Das ist nun schon ganz schön lange her. 2008 und 2009 war das, als Abo Alsleben in der mittlerweile verschwundenen Leipziger Independent-Edition paperOne seine beiden Connewitz-Bücher „Tschüss Deutschland“ und „Ahoi Connewitz“ veröffentlichte, so richtige Connewitzer Alternativ-Szene-Kracher mit dem unerschütterlichen Helden Steingrimm Knaute. Bevor die Bände im Bookra Verlag wieder auftauchen, gibt es jetzt einen Alsleben-Band, der geht noch tiefer hinein in die Geschichte, ins rustikale Jahr 1990. Als eine Band namens Mayhem auch in Leipzig spielte.
Diesmal ist es kein Roman, sondern ein Buch über die Initialzündung in Abos Leben, der 1990 gerade einmal 22 war, eben noch bei der „Asche“ gedient hat und nun die unerhörten Freiheiten des Jahre 1990 nutzt, um ein eigenes Fanzine zu produzieren mit dem schon vielsagenden Titel „Cadaver, Corpse & Bowels“. Man merkt schon, dass dieser Abo, der sich selbst gern als hedonistischen Lebenskünstler bezeichnet, schon damals auf die richtig harten Musikstile stand, die es in der DDR nicht hatte geben dürfen und natürlich trotzdem gab.
Denn wenn es um Musik ging, war die Mauer nun einmal undicht. Und was im Westen junge Leute zum Ausflippen brachte, das fand auch im Osten Musiker, die genau so eine Musik machen wollten und auch machten. Und sie fanden auch die Lokale, in denen sie auftreten konnten und zu denen die Anhänger pilgerten.
Und das Fanzine war der Aufhänger, mit dem Abo Kontakt knüpfte zur norwegischen Band Mayhem, einer der extremsten Black-Metal-Bands in dieser Zeit. Und augenscheinlich noch lange nicht vergessen, was etliche Youtube-Clips bis heute belegen.
Obwohl die Band schon 1993 ihr Ende fand, nachdem sich der Sänger Dead 1991 umgebracht hatte und 1993 auch Bandgründer und Gitarrist Euronymous ermordet wurde. In anderer Besetzung erlebte Mayhem dann 1995 eine Fortsetzung.
Aber Abo ist diese frühe Geschichte um die Band wichtig, weil sie in gewisser Weise auch der Beginn seiner eigenen Laufbahn als Musiker war. Seine Bands hießen dann „Klassik in Qual“, „Cadaver Corpse“, „BBC“ und aktuell „Die Gediegenen“.
In seinem Buch nimmt er die Leser mit hinein in diese durchaus wilde Zeit des Umbruchjahres, als auch die wildesten Bands aus dem Westen aufbrachen zu teilweise legendären Konzerttourneen in Osteuropa. Und die von Mayhem in der DDR hat dann nach der ersten Kontaktaufnahme Abo selbst organisiert. Das Konzert in Leipzig war der Abschluss dieser Tournee, bei der Abo auch unterwegs mit dabei war und die Bandmitglieder auch persönlich kennenlernte, also auch einen ganz guten Eindruck gewinnen konnte davon, wie sie tickten.
Und dass der Sänger Dead eine zumindest sehr eigene Einstellung zum Leben hatte und sich auf der Bühne in Leipzig unbedingt auch mit einem scharfen Messer blutende Wunden zufügen wollte, wurde ihm schon unterwegs klar. Und auch die politischen Vorstellungen von Euronymous, mit dem Abo auch eine Zeit lang im Briefwechsel stand, waren zumindest obskur.
Was auch Euronymous bewusst war. Immerhin reiste die Band da gerade durch ein Land, das mit einer krachenden Wahlentscheidung dem sozialistischen Experiment ein Ende gesetzt hatte. Und Euronymous fand nicht nur linke Ideen gut, er fand auch die grausamsten Diktatoren von Mao bis Pol Pot irgendwie toll.
Was für ein skurriler Typ das war, wird deutlich, wenn Abo Alsleben schreibt: „Euronymous hörte sich meine Einwände an, wich aber nicht einen Millimeter von seiner Überzeugung ab, dass die kommunistische Lehre unter anderem zum Inhalt hatte, dass Grausamkeiten gegen Andersdenkende und Oppositionelle nicht nur berechtigt, sondern überhaupt keine Verbrechen seien. Und das sagte er mit seiner leisen, dünnen Stimme.“
Andererseits lebten die Norweger ihre Haltung auch – versuchten sich von jeder kapitalistischen Vermarktung fernzuhalten und ihre Musik vor allem über informelle Kanäle zu vertreiben. Auch ihre Tournee hatten sie keinem professionellen Veranstalter übergeben, sondern hatten sich mit ihren Instrumenten einfach in den Zug gesetzt in der Hoffnung, die Reisekosten durch die Konzerte wieder einspielen zu können. Dabei wurde wohl auch emsig dem Alkohol zugesprochen, nur vor den Konzerten rissen sich alle zusammen und gingen dann die Bühnenshow aus Abos Sicht recht professionell an.
