In der Mini-Bibliothek des Buchverlags für die Frau finden auch immer wieder kleine kompakte Städteporträts ihren Platz. Sie werben nicht nur für einen touristischen Besuch der Stadt, der ja gerade jetzt in der Corona-Ausnahmesituation eher nicht möglich ist. Auch Dresden wird in diesem Jahr keine Rekord-Besucherzahlen melden. Aber Holger Kretzschmar mag die Stadt eigentlich aus ganz anderen Gründen. Sie ist deutlich mehr als das, was Touristen für gewöhnlich sehen.
Auch wenn das seit sechs Jahren nicht mehr so gut rüberkommt, weil seltsame Nachrichten aus dem „besorgten“ Bürgertum der Stadt die Schlagzeilen bestimmen. Und dass diese Pegida-Demonstranten nicht nur das Außenbild stören, sondern auch den Tourismus, merkt Kretzschmar durchaus kritisch an.
So sieht man auch nicht die lebendige Universitäts- und Studentenstadt und auch nicht das bunte und alternative Leben in Neustadt, Hechtviertel und Hellerau. Die Stadt hat ja nicht wirklich aufgehört, eine durchaus von kritischen Geistern bewohnte Stadt zu sein, auch wenn sie meist für jede weltoffene Aktion obskure Schmähreden und seltsame AfD-Anfragen im Landtag ernten.
Und so übertönen die alten Grummler in Dresden auch all das Junge und Lebendige, das in dieser Stadt steckt, die mehr als nur die barocke Kultur des starken Augusts aufzeigen kann. Kretzschmar erzählt es alles in kleinen, übersichtlichen Kapiteln, erzählt von der reichen und vielfältigen Theater- und Musiklandschaft, von den bunten Festen am Elbufer und in der Neustadt und von der Kneipen- und Ausflugskultur.
Und natürlich lässt er auch die „Berühmten Kunstschätze“ nicht weg, ein Kapitel, in dem man merkt, wie in Dresden seit den 1980er Jahren daran gearbeitet wurde, die barocke Schönheit von Elbflorenz wieder herzustellen, angefangen mit der Semperoper und dem Zwinger bis hin zu dem weltweit ein Echo hervorrufenden Wiederaufbau der Frauenkirche.
Es ist nun einmal das Stadtbild, das auch die Einheimischen zuallererst mit „ihrer Stadt“ verbinden. Wobei die sanfte Hand der Staatsregierung nicht vergessen werden darf, die mit ihren 30.000 Mitarbeitern zum heutigen Wohlstand der Landesmetropole beiträgt und mit vielen Millionen Euro dafür gesorgt hat, dass das alte kurfürstliche Schloss nach und nach wieder restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Dazu gehörte ja auch das 2006 erst wieder eröffnete Historische Grüne Gewölbe. Der Schock, den der Einbruch am 25. November 2019 erzeugte, hat sich bis in dieses Büchlein fortgepflanzt: Das traf bei den Dresdnern einen Nerv, die natürlich stolz darauf sind, dass Dresden zu jenen internationalen Kulturstädten gehört, die bei Reisenden in aller Welt einen schillernden Namen haben.
Das erstreckt sich in gewisser Weise auch auf den Sempernopernball, auf dem für gewöhnlich jedes Jahr auch die Georgsorden verliehen werden. Doch der Glanz des Balles kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass man bei der Verleihung des St. Georgsordens auch 2020 kräftig danebengegriffen hat.
Eine Stadt ist nun einmal nicht homogen. Und es gibt auch in Dresden die Leute, die ihre windigen Eigeninteressen durchsetzen, ohne auf das Porzellan im Laden Rücksicht zu nehmen. Sie sorgen dann für Schlagzeilen, die durchaus die Frage erlauben: Merken sie es eigentlich noch?
Dabei verbindet sich der Stolz der Dresdner nicht nur mit dem Glanz einer angestrahlten Semperoper. Kretzschmar lässt auch das Kapitel mit den erfolgreichen Dresdner Erfindern und Erfinderinnen nicht weg und erzählt kurz, wer Johann Andreas Schubert war, Karl August Lingner, Christine Hardt und Melitta Benz. Es ist eben nicht nur so ein Bändchen mit lauter schmucken Ausflugstipps geworden, sondern eine kleine Einführung ins Dresdener Seelenleben selbst – und zwar erobert zu Fuß und per Tram und Schwebebahn.
Kretzschmer erzählt eben auch, wie man in der Stadt an der Elbe vorankommt, welcher Dampfer tatsächlich noch mit Kohle fährt, wer eigentlich den Namen Elbflorenz erfunden hat, wen man in Dresden besonders verehrt und warum einige spezielle Bauwerke von den Stadtbewohnern besonders geliebt und gepriesen werden.
Und dass selbst Umberto Eco gemerkt hat, wie stolz die Dresdner auf ihre wieder aufgebaute Stadt sind, gehört einfach dazu. Ein Stolz, der so gar nichts mit diesem muffigen Gedenken im Februar zu tun hat, wenn besorgte Hinterwäldler immer wieder ihre traurigen Märsche zur Erinnerung an die Zerstörung im 2. Weltkrieg zelebrieren. Leute, die augenscheinlich nicht fähig sind, die wiedergewonnene Schönheit der Gegenwart zu empfinden. Also augenscheinlich kulturell und gefühlsmäßig Blinde. Da wünscht man sich als Stadtbesucher tatsächlich, lieber den euphorischen Gebäckverkäuferinnen und Taxifahrern zu begegnen, die die Schönheit ihrer Stadt gar nicht genug preisen können.
Manche Berühmtheiten vermisst man. Sie haben einfach nicht mehr reingepasst. Aber dem Goldenen Reiter begegnet man natürlich und auch dem humorvollsten aller Dresdner, auch wenn Erich Kästner nur seine Kindheit und Jugend hier erlebte. Aber darüber hat er ja selbst geschrieben.
Holger Kretzschmar “Dresden”, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2020,5 Euro
“Dresden” beim Buchverlag für die Frau
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