zu dem Pferd gehรถrt, auf dem der einstige Kรถnig Ernst August I. von Hannover vor dem Hauptbahnhof der niedersรคchsischen Landeshauptstadt sitzt. Da vorm Denkmal eine Treppe in die Tiefe fรผhrt, trifft man sich halt โunterm Schwanzโ, und das meist nicht nur zu romantischen Stelldicheins, sondern auch zu allerlei kriminellen Absprachen.
Irgendwie ist ja auch gleich noch das Bahnhofs-, Drogen- und Rotlichtquartier um die Ecke. Und wenn man den Autor/-innen, die sich fรผr diesen Band zusammengetan haben, glauben darf, geht es da in der kleinen Welthauptstadt Hannover genauso handgreiflich zur Sache wie etwa in Frankfurt oder Hamburg. Weltstadt ist eben Weltstadt und die Autor/-innen haben sichtlich Spaร daran, in ihren Geschichten besonders hartgesottene Tรคter/-innen und Polizist/-innen auftreten zu lassen. Typen, die eiskalt agieren. Oder es zumindest versuchen.
Denn in so einem Band dรผrfen auch nicht die Ganoven fehlen, die sich heillos รผberschรคtzen โ Auftragskiller zum Beispiel, die alte Damen als Gegner nicht ernst nehmen, oder Kleingangster, die die falschen drei korpulenten Nanas entfรผhren. Wer schon mal in Hannover war, kennt Ernst August und die Nanas. Und hat auch den dortigen Nationalstolz kennengelernt, der sich in den Trรคumen von Exzellenzwettbewerben und Welthauptstadt genauso austobt wie es in Leipzig der Fall ist.
Wobei es verblรผfft, wie sehr auch in den Damen und Herren, die diese Geschichte geschrieben haben, der innere Zorn kocht รผber die Egomanen, die ja nicht nur in Sรผd- oder Ostdeutschland die Titelzeilen mit ihrer Prahlerei besetzen und auf den Straรen verachtungsvoll alles beiseiterammeln, was ihrem schnittigen Lauf im Wege ist. Selbst solche Krimi-Anthologien zeigen oft sehr unverblรผmt, was in unserer Gesellschaft tatsรคchlich kocht.
Ob es dann tatsรคchlich zu solchen erfolgreichen Racheakten kommt, wie sie in โBlรถdmann!โ oder โDie Gรถttinger Dreiโ beschrieben werden, wird man wohl eher nie erfahren. Denn das Handicap der Prahlhรคnse, die auch in Hannover stets das Rampenlicht suchen, ist ja in der Regel, dass ihr Schlagzeilen-Ruhm nicht andeutungsweise widerspiegelt, wie unbeliebt sie in Wirklichkeit sind.
CRIMINALE 2020 โ Quickie-Lesungen aus โTod unterm Schwanzโ โ Folge 1 von Dienstag 14.04.2020
Egal, ob das โ wie in โFrรถsche ohne Maskenโ Landespolitiker sind, die keine Scheu kennen, sich mit der gewaltbereiten Unterwelt zu verbrรผdern, oder alte reiche Sรคcke, die ihren Streit in einem dummen Duell klรคren wollen, in dem der Sieger dann alles erben soll.
Es kommen auch die cleveren Omas vor, die auch gern mal zu spรคter und spitzer Rache neigen, der kleine Erpresser, der versucht, die Musikerstars seiner Heimat zu erpressen, und natรผrlich der Clan-Chef, der just โunterm Schwanzโ abklรคrt, wie er den alten Boss im Rotlichtmilieu abservieren kann. Ein fadenscheiniger Unternehmer fingiert seinen eigenen Tod und ein anhรคnglicher Bruder lรคsst sich von seiner Schwester zum Mรถrder manipulieren.
Nicht alle Autor/-innen stammen direkt aus dem hannoverschen Milieu, sodass man in den Geschichten natรผrlich auch lauter kleine Experimente zu Themen der Zeit entdecken kann. Denn selbst wenn manches verspielt und ein wenig augenzwinkernd daherkommt, sind Krimi-Autor/-innen nun einmal von Haus aus sehr aufmerksame Zeitgenossen mit einem groรen Gerechtigkeitsempfinden.
Und wenn ihre Heldinnen und Helden wรผtend und zutiefst frustriert sind, erzรคhlt das auch eine Menge รผber den Frust der Autor/-innen, die ja auch in Mรผnchen, Kรถln und Wien erleben, wie Gier, Hochmut, Eitelkeit und Rรผcksichtslosigkeit die Gesellschaft korrumpieren und dass meist genau die allbekannten Herren am Sektbuffet, die jeden Tag ihre Seite in der Klatschzeitung bekommen, diejenigen sind, die fรผr vieles verantwortlich sind, was das Leben der eher bescheidenen Leute jeden Tag gefรคhrlich, frustrierend und klamm macht.
Zwei Geschichten tauchen auch tief in die Geschichte ein, zeigen, dass es รผbergriffige und รผberhebliche Mรคnner nicht erst heute in den Promi-Logen gibt. Denn es ist ja noch nicht wirklich so lange her, als man die Verachtung der Arrivierten fรผr die ausgenutzten Dienstboten noch als โStandesbewusstseinโ behandelte. Oder als die feudalen Herren des Landes sich mit Gewalt nehmen durften, was sie wollten. Was in diesem Fall zu einer geradezu sagenhaften Geschichte um den Beginenturm wird.
Wie gut sie sich getroffen fรผhlen, kรถnnen am Ende nur die Hannoveraner selbst einschรคtzen. Aber man merkt durchaus, dass auch an der Leine die Menschen in ihren Blasen leben und das Bild einer aufgeplusterten Highsociety gepflegt wird, die eher so eine Middlesociety ist, eher nur ein Wunschbild ist, welches die eher provinziellen und etwas dunklen Seiten der Stadt nur schlecht kaschieren kann.
Denn wenn Geld und Ruhm die erklรคrten Traumziele einer Gesellschaft sind, dann lockt das natรผrlich eher die zwielichtigen und dickfelligen Vertreter der Zweibeiner im Geschรคftsanzug an, nicht die Leas aus den Cafรฉs oder die Mรคxchens aus der Markthalle, die froh sind, wenn sie dem Mรถrder namens Friedrich nicht in die Hรคnde fallen.
Es verblรผfft schon, wie viele Krimi-Autor/-innen die wirklich kriminelle Energie tatsรคchlich in gutbetuchten Kreisen verorten. Ist das nun das Ergebnis von vielen Fernseh-Krimis oder nur der Effekt, den lรผsterne Boulevard-Journale mit ihrer Promi-Inszenierung erzeugen, die immer etwas Halbseidenes und Glitschiges mit sich bringt, so eine unterschwellige Botschaft, dass man es in diesem Land nur zu etwas bringt, wenn man auch bereit ist, รผber Leichen zu gehen?
Das lasse ich mal als Frage stehen. Wobei ich das dumme Gefรผhl habe: Instinktiv liegen die Krimi-Schreiber/-innen nicht gar so weit daneben.
Syndikat (Hrsg.) Tod unterm Schwanz, Gmeiner Verlag, Meรkirch 2020, 14 Euro.
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