Man taucht mit ihm also in eine Welt ein, in der nicht nur der (alternative) Wunsch, sich von der dominierenden und durchregulierten Konsumgesellschaft brachial abzusetzen, deutlich wird, sondern auch das Destruktive, das sich auch völlig entfesselt in Musik austobt. Wobei Mayhem in der Besetzung von 1990 wohl auch eine gewisse Ausnahme ist – nicht alle Musiker aus der Metal-Szene sind auch selbst so, dass sie die Lust am Zerstören auch noch im eigenen Leben exerzieren. Wobei man auch merkt, wie wichtig den von Abo Porträtierten die radikale Anti-Haltung war, auch als Rückgewinnung einer gewissen Souveränität über das eigene Leben und die eigene Individualität.
Abo hat das Buch ja nicht nur mit Bildern von der Tournee gespickt, sondern auch ein paar eigene Bilder dazugetan, die ihn als jungen und kühnen Metal-Rebellen zeigen. Und natürlich auch ein Stück jenes heruntergekommenen Connewitz, dessen drohender Abriss erst durch die vielen bunten Hausbesetzer gestoppt wurde.
Das wird heute gern vergessen, wenn die wohlgenährten Zeitungen dieser Stadt über das „unsichere Connewitz“ schreiben, ganz so, als wäre es ein Hotspot der Kriminellen und Gewalttätigen, auch wenn die heftigen Konflikte zwischen den (eher linken) Hausbesetzern, der meist gar nicht so unparteiischen Polizei und vor allem den immer wieder gewalttätig attackierenden Rechtsextremen bis in die frühen 1990er Jahre zurückreichen.
Und dass auch das Publikum im damaligen Jugendklub „Erich Zeigner“ noch nicht vorbereitet war auf das, was Mayem auf der Bühne zelebrierte, wird auch in Abo Alslebens Schilderung deutlich, der nach dem Konzert aber eiligst auf die Bühne sprinten musste, um die Blutlache aufzuwischen, die nach Deads Sondereinlage entstanden war.
„Unterm Strich war die Europa-Tournee also eine ziemliche Pleite“, schreibt Alsleben. „Sie wäre vielleicht komplett in Vergessenheit geraten, wenn es nicht den Mitschnitt vom Auftritt in Leipzig gegeben hätte.“ Der wurde dann nämlich zur gepressten Schallplatte, die den Ruhm der Band nach dem Tod des Sängers erst recht befeuerte. Da griff dann doch wieder das verpönte Marketing.
Und so recht mag auch Abo Alsleben dieses Abenteuer im November 1990 nicht vergessen: „Für mich waren Mayhem ganz normale Jungs, zugegeben, mit kleineren und größeren Macken, aber keine blutrünstigen und brandschatzenden Irren, wie später behauptet, und ich bin froh, dass ich die Jungs kennenlernen durfte.“
Logisch, dass das Buch kein leichter Tobak ist – jedenfalls für Menschen, die eher nicht auf so harte Musik und so durchaus verwirrende Ansichten stehen, wie sie Euronymous in seinen Briefen an Abo zum Ausdruck bringt. Die hat der Autor dem Band dann auch noch als Übersetzung beigegeben, denn verständigt haben sich die Beteiligten ja auch damals auf Englisch und auch die Texte von Mayhem sind ja auf englisch. Und die Schweinsköpfe auf der Bühne, die Abo extra besorgt hatte, machten das Ganze natürlich noch heftiger.
Aber selbst für brave Bürger gibt das Buch ein paar Einblicke in eine zutiefst rebellische Welt, die eben nicht nur gegen die Biederkeit der Eltern protestiert, sondern wirklich die ganze aufs Verkaufen und Vermarkten ausgerichtete Gesellschaft infrage stellt. Und augenscheinlich nicht nur als wilder Ausbrecher in der Jugend, sondern für manche auch als Lebenshaltung. So wie bei Abo Alsleben, dessen drei Connewitz-Romane demnächst auch bei Bookra wiederaufgelegt werden.
Abo Alsleben Mayhem live in Leipzig, Bookra Verlag, Leipzig 2020, 20 Euro.
